Kassel - ein Mekka der Alten Musik ?!

  • Durch ein Kunstprojekt das ich gerade plane versuchte ich an alte Partituren zu kommen.
    (In der Kunstecke werde ich das bei gegebener Zeit erläutern)
    Ich wußte zwar das ein ominöses "Manuscrit de Cassel" existierte, eine Sammlung frz. Musiken des 17. Jahrhunderts, wohl mitgebracht von einem eingekauften Geiger....


    Doch was ich in der Murhardschen Bibliothek fand, verschlug mir nicht nur einmal den Atem:


    Der Musikalienkatalog - dick wie eine Guthenbergbibel - offenbarte einen Schatz nach dem anderen.
    Und das waren nur die Handschriften !!!
    In dieser Bibliothek schlummert ein unsagbarer Schatz, wie es ihn in Deutschland wohl kaum ein zweites Mal geben dürfte.


    Ich sah mir also ersteinmal den Inhalt der Sammlung "2° Ms. Mus. 61 a-m" an
    Sie war betitelt mit


    "Note sur un Fonds de Musique Francaise de la Bibliotheque de Cassel SIM 65 de Jules Ecorcheville"


    diesem Dokument gilt momentan mein ganzes Interesse und den Inhalt habe ich vollständig abgeschrieben:


    MANUSCRIT DE CASSEL


    2° Ms. Mus. 61 a-m


    Jules Ecorcheville :
    Note sur un Fonds de Mvsique Française de la Bibliotheque de Cassel SIM G 5



    61a Jacques Brulard : Branles 1658


    61b1 Branles 1658


    61b1a Antoine Bauderon de Senecé : Le Grand Bransle 1668


    61b2 Guillaume Dumanoir : Bransles 1658


    61c Bransle Nouveau 1660


    61d1 Suitensätze 1658 (Michel Mazuel) (Lazzarini)


    61d2 Suiten 1658


    61d3 Michel Mazuel: Suite 1658


    61d3 Mignot de la Voye: Suite 1658


    61d4 Adrien de la Croix : Suite / Adam Drese : Suite


    61d5 Ballet – Suitensätze 1658 ?
    Ballet von Estiènne Nau / Suite à 5


    61d6 Suite à 4 / Suite in G-bmoll


    61d7 Suiten 17. Jahrhundert
    1. Suite
    2. Artus : Les Passe Pieds
    3. Bourrée Figurée la Christiana


    61d8 Suite / Bransle à 5 1655


    61e Dumanoir : Suite 1658
    (Libertas – Sarabande italiènne – Courante)


    61f Suitensätze – Lied – Fantasie 17. Jahrhundert
    1. Wilhelm VI. von Hessen: Sarabande
    2. Sarabande du Roy
    3. Sarabande
    4. Courante
    5. Sarabande
    6. Sarabande
    7. Frantzösisch Lied, wirdt etwas geschwindt gespielt
    8. Fantasie „Les Pleurs d’Orphée“ (Luigi Rossi)
    9. Courante ex g/bmol
    61g Suitensätze 1658
    Jacques de Belleville : Le Testament
    David Pohle : Suite


    61h Ouverture – Ballett – Allemande 17. Jahrhundert
    1. Ouverture von Dumanoir
    2. Ballett des Inconstans (Guedron ? )
    3. Allemande (Dumanoir)


    61i Balletts – Suite 17. Jahrhundert
    1. georg Christoph Strattner : Balletti di Cavallo
    2. S.M.C. Suite 4v


    61k1 Suiten – Suitensätze 1658
    1. Courantes Nouvelles
    2. Verdier: Allemande
    3. Allemande ex C fa ut


    61k2 Ballett 17. Jahrhundert (Oberrhein ? )


    61k3 Ballett de Chantilly (10 Stücke) 1658


    61k4 Ballett 17. Jahrhundert
    1. Ballet du Stockholm
    2. Ballet à 4 zu Stockholm
    3. Schwedisches Ballett (16 Stücke)


