Ludwig van BEETHOVEN: Streichquartett Nr.12 Es-Dur op.127

  • Liebe Musikfreunde,


    nach langem Zögern ob dieses großen Werkes stelle ich nun hier das Es-Dur-Streichquartett von Beethoven, eines meiner absoluten musikalischen Lieblingswerke, vor. Da das Werk zu der außergewöhnlichen Gruppe der sogenannten „späten Streichquartette“ gehört, liegt es nahe, zu thematisieren, wie es überhaupt zu dieser unglaublichen Werkgruppe kommen konnte. Dies möchte ich allerdings gerne in nächster Zeit als eigenes Thema vorstellen; nun soll es hier lediglich speziell um das op. 127 gehen.


    Dieses Werk verdanken wir neben der generellen Leidenschaft Beethovens für Streichquartette und dem bereits schlummernden Plan, nach langer Zeit wieder Quartette komponieren zu wollen (es liegen 13 Jahre zwischen den op. 95 und 127), mehreren Umständen. Ein Anreiz, mit den Kompositionen bald zu beginnen, lag bestimmt auch in einem im Jahr1822 erteilten Auftrag des russischen Fürsten Galizin, einem cellospielenden Bewunderer der bisherigen Quartette Beethovens, für die Komposition von drei Streichquartetten, den Beethoven einige Monate später annahm. Die Kompositionen verzögerten sich; erst nach Beendigung seiner Neunten Sinfonie und den ersten Aufführungen konzentrierte sich Beethoven, besonders im Jahr 1824, intensiv und fast ausnahmslos auf die Komposition des ersten der drei sogenannten „Galizin-Quartette“, also des op. 127, das am 06. März 1925 durch das Schuppanzigh-Quartett, dem „Hausquartett“ Beethovens, uraufgeführt wurde.


    Im Gegensatz zu den entgegen der Tradition stehenden mehrsätzigen drei folgenden Streichquartetten (op. 130, 131, 132) weist das Es-Dur-Quartett übliche vier Sätze auf: 1. Maestoso - Allegro, 2. Adagio, ma non troppo e molto cantabile, 3. Scherzo vivace, 4. Allegro - Allegro comode. Allerdings belegen Skizzen, dass Beethoven ursprünglich noch einen Variationensatz sowie ein kurzes Adagio-Einleitungsstück für den Schlusssatz geplant, dann aber wieder verworfen hat. Das Werk wird meist in einer Zeitdauer von 35 bis 40 Minuten gespielt.


    Meine Eindrücke beim Verfolgen dieses Werkes sind vielfältig. Unter anderem empfinde ich Ernsthaftigkeit, Innerlichkeit und Traditionsgebundenheit, aber gleichfalls auch Humor, Beweglichkeit und den Hang zu Auflösung bestehender Formprinzipien. Gerade das gleichzeitige grenzensprengende Nebeneinander von Gegensätzen macht den besonderen Wert dieser Komposition wie aller späten Streichquartette Beethovens aus.


    Alle vier mit einer Einleitung beginnenden Sätze sind durch variiert wiederkehrendeTonfolgen und andere kleine Bausteine inhaltlich sehr miteinander verbunden. Bei jedem Studium der Partitur entdecke ich Neues; thematische Verwandschaften, Zusammenhänge, Intervalle und auch rhytmische Strukturen, die ich anfangs für beliebige Phrasen gehalten habe, erkenne ich nach und nach als ausgefeilte Teile von Strukturierungs- und besonders Variationsprozessen. Dies ist wohl ein Grund, warum ich diese Musik trotz sehr häufigen Hörens nicht leid zu werden scheine; ganz im Gegenteil: je häufiger ich sie höre, desto mehr spüre ich, noch entdecken zu können.


    In Live-Konzerten habe ich dieses Quartett schon von einigen wichtigen Quartettformationen, meist in Köln und Düsseldorf, gehört. Zu Hause höre ich allerdings schon seit vielen Jahren fast immer dieselbe Aufnahme, nämlich die des Melos Quartetts.

    Ich habe mich natürlich sehr an diese Aufnahme gewöhnt. Die Musiker spielen sehr deutlich und mit vollem Ton, das Adagio mit viel Herz; zum Kennenlernen dieses Werkes ist die Interpretation bestimmt sehr geeignet. Sie war verhältnismäßig billig, so dass ich mir vor über zwanzig Jahren diese Gesamtaufnahme der Streichquartette Beethovens leisten konnte. Dann habe ich noch die Einspielung des Hollywood String Quartets, welche ich aber, auch wegen des Klangs der alten Aufnahme, kaum anhöre. In Zukunft möchte ich mir gerne mehrere interessante Aufnahmen besorgen, um endlich auch durch verschiedene Interpretationen neue Gesichtspunkte kennenzulernen.


    Ich bin gespannt, was Ihr von diesem Werk haltet und was sich an Meinungen, Empfindungen sowie Fakten zusammentragen lässt.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo Uwe,


    es wird in der Tat Zeit, dass solche Werke mal ihre eigenen threads erhalten!
    Kannst Du vielleicht nochmal was zu den Plänen mit zusätzlichen Sätzen oder Einleitungen sagen, woher hast Du diese Information?
    Obwohl dieses Quartett, wie auch das letzte in F-Dur bei näherem Hinsehen alles andere als konventionell ist (aber die konventionellen Stücke kann man schon beim frühen Beethoven an den Fingern abzählen...), kann ich mir hier nur schwer vorstellen, das zusätzliche Sätze passen würden. Und so hat Beethoven ja dann auch entschieden. Wenn ich mich recht erinnere war dieses Stück eines der allerersten Streichquartette überhaupt, die ich hörte, auf einer MC zusammen mit op. 135. Als blutiger Anfänger konnte ich mit dem kürzeren übersichtlicheren Stück mehr anfangen, dennoch denke ich heute, dass op. 127 und op. 132 die am besten als Einsteig geeigneten der "Späten" sind. [ich habe op. 127 nun gerade in der relative neuen Einspielung mit dem Hagen-Q. gehört - die ist m.E. eher nichts für Einsteiger (dei hagens spielen z.B. die Maestoso-Stellen ziemlich "trocken" und zügig, ganz anders als ich es von andern Ensembles im Ohr hatte, die Presto-Abschnitte im Scherzo sind so schnell, dass man sie kaum erkennen kann, die restlichen Tempi sind aber nciht außergewöhnlich) Vielleicht doch auch das ganze Quartett nicht... die abgebildete Melos-GA habe ich auch, bin ebenfalls damit "aufgewachsen", vielleicht schaffe ich es über die nächsten Wochen a meine ca. 5 Einspielungen des Stücks zu hören]
    Die Grundstimmung des Werkes ist m.E schon eher heiter, wobei ich mich schwertue, diese Musik auf konkrete Emotionen festzunageln. Die Maestoso-Abschnitte im Kopfsatz etwa, extrem faszinierend wie diese simplen Akkorde solch eine Wirkung entfalten, im Kontrast zu dem bewegten Spiel des Hauptsatzes. Aber irgendwie programmatisch oder auch emotional deuten könnte ich diese Einwürfe nicht. Vielleicht tun sich daher manche Hörer schwer: es ist eben einfach nur Musik :)


