"unvergängliche Meister" - wie Felsen in der Brandung ???

  • Wulf hat in einem anderen Thread ein - wie ich meine interessantes Thema angeschnitten, welches dort aber nur um den Preis des endgültigen Zerschiessen des Threads diskutiert werden könnte.
    Also habe ich es kurzentschlossen hierher verfrachtet


    Wulf schrieb: ( Text auszugsweise wiedergegeben)


    Zitat

    Ich wollte damit lediglich klar machen, daß ich nicht glaube, jedwede Berühmtheit der Musikgeschichte sei vergänglich bzw. ein Zeitphänomen. 500 Jahre mögen gesamtgeschichtlich eine kurze Zeitspanne sein, aber ich gehe davon aus, daß sich in den nächsten 500, zumindest 100-200 Jahren an der Berühmtheit der Namen Bach, Mozart, Beethoven z.B. nichts bzw. wenig ändern wird. Daß Komponisten wie Lortzing, Auber etc. ins Hintertreffen geraten, mag ungerecht sein, sehr ungerecht, aber daß Mozart überleben wird, das sollte doch auch das Wohlwollen Alfreds finden.


    Vor 25 jahren hätte ich dieses Statment - von kleinen Einschränkungen abgesehen - unterschrieben.


    Heute jedoch habe ich etliche "verschollene" Komponisten aufsteigen stehn wie Phönix aus der Asche - (Beispiele: Vivaldi und Boccherini - in gewisser Weise auch Händel) und andere, welche in meiner Jugend geradzu sakrosankt waren, wurden später als weniger bedeutungsvoll gesehen - und sind gerade auf dem Weg der Erholung (hier beziehe ich mich auf Joseph Haydn)


    Mozart - er ist medial stets präsent. Aber wenn ich mir als Beispiel dieses Forum ansehe, dann wird er doch von relativ vielen mit Gleichgültigkeit betrachtet. Haydn musst durch die Jahrhunderte hinweg immer den Stempel des leutseligen Vielschreibers "Papa Haydn" auf sich sitzen lassen, von Schubert sind grade mal 2 - oder höchstens 3 Sinfonien wirklich beliebt - am beliebtesten wohl eine, die nicht vollendet wurde - noch mehr Interesse galt und gilt stets einer Sinfonie die vermutlich gar nie geschrieben wurde. Die Opern werden scheel angesehen, Kammermusik ist zwar geschätzt - ist aber vermutlich kein Vehikel zu "ewigem Ruhm"......
    Einzig und allein Beethoven ist eine fixe Größe am Klassikhimmel . WARUM ist in diesem Zusammenhang eine interessante Frage. Vermutlich ist sie nicht beantwortbar.


    Sicher gibt es im 19 Jahrhundert etliche Namen, die man kennt - fraglich ist nur wer sie hört. Selbst Tschaikowsky wird eher gemieden - zumindest verglichen mit seiner Beliebtheit vor 40 Jahren.


    Andere Komponisten warten noch bis heute darauf "wachgeküsst" zu werden - Hans Pfitzner beispielsweise.


    Interessanterweise küsst ihn niemand wach


    Aber auch Max Reger und Max Bruch reissen das Publikum nicht (mehr ?) zu Begeisterungsstürmen hin.


    Zum Statement, "Mozart wird überleben" - muß ich sagen, daß ich mir da gar nicht so sicher bin. Und WENN er überlebt, dann fragt sich: In welcher Form ? Ist ein ruppig - knorrig interpretierter Mozart eigentlich noch als solcher erkennbar ?


    Fragen über Fragen...



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    eine schöne Idee, aus diesem kurz gesponnenen OT-Faden einen eigenen thread zu machen.