    61k5 Suiten 17. Jahrhundert
    1. Petits Branles Nouveaux
    2. Suitensätze
    3. Brandle ! Simple
    4. Suite a 4


    61k6 Sonaten (Wien ? vor 1654)
    1. Bertali: „Tausend Gülden“
    2. Sonata (Walther ? )
    3. Georg Nuub: Sonata


    61l1 Lautentabulatur (Walter Rowe ?) / Gambenstücke
    Weitere Stücke von Dennis Gaultier / Pinel / Jenkins / Young


    61l2 Fragmente
    1. Suite für Gambe (Tielke)
    2. Suite für Gambe (Macquart)
    3. Stücke für Cembalo


    61m Suiten
    1. Suite
    2. Allemande
    3. Suite



    durch Zufall fand ich noch diesen Anhang:


    INSTRUMENTALMUSIK


    4° Ms. Mus. 148 a- f


    „Acht Konvolute“ Kassel 17. Jahrhundert


    Suite du Ballett
    1. Ouverture
    2. –
    3. Entrée
    4. Entrée des Nymphes
    5. Les Deux Satyres
    6. Les 7 Planetes
    7. les 4 Saisons
    8. Entrée de Phaeton
    9. Entrée
    10. Entrée de Neptune
    11. -
    12. Grand Ballet
    13. –



    8° Mus. (Lange 3; Israël 8.3)


    Charles Tessier: Airs et Villanelles Paris 1604





    Die Wichtigkeit dieses Dokuments wurde mir mit jeder Seite aufs Neue deutlich.
    Neben der "Upsala Sammlung" ist das die einzige !!!! Quelle für frz. Orchestermusik der Jahre 1650 - 1660
    Soetwas hat nichtmal die Bibliotheque National de Paris oder das Centré Musique Baroque de Versailles.


    Eine einmalige und musikwissenschaftlich unschätzbar wertvolle Ansammlung von Suiten, Orchesterstücken und Tänzen.


    Die meisten Suiten sind mit der Jahreszahl 1658 datiert, die späteste von 1668.
    Es ist überdies hinaus neben der Sammlung in Stockholm die einzige Quelle für die Musik Guillaume Dumanoirs (1615 - 1697) der als Leiter der berühmten 24 Violons du Roi eine der wichtigsten musikalischen Ämter am Hofe des Sonnenkönigs inne hatte.
    Daneben tauchen noch Namen wie Mignot de la Voye, Michel Mazuel (ein Vetter Molières) Adrien de la Croix, Adam Drese, Estiènne Nau, Jacques Brulard, Luigi Rossi und viele nicht signierte Kompositionen auf. (Ist ja oben alles im Detail zu sehen)


    Doch dieses Manuscrit ist nur ein winziger Bruchteil.
    Denn die Bibliothek umfasst natürlich noch Musik anderer Epochen, so liegt hier die älteste handschriftliche Partitur der Welt. (Heinrich Schütz)
    Es finden sich noch Lautentabulaturen von Denis Gaultier und einigen anderen wieder.
    Gambenstücke ohne Ende, Motetten, Psalmvertonungen, Messen etc.


    Ich fand Schatz auf Schatz, allein die Namen die hier in der Handschriftensammlung auftauchten ließen mich aus dem Staunen nicht mehr heraus kommen,
    hier seien nur einmal Johann Heinrich Schmelzer und Antonio Bertali (Sonate "Tausend Gülden !!) genannt.




    Doch dann nahm ich mir das Verzeichnis der gedruckten Ausgaben vor.
    Jetzt war ich wirklich platt:
    Moritz von Hessen hat so ziemlich alles gesammelt, was es zu seiner Zeit an großartiger Musik gegeben hatte:


    es finden sich nicht nur unzählige Werke von Palestrina und Lassus in dem Bestand, auch die Gabrielis sind vertreten, Heinrich Schütz en Masse, Monteverdis Madrigalbücher, Scheins "Banchetto Musicale" und sein "Israels Brünnlein", weitere Werke von Vierdanck, Scheidt usw. eine gigantische Sammlung von erstklassiger Musik - der Mann hatte Geschmack.
    Und das war nur der Verzeichnis-Band der gedruckten Partituren bis 1650 !!
    Die Tage werde ich nocheinmal weiter sichten was dort schlummert.
    So ist hier z.B. das Requiem von Jommelli als Handschrift aufbewart!
    Ich wage gar nicht daran zu denken was sich da noch finden wird......



