Beethoven: Klaviersonate Nr 21 in C dur op 53 "L' Aurore"

  • Liebe Beethoven-Freunde,


    ich gestehe zwei Dinge gleichzeitig: Erstens daß diese Sonate mein absoluter Favorit unter allen Beethoven-Klaviersonaten ist, und zweitens, daß der oben angeführte Beiname "L' Aurore" ("Die Morgenröte") nur in Frankreich üblich ist, bei uns und in der restlichen Musikwelt heißt diese Sonate nach ihrem Widmungsträger dem Wiener Musikfreund und Beethoven-Förderer (fast hätte ich geschrieben "Sponsor") Ferdinand Graf Waldstein (1762-1823), "Waldstein-Sonate". ;)



    Was ich nicht wusste, ist, daß diese Sonate von vielen Musikwissenschaftern als Höhepunkt in Beethovens Klaviersonatenwerk gesehen wird, das hab ich grade erst recherchiert, aber ich glaube nicht, daß man solche Wertungen überhaupt abgeben sollte, es sei denn sie seine als persönliche Meinungen deklariert (wie beispielsweise in meinem Fall)

    Beethoven hat das Werk auch umgearbeitet, indem er nämlich den ursprünglichen 2 Satz entfernte und durch den heute üblichen sehr kurzen verhalten düsteren ersetzte der nahtlos in den dritten mündet und diesem zu besonderer Leuchtkraft verhilft.

    Der entfernte Satz wird heute noch immer einzeln gespielt.

    Er ist heute unter dem Titel "Andante favori" bekannt (Andante in F-dur Wo.O 57)

    Meine Lieblingsaufnahmen werde ich im Laufe des Threads vorstellen, allerdings lasse ich Euch den Vortritt, in der Hoffnung über hörenswerte Aufnahmen zu stolpern, die ich noch nicht kenne.........

    Beste Grüße aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Ich fang mal, damit Butter bei die Fische kommt und bleibe bei dem mir geläufigen Begriff der Waldstein-Sonate.
    Nostalgisch erinnere ich mich an Hans Richter Haaser. Ich lernte diesen Pianisten bei Beethovenfest 1962 in Bonn kennen ( Chorfantasie und viertes Klavierkonzert) und schwärmte dann lange Jahre von ihm. Er- Jg. 1912- stand im Schatten von Backhaus und Kempff. Ich fand ihn ja viel besser. Im Abstand von Jahrzehnten würde ich sagen: Hören kann man die Aufnahme von op. 53 durchaus noch, ich finde, er spielt sie ausdrucksvoller als der als Beethovenspieler bekannte Rudolf Serkin.
    Aber zu Referenzaufnahmenstatus reicht es nicht.
    Ich will eine benennen und eine nennen, bei der ich mir ganz unschlüssig bin. Fange ich mit letzterer an. Pollinie- live 1998- einerseits fascinierend, andererseits latent verhetzt. Pollini spielt sich ja sehr langsam an eine Gesamtaufnahme heran. Wie gesagt, es gibt im ersten Satz großartige Passagen voller Leidenschaft( als wenns die Argerich wäre), aber auch das Gegenteil. ich bin auf andere Hör-Eindrücke gespannt ( leider ist die Aufnahme nicht von Nebengeräuschen gereinigt, so etwas geht doch heute). Hören sollte man sie auf jeden Fall.
    Nun zu meiner Referenzaufnahme. Ist Michael Korstick noch ein Geheimtipp ? Ich glaube nicht. Wer ein wenig googelt, wird feststellen, dass seine Beethovenaufnahmen überall hohes Lob ernten. Ich kann mich dem nur anschließen.Kraftvoll,impulsiv, aber immer kontrolliert ( ein wenig im Gegensatz zu Pollini). Aus der Position des nobody in die erste Reihe von Beethoveninterpreten. Eine großartige Leistung.

  • Tag,


    was die Waldstein-Sonate angeht, die Angelegenheit ist ganz einfach, da einzig der noch nicht der Altersweisheit hingegebene Claudio Arrau die Glissandi im Finalsatz (im Prestissimo) richtig herausbringt. Also, Claudio Arrau ist (gewissermaßen) diese Waldstein-Sonate von Ludwig van Beethoven. Man nehme ... die Aufnahme aus der LP-Kassette der Serie 1962-1970 (Philips), einige Sonaten daraus sind auch auf CD zu haben, in einer Philips-Billigreihe waren die erschienen.