    Ich eröffne den Reigen gerne mit ein paar Unklarheiten meinerseits:


    Zitat


    Heute jedoch habe ich etliche "verschollene" Komponisten aufsteigen stehn wie Phönix aus der Asche


    Das bedeutet nicht, daß es zwangsläufig auch andersherum sein wird.
    Aber:


    Zitat


    und andere, welche in meiner Jugend geradzu sakrosankt waren, wurden später als weniger bedeutungsvoll gesehen - und sind gerade auf dem Weg der Erholung (hier beziehe ich mich auf Joseph Haydn)


    Ich weiß nicht - in etlichen, neueren Musiklexika wird er noch zu den vier großen Wiener Klassikern gezählt, in Berlin erfreut er sich kontinuerlicher Aufführungen seiner Werke, ich habe nicht den Eindruck, daß es mal einen Knick in seiner "Karriereleiter" gab. Aber hier sind wir schon bem richtigen Stichwort. Denn solange Du das nicht mit Zahlen belegen kannst, solltest Du - genau wie ich - in Erwägung ziehen, daß es an Deiner im Laufe der Zeit veränderten Wahrnehmung liegen kann - das Forum z.B. beeinflusst Deine Wahrnehmung, Außerdem bietet es vielleicht auch keinen repräsentativer Querschnitt der üblichen Klassikklientel. Ob hier Mozart größtenteil gleichgeültig gegenüber gestanden wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Generell wird dies wohl IMO nicht der Fall sein.


    Ich glaube auch nicht, daß Beethoven allein eine fixe Größe am Klassikhimmel ist.
    Daß er eine ist, kann man wohl nicht abstreiten, Mozart gehört aber auch dazu.
    Und mal ehrlich: wie oft wird die 1., 2., oder 4. Symphonie Beethovens aufgeführt?? Wie häufig sein 2. Klavierkonzert?? Wie häufig seine früheren StrQ oder sein Fidelio??


    Zitat


    Andere Komponisten warten noch bis heute darauf "wachgeküsst" zu werden - Hans Pfitzner beispielsweise.


    Interessanterweise küsst ihn niemand wach


    Wenn einer der bekanntesten Dirigenten unserer Tage (Metzmacher) mit einem Spitzenorchester (DSO) Pfitzners "Von deutsche Seele" aufführt und massiv dafür wirbt, wie würde man so etwas bezeichnen??


    Zitat


    Aber auch Max Reger und Max Bruch reissen das Publikum nicht (mehr ?) zu Begeisterungsstürmen hin.


    Um was geht es denn? Publikumresonanz, Anerkennung in Fachkreisen??



    Zitat


    Zum Statement, "Mozart wird überleben" - muß ich sagen, daß ich mir da gar nicht so sicher bin. Und WENN er überlebt, dann fragt sich: In welcher Form ? Ist ein ruppig - knorrig interpretierter Mozart eigentlich noch als solcher erkennbar ?


    Also, nun mal bitte nicht übertreiben. Spielte ich Dir die knorrgiste Einspielung der Prager Symphonie vor, DU würdest sie auch noch als solche erkennen - zwar widerwillig, weil es nicht DEINER Vorstellung von Mozart entspricht, aber es wäre noch als Mozart erkennbar. ;)


    :hello:
    Wulf

  • Lieber Alfred,


    ich sehe das ebenso wie Wulf eher gelassen. Der Stern Mozarts wird sicher nicht zur Zeit selbst der jüngsten Tamini untergehen, und der Untergang des Abendlandes steht wohl auch noch länger ncht bevor, nur weil unsere medial fixierte Gesellschaft mit ihrer Gier nach immer neueren oder wenigstens anderen Neuigkeiten aus lauter Verzweiflung darüber, dass sich über Mozart kaum noch etwas schreiben lässt, was nicht schon längst von vielen durchgekaut wurde, anderen Aspekten der Musikgeschichte zuwendet. Dass man mit seinen Aufnahmen eines FIGARO nicht unbedngt dreistellig werden möchte, können wohl die meisten von uns nachvollziehen, so gerne man ihn dennoch immer wieder hört - wenn man ihn hört. Ich merke das zufällig gerade selbst, weil meine nächste Rätsellösung dieser Oper gilt und ich nicht weiß, was ich dazu noch schreiben soll außer Links zu setzen.