    Ich mußte zu Hause erstmal darüber nachdenken was ich da gerade gefunden hatte - ich fasse es noch immer nicht.




    Doch wenn ich daran denke wie ich auf diese großartige Sammlung gestoßen bin, dann macht mich das mehr als nachdenklich.
    Durch einen winzigen Verweis zur Murhardschen Bibliothek in einem CD Booklett wurde ich darauf aufmerksam. Die Stadt Kassel selbst unternimmt nichts um diesen Schatz zu würdigen.
    Vom Land Hessen ganz zu schweigen....


    Mit einem solchen Repertoire an alten Partituren sollte es doch eine Verpflichtung sein, diese Musik hier auch aufzuführen.
    Aber nichts, da wird alle paar Jahre die Stadt für die Dokumenta aufpoliert, und damit hat man dann seinen kulturellen Blutzoll erfüllt.


    Einfach nur bedauernswert..... was für ein Schatz ..... was für eine Vergeudung..... na ja zumindest weiß ich jetzt wie sich jemand fühlt, der in seinem Vorgarten auf Öl gestoßen ist



    :hello:

  • Nicht schlecht, Herr Specht!


    Sag mal, haben die Dich da einfach so in den Originalmanuskripten blättern lassen, oder wie muß ich mir das vorstellen? ?(



    Grüße,
    Gentilhombre

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Nein zuersteinmal habe ich nur den Bestand-Katalog gewälzt.
    Nächste Woche werde ich das "Manuscrit de Cassel" dann persönlich durchblättern.


    Das "Ballett de Chantilly" sowie diese Suite die ich durch Zufall gefunden habe, werde ich mir ansehen ob man da noch was draus machen kann, dann photographiere ich die Partituren ab.
    Sollte ich es noch schaffen, dann auch noch die "Suite des Branles" von Dumanoir.
    Mit Ulli zusammen will ich die Partituren wieder herstellen, damit sie spielbar sind.
    Die Genehmigung zum Photographieren (natürlich ohne Blitz) habe ich bereits - ist ja auch für jeden zugänglich (der einen guten Grund hat :D )


    Aber mir flattern jetzt schon die Knie.... eine 350 Jahre alte Handschrift....*schluck*




    Ich habe mich schon gefragt, wieso weiß niemand etwas von dieser großartigen Sammlung ???
    .... vielleicht bin ich ja auch blöd und naiv - und jede Stadt hat so eine Sammlung.....
    Irgendwas muß ja der Grund sein, dass man diese Sammlung so überhaupt nicht würdigt hier in Kassel....
    Wahrscheinlich liegt es nur daran, weil nirgends "Bach" oder "Mozart" draufsteht :stumm:

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Wahrscheinlich liegt es nur daran, weil nirgends "Bach" oder "Mozart" draufsteht :stumm:


    Das kannst Du ja nächste Woche unauffällig ändern... Schreib einfach irgendwo "Allegro di Wolfgango Mozart" drauf... :D


    Ich beglückwünsche Dich zu Deinem Fund und wünschte, ich könnte bei der Besehung dabeisein. Ich bin sehr gespannt, was Du da ausgraben wirst und werde mir alle in meiner derzeitigen Macht stehende Mühe geben, Dich bei Deinem Unterfangen zu unterstützen [wenn ich eine Kopie des Jommelli-Requiems dafür bekomme :pfeif: ].


    Herzliche Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich denke zusammen könnten wird das durchaus hinbekommen, da ich in etwa weiß was ich will und mir anmaße ein Gefühl dafür zu haben wie diese Art von Musik zu instrumentieren ist.