    MfG
    Albus

  • es ist richtig, dass viele Pianisten an der besagten Stelle schwindeln und für das Glissando beide Hände nehmen. Aber die korrekte Bewältigung dieser Stelle macht noch nicht den Waldsteinpianisten aus.
    Zu dem von mir hochgeschätzten Claudio Arrau muss man ehrlicherweise sagen, dass seine Interpretation gerade dieser Sonate doch mehr als zweifelhaft ist (wenn auch wunderschön). Wo ist denn das "con brio" im ersten Satz?
    Auch wenn mir grundsätzlich die Tempobolzer bei dieser Sonate nicht so zusagen, das was Arrau hier macht ist definitiv nicht korrekt! Dieser Teppich den er mit dem Hauptthema im ersten Satz ausrollt mag zwar ein Ohrenschmaus sein, aber von Beethovens Intentionen ist er bestimmt weiter als jene entfernt, die aus dem Allegro ein Presto machen.
    Mir gefällt auch der harte Anschlag des letzten G's des zweiten Satzes nicht, hat mich beim ersten Hören unangenehm überrascht (ist auch für Arrau völlig ungewöhnlich).
    In der Trillerkette am Ende das dritten Satzes stimmt - kommt mir vor - auch irgendwas nicht. Es klingt beinahe so, als ob er sich vergreift (im F-Dur-Teil).


    Meine Referenzaufnahme ist jene von Gilels. Auch er nimmt den ersten Satz nicht allzu schnell, verzichtet auf jedwelche Schnörkel, spannt herrliche Bögen (zB im ersten Teil der Durchführung) und bewahrt durch alle drei Sätze einen klaren "klassischen" Stil. Hier passt einfach alles (für mich jedenfalls).


    lg
    Hyperion

  • Tag,


    die Tempoangelegenheit ist hier einfach. Arrau stellte vor Jahren bereits fest, auf die Frage, welche Werke immer falsch gespielt würden: "Die Waldstein-Sonate, der erste Satz, dreimal zu schnell."


    Vorhin hatte ich eine CD in der Hand, Allegro con brio, angegeben mit 7 Minuten xx Sekunden. Ein Quatsch.


    MfG
    Albus

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  • hallo,


    wenn Arrau meint, dass der erste Satz für gewöhnlich dreimal zu schnell gespielt wird, warum spielt er ihn dann nicht dreimal so langsam?
    Ausserdem: hat Arrau irgendeine übersinnliche Verbindung zu Beethoven (wie zB Lotte Ingrisch mit mehreren Komponisten) um ihm die alleinige Kompetenz in dieser Frage zu gewähren?


    Im übrigen machst du es dir ziemlich einfach, wenn du so "überzeugende" Argumente bringst, wie:
    "was die Waldstein-Sonate angeht, die Angelegenheit ist ganz einfach",
    oder: "die Tempoangelegenheit ist hier einfach"...


    In (d)einer Welt wo alles so einfach ist, möchte ich nicht leben.


    lg
    Hyperion

  • Ich könnte mir ein Tempo von 7 min und etwas im Kopfsatz auch nur erklären, wenn dieWiederholungen oder eine davon nicht gespielt werden. Das hätte allerdings nichts mit dem gewählten Tempo zu tun. Also, ehe man etwas Quatsch nennt, sollte man es sich anschauen, oder?


    So, huch, eigentlich habe ich ja gar keine Zeit.


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • D.h. beide Wiederholungen in der fraglichen Aufnahme gespielt, und dennoch 7 Minuten nochwas für den Kopfsatz? Da hätte ich gerne den Interpreten genannt! Das will ich auch mal hören!


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • es gibt natürlich mehrere Aufnahmen mit 7:xx für den ersten Satz.
    Aber natürlich sind das alles Aufnahmen ohne Wiederholung der Exposition (Gulda, Pollini...) was natürlich wieder ein Kapitel für sich ist.


    lg
    Hyperion

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  • ....genau das sage ich ja ;) Ein Kapitel für sich, das freilich mit der Tempowahl nichts zu tun hat.


    C :)

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Zitat

    Original von hyperion70
    es gibt natürlich mehrere Aufnahmen mit 7:xx für den ersten Satz.
    Aber natürlich sind das alles Aufnahmen ohne Wiederholung der Exposition (Gulda, Pollini...) was natürlich wieder ein Kapitel für sich ist.