    Ich würde Tamino zwar nicht für das einzige Licht in der Dunkelheit halten, aber es ist schon interessant, wohin sein Suchscheinwerfer zum Ärger des Lokführers immer wieder schweift, und darüber zu spekulieren, warum das so ist. Die interessanteren Diskussionen konzentrieren sich doch schon länger auf Werke und erst recht Komponisten, die früher fast als obskur galten und allenfalls ein paar Spezialisten bekannt waren, was nur wenige von uns sind. Der Grund ist einfach: über die lässt sich noch etwas sagen, was man nicht schon irgendwo gelesen und gehört hat. So schlägt der Seismograph derzeit eben besonders aus, wenn es um den Barock, französische oder osteuropäische Musik geht, und siehe, es lohnt sich. Sehr sogar. Man muss man nur ein paar Jahrzehnte zurück gehen um auf eine nahezu totale Ignoranz aller skandinavischen Komponisten abseits von Grieg und vielleicht Sibelius zu stoßen. Plötzlich merken wir, dass auch da ganze Kontinente hinter den Felsen in der Brandung liegen. Auch nicht schlecht, selbst wenn die weniger eindrucksvoll sind, denn auch sie verdienen es, entdeckt zu werden.


    Ist es schlimm, wenn bei der Erforschung ihres Umfeldes weniger Aufmerksamkeit für die Felsen in der Brandung bleibt? Jeder ist sich doch weiterhin bnewusst, dass es sie gibt, und dass sie besonders eindrucksvoll sind. Werden deswegen im Radio und bei Otto Normalverbraucher weniger kleine Nachtmusiken gedudelt, Klopftöne des Schicksals gehört oder Donnas für Mobiles gehalten? Ich bezweifle es, obwohl ich es begrüßen würde, wenn dies zugunsten anderer Alternativen geschähe,
    die keineswegs weniger wertvoll sein müssen.


    Zum Beispiel Haydn: JRs enorm verdienstvoller Sinfonienthread zeigt derzeit deutliche Schwächeerscheinungen - nicht etwa, weil er jetzt uninteressanter ist oder die derzeit erreichten mittleren Sinfonien weniger geschätzt würden, sondern weil man einfach auf halber Strecke ermattet und Probleme bekommt, sich außer immer nüchterneren Beschreibungen noch etwas Besonderes zu jedem einzelnen Werk abzuringen. Man bedenke, er hatte ein langes Leben Zeit dafür und war natürlich viel genialer als jeder von uns. Dafür schenkt man seinen Opern wesentlich mehr Aufmerksamkeit als je zuvor (denen Schuberts übrigens auch - da sehe ich eher einen Fortschritt als einen Rückschritt), was ja auch nicht falsch ist.


    Was tatsächlich etwas leidet, ist das kleinste gemeinsame Vielfache, das zu sehr langen Threads führen konnte (ich denke nicht an die ewigen Krachthemen, die aus Lust an der Kontroverse genährt werden). Nur lese man mal etliche von denen nach. Man findet oft genauso viel Substanz in einigen ganz kurzen Threads, in denen wenige wirklich Interessierte schreiben. Provokant gesagt: es hat auch etwas für sich, wenn man mal wirklich die bislang vernachlässigten Künstler feiert als nur die Liebe zu den ganz Großen kultiviert, die so nett auf den Liebenden zurück reflektiert. Da muss man vielleicht etwas mehr dafür tun, kann dafür aber auch ganz tolle Entdeckungen machen - und wenn man gut ist und Glück hat, sogar ganz eigene, die man wiederum allen anderen zeigen kann, wenn einem darum zu tun ist.


    Man könnte also genauso gut, wenn nicht mit wesentlich mehr Berechtigung schreiben, dass die Zeiten für die Klassik, und damit auch die für die großen klassischen Komponisten nie besser waren als heute. Zugegeben, der Prozentsatz der daran interessierten Bevölkerung schwindet weiter (bei den absoluten Zahlen bin ich da nicht so sicher), aber das gilt auch für andere in Missachtung geratende Bereiche wie etwa die großen Schwarzweißfilmen, von einst omnipräsenten Liebhaberobjekten Dingen wie Briefmarken und Modelleisenbahnen ganz zu schweigen.