    Willst Du zu den einzelnen Sätzen noch Details, Beschreibungen usw. geben?

    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    @ Johannes: Deinem Beitrag kann ich von vorne bis hinten zustimmen, eingeschlossen Deiner Erlebnisse beim Kennenlernen des Werkes. Für mich war das Es-Dur Quartett mein allererstes Streichquartett, das ich kennengelernt habe.


    Zitat

    dei hagens spielen z.B. die Maestoso-Stellen ziemlich "trocken" und zügig, ganz anders als ich es von andern Ensembles im Ohr hatte, die Presto-Abschnitte im Scherzo sind so schnell, dass man sie kaum erkennen kann,


    Was Du hier ansprichst, ist auch meine Erfahrung. Auch ich habe häufig das Maestoso viel zu zügig und beiläufig wirkend gehört, ebenso wie das Presto häufig zu schnell und undeutlich gespielt wird. Das Spiel in einigen Aufnahmen (ich muss im Laufe der Zeit noch einmal fixieren, in welchen) ist mir auch häufig "zu gefühlvoll", Töne schwillen allmählich an und klingen ab, es wird gehaucht...Dies ist sehr perfekt, eigentlich wunderbar, passt allerdings meines Erachtens nicht zu den späten Streichquartetten, vielleicht gar nicht zu Beethoven. Ich bin wohl wirklich sehr Melos-geprägt.


    Zitat

    wobei ich mich schwertue, diese Musik auf konkrete Emotionen festzunageln. Die Maestoso-Abschnitte im Kopfsatz etwa, extrem faszinierend wie diese simplen Akkorde solch eine Wirkung entfalten, im Kontrast zu dem bewegten Spiel des Hauptsatzes


    So ist es. Diese Musik im Ganzen sowie auch in kleinen Teilen sind sehr schwer einzuordnen. Ich finde, bei dieser Musik hat alles doppelten oder dreifachen Boden; das meinte ich auch ein wenig in meinem Einleitungsbeitrag mit der latenten Präsenz von Gegensätzen.


    Zu den nicht verwendeten Skizzen: Da ich in der Vergangenheit viel über Beethoven gelesen habe, kann ich genauere Quellenangaben meist nicht machen. Gerade bei trockenen wissenschaftlichen Abhandlungen kann ich mich höchstens noch an den einen oder anderen Inhalt erinnern. Ich weiß allerdings, dass Beethoven zu seinem op. 127 sehr viele Skizzen gemacht hat, wovon ich, wenn ich mich recht erinnere, einige im Beethovenhaus in Bonn sehen durfte. So sind Kompositionsskizzen überliefert, die auf einen zusätzlicher Satz in C-Dur, der als zweiter Satz geplant war, hinweisen. Ebenso war ein kurzer Einleitungssatz für das Finale, vielleicht ähnlich kurz wie einige "Zwischensätze" in op. 131, geplant. Dieser wurde vom Komponisten jedoch fallengelassen bzw. so stark gekürzt, dass lediglich die vier Einleitungstakte im letzten Satz übrig blieben.


    So wie Johannes kann auch ich mir das überhaupt nicht anders vorstellen.


    So, nun werde ich mir das op. 127 in einer neu erworbenen Einspielung vom "Alban Berg Quartett" anhören.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo,


    ich möchte auch hier an die jetzt schon fast "alte" Einspielung des Lasalle-Quartetts erinnern, das den ganzen späten Beethoven erstklassig eingespielt hat und auch bei Op. 127 mir sehr gut gefällt.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    nach den einleitenden Informationen möchte ich, wie hier vorgeschlagen, einiges zum Inhalt des Werkes sowie die Wirkung auf mich skizzieren. Korrigierende Informationen oder andersempfundene Wirkungen würden diesen Thread, wie ich meine, bereichern; besonders deshalb, weil dieses Quartett sehr interpretationsabhängig ist.


    1. Satz:


    Der erste Satz wird mit einem 6-taktigen Maestoso im forte feierlich eingeleitet. Diese kurze, aber in seiner Wirkung gewichtige Einführung wird in diesem Satz leicht verändert noch zwei Mal auftauchen. Die analysierende Literatur spricht meist von einer Einleitung (funkelnder Torbogen, durch den man schreitet), es wird aber auch als eigenes Thema, mit wichtiger konstruktiver Wirkung für den ganzen Satz bzw. Werk betrachtet. Für mich liegt die Wahrheit, wie noch häufiger bei derartigen Fragen in diesem und den anderen späten Quartetten Beethovens, in der Mitte. Genau diese Tatsache, dass vieles nicht so genau zu den traditionellen Formschemata zuzuordnen ist und dass bisherige Grenzen gesprengt werden, ist ein wesentliches Kennzeichen dieser Werkgruppe; genau dies macht die späte Musik Beethovens für mich so organisch und fließend.