    Ich habe hier (alle mit Wdh. der Exposition, BTW die einzige Wdh. in diesem Satz)
    Gulda/Amadeo: 9:26
    Schnabel: 10:13
    A. Fischer: 10: 53
    Firkusny: 10:01
    Gilels: 11:04


    Die Exposition dauert bei Firkusny ca. 2:10 min, ohne Wdh. wäre er also bei knapp 8 min, d.h. unter 8 min. wären ein sehr schnelles Tempo a la Gulda, Schnabel oder Firkusny, was ich für angemessen hale, Gilels ist mir eigentlich schon an der Grenze, noch langsamer möchte ich den Satz nicht hören.


    FWIW


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo!


    Beethovens op.53 gehört zu meinen allerliebsten Klaviersonaten.
    Ich sehe sie als "Durchbruch" zu einer neuen Art von Klaviersonaten; ebenso wie die dritte Symphonie, das vierte Klavierkonzert, die Streichquartette op.59 ihrer Gattung neue Dimensionen erschlossen haben.


    Warum sich der Name "Waldstein"-Sonate so eingebürgert hat, kann ich nicht nachvollziehen. Die vierte Symphonie kennen wir ja auch nicht als "Oppersdorff"-Symphonie oder die Sonaten op.12 als "Salieri"-Sonaten etc. Der Beinahme "L'Aurore" ist natürlich ziemlicher Unsinn.


    Der erste Satz (allegro con brio) und der dritte Satz (allegretto moderato) gehören für mich zu den herausragenden Einzelsätzen für Klavier des Meisters. Den zweiten Satz (adagio molto) konnte ich nie recht leiden, ich kann ihm immer noch nichts abgewinnen. Hier hatte ich mich ja schon dazu geäußert.


    Die letzten Tage habe ich mir mal fünf Aufnahmen (einigermaßen) konzentriert angehört, nämlich von Daniel Barenboim (1984), Emil Gilels (1972), Friedrich Gulda (1968 ), Alfredo Perl und Artur Schnabel.
    Da es hier schon Diskussionsmaterial war, die Zeiten:
    DB: 11:28-4:38-11:22
    EG: 11:04-4:39-09:18
    FG: 09:26-2:43-08:16
    AP: 10:51-3:49-10:24
    AS: 10:00-5:12-8:49
    Alle haben die gleiche Notenmenge gespielt (d.h. mit Wiederholungen). Gulda ist dennoch insgesamt 7 Minuten eher fertig als Barenboim.


    Zu Barenboim: 1. Satz ist mir zu langsam, er interpretiert jede Passage voll aus, sehr kontrastreich, aber nicht "packend", vielleicht kommen seine "Effekte" live besser rüber, die Schlußgruppe ist wirklich sehr langsam. 3. Satz: Viel zu langsam, titanisch schreitend, manchmal donnernd.


    Zu Gilels: Keine Interpretation "für alle Tage", sehr subjektive Auffassung, fast psychologisierend, auf jeden Fall spannend zu hören (besonders der 3. Satz), gefiel mir gut, aber kennenlernen sollte man das Werk so vielleicht besser nicht.


    Zu Gulda: Geht im 1. Satz ab "wie eine Rakete", bis zum Rastlosen, Gehetzten, aber ohne am Thema "vorbeizuhuschen", das Seitenthema ist bei ihm eine "Oase der Ruhe", die Durchführung phantastisch, ich schätze Guldas Beethoven sehr, hier aber doch etwas zu rasch, ansonsten brilliant. 2. Satz: Mir recht so, dann ist er schnell vorbei. 3. Satz: Ich bin rundum glücklich.


    Zu Perl: 1. Satz: Sehr langsam gehts los, er beschleunigt fast unmerklich den Grundrythmus während der Exposition, so daß er bei derer Wiederholung das tempo deutlich abbremst - ich finde es gewöhnungsbedürftig, ansonsten recht "kantig", im Vergleich zu den anderen gehörten eher eine "Kompromißlösung", nicht herausragend. 2. Satz: Auf der CD ist nach der Sonate der alte (und für mich der bessere) 2. Satz drauf, das Andante Favori WoO 57 - ein Vorteil dieser Aufnahme. 3. Satz: Etwas zu langsam, gut, nichts besonderes.