    Gerade einen elitebewussten Menschen wie Dich sollte das aber doch nicht stören. Vergessen wir nicht: wir haben ja noch die guten alten Aufnahmen und bekommen immer mehr davon immer billiger. Das hält viele bei der Stange, dioe früher nie daran gedacht hätten, sich eine Zauberflöte zum Vergleich zuzulegen.


    Wo also ist das Problem?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Wo also ist das Problem?


    Es gibt eigentlich kein Problem


    Lediglich einige interessante Ansichten - wo jene von Wulf und mir auseinandergehen - wobei man nicht sagen kann wer recht hat.


    Zitat

    Ich würde Tamino zwar nicht für das einzige Licht in der Dunkelheit halten, aber es ist schon interessant, wohin sein Suchscheinwerfer zum Ärger des Lokführers immer wieder schweift,


    Auch das kann man nicht verallgemeinern.
    In der Tat werden oft Themen erörtert, die mich langweilen oder mir zuwider sind, beispielsweise die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit von Komponisten und Interpreten.


    Aber mehrheitlich bin ich nicht nur erfreut, daß "vergessene" Komponisten, die es wert sind wieder ans Tageslicht geholt zu werden, das auch "erleben" dürfen, sondern ich habe sozusagen den Grundstein für diese Tendenz gelegt. Lediglich in der Bewertung, WER denn ausgegraben werden soll - und wer nicht - bin ich gelegentlich mit den Taminoianern nicht d´accord.


    Zitat

    Ich weiß nicht - in etlichen, neueren Musiklexika wird er noch zu den vier großen Wiener Klassikern gezählt, in Berlin erfreut er sich kontinuerlicher Aufführungen seiner Werke, ich habe nicht den Eindruck, daß es mal einen Knick in seiner "Karriereleiter" gab


    Solche Knicks gab es immer wieder, nehmen wir als Beispiel Schumanns Verdikt über Haydn:


    "Tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht mehr."


    Als dieses Forum gegründet wurde, war Haydn hier nur am Rande interessant - zumindest wenn man die kläglichen Ergebnisse meiner Bemühungen betrachtet, Haydn Threads zu starten.
    Erst der Zugewinn neuer Mitglieder änderte diese Situation.


    Aber es geht hier gar nicht um Haydn. Die gesamte "Wiener Klassik" wurde ja in Frage gestellt, wenn man die Frage nach der "Marktführerrolle stellt. Vor 40 Jahren war das überhaupt keine Frage.


    Beethoven nimmt hier interessanterweise eine Aussenseiterposition ein, abgesehen von monierten "geschmacklichen Entgleisungen" in Sachen "Schlachtengemälde" und auch "Chorfantasie" ist sein Ruf ziemlich unangefochten. Sogar Fidelio (meiner Meinung nach vom Textbuch her Kitsch in Reinkultur) wurde dank der Musik Beethovens zur "Freiheitsoper" hochstilisiert.


    Zitat

    Also, nun mal bitte nicht übertreiben. Spielte ich Dir die knorrgiste Einspielung der Prager Symphonie vor, DU würdest sie auch noch als solche erkennen - zwar widerwillig, weil es nicht DEINER Vorstellung von Mozart entspricht, aber es wäre noch als Mozart erkennbar.


    Erkennbar ja - genießbar - Nein


    Bei Mozart blieb mir ja das Experiment verwehrt - ich kannte schon das meiste. Aber Rosetti war da schon eher geeignet. Als ich das erste Mal Werke von Rosetti hörte, und zwar durch das Concerto Köln, da war ich eher abgestoßen von dieser ruppigen Musik, und ich beschloß diesen Komponisten zu meiden. Durch Zufall hörte ich dann eine Aufnahme mit einem anderen Orchester -und war begeistert.


    Es wird ja derzeit der Versuch gemacht, die Wiener Klassik in eine heutige "Ästhetik" zu pressen, was den Erfolg hat, daß die EIGENTLICHE Klientel dieser Musikepoche, den Konsum dieser Musik verweigert....
    Es wurde "etwas anderes" geschaffen.


    Zitat

    Um was geht es denn? Publikumresonanz, Anerkennung in Fachkreisen??


    Um BEIDES


    Nur Werke die BEIDE Gruppen befriedigen kann man als geglückt bezeichnen.......