    Aber die werden mich so schnell nicht mehr los - und das Requiem beschaffe ich Dir - ich bin ja so gespannt was da noch alles ist... u.a. muß das wohl die größte Sammlung von Partituren von Louis Spohr sein... Irgendwer Interesse ? *hust* :rolleyes:



    Ich bin jetzt erstmal gespannt darauf was mich da erwartet. Sollte das noch zu gebrauchen sein, dann werde ich mir natürlich das ganze "Manuscrit de Cassel" sichern, und abschreiben.


    ...dann werde ich Jordi Savall solange belästigen bis er die komplette Sammlung einspielt :D



    Ach ja - um einen Eindruck davon zu bekommen, um was es hier geht, ist diese CD das ParadeBeispiel - denn sie hat die Cassler Sammlung zur Vorlage!




    Guillaume Dumanoir: Suites d'Orchestre
    Le Concert des Nations - Savall



    das Savall hier wieder eine geniale Leistung vorgelegt hat brauche ich kaum zu erwähnen. Teile davon hat er für die CD "L'Orchestre de Louis XIII" nochmal aufgenommen.

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  • Zitat

    Original von der Lullist
    u.a. muß das wohl die größte Sammlung von Partituren von Louis Spohr sein... Irgendwer Interesse ? *hust* :rolleyes:


    Nimmst Du 'ne Packung S[p]ohrpilze mit? :beatnik:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Ich habe mich schon gefragt, wieso weiß niemand etwas von dieser großartigen Sammlung ???



    So ganz unbekannt dürfte der Musikalienbestand in Kassel in der Musikwelt nicht sein. Zumindest was die Werke von Schütz und Gabrieli angeht, so gibt es davon auch Einspielungen, z.B.:



    Gabrieli tedesco - Late Works from German Sources


    Musicalische Compagney
    Holger Eichhorn



    Grade bei Gabrieli ist bekannt, dass er nördlich der Alpen sehr viel mehr geschätzt wurde als in der Heimat, eine Wertschätzung, die noch lange Zeit nach seinem Tod anhielt. Dem entsprechend gibt es in deutschen Landen auch sehr viel mehr handschriftliches Material von ihm als in Italien. Kassel ist da ein zentraler Ort - des musikliebenden Fürsten Moritz wegen.


    Der gilt ja u.a. als Entdecker von Heinrich Schütz. Er finanzierte ihm das Studium bei G.Gabrieli in Venedig und beschäftigte ihn nach seiner Rückkehr noch einige Jahre als Kapellmeister, bis er ihn schließlich - nach langem zähen Streit mit dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg - nach Dresden ziehen lassen mußte. Aber die Verbunenheit von Schütz zu seinem Gönner blieb bestehen. Deshalb verwundert nicht, dass auch so viele Schützsche Werke in Kassel liegen. Und Schütz hat sicherlich auch etliches an Notenmaterial von seinem Italienaufenthalt mitgebracht.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Lieber Lullist!


    Das kann ich nur bestätigen: Die Murhardsche Bibliothek ist eine Schatzgrube!


    Ich selbst konnte im Rahmen einer Kur in Wilhelmshöhe einige Stunden im Lesesaal verbringen. Ich versuchte besonders von Schütz was zu finden-, aber die Zeit reichte nicht aus. Habe mich dann bei einem ganz anderen festgebissen: Semilasso ... von Pückler-, Reisebeschreibungen in einer Ausgabe von 1836.


    Da Kassel durchaus einige leistungsstarke Chöre hat, müßten die Chorleiter da mal stöbern! Oder auch der Bärenreiter-Verlag.


    Aber Deine Zusammenstellung von 'Fundstücken' ist sehr anregend.


    Gruß


    Adamo

    Magnificat anima mea

  • Bei einem erneuten Besuch in der Bibliothek habe ich auch erfahren, weshalb die Musiksammlung so gut wie unbekannt ist.


    Zwar ist alles geordnet und es existieren mehrere Kataloge, die aber nur in der Bibliothek eingesehen werden können, d.h. ein Großteil der Handschriften sind überhaupt nicht erfasst.