    Zu Schnabel: 1. Satz: Genial - recht flott, ihm gelingt der Balanceakt zwischen persönlicher Deutung und das Werk für sich sprechen lassen, wirklich spannend anzuhören, er kriegt am besten "den großen Bogen" hin, da kann man über die schlechtere Tonqualität und die paar falschen Noten hinwegsehen. 2. Satz: Da ich den Satz nicht mag, mag ich seinen äußerst gedehnten Ansatz damit auch nicht. 3. Satz: Flott, im Vergleich zu den anderen eher verhaltend, Gulda fand ich besser.


    Fazit: Ich glaube, es lohnt sich für mich, eine CD zusammenzustellen mit 1. Satz Schnabel, 2. Satz (Andante Favori) Perl, 3. Satz Gulda.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Beethovens op.53 gehört zu meinen allerliebsten Klaviersonaten.
    Ich sehe sie als "Durchbruch" zu einer neuen Art von Klaviersonaten; ebenso wie die dritte Symphonie, das vierte Klavierkonzert, die Streichquartette op.59 ihrer Gattung neue Dimensionen erschlossen haben.


    Interessanterweise ein Werk, mit dem ich relativ lange wenig anfangen konnte, als ich die Appassionata etc. und selbst op. 106 und 111 schon kannte und mochte, fand ich den Anfang ersten Satz eine unverständliche Klangfläche "ohne Melodie", das Seitenthema banal und den Rest irgendwie langatmig. Sehr seltsam wie man trotz einiger Jahre Hörerfahrung an so einem Werk vorbeihören kann...
    Solche Erfahrungen (von denen ich ähnliche mit anderen Stücken gemacht habe und nicht nur mit 18 ) geben mir allerdings Hoffnung, dass es mir mit Musik, die ich heute wenig zugänglich finde, ebenso ergehen kann.


    Zitat


    Der erste Satz (allegro con brio) und der dritte Satz (allegretto moderato) gehören für mich zu den herausragenden Einzelsätzen für Klavier des Meisters. Den zweiten Satz (adagio molto) konnte ich nie recht leiden, ich kann ihm immer noch nichts abgewinnen.


    Das versteh ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Es ist eine so wunderbare spannungsreiche Überleitung, kein wirklich selbständiger Satz. Und ein sehr wirkungsvoller Kontrast zu den "strahlenden" Ecksätzen. Das andante favori habe ich gar nicht auf CD; ich habe es mal vor Jahren gehört und keine Erinnerung behalten.


    Zitat


    Die letzten Tage habe ich mir mal fünf Aufnahmen (einigermaßen) konzentriert angehört, nämlich von Daniel Barenboim (1984), Emil Gilels (1972), Friedrich Gulda (1968 ), Alfredo Perl und Artur Schnabel.
    Da es hier schon Diskussionsmaterial war, die Zeiten:


    Ich habe gerade Schnabel gehört, Guldas und Gilels' Interpretationen kenne ich seit Jahren recht gut. Schnabel ist tatsächlich extrem im adagio, klingt sehr modern auf diese Weise; finde ich aber eindrucksvoll. Ebenso überzeugt mich das schnelle Tempo von Schnabel und Gulda im Kopfsatz. IMO sind sie aber im Finale beide ein wenig zu schnell: Für das Rondothema ist das Tempo gut, aber in der Begleitung wird es etwas undifferenziert (für mich kein Unterschied zwischen staccato und non legato mehr hörbar, bei Gilels geht das), außerdem finde ich v.a. bei Gulda den Kontrast zum abschließenden presto nicht deutlich genug. Gilels ist mir dagegen im Kopfsatz zu langsam, zu kontrolliert und zu undramatisch, wenn er hier etwas mehr aus sich rausginge, könnte ich den Ruf der Einspielung verstehen.
    Alles in allem wäre vermutlich Gulda mein favorit (obwohl ich jetzt nicht mehr reingehört habe, kann sein, dass ich sein adagio inzwischen zu schnell fände. Ich habe noch Annie Fischer, Cziffra und Firkusny, werde die nächsten Tage vielleicht mal reinhören.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo, Johannes!


    Zitat


    Gilels ist mir dagegen im Kopfsatz zu langsam, zu kontrolliert und zu undramatisch, wenn er hier etwas mehr aus sich rausginge, könnte ich den Ruf der Einspielung verstehen.