    Zitat

    Der Stern Mozarts wird sicher nicht zur Zeit selbst der jüngsten Tamini untergehen


    Der Stern Mozarts wird - hier pflichte ich bei - sicher nie ganz untergehen - aber er wird beispielsweise heute als Stern gesehen, der in weiter Ferne glimmt - und nicht als alles überstrahlende Sonne....


    Wie das künftige Degenerationen sehen werden - das steht in den Sternen :P



    Rideamus in Bezug auf interesse an "klassischer Musik"


    Zitat

    Zugegeben, der Prozentsatz der daran interessierten Bevölkerung schwindet weiter


    Diesen Eindruck habe ich nicht, und er wird auch nicht durch die mir zur Verfügung stehenden Zahlen untermauert.
    Was allerdings stimmt ist, daß immer mehr an Kultur aller Art desinteressierte Typen in sogenannte Schlüsselpositionen auf rücken - weiss der Himmel warum - und die dann ihre Amusität oder Bildungsddefizite auch noch stolz ausposaunen.....
    Dazu kommt, daß man sich heute - da vieles in Händen von internationalen Konzernen ist - man auf Vermariktbarkeit in anderen Dimensionen achtet. Es werden also nicht wesentlich weniger CDs verkauft - sondern die Erwartung EBENSOVIELE zu verkaufen wie im Pop-Segment - wird nicht erfüllt !!!


    Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.....




    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • selbst wenn Dein Beispiel nicht hinken würde, wäre das so schlimm? Um im Bild zu bleiben: man stelle sich vor, es würde immer nur die Sonne scheinen, und wir könnten sonst nur noch Beethovens Mond und sonst gar nichts sehen, wenn wir uns nicht in Raketen begäben...


    Abgesehen davon sind ja auch Sterne Sonnen, nur weiter weg.



    Das ist es in der Tat. Aber Du selbst hast öfters darauf hingewiesen, dass immer mehr kleinere Firmen mit einer ganz anderen Repertoirepolitik und viel niedrigeren Breakeven-Kosten die Lücken in sehr interessanter Weise füllen. Ich denke, wir sind schon mitten in den Anfängen des Zusammenbruchs der Ideologie des schieren Strebens nach Größe.


    Meinen subjektiven Eindruck des prozentualen Schwindens der klassikinteressierten Bevölkerung hast Du ja gerade auch durch den sehr schönen Besucherrekord widerlegen können, zu dem ich herzlich gratuliere.


    Fazit:
    Auch hier gilt das Credo des aufgeklärten Konservativen: die Dinge müssen sich verändern, damit sie dieselben bleiben können.


    Nur wer heute Musik für die heutigen Hörer interpretiert, sorgt dafür, dass es auch morgen noch welche geben wird. Wucherungen erledigen sich mit der Zeit von selbst und werden über kurz oder lang durch Desinteresse beschnitten. Im Gegensatz zu früher bleibt uns das gute Alte ja auch noch erhalten, was den Neuen ein besonderer Ansporn ist, dem Vergleich stand zu halten.


    Bessere Zeiten für Klassik gab es nie.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Sollte hier der Eindruck entstanden sein, ich "weinte" um die "Vormachtstelluing" "herausragender" Komponisten - so ist er mit Sicherheit nicht richtig.


    Als ich in den siebziger Jahren mit Bedauern feststellen musste, daß auch das Repertoire der vier großen "Wiener Klassiker" ein beschränktes war, begann ich nachzuforschen ob es denn nicht da oder dort einen geeigneten "Ersatz" gäbe.
    Ich stieß damals auf Johann Christian Bach und (etwas weiter entfernt) auf Johann Nepomuk Hummel. Andere Komponisten meiner Lieblingsepoche waren (mir ??) entweder nicht bekannt, (Eberl, Cannabich, Vanhal, Rosetti, ) oder es gab keine Aufnahmen von ihnen, bzw nur vereinzelt, die man gelegentlich im Abverkauf auf den selten existierenden Grabbeltischen erwerben konnte....