    Der letzte Takt des Maestoso, das im 2/4-Takt steht, führt durch ein Crescendo trillerartig in das 3/4-taktige Hauptthema im Allegro. Der Einleitung völlig entgegengesetzt, nämlich weich und fließend, wird es „sempre p e dolce“ von der Violine und dann der Viola vorgestellt. Wiederum in scharfem Kontrast dazu folgt das (wenn die Einleitung als Thema mitgezählt wird) 3. Thema, das härter und durch staccati und sforzandi unruhiger klingt. In der Literatur wird es als eigenständiges Thema mit eigenständigem Charakter, als Überleitung zum folgenden Seitenthema oder auch lediglich als Anhang bzw. Nebengedanke interpretiert. Für mich ist es von jedem etwas, nach traditionellen Richtlinien nicht so eindeutig klassifizierbar (es wirkt, was immer es auch ist).


    Durch eine fließende, wirklich schöne und fast unauffällige modulierende Überleitung beginnt der zweite Hauptsatz bzw. je nach Sichtweise das 4. Thema oder Seitenthema. Dieses gleicht, wenn auch in moll gehalten, in seiner Grundstimmung eher dem Hauptthema, es wirkt ebenso weich und fließend. Eine durch Triller und Pausen abgehackt wirkende Passage leitet in den Durchführungsteil über.


    Dieser wird, ebenso wie die Exposition, mit dem Maestoso eingeleitet bzw. angepriesen, diesmal jedoch etwas höher und lebendiger wirkend. Die Durchführung ist, wie das Quartett in seiner Gesamtheit, durch das kontrastreiche Wechseln von Passagen verschiedener Stimmungen geprägt, ohne dass das Gefühl des einheitlichen Gesamten verloren geht. In diesem Sinne folgt nach der Einleitung das weiche und lyrische Allegro des Hauptthemas im Piano, das dann in ein staccatobehaftetes energisches Forte übergeht.


    Sehr bald erscheint zum dritten Mal das Einleitungs-Maestoso, worauf, wie erwartet, die Reprise folgt. So wird es zumindest in einem Teil der interpretierenden Literatur häufig beschrieben. Eine andere Deutung besagt jedoch, dass nach diesem Maestoso keinesfalls die Reprise beginnt, sondern dass Beethoven die Durchführung nur zum Schein abbrechen will, diese dann jedoch, als wäre nichts geschehen, weiterführt (ein Mittel, das er in seinen späteren Werken häufig anwendet; auch das Finale der 9. Sinfonie hat einige Tonfolgen, die den Schluss erwarten lassen, wobei die Maschinerie dann jedoch wieder in Gang kommt und das Ende spannungsbeladen verzögert wird). Nach einem abgehackt wirkenden Abschnitt folgt dann endlich, fast unbemerkt und unspektakulär, quasi en passant, die Reprise.


    Dieser wunderbare Abschnitt dann, der noch einmal fast alles auf beste Beethoven-Art alles zusammenfasst, wirkt wie aus einem Guss. Das Ende des Satzes wird in einer ausgedehnten Coda vorbereitet, nach einem gestreckten Diminuendo klingt der Satz im pp aus.


    Auffällig und verblüffend ist für mich, dass dieser Satz in der Partitur unruhig wirkt; in kurzen Abschnitten wechseln staccato / legato, 2er / 3er-Takt, piano / forte und andere Gegensätze ab. Aber beim Hören wirkt, zumindest in einer guten Interpretation, der ganze Satz sehr einheitlich. Das ist für mich eins der besonderen Geheimnisse der späten Streichquartette Beethovens.


    2. Satz:


    Dieser Satz besteht aus einem Thema und seinen vier Variationen. Ich kenne keine Äußerungen von Meisterkomponisten bzw. ausführenden Musikern, die nicht in höchsten Tönen von der Schönheit und Eleganz dieses Satzes schwärmen.


    Im pp wird das Thema, das hauptsächlich aus aufwärts- und abwärtsschreitenden leitereigenen Sekunden besteht, von der ersten Violine und dem Violonvello vorgestellt, wobei die anderen beiden Streicher die Füllstimmen bilden. Nach der leicht variierten Wiederholung folgt das Seitenthema, das ebenfalls leicht verändert wiederholt wird. Es folgen vier Variationen, die zum Teil so frei konzipiert sind, dass es, zumindest Anfängern wie mir, nicht immer leicht fällt, die Analogie zum Original zu erfassen und verfolgen. Rein gefühlsmäßig allerdings ist der Satz aus einem Guss. Die dritte Variation wird häufig als Höhepunkt dieser Variationen bezeichnet. Sie wird sehr langsam gespielt und wirkt sehr erhaben.


    Nach dem Ende der vierten Variation folgt noch ein Variationennachsatz mit nur einigen Takten. Auch hier sprengt Beethoven Grenzen bisher bestehender Prinzipien.


    3. Satz:
    Auch das aus zwei Hauptteilen bestehende Scherzo hat eine Einführung, nämlich zwei Takte, die aus unaufdringlichen Pizzikato-Akkorden bestehen. Die Literatur spricht gelegentlich von einem ironischen Einschub, was ich allerdings nicht nachvollziehen kann. Thematisch ist der erste Scherzoteil an den vorigen Adagio-Satz sehr angelehnt, allerdings abgehackt und mit zahlreichen Trillern rhytmisch orientiert. Dennoch empfinde ich auch dieses Scherzo als „butterweich“, eine Eigenschaft, die zu keinem mir aus der bisherigen klassischen Periode komponierten Scherzi zugeordnet werden kann. Vermutlich wegen der veränderten Eigenschaft dieses Mittelsatzes bezeichnete Beethoven keinen Satz eines nachfolgenden Werkes mehr als „Scherzo“.


    Auch der zweite Teil dieses Satzes ist besonders akzentuiert, abgehackt und rhytmisch. Der Presto-Teil dann fegt an dem Hörer vorbei; der Satz ist ein extremes Spiel mit dem Wechsel von Tempi und Charakter. Für mich ist dabei, wie auch in den vorigen Sätzen, verblüffend, dass die Musik trotz dieser extremen Wechsel von Gegensätzen so einheitlich wirkt.