    Ich fand beim Hören auch, daß er die Sonate sehr unspektakulär angeht, aber im Laufe des ersten Satzes fand ich das Gehörte immer überzeugender. Er ging nicht aus sich heraus, sondern in sich - eine subjektive, quasi psychologische Deutung. Im dritten Satz ist er aber noch besser. Ich halte die Aufnahme nicht für eine "Musteraufnahme", aber wirklich sehr interessant!


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • hallo,


    als schüler, also vor gut 25 jahren hatte ich zwei einspielungen der waldstein-sonate: emil gilels (DG), vladimir horowitz (rca) und claudio arrau (philips). zweifelsohne ist horowitz' interpretation ein musikalischer fehltritt, es stimmt, es klingt wie eine 'explodierende nähmaschine' in den ecksätzen. die gilels-aufnahme hat mir eigentlich immer gut gefallen. jetzt kommt das erstaunliche, obwohl claudio arrau insbesonder im ersten satz ein etwas langsameres tempo angeht, hatte ich diese aufnahme immer vorgezogen. die phrasierungen sind bei ihm musikantischer. die bögen 'atmen'. schade, dass richter diese sonate nie spielte, soweit ich informiert bin. aber in den letzten jahren haben mich zwei live-mitschnitte aus den 60er jahren überzeugt: friedrich gulda (im kopfsatz ohne wiederholung der exposition, 8.05 min.) und, ja, györgy cziffra ! cziffra wiederholt die exposition im kopfsatz und erfüllt das con brio. obwohl cziffra als 'selbstzweckvirtuose' von vielen abgestempelt wurde und von joachim kaiser nie berücksichtigt wurde, interpretiert er hier sehr analytisch. seine version der 'glissandi' im finale, jeweils mit einer hand die oktaven so schnell im non-legato spielen, dass es wie ein pseudo-glissando wirkt.


    gruß, siamak

    Siamak

  • hallo,


    kleine korrektur zu cziffra. habe gestern seine aufnahme wieder gehört: im kopfsatz wiederholt er die exposition wie gulda ebenfalls nicht und braucht somit 8:34 min., also gute 29 sek. länger als gulda.


    die zeiten für die übrigen sätze:


    FG - 3:28 - 8:59
    GC - 3:50 - 9:43


    man sieht, cziffra nimmt sich durchaus zeit, um sorgfältig zu formulieren und von oberflächlichkeit oder mangelndem tiefgang kann hier nicht die rede sein.


    gruß, siamak

    Siamak

  • Der Name „Aurora“ gefällt mir eigentlich ganz gut. Zeigt das nicht schon das Notenbild:



    Und so geht auch das Spiel. In unerwarteten Sprüngen werden mühelos die Grenzen des Klaviers erreicht. Mit größter Leichtigkeit erobert sich Beethoven das ganze Feld der Musik. Die Welt steht ihm offen. Wie viel Erwartung ist hier noch in dem Pochen und Fordern zu hören. (Die Gefahr ist groß, dass dies alles dann gepresst oder übertrieben herauskommt.)


    Und doch ist das auch eine ernste Musik. Unvergleichlich der Umschlag in der Durchführung des ersten Satzes.


    Schade, dass das „Andante favori“ nicht mehr integriert werden konnte. Hier kommen in der Mitte des aufbrechenden Lebens Erinnerungen an die Kindheit, fast an ein Wiegenlied zurück. Ich habe das Stück von diesem Satz her schätzen gelernt, nicht zuletzt dank der einfühlsamen Interpretation durch Sofronitsky.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Kann mir jemand erklären, warum das 2. Thema des 1. Satzes in E-dur ist? Einfach herrlich, aber warum?

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Klaus:


    Kann mir jemand erklären, warum das 2. Thema des 1. Satzes in E-dur ist? Einfach herrlich, aber warum?


    Zu dieser scheußlichen Frage habe ich erst lange in der mir verfügbaren Literatur recherchiert und keine Antwort auf das "warum?" gefunden, dann habe ich lange darüber nachgedacht und wieder keine Antwort auf das "warum?" gefunden. (Übrigens: hätte ich mehr Selbstvertrauen, dann hätte ich die Reihenfolge wohl andersherum probiert.)


    Heute habe ich mir die Waldsteinsonate gleich zweimal nacheinander angehört (in der Pollini- und in der Korstick-Einspielung) und jetzt weiß ich es: eben darum in E-Dur, weil es so herrlich ist!! - dieser L. v. B. verstand sich halt auf musikalische Wirkung.