    Die Partituren die ich mir vor Kurzem erneut aushändigen ließ, hatten nichtmal einen Bibliotheksstempel ... das wurde dann schnell nachgeholt.
    Anscheinend hat diese Akte seit Jahrzehnten niemand mehr angesehen, weil eben kaum jemand von deren Existenz weiß.


    Nur die großen Bibliotheken in Paris und Madrid haben sich vor Jahren Kopien machen lassen. (Ich nehme an, vor dem 2. Weltkrieg)



    Ich habe auch weiteres Material gesichtet, wie gesagt von den Frühbarocken Meisterwerken ist fast alles vorhanden, was Rang und Namen hat.
    Aber auch Hochbarock, Vorklassik, Klassik und Romantik sind hier im großen Stil vertreten.


    So sind z.B. auch eine gewaltige Anzahl von Opern in Abschriften dort eingelagert, eine unüberschaubare Anzahl von geistlicher Musik usw.


    Wenn man dann weiß, was für ein Musikleben die Stadt hatte, dann sind die heutigen Bestrebeungenm die fast nur von privaten Institutionen kommen fast zu bemitleiden. Die Stadt selbst macht kaum etwas um dieses Erbe gebührend zu pflegen. :(

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  • Hallo Matthias,


    na, da können die ja froh sein, dass Du jetzt da bist und Dich für diese alten Schätzchen ernsthaft interessierst!


    Stell ich mir ja zu spannend vor, in derart alten Handschriften/ Drucken etc. zu blättern und Dinge anzuschauen, die womöglich seit Jahrhunderten niemand mehr gelesen, geschweige denn musiziert haben könnte - wow!


    Jedenfalls wünsche ich Dir weiter interessante Entdeckungstouren - halte uns auf dem Laufenden :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • ...da ich nun bald 25 Jahre zwischen Unterfranken und Sauerland/Ruhrgebiet pendle,
    empfinde ich K A S S E L durchaus als ein kleines Stück Zuhause :yes::yes: :yes:


    SEHR aufregend für mich
    und:
    BITTE WEITERMACHEN =) =) =)


    Micha

  • Nicht nur die verdienstvolle Arbeit Holger Eichhorns hat die Bestände in Kassel bekannt gemacht; die Rezeption der dort liegenden Werke setzte bereits im 19. Jahhundert ein.


    Für das 20. Jahrhundert sind hier vor allem Bruno Grusnick und Christiane Engelbrecht zu nennen.


    In den 30ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts löste sich bei der Herausnahme eines Folianten, der entstaubt werden sollte, ein in diesen
    eingelegtes Heft, das sicher als einer der sensationellsten Notenfunde des 20.Jahrhunderst entpuppen sollte, denn dabei handelte es um "Die sieben Worte Jesu, so er am Creutze gesprochen hatte, gantz beweglich in die Musick versetzt DURCH HENRICH SCHÜTZEN" in der HANDSCHRIFT des Komponisten. Komponiert hatte das Schütz wohl um das Jahr 1650 für die Privat-Andachten, der mit ihm befreundeten Elisabeth von Hessen und es war bis dato gänzlich unbekannt, denn es fand in keines der Schützschen Sammelwerke Aufnahme.


    Die vielen vom Lullisten als "Branles" benannten Werke entstammen wohl der Sammelwut von Schützens Mentor, Landgraf Moritz des "Gelehrten", der für diese meist aus dem englischen Kulturkreis ein Faible hatte. Her gilt es sicher, eine Menge "Spreu vom Weizen" zu trennen.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    Die Suiten und Branles stammen nicht aus der Sammlung von Moritz, sondern von einem nicht weniger Musikbessesenen Nachfolger:



    Wilhelm VI. von Hessen - Kassel
    (1629 -1663)


    Politisch und geschichtlich hat er kaum noch Bedeutung - eine Fußnote.
    Aber seine Verdienste auf kultureller Ebene ist nicht zu unterschätzen.