    4. Satz


    Nach vier Takten Einleitung folgt die Exposition mit dem Grundcharakter des ersten Satzes: Sie ist weich und fließend, mit langen legato-Linien. Die beiden Hauptthemen dieses Satzes sind sehr trivial, aber klingen im Gesamtzusammenhang nicht so. Das Seitenthema, ebenfalls sehr schlicht, ist staccatolastig, wirkt aber auf mich wie ein großer Legato-Bogen. Auch die Durchführungsteile haben in der Partitur sehr unterschiedliche Charaktere, was beim Hören überhaupt nicht inhomogen wirkt. Ohne Luft zu holen spielt Beethoven noch einmal mit den Themen und bereitet auf seine spezielle Weise den Schluss vor. Der Satz - und das Werk – endet mit ff-Akkorden, die irgendwie an die Maestoso-Einleitung erinnern und damit den großen Bogen „Einheitlichkeit durch Vielfältigkeit“ wieder schließen.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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  • Vielen Dank für die schöne Beschreibung; wenn es erlaubt ist, füge ich einige Anmerkungen hinzu:


    1) Die Idee, dass nach dem dritten Maestoso die Reprise einsetzen würde, scheint mir unhaltbar: Das Maestoso beginnt an dieser Stelle in C-Dur und die Themenverarbeitung und Aufsplitterung geht ja weiter (mit dem "abgehackt" wirkenden Abschnitt). 20 Takte nach dem Doppelstrich mit Rückkehr zu 3/4, der auf die 4 Takte "maestoso" folgt, ist ein erneuter Doppelstrich (3 b Vorzeichnung), von dort an im 9. Takt setzt klar die Reprise ein (Hauptthema p in der 1. Vl eine Oktave höher als am Beginn des Satzes.)
    (Das entspricht der von Dir dann letztlich auch beschriebenen "Variante", die aber m.E. keine Variante, sonder eben das einzig Richtige ist :D Außderdem hielte ich eine so schematische Vorgehensweise Beethovens, Anfang UND Ende der Durchführung so zu markieren, für unwahrscheinlich)



    2) vielleicht könnte man noch sagen, dass die 2. Var. in einem deutlich zügigeren Tempo steht (andante con moto) und in manchen Interpretationen fast an Tanzmusik erinnert: Die Violinen wechseln sich mit virtuosen Figuren ab, währen die beiden andern mit einer Art "Schrumm-Schrumm" begleiten. Es geht mir dann ähnlich, dass das letzte Drittel des Satzes selbst mit Noten etwas schwieriger zu durchschauen ist, die letzen beiden Variationen scheinen recht frei in der Struktur zu sein.


    3) "butterweich" finde ich doch eine etwas eigenartige Charakterisierung...leichtfüßig vielleicht. und ich finde den Satz (der übrigens "scherzando vivace", nicht "scherzo" überschrieben ist, durchaus scherzohaft.
    Erwähnen könnte man noch, dass es im Scherzo-Hauptteil einen kurzen etwas ominös wirkenden Einwurf von Bratsche und Celli gibt (allegro 2/4), als ob ein strenger Vater oder Lehrer dem bunten Treiben Einhalt gebieten wollte (gewiß sind auch düsterere Deutungen denkbar)


    4) Zum Finale sollte man noch sagen, dass es mit einer sehr ausgedehnten Coda in anderem Takt, allegro con moto 6/8, endet, in der der Beginn des Finalthemas rhythmisch so transformiert wird, dass er einen völlig anderen Charakter erthält (die Melodie erinnert dann fast an den ersten Satz) und das vor einem "klangflächenartigen" Hintegrund (16tel-triolen in den Begleitstimmen). Ein sehr eigenartiger, stellenweise ätherisch wirkender Effekt, besonders nach dem vorher teils recht robust-volkstümlichen Finalsatz.


    (Zu Einspielungen vielleicht noch was, wenn ich endlich mal alle meine gehört habe)


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo Theophilus, hallo Taminos,


    Zitat

    ich möchte auch hier an die jetzt schon fast "alte" Einspielung des Lasalle-Quartetts erinnern, das den ganzen späten Beethoven erstklassig eingespielt hat und auch bei Op. 127 mir sehr gut gefällt.


    diese Aufnahme kenne ich immer noch nicht. Ich kenne und schätze das LaSalle Quartett bisher hauptsächlich wegen seiner Einspielungen der Quartette der Zweiten Wiener Schule. Ich kann mir dieses Quartett mit Beethoven gar nicht so richtig vorstellen. Spielen die LaSalles den späten Beethoven auch so deutlich (bei Schönberg das A und O) und klar oder eher lyrisch beweglich oder wie sonst? Dies würde mich momentan interessieren, auch weil ich mir demnächst noch zwei oder drei weitere Einspielungen der späten Quartette Beethovens zulegen möchte.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hi,


    nein nein, die spielten eher so wie immer. Ihr Beethoven ist eine glasklare Sache, überhaupt für damalige Begriffe. Für heutige Ohren eine schon fast als "klassisch" zu bezeichnende Einspielung.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • @J.R.

    Zitat

    Die Idee, dass nach dem dritten Maestoso die Reprise einsetzen würde, scheint mir unhaltbar


    Das geht mir genauso, ich habe es ja ebenso erläutert. Ich habe lediglich darauf hinweisen wollen, dass in der interpretierenden Literatur teilweise, besonders der älteren, das dritte Maestoso als der Übergang zum nächsten Teil verstanden wird. Dies habe ich u.a. bei Helm (oder Halm?) so im Gedächtnis. Die Bezeichnung Variante bzw. Deutung war also nicht als musikalische Beschreibung, sondern im Sinne von Interpretationsvariante gemeint.


    Zitat

    Erwähnen könnte man noch, dass es im Scherzo-Hauptteil einen kurzen etwas ominös wirkenden Einwurf von Bratsche und Celli gibt (allegro 2/4), als ob ein strenger Vater oder Lehrer dem bunten Treiben Einhalt gebieten wollte (gewiß sind auch düsterere Deutungen denkbar)


    Damit hast Du mir was angetan! Meist neige ich nicht dazu, aus der Musik heraus solche Bilder zu empfinden. Seit ich Deine Zeilen jedoch gelesen habe, kommt mir beim Hören oder Partiturlesen des op. 127 dieses Bild in den Sinn, das mich zu weiterer Phantasie verleitet. Ich bin bereits so weit, diesen Einwurf Beethovens Vater zuzuschreiben, der seinen Jüngling an stetes Klavierüben gemahnt, woraufhin der Kleine im pp durch die vier Töne der 1. Violine auf die Idee kommt, vorsichtig zu widersprechen, worauf durch die vier Töne der zweiten Violine gleich das schlechte Gewissen folgt, was der Vater mit einer abermaligen Ermahnung unterbricht. Der diesbezügliche Widerspruch erfolgt resignierter, nämlich eine Sekunde tiefer.