    Aber im Ernst: wahrscheinlich ist diese Antwort nicht schlechter als alle anderen. Erklärungsversuche wie: "E-Dur ist dem C-Dur fremd genug für große Kontrastwirkung, aber verwandt genug für die nicht all zu komplexe Auflösung in der Coda (Takt 284 und folgende)" erklären nämlich auch nichts.


    Da bleibt nur: genießen und dumm bleiben.


    Gruß
    Pylades

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  • Diese entfernte E - Dur Tonart im zweiten Satz, soll wohl einen Überraschungseffekt haben, der so gewollt ist.


    Mir persönlich ist die „Aurora“, die ich 3 Jahre lang eingelernt habe, eher als „Waldstein“ geläufig, aber beim Einlernen hat man vielleicht auch nicht so viel Zeit für anderes. Hier eine frei zugängliche Notenausgabe davon mit gutem Fingersatz:
    http://imslp.ca/images/imslp.c….v._-_Piano_Sonata_21.pdf


    Beethovens e-Moll-Sonate op. 90 Nr. 27 habe ich 2 Jahre lang eingelernt, und sie trägt meines Wissens keinen Titel. Hier eine frei zugängliche Notenausgabe davon mit gutem Fingersatz:
    http://www.sheetmusicarchive.net/compositions_b/btsn90.pdf


    LG Michael

  • Ich möchte hier nicht missverstanden werden:


    Hier nur was zur unterschiedliche Betrachtungsweise eines Werkes von Seiten eines Interpreten und eines Hörers oder Musikwissenschaftlers (wofür man vielleicht einen Thread eröffnen könnte, sofern er nicht schon besteht):


    Mir selbst wäre es beim Einlernen nie in den Sinn gekommen, nachzufragen warum der 2. Satz der Waldstein in einer entfernten Tonart komponiert wurde, oder nicht.


    Dazu vielleicht folgendes: im Unterricht gibt es keine Demokratie im eigentlichen Sinne, wenn man hat das Glück hat eine gute Lehrkraft zu haben.


    Eine Lehrkraft betrachtet einen beim Vorspielen, und hört einen sozusagen ab, und unterbricht in der Regel sehr häufig, da ja sonst ein Unterricht keinen Sinn ergibt, und verbessern oder gar auszumerzen gibt es meist vieles.


    Ich selbst habe nie Interpreten zu Interpreten darüber sprechen gehört, wie etwas zu spielen ist, oder nicht, dafür fehlt schlicht die Zeit.


    Die musikalische Reifung erfolgt meines Erachtens nicht zuletzt durch das Hören guter Interpretationen, und weniger, mal krass gesagt, durch analysieren. Wobei es Lehrkräfte nicht immer gerne sehen, wenn man andere Interpreten hört, die eine völlig von ihnen unterschiedliche Werkauffassung haben, da sie dann mit einem Schüler nicht weiterkommen.


    Wie schon hier mal gesagt, hat es meine Lehrkraft durchaus geschätzt, dass ich in meiner Wiener Zeit mehr oder weniger täglich in Konzerte, Oper oder Theater ging, da er mein Spiel nicht wieder erkannte und darüber außerordentlich erfreut war. Nur die Lehrkraft selbst hätte dies nie im Leben ersetzen können, denn Hören muss man selbst und nicht nur darüber Sprechen, würde ich mal meinen. Die Reifung durch Hören, kann man meines Erachtens durch nichts ersetzen, wozu ich mal meinen würde, dass man an sich viel hören sollte, ohne als Schüler den Komponisten zu hinterfragen, denn dafür gibt es das Gehör, und mehr braucht man wohl auch nicht. Wenn ich heute große Interpreten anhöre, fällt mir besonders deren Einfallsreichtum innerhalb der Werktreue auf, denn nachahmen sollte man ja niemanden: dies flacht nur ab denke ich mal.


    Man möge mir diese Äußerung aus der Sicht eines „Handwerkers“ bitte nachsehen. Danke.


