Liebe Musikfreunde,
nach langem Zögern ob dieses großen Werkes stelle ich nun hier das Es-Dur-Streichquartett von Beethoven, eines meiner absoluten musikalischen Lieblingswerke, vor. Da das Werk zu der außergewöhnlichen Gruppe der sogenannten „späten Streichquartette“ gehört, liegt es nahe, zu thematisieren, wie es überhaupt zu dieser unglaublichen Werkgruppe kommen konnte. Dies möchte ich allerdings gerne in nächster Zeit als eigenes Thema vorstellen; nun soll es hier lediglich speziell um das op. 127 gehen.
Dieses Werk verdanken wir neben der generellen Leidenschaft Beethovens für Streichquartette und dem bereits schlummernden Plan, nach langer Zeit wieder Quartette komponieren zu wollen (es liegen 13 Jahre zwischen den op. 95 und 127), mehreren Umständen. Ein Anreiz, mit den Kompositionen bald zu beginnen, lag bestimmt auch in einem im Jahr1822 erteilten Auftrag des russischen Fürsten Galizin, einem cellospielenden Bewunderer der bisherigen Quartette Beethovens, für die Komposition von drei Streichquartetten, den Beethoven einige Monate später annahm. Die Kompositionen verzögerten sich; erst nach Beendigung seiner Neunten Sinfonie und den ersten Aufführungen konzentrierte sich Beethoven, besonders im Jahr 1824, intensiv und fast ausnahmslos auf die Komposition des ersten der drei sogenannten „Galizin-Quartette“, also des op. 127, das am 06. März 1925 durch das Schuppanzigh-Quartett, dem „Hausquartett“ Beethovens, uraufgeführt wurde.
Im Gegensatz zu den entgegen der Tradition stehenden mehrsätzigen drei folgenden Streichquartetten (op. 130, 131, 132) weist das Es-Dur-Quartett übliche vier Sätze auf: 1. Maestoso - Allegro, 2. Adagio, ma non troppo e molto cantabile, 3. Scherzo vivace, 4. Allegro - Allegro comode. Allerdings belegen Skizzen, dass Beethoven ursprünglich noch einen Variationensatz sowie ein kurzes Adagio-Einleitungsstück für den Schlusssatz geplant, dann aber wieder verworfen hat. Das Werk wird meist in einer Zeitdauer von 35 bis 40 Minuten gespielt.
Meine Eindrücke beim Verfolgen dieses Werkes sind vielfältig. Unter anderem empfinde ich Ernsthaftigkeit, Innerlichkeit und Traditionsgebundenheit, aber gleichfalls auch Humor, Beweglichkeit und den Hang zu Auflösung bestehender Formprinzipien. Gerade das gleichzeitige grenzensprengende Nebeneinander von Gegensätzen macht den besonderen Wert dieser Komposition wie aller späten Streichquartette Beethovens aus.
Alle vier mit einer Einleitung beginnenden Sätze sind durch variiert wiederkehrendeTonfolgen und andere kleine Bausteine inhaltlich sehr miteinander verbunden. Bei jedem Studium der Partitur entdecke ich Neues; thematische Verwandschaften, Zusammenhänge, Intervalle und auch rhytmische Strukturen, die ich anfangs für beliebige Phrasen gehalten habe, erkenne ich nach und nach als ausgefeilte Teile von Strukturierungs- und besonders Variationsprozessen. Dies ist wohl ein Grund, warum ich diese Musik trotz sehr häufigen Hörens nicht leid zu werden scheine; ganz im Gegenteil: je häufiger ich sie höre, desto mehr spüre ich, noch entdecken zu können.
In Live-Konzerten habe ich dieses Quartett schon von einigen wichtigen Quartettformationen, meist in Köln und Düsseldorf, gehört. Zu Hause höre ich allerdings schon seit vielen Jahren fast immer dieselbe Aufnahme, nämlich die des Melos Quartetts.
Ich habe mich natürlich sehr an diese Aufnahme gewöhnt. Die Musiker spielen sehr deutlich und mit vollem Ton, das Adagio mit viel Herz; zum Kennenlernen dieses Werkes ist die Interpretation bestimmt sehr geeignet. Sie war verhältnismäßig billig, so dass ich mir vor über zwanzig Jahren diese Gesamtaufnahme der Streichquartette Beethovens leisten konnte. Dann habe ich noch die Einspielung des Hollywood String Quartets, welche ich aber, auch wegen des Klangs der alten Aufnahme, kaum anhöre. In Zukunft möchte ich mir gerne mehrere interessante Aufnahmen besorgen, um endlich auch durch verschiedene Interpretationen neue Gesichtspunkte kennenzulernen.
Ich bin gespannt, was Ihr von diesem Werk haltet und was sich an Meinungen, Empfindungen sowie Fakten zusammentragen lässt.
Gruß,
Uwe