    Ich hätte Deiner Deutung gerne widersprochen, da ich gerne widerspreche, aber es gelang mir in diesem Fall leider nicht.


    Nun noch zwei Bemerkungen zu diesem Scherzando vivace: Ähnlich einigen anderen späten Quartetten und besonders auch der 9. Sinfonie (z.B. Ende des letzten Satzes) unterbricht Beethoven musikalische Gedanken verhältnismäßig häufig abrupt, um nach einer Verschnaufpause einen Gegengedanken folgen zu lassen, der die Atmosphäre so steigert, dass der ursprüngliche Gedanke wiederkehrt und dann mit noch mehr Energie weitergeführt wird. Ich bin mir nicht sicher, ob dies nur bei seinen Spätwerken auftaucht oder bereits in früheren Werken. Vielleicht trägt dieses Phänomen dazu bei, dass Beethovens Werke so erhaben wirken (ich glaube, dies war einmal die Basisfrage eines Threads von Alfred). Mir drängt sich auch der Gedanke auf, dass ein anderer Alfred, nämlich Hitchcock, von diesen Techniken gelernt und sie zur Erzeugung bzw. Verstärkung von Spannung verwendet haben muss (verzeiht mir diese Gedankenspiele; J.R. hat mich dazu verleitet).


    Die zweite Bemerkung zu dem dritten Satz: Ich verstehe kaum, warum mir dieser Satz so gut gefällt, obwohl er so einfache Melodien und fast tänzerische Grundstimmung in sich trägt. So etwas mag ich normalerweise gar nicht (meist verspüre ich Abneigung gegen "tänzerische" Scherzi oder Menuette). Naja: Beethoven!


    Uwe

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  • Die LaSalle Einspielung zählt (neben der des Juilliard String Quartets, die ich vorziehen würde) zu den Klassikern. Ich finde, dass sie insbesondere versuchen, Gegensätze kontrastiv gegenüber zu stellen. Nicht selten habe ich dadurch den Eindruck, dass die Einheitlichkeit etwas unter diesem Ansatz leidet. Es ist jedenfalls kein titanischer Beethoven, sondern eher der Beginn, Beethoven einem aggressiveren (mir fehlt ein weniger starkes Wort dafür), neuen Anstrich zu geben wie es heute Mode ist. Mich stört dann doch die eine oder andere Ungenauigkeit. Sie zählt definitiv nicht zu meinen Favoriten. Ich ziehe hier sogar das Alban Berg Quartett vor, den jüngeren Klassiker (die ich sonst wegen des ersten Geigers außer bei Haydn und Schnittke gar nicht schätze).


    Jedenfalls kennen sollte man die historischen Einspielung des Busch Quartetts aus den 30er jahren; billigst ab 5 EUR und klanglich akzeptabel bei Quadromania zu bekommen! Hörenswert ist auch das Ungarische Streichquartett aus den 50ern, derzeit bei Andormeda mit 24 bit-Erneuerung sehr günstig zu beziehen.


    Mein Top-Favorit, wie mehrfach erwähnt, ist neben dem Busch Quartett das (oft extreme) Hagen Quartett!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    2 Mal editiert, zuletzt von a.b. ()

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  • Hallo,

    Zitat


    Was Du hier ansprichst, ist auch meine Erfahrung. Auch ich habe häufig das Maestoso viel zu zügig und beiläufig wirkend gehört, ebenso wie das Presto häufig zu schnell und undeutlich gespielt wird. Das Spiel in einigen Aufnahmen (ich muss im Laufe der Zeit noch einmal fixieren, in welchen) ist mir auch häufig "zu gefühlvoll", Töne schwillen allmählich an und klingen ab, es wird gehaucht...Dies ist sehr perfekt, eigentlich wunderbar, passt allerdings meines Erachtens nicht zu den späten Streichquartetten, vielleicht gar nicht zu Beethoven. Ich bin wohl wirklich sehr Melos-geprägt.


    nach einer längeren Distanz habe ich mal wieder auf die Einleitung des ersten Satzes, das Maestoso, geachtet. Es wird von den diversen Formationen meist ziemlich unterschiedlich gespielt; nach diesen paar Takten kann man bereits vorhersehen, auf welche Weise der Satz dann interpretiert wird, und dabei ist die Bandbreite groß. Das macht das Hineinhören in die verschiedenen Einspielungen sehr interessant. Mittlerweise tue ich mich ebenso wie J.R. schwer, diese Musik, hier die Eröffnung, auf konkrete Emotionen festzunageln.


    Gerade habe ich die Maestosi (heißt das so?) verschiedener mir vorliegender Einspielungen verglichen und zeitlich abgestoppt (vom ersten Ton bis zum ersten Ton des Themas im 7. Takt).


    Am schnellsten war, welch Wunder, das Ungarische Streichquartett mit 20 sec.; sie spielen es leichtfüßig, weich und "en passant", nach dem Motto "kommt, nicht fackeln, wir fangen an".


    Das Busch Quartett benötigt 2 sec. mehr Zeit und ist das zweitschnellste Quartett. Es verleiht etwas mehr Ruhe, spielt aber auch nicht besonders betont und pathetisch, eher bescheiden elegant.


    Das Hollywood String Quartet spielt das Maestoso in 23 sec, etwas voller als die beiden erstgenannten. Es betont das einleitende Tremolo langsam und erzeugt damit einen Unterdruck; auch dieses Quartett betont die markanten Stellen nicht so sehr.


    Ganz im Gegensatz zum Alban Berg Quartett, das den Satz und das Werk voll sowie die sf-Stellen stärker betonend einleitet. Das klingt schon etwas pathetischer als die vorherigen Beispiele.Die Dauer des Maestoso ist genauso lang wie das des Hollywood Quartetts.