    LG Micha

  • Was wäre denn eine akzeptable Antwort auf die Warum-Frage? Was genau soll erklärt werden?
    Bis das nicht geklärt ist, finde ich Pylades Antwort keineswegs dumm: weil es einen stärkeren Kontrast bringt, aber nicht so entlegen ist, dass es den klassischen Sonatensatz destabilisieren würde


    Zwar wäre die Dominante G-Dur für das Seitenthema natürlich eher zu erwarten, aber die III. Stufe E-Dur (oder auch e-moll) ist nicht extrem ungewöhnlich und kommt bei Beethoven öfters mal vor. In op.31,1 z.B. ist das Seitenthema H-Dur (in G-Dur), in op.90 ist es eher noch ungewöhnlicher in der Moll-Dominante (h-moll) statt wie eher zu erwarten in der Tonikaparallele.
    In den späten Werken gibt es noch Entlegeneres, in op.130,i etwa Ges-Dur (erniedrigte VI. Stufe in B)


    Die Plädoyers für das andante favori finde ich bemerkenswert; ich allerdings halte seine Ersetzung für einen Geniestreich (ebenso wie die düstere Introduzione).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Was machen wir mit den Oktaven-Glissandi?
    Weiss jemand, welche Pianisten sie wie lösen?
    Sind sie auf modernen Flügeln lösbar?

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Zitat

    Original von klaus
    Was machen wir mit den Oktaven-Glissandi?
    Weiss jemand, welche Pianisten sie wie lösen?
    Sind sie auf modernen Flügeln lösbar?



    Joachim Kaiser schreibt in einem seiner Bücher (mir fällt nur nicht mehr in welchem ich es gelesen habe - entweder "Beethovensonaten" oder "Große Pianisten") dass Maurizio Pollini die Glissandi so spielt wie von Beethoven notiert, und zwar im Konzert wie auf der CD. Die CD kenne ich, im Konzert gehört habe ich Pollini mit der Waldstein-Sonate noch nicht. Auf der CD klingt es zumindest richtig- wenn man mit der Partitur mitliest. Also scheinen die Glissandi wohl lösbar zu sein. Wie das jetzt spieltechnisch funktioniert- da muss ich passen.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Ist eine Streitfrage, die nach Flügelmechanik -Leichtigkeit, Handgrösse etc. kontroversiell diskutiert und gespielt wird.
    Angeblich schaffen es ja viele Pianisten, die Stelle in schnellen ausgespielten Oktaven zu lösen.


    Übrigens hat Rubinstein an Beethoven folgende Worte (sinngemäß, kann mich nicht genau an die genaue Stelle in seinen beiden Biographie-Bänden erinnern):"Maestro , ich küsse Ihre Füsse, aber am Schluss sind zuviele Triller, warum?"

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Zitat

    Original von klaus
    Kann mir jemand erklären, warum das 2. Thema des 1. Satzes in E-dur ist? Einfach herrlich, aber warum?


    Mal ein Versuch: Vielleicht steht der Satz in einem verkappten a-moll? Das würde jedenfalls die noch "irrsinnigere" Wiederkehr des 2. Themas in der Reprise in A-Dur erklären [T. 196]. "Eigentlich" müßte das 2. Thema ja in der Reprise nach §... in Grundtonart C-Dur oder allenfalls in der Subdominanttonart F-Dur stehen.


    Ganz ähnlich gestrickt ist auch der 1. Satz von op. 31 Nr. 1 G-Dur: Hier gibt es eine ganz ähnliche Überleitung [T. 30-65] und das 2. Thema steht in H-Dur und kehrt dann, analog op. 53 in der Reprise [T.218ff] konsequenter Weise in E-Dur wieder. Warum auch nicht? Beethoven hat halt mal was anderes machen wollen.


    Vom Prinzip her wendet Beethoven hier die Tonartenverbindungen aus dem moll-Geschlecht an. Es wird "einfach" der dritte Ton der Tonleiter für die Tonart des 2. Themas verwendet, so wie bei moll-Werken üblich - nur hier eben in der Durvariante:


    moll: a - h - C - d - e - f(#) - g(#)
    Dur: C - D - E - F - G - A - H


    Auch bei der Pathetique beginnt das zweite Thema nicht etwa im erwarteten Es-Dur, sondern in es-moll... und Schubert geht bei D 960 in B-Dur noch weiter: das 2. Thema steht in fis-moll.


    In der Introduzione, die als F-Dur angezeigt ist, befindet man sich auch gleich im 2ten Takt in E-Dur - ohne die ausschweifenden Überleitungen des 1. Satzes. Und die Instroduzione an sich ist ebenso merkwürdig, wie die artfremden Tonarten des ersten Satzes - sie ist kein wirklicher 2ter Satz, sondern eben "nur" eine Einleitung zum nachfolgenden Rondo.