    Mich stört also nicht, wenn neben Mozart Rosetti, Vranicki, Vanhal, Pleyel oder Dittersdorf ihren Status behaupten.


    Der Ausgangspunk dieses Threads war HAUPTSÄCHLICH die Frage, ob es zwischen jenen Meistern die heute ganz oben stehen - und jenen, die gerne permanent vergessen werden, signifikante Unterschiede gibt, sei es qualitativer, quantitativer oder politischer Natur.


    Ferner könnte die Frage erörtert werden WARUM gewisse Komponisten stets im Bewusstsein der Klassikwelt bleiben - und andere nicht - bzw ob die Behauptung daß sie es tun - nicht generell falsch ist.


    Dazu muß man ein (zugegebenermaßen übertriebenes ) Beispiel heranziehen:
    Vanhal, Kozeluch oder Wagenseil - Jeder der sich nur ein wenig mit Klassik befasst hat sollte eigentlich deren Namen kennen - und das wird vermutlich weitgehend auch der Fall sein - jedoch wer kennt Werke von ihnen ?? (In letzter Zeit wurde hier sicher etliches verbessert - aber gemessen am mutmaßlichen Gesamtwerk ist das jeweils nur ein Tropfen auf den heissen Stein.


    Man muß ja nicht unbedingt Mozart heranziehen, wenn man von (zeitweise ?) vergänglichem Ruhm spricht. Tschaikowsky beispielsweise war in meiner Jugend wesentlich populärer und präsenter als er es heute ist.


    Es gibt aber auch tatsächliche "Wiedergeburten" von Komponisten. Hiezu zähle ich Vivaldi, Bocherini, ja sogar Händel - und letztlich Bach. Man mag einwenden, Bach wäre schon vor 40 Jahren sehr verbreitet gewesn. Das stimmt natürlich - dennoch haftete ihm ein gewisser Ruf des "Schwierigen", "Trockenen" und "Sperrigen" an, ergänzt durch einen solchen als "Vielschreiber" immer gleich klingender Kantaten - ein Vorurteil das heute in dieser Form kaum je geäussert wird - Bach gilt derzeit als "zeitlos" und "ewiggültig".


    Mahler war bis in die sechziger Jahre verpönt und verachtet - auch wenn er Anhänger hatte und aufgeführt/eingespielt wurde.
    Eine solch dominante Stellung - wie man ihm heute zubilligt hatte er jedoch nicht,


    Weitere Beispiele und Meinungen sind gern gesehen.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Bitte wer oder was ist die eigentliche Klientel der Wiener Klassik?
    Das waren ausschließlich die Zeitgenossen. Die sind aber mutmaßlich mehrheitlich tot. :wacky: Und selbst jene Klassikkonsumenten, die stramm auf die Hundert zugehen, werden kaum eine Aufführung von Mozart-Zeitgenossen gehört haben. :stumm:
    Was bedeutet dieses EIGENTLICH? Die Wiener gutbürgerliche Oberschicht oder jene, die sich dafür halten? Die "Elite" falls es sowas überhaupt noch gibt?
    Oder gehts hier eher darum, dass Mozart heute anders interpretiert wird, als vor 30, 40 Jahren und sich manche Menschen in ihrem Mozartbild nicht bestätigt sehen und deshalb empört reagieren. UNSER Mozart wird von den ANDEREN missbraucht. Dabei ist diese Musik doch EIGENTLICH für uns da!


    ?????


    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat

    Was bedeutet dieses EIGENTLICH? Die Wiener gutbürgerliche Oberschicht oder jene, die sich dafür halten? Die "Elite" falls es sowas überhaupt noch gibt?


    Ja natürlich gibt es eine Wiener Elite - und die Bürgerliche Oberschicht-
    und letztlich sogar noch die längst verstorbenen Dirigenten, die noch bis heute ein wenig die Spielweise der Wiener Philharmoniker beeinflussen.


    Als Wiener solltest Du das eigentlich wissen.


    Die konservativen Circles versuchen - einigermaßen erfolgreich - jegliche essentielle Veränderung zu unterdrücken. Deswegen sind unsere Opern- und Konzerthäuser auch durchwegs ausverkauft - und strahlen noch einen Abglanz jener Epoche aus, in der sie gebaut wurde.