    Mit 24 sec. spielen das Talich- und das Guarneri Quartett die längsten. Die Guarneris dehnen die Einleitungstakte stark, auch im Tremolotakt holen sie durch Weichheit und Verzögerung tief aus, um das Thema damit sehnlich zu erwarten.


    Das Talich Quartett wiederum zeigt eine neue Nuance. Während bei den ersten vier Takten in den Akkorden die Terzen und Quinten ziemlich präsent sind, tritt in den letzten beiden Takten der Einleitung die erste Violine klanglich dominierend hervor und zieht den Rest der Kompanie mit in das Thema, das sie ja durch ihre Melodieführung auch beginnt (oder ist das Hervortreten der ersten Violine besonders durch die Aufnahmetechnik bedingt?).


    Kurzum: es ist schon interessant, wie die Stimmungen der jeweiligen Interpretationen bereits in den ersten Takten vorbereitet werden.


    Gruß,


    Uwe

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  • Hallo zusammen,


    ich habe in den letzten Tagen anlässlich meiner Neuanschaffung der späten Beethoven-Quartette mit dem Takacs-Quartett ein Vergleichshören zu op. 127 veranstaltet. Dabei waren:


    - Busch-Quartett, 16./17./26. Oktober + 2. November 1936
    - Budapester Streichquartett, 05. - 09. Mai 1952
    - Amadeus-Quartett, März/April 1963
    - Alban-Berg-Quartett, (P) 1982 (Studioaufnahme bei EMI)
    - Emerson String Quartet, März 1994
    - Takacs Quartett, Nov 2003 oder Mai 2004 oder Juli 2004
    - Hagen-Quartett, März 2004.


    Überraschenderweise kommt die Musik im ersten Satz beim Busch-Quartett nicht so recht vom Fleck. Zwar gelingt ihnen eine differenzierte Darstellung, doch es wirkt sehr gemütlich. Ganz so pastoral-beschaulich war es von Beethoven vielleicht doch nicht gemeint?! Auch im zweiten Satz sind sie auf der langsamen Seite (langsamste Version mit ABQ), die anderen Quartette sind wenigstens anderthalb Minuten schneller, das Hagen-Quartett sogar fast drei Minuten. Allerdings: Es wird tief musiziert, tief empfunden. Die Spannung ist da, um durch das langsame Tempo zu tragen. In sich gekehrt, in sich ruhend kann diese Interpretation überzeugen. Im dritten Satz könnten die dynamischen Gegensätze mehr ausgespielt werden. Im "Presto"-Abschnitt wird zu wenig rhythmisches Profil gezeigt. Im Finale wird wieder sehr gelassen und entspannt musiziert, tendenziell aber zu undramatisch. Fazit: Leider spielt das Busch-Quartett hier nicht auf dem exzeptionellem Niveau wie in op. 130, 131 und 132. Dies ist keine überragende Darstellung, nicht einmal eine sehr gute, trotz der Tiefe im zweiten Satz.


    Dem Budapester Streichquartett gelingt wieder mal eine Interpretation wie aus einem Guss. Im ersten Satz greifen sie kräftiger auf die Musik zu als die Busch-Mannen. Sie suchen nach den Abgründen in der Musik und werden fündig. Den zweiten Satz spielen sie anfangs (Adagio) fast so langsam und tief wie das Busch-Quartett, das Andante con moto wird jedoch deutlich schneller genommen. Das kommt den Abschnittsüberschriften näher als die Herangehensweise des Busch-Quartetts und hebt die Unterschiedlichkeit der Abschnitte hervor. Das Scherzando vivace spielen sie überhaupt nicht vivace - schade! Das Finale hat bei den Ungarn viel mehr Zug nach vorne als beim Busch-Quartett, obwohl die Spielzeiten fast genau übereinstimmen. Interessant! Es wird sehr schön ausdifferenziert, ohne dass die Einheit des Werkes leiden würde. Fazit: Ohne den fast verschleppten dritten Satz wäre diese Einspielung ganz vorne mit dabei.


    Das Amadeus-Quartett spielt den ersten Satz eher bedächtig und fast durchweg mit fettem Ton - nicht nur in den quasi-orchestralen Maestoso-Abschnitten. Dadurch wirkt die Musik leider tendenziell undifferenziert und monochrom. Im zweiten Satz hört man das Amadeus-Quartett von einer guten Seite: Mit schlankem Ton wird beweglich, klangschön und sehr natürlich musiziert. Der dritte Satz erfährt eine profilierte Wiedergabe, die Vorschrift "Scherzando vivace" scheint genau getroffen. Im Finale spielen die Herren um Norbert Brainin im Finale leider (wieder mal) zu pauschal, um die Musik zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Dennoch: Von den späten Streichquartetten Beethovens gelingt das Quartett op. 127 dem Amadeus-Quartett vielleicht noch am besten, trotz der genannten Einschränkungen.


    Das Alban-Berg-Quartett spielt im ersten Satz mit dunklem, sonoren Klang - nicht nur im Maestoso. Das Tempo ist vital, ohne wirklich schnell zu sein. Ich hatte die Musik bei den anderen Ensembles nicht so gut verstanden wie bei dem Quartett. Völlig unaufdringlich wird die Musik entfaltet, die Balance zwischen Zupacken und Gelassenheit ist bestens. Der zweite Satz wird mit zarten Ton angegangen und klingt zerbrechlich, mit feinem Puls auf den Achteln. Eine tiefe Wiedergabe, die jedoch nie eine grundlegend heitere Stimmung verlässt. Im dritten Satz wird wieder vital und pulsierend gespielt, klanglich sehr schön ausgewogen. Leider wird die große Wiederholung ausgelassen. Auch im letzten Satz wieder tempo giusto und voller, runder Klang. Mein Favorit unter allen hier genannten Einspielungen! Einziger Wermutstropfen bleibt, dass große Wiederholung im Scherzando vivace nicht gespielt wird. Das kennt man beim Alban-Berg-Quartett ja leider auch von anderen ansonsten großartigen Interpretationen, z. B. bei Schuberts Streichquintett in C-Dur.