    Nur so ein paar Gedanken...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von klaus
    Ist eine Streitfrage, die nach Flügelmechanik -Leichtigkeit, Handgrösse etc. kontroversiell diskutiert und gespielt wird.
    Angeblich schaffen es ja viele Pianisten, die Stelle in schnellen ausgespielten Oktaven zu lösen.


    Übrigens hat Rubinstein an Beethoven folgende Worte (sinngemäß, kann mich nicht genau an die genaue Stelle in seinen beiden Biographie-Bänden erinnern):"Maestro , ich küsse Ihre Füsse, aber am Schluss sind zuviele Triller, warum?"


    Lieber Klaus,


    das Rubinstein-Zitat findet sich übrigens auf S. 381 bei Kaiser. Ich habe gerade nochmal die betreffende Stelle die Glissandi betreffend nachgeschlagen (es waren die Beethoven-Sonaten) Kaiser schreibt:


    Zitat


    "[...] Die musikalisch bedeutungsloseste Stelle aus dem Schlussprestissimo, ja dem Rondo und der Sonate überhaupt sind jene berühmten ab- und aufsteigenden pp-Oktaven, die höchstens von Super-Virtuosen (Emil Gilels und Maurizio Pollini) auch während des öffentlichen Konzerts im Glissando, aber doch mit notwendigem, eigentlich unmöglich herzustellenden Achtel-Nachdruck ausgeführt werden. (Die Stelle, so sagte mir Pollini nach einem Konzert als ich ihn perplex fragte, wie er es denn mache- die Stelle sei doch ganz leicht wenn man ohne jede Angst an sie herangehe. Ein Trost immerhin. Aber wie keine Angst vor ihr haben)[...]


    Nun ist das Buch eben nicht mehr ganz neu. Wahrscheinlich gibt es inzwischen auch andere Virtuosen, welche die Glissandi "können".


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von klaus
    Was machen wir mit den Oktaven-Glissandi?
    Weiss jemand, welche Pianisten sie wie lösen?
    Sind sie auf modernen Flügeln lösbar?


    Lieber Klaus, die „glissandi“ in der Waldstein, sind so wie sie geschrieben sind, schlicht nicht spielbar. Ich habe die drei Jahre lang bis zum 11. Jahr der vorgeschrieben 11 Pflichtjahre eingelernt, und es geht mit einigen Tricks, die hier zu weit führen würden, was der Zuhörer überhaupt nicht mitbekommt, und der Flügel soll natürlich keinen zu harten Anschlag haben, zumindest nicht beim endgültigen Spiel, beim Üben schon: übrigens werden auch einige Triller darin nicht mit einer Hand gespielt, sondern mit beiden. Dies ist bei Beethoven nichts ungewöhnliches. Es reicht ja schon der Rest an Problemen.


    Dazu ist zu sagen, dass Beethoven wohl der einzige Komponist ist, der beim Komponieren nicht an die Hand gedacht hat, sondern an ein Orchester, und er ist auch der einzige weit und breit, bei dem man so vorgehen muss, denn bei Liszt, Chopin, in deren schwierigsten Klavierstücken wäre dies völlig undenkbar, bei Bach auch und bei allen anderen auch.



    Pas de probleme Klaus


    :hello:

  • Zitat

    Original von Michael PS:


    Ich möchte hier vielleicht noch mal eines anführen, was jedem Interpreten so am Herzen liegt:
    Zwischen Hören und Spielen/Singen liegen Welten. Und etwa Sviatoslav Richter meinte immer, er habe so gar keinen Sinn, wenn Zuhörer das Spiel zu ergründen versuchten, im Sinne, wie man was spielt. Dies sei der Musik nicht dienlich, im Gegenteil: es könne ihr nur schaden.
    Man könnte dies grob gesagt so erklären: ein Chirurg will ja auch nicht, dass ihm ein Patient im OP Raum sagt, was er wie zu machen hat, und er will ihm dies auch nicht im Detail erklären. In weiten Zügen schon, aber mehr nützt auch niemandem etwas, dafür ist eine Uni zuständig, würde ich mal meinen. Und man muss sich dafür auch Jahrzehnte lang Tag und Nacht abplagen, um dies zu begreifen. Anders geht es schlicht nicht.

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