    Er kümmerte sich um neue Bildungsstätten und scheint einer der ersten in Deutschland gewesen zu sein, der frz. Musiker an seinen Hof holte.
    Sein Sohn Wilhelm VII machte sogar eine Kavalierstour nach Paris und Versailles, verstarb aber überraschend in der frz. Hauptstadt (1670)



    Vielleicht schickte er diese Manuskripte und Musiker nach Kassel wer weiß.
    Jedenfalls sind dies alles Kompositionen die in die Blütezeit des "Ballet de Cour" fallen, bevor Lully als Dominante Person in Erscheinung tritt.



    Aber Moritz hat wirklich alles gesammelt, was zu seiner zeit en Vouge war, die bekanntesten Werke von Schein: Israelis Brünnlein, Banchetto Musicale
    Instrumentalstücke, geistliche Werke und Madrigale Monteverdi, Gabrieli, Schütz etc.


    eine unfassbare Schatzgrube :faint:

  • Und das allerwichtigste überhaupt: Schützens Madrigal-Buch aus 1611 als Abschlußarbeit seiner Studien bei Gabrieli und in lediglich 3 Exemplaren gedruckt, hat NUR in Kassel überlebt ! :jubel: :jubel: :jubel:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Guten Abend


    die älteste Tochter des Landgrafen von Hessen, Elisabeth von Hessen (1596 - 1625) -deren Taufpatin niemand Geringeres war als die engliche Königin Elizabeth I.-





    war ebenfalls eine Musikaliensammlerin und komponierte auch selbst. Ihre musikalischen Lehrer waren vor allem V. de Montbuyson, Georg Schimmelpfennig und die Brüder Christoph und Friedrich Kegel. Sie besaß u.a. ein Lautenbuch



    das Abschriften und Bearbeitungen von Musikwerken der damaligen Zeit beinhaltete. Darunter befanden sich Kompositionen u.a. von John Dowland, V. de Montbuysson, G. Caccini, E. R. de Foggia, L. da Roma und ihren Vater Moritz von Hessen für Laute mit und ohne Gesang. Das Lautenbuch ist ein Dokument des Musiklebens am Kassler Hof um 1600, es enthält auf 131 Blättern 187 Musikstücke. Das Lautenbuch begleitete die Landgrafentochter ihr Leben lang. Nach der Hochzeit mit dem Herzog Johann-Albrecht von Mecklenburg-Güstrow 1618 gelangte ihr Lautenbuch nach den Schloß Güstrow, kam aber schon wieder in den Wirren des 30.-jährigen Krieges nach Kassel zurück, wo es in der Landesbibiliothek als besonderen Schatz bewahrt wird.


    Einige Stücke aus dem Lautenbuch der Elisabeth von Hessen sind auf dieser empfehlenswerten



    CD mit Klaus Mertens (Bariton) und Joachim Held (Laute)
    eingespielt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Jules Ecorcheville hat die frz Musiksammlung schon 1906 nach Frankreich exportiert, er hat alles abgeschrieben und sortiert (wenn ihm wohl auch einiges durch die Lappen gegangen ist).
    Was wäre es für eine Katastrophe gewesen, wenn diese Sammlung im Krieg verloren gegangen wäre!


    So hat die Bibliotheque National doch eine Abschrift der Akte 61 - ein Glück, so besteht doch die Chance, dass diese Musiksammlung noch gewürdigt wird.
    Zumindest haben sich Hugo Reyne und Jordi Savall für die Sammlung ja schon interessiert und einiges gespielt, bzw. Stücke daraus in ihre Programme eingebaut.



    Hin und Wieder tauchen auch noch vereinzelte Stücke auf diversen CD's auf:




    Stadtpfeifer
    Capella de la Torre



    darauf zu finden eine herrliche Pavana Hollandica von Moritz von Hessen-Kassel, sowie eine anonyme Sonate aus der Handschriftensammlung.


    Ich wäre ja fast dafür, dass man mal versucht eine CD nur mit Kompositionen von Moritz zusammen zustellen.