    Trotz eines stellenweise eher süßlichen Tones präsentiert das Emerson-Quartett im ersten Satz einen ziemlich schwerblütigen Beethoven. Markig und ernst erklingt die Musik bei den Amerikanern. Die vom Alban-Berg-Quartett zu hörende Heiterkeit fehlt mir. Der zweite Satz wird um wenige Grade vollmundiger und rascher gespielt als beim Alban-Berg-Quartett, die Achtel sind definitiv nicht mehr adagio. Der Satz wirkt in seinem ersten Teil überhaupt nicht langsam. Das Andante con moto bietet daher auch nur wenig Kontrast. Herrlich und "molto espressivo", wie vorgeschrieben, allerdings der dritte Abschnitt! Im dritten Satz wird die große Wiederholung beachtet. Klanglich sind dort einige Schärfen zu hören, auch die Intonation ist nicht immer lupenrein. Mit der Wiedergabe des Alban-Berg-Quartettes im Ohr fehlt mir hier aber auch der Charme. Großartig und mitreißend ist allerdings das Presto. Das Finale wird durchaus spannend wiedergegeben, mit nervösem Ton. Das Emerson-Quartett scheint den Hörer stets überraschen zu wollen - mit Erfolg. Aufregend … aber: ist das alles?


    Nach einem frischen und lebendigen Kopfsatz mit vielen Klangschattierungen wird auch der zweite Satz vom Takacs-Quartett sehr stimmig gespielt. Die Ungarn spielen langsamer als das Emerson-Quartett, erreichen aber auch größerer Tiefen - "Adagio ma non troppo e molto cantabile" wird Wort für Wort umgesetzt. Der Andante con moto Abschnitt ist wirklich flott, das folgende Adagio sehr, sehr espressivo. Der dritte Satz wird in puncto Intonation völlig untadelig gespielt, im Presto allerdings auch einen Tick ruhiger als bei den Amerikanern. Das Alban-Berg-Quartett bringt diesen Satz nur wenig besser auf den Punkt. Auch im Finale ähnelt die Interpretation derjenigen des ABQ, die Ungarn spielen allerdings nicht mit ganz so vollmundigem Klang wie die Wiener. Was aber auch seinen Reiz hat! Fazit: Kommt gleich nach ABQ.


    Das Hagen-Quartett eröffnet das Werk geradezu schroff und kantig mit wenig Vibrato. Mir fehlt hier die Natürlichkeit des ABQ, trotz vieler hervorragend gelungener Stellen klingt manches aber auch sehr "gemacht", wenn auch stets interessant. Im zweiten Satz sind die Hagens die schnellsten von Anfang an, klanglich nicht allzu zurückhaltend, um Binnendifferenzierung sehr bemüht. Faszinierend anzuhören, stets spannend, nie nur auf Schönheit bedacht. Im dritten Satz bieten die Hagens die beste Interpretation nach dem ABQ mit allen Wiederholungen, hochvirtuos im Presto. Manchmal etwas kratzig, sicher ist das gewollt, aber Geschmackssache. Auch im Finale hält dieses Ensemble den Temporekord (eine halbe Minute schneller als Emerson auf Platz 2, wenn man es denn so sportlich ausdrücken will), es klingt aber nie gehetzt. Bei den Hagens hat der letzte Satz tatsächlich Finalcharakter, das kommt bei den anderen Ensembles nicht immer so deutlich heraus. Trotz (oder wegen?) des Tempos ist es durchweg rund, detailliert, differenziert. Fazit: ABQ ist wohl kaum zu toppen, aber die Hagens kommen zusammen mit dem Takacs-Quartett gleich danach.


    Von allen hier genannten Einspielungen ist mir diejenigen mit dem Alban-Berg-Quartett also die liebste, gefolgt vom Takacs-Quartett und vom Hagen-Quartett. Das Budapester Quartett trifft leider den dritten Satz nicht so recht, der Rest des Werkes ist bei den Ungarn gut anzuhören. Das Emerson-Quartett lässt mich ein wenig ratlos zurück. Sie scheinen keinen rechten Zugang zu diesem Werk, das Gelassenheit und Natürlichkeit verlangt, zu finden. Das Amadeus-Quartett liefert hier seine beste Einspielung eines späten Beethoven-Quartetts ab, kann aber mit den oben genannten nicht mithalten. Das Busch-Quartett kann hier - ausgenommen der zweite Satz - leider nicht an seine Ausnahme-Interpretationen der opp. 130, 131 und 132 anknüpfen.

  • Hast Du mal drauf geachtet, wie die 6/8-Coda des Finales gespielt wird?
    Hier scheint es nämlich zwei Ansätze zu geben: Einmal ein eher gemütliches Ausspielen (so habe ich es vor langer Zeit mal mit Melos/DG kennengelernt) oder als "Steigerung"(?), jedenfalls so zügig, dass die Triolenbegleitung eher wie ein Flirren oder Tremolo wirkt, s.o.
    Ich bin leider z. Zt. nicht in der Nähe meiner CDs, so dass ich nicht mehr genau weiß, wer die schnelle Variante bevorzugt.


    Am meisten Freiheit bzw. Entscheidungsmöglichkeiten bietet sicher der langsame Satz. Der Beginn sollte wohl schon sehr entrückt sein, aber die späteren Variationen haben ja teils sowohl zügigere Tempovorzeichnungen als auch mitunter beinahe scherzando-Charakter, da kann man entweder eher auf Kontrast setzen oder doch eine gewisse Einheitlichkeit bewahren.
    (Da Beethoven auch anderswo in vom Thema oder Grundcharakter her "ätherischen" Sätzen recht deutliche Kontraste bringt, etwa in op.131,iv oder op.109,iii halte ich schon für plausibel, dass diese Unterschiede deutlich herausgespielt werden sollten.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • herzlichen Dank für diesen so überaus differenzierten Bericht! Das kann ich alles so gut nachempfinden.


    (Mich persönlich überrascht bloß, dass der so wenig schöne, regelrecht spitze Ton des ersten Geigers vom Takacs Quartett mit einem "nicht mit ganz so vollmundigem Klang" derart positiv wegkommt.)


    :hello:

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Lieber Johannes,


    hier die Behandlung der Coda durch die genannten Streichquartette:


    Kein Ensemble spielt Halbe = punktierte Viertel, stets ist die Coda langsamer als nach proportio sesquialtera, wobei das Hagen-Quartett dem noch am nächsten kommt.


    Busch: Eher "gemütliches Ausspielen".


    Budapester: Dito.


    Amadeus: Coda eher noch langsamer als die beiden vorgenannten Ensembles. Auch im Verhältnis zum Rest des Finales.


    ABQ: Dito. Ähnlich Amadeus.


    Emerson: Bisher am Beschwingtesten, so, wie Du (Johannes) es beschreibst: eher flirrend, tremoloartig (jedenfalls im p/pp).


    Takacs: Ähnlich Emerson, noch leichter, ätherischer im p/pp.


    Hagen: Rasant, nicht unbedingt flirrend, d. h. einen Tick materieller, greifbarer. Tempo und Klang tragen wesentlich zum Eindruck "das Stück ist jetzt fertig" bei. Applausheischend. Klarer Gegensatz zu Busch, Budapest, Amadeus und ABQ, die eher ein entspanntes, ausgeglichenes lieto fine spielen, da möchte man lieber still danken und im Frieden mit der Welt nach Hause gehen …


    Lieber a. b.,


    ich bin auch nicht immer glücklich mit dem Ton des Takacs-Primgeigers. Es hat mich aber auch nie so sehr gestört, wie das bisweilen bei Norbert Brainin der Fall ist.

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  • Zitat

    Original von Wolfram
    Lieber a. b.,


    ich bin auch nicht immer glücklich mit dem Ton des Takacs-Primgeigers. Es hat mich aber auch nie so sehr gestört, wie das bisweilen bei Norbert Brainin der Fall ist.


    oder Natalia Prishepenko besonders extrem beim Artemis Quartett, die gerade das op. 130 icl großer Fuge und op 18/6 vorgelegt haben.


    Mich hat Norbert Brainin immer weniger gestört (aber deren Beethoven mag ich mit dieses Ensemble eh nicht, wobei ich deren Stereo-Mozart und den Mono-Brahms sehr liebe und Mono-Hayden ziemlich schätze).

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • An guten Aufnahmen von Beethoven's letzten Quartetten ist wahrlich kein Mangel und ich werde hier gar nicht auflisten, welche ich alle besitze, viel zu viele sind es nämlich. Aber dann kommt doch noch mal eine Aufnahme vorbei, die einen wirklich aufhorchen lässt, weil sie so anders ist als alle anderen. Das hätte ich nicht mehr für möglich gehalten.
    Das amerikanische Brentano String Quartet existiert seit über 20 Jahren und geniesst zumindest in den USA einen ausgezeichneten Ruf. Filmfreunde werden vielleicht wissen, dass sie die vier fiktiven Quartettmusiker im Film "A late quartet" musikalisch "gecovert" haben (ein Film, den ich jedem Musikfreund empfehlen kann).
    Was ist hier nun anders. Es ist der Klang des Quartetts, der sofort aufhorchen lässt. Während in früheren Zeiten der Primarius oft das Klanggeschehen etwas dominierte, hat sich ja in den letzten 20 Jahren eine gleichberechtigte Spielkultur durchgesetzt, die darüberhinaus der Individualität der einzelnen Spieler Rechnung trägt. Die Brentanos machen etwas anderes. Auch bei ihnen sind alle vier Stimmen völlig gleichberechtigt, sie ordnen aber die Individualität der einzelnen Stimmen einem homogenen Mischklang unter, der an vielen Stellen fast die Illusion erweckt, hier spiele eine Person auf einem 16-saitigen Instrument, sozusagen einem Viobratchello. Dieser Effekt wird durch das vibratoarme Spiel, das aber zu keiner Zeit nach HIP klingt, verstärkt. So einen perfekten Mischklang habe ich bei einem Quartett bisher noch nicht gehört. Auch die Aufnahmetechnik, die die vier Musiker sehr "eng" zueinander aufzeichnet trägt sicher zu dem Effekt bei. Ob die Instrumente auch besonders gut zusammenpassen, habe ich bisher nicht herausfinden können. Eine faszinierende Aufnahme auf jeden Fall.

  • ... nach langem Zögern ob dieses großen Werkes stelle ich nun hier das Es-Dur-Streichquartett von Beethoven, eines meiner absoluten musikalischen Lieblingswerke, vor...

    Für mich stand dieses herrliche Werk Beethovens immer im Schatten der folgenden späten Quartette Beethovens. Aber im Zuge meines Versuches, dieses Werk zu orchestrieren, habe ich es in den letzten Wochen wirklich lieben gelernt. Hat es nicht auch eine sinfonische Dimension? -->:

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Für mich stand dieses herrliche Werk Beethovens immer im Schatten der folgenden späten Quartette Beethovens. Aber im Zuge meines Versuches, dieses Werk zu orchestrieren, habe ich es in den letzten Wochen wirklich lieben gelernt. Hat es nicht auch eine sinfonische Dimension? -->:

    Normalerweise höre ich mir eher Quartett-Versionen von Sinfonien an als umgekehrt. Nun bin ich doch ein wenig fasziniert :hail:. Wie kannst Du denn eine Orchestrierung umsetzen? Kann man in dem Programm bestimmen, wieviele Streicher, Trompeten oder Pauken unterwegs sein sollen.


    Über die sinfonischen Qualitäten von Op. 127 muss ich noch nachdenken. :)

  • ... Nun bin ich doch ein wenig fasziniert :hail:. Wie kannst Du denn eine Orchestrierung umsetzen? Kann man in dem Programm bestimmen, wieviele Streicher, Trompeten oder Pauken unterwegs sein sollen...

    Hallo astewes, ich gehe so vor, dass ich die Originalnoten nehme und ordne sie den Orchesterinstrumenten zu, wie ich es mir vorstelle. Das Programm unterscheidet bei Streichern nur zwischen Soloinstrumenten und Streichergruppe (also z.B. "1. Violinen"). Nur bei Trompeten und Pauken wähle ich manchmal zusätzliche Noten... Für mich eine überaus faszinierende Arbeit ...

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

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