    Die EIGENTLICHE Klientel - wie ich sie verstehe - gibt das traditionelle Kulturgut - so unverändert wie möglich - weiter, so wie sie es übernommen hat - ohne Experimente und Modifikationen. Sie benötigt keine "Anpassungen", denn diese Musik ist für sie gemacht.
    JEDER ist eingeladen diese Musik auch zu geniessen und aufzuführen. Wer aber meint, diese Musik habe in der tradierten Form heute ihre Wirkung verloren - der sollte sie EIGENTLICH nicht hören -denn es gibt Leute die sie lieben - OHNE WENN UND ABER.
    Natürlich klingt Mozart heute anders als vor 200 Jahren - aber das war eben Evolution und nicht Revolution.
    Ich behaupte, daß Mozarts Musik (und die seiner Zeitgenossen) vorzugsweise für den Adel und das Großbürgertum komponiert wurde - somit eine gewisse Grundhaltung (nicht Herkunft !!) erfordert.



    Aber das ist nicht das Thema DIESES Threads.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Juhu, Stammtisch-Niveau! :rolleyes:


    Deswegen finde ich die Wiener auch so droillig. Gabs da nicht was mit König in einer Nussschale??? :pfeif:


    :hello:

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    [QUOTE]
    Natürlich klingt Mozart heute anders als vor 200 Jahren - aber das war eben Evolution und nicht Revolution.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred



    Mit diesem Satz ist der ganze Standpunkt der Unervänderlichkeit Mozarts hinfällig. Was du propagierst ist eine Stop der Evolution auf dem Interpretationsstand von 1960-1980 (Böhm Ära eben). Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich die Wiedergabe Mozarts auch ständig verändert. Mit anderen Worten, Mozart 2009 gefällt dir nicht, Mozart anno 1965 gefällt dir. Also ist Mozart anno 1965 das einzig Wahre, tradionelles Kulturgut und jeder der davon abweicht, geht gegen die Tradition vor.
    Auf welcher Grundlage baut diese Haltung auf und der Begriff "Traditionelles Kulturgut"? Außer eben auf der Tatsache, dass Mozart 1965 für dich subjektiv richtiger (oder besser stimmiger) ist als Mozart 2009. Das ganze ist reichlich willkürlich.



    P.S.: ( Wulf: Ich bin KEIN Wiener. Ich bin nur ausbildungsmäßig in Wien. Ich lege auf diese Feststellung wert.)

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

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  • "Unvergängliche" Meister ! Es wäre sicher sehr fruchtbar diese mit den "unvergänglichen" auch aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu ergänzen. Sinnvoller eher die Bezeichnung "unvergängliche" Meisterwerke. (Es geht dabei aber nicht um sog. Schlüsselwerke der Moderne).


    :hello:

  • Zitat

    Ich behaupte, daß Mozarts Musik (und die seiner Zeitgenossen) vorzugsweise für den Adel und das Großbürgertum komponiert wurde


    Sorry, wenn ich mich da jetzt einmische, aber: Dies ist musikhistorisch und musikzoziolgisch so nicht haltbar. Erstens ist der Begriff des Großbürgertums für das späte 18. Jahrhundert nicht zutreffend, zweitens wusste auch Mozart sehr gut zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen seines Publikums zu differenzieren und drittens - mit Punkt zwei einhergehend - gab es im ausgehenden 18. Jahrhundert fundamentale ästhetische Gegensätze zwischen dem Adel und dem Bürgertum.
    Ich verweise hier mal auf die Werke meines Doktorvaters Professor Peter Schleuning


    Grüße aus dem Wiesengrund

  • Eigentlich soll es hier ja allgemein um die "Unvergänglichkeit" der Musik einiger Komponisten gehen, die als "Felsen in der Brandung" angesehen werden.
    Da mir aber immer wieder gewisse Nebenbemerkungen aufgefallen sind, die ich ungern unwidersprochen stehenlassen möchte, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich hier speziell auf diese eingehen möchte.


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Zum Statement, "Mozart wird überleben" - muß ich sagen, daß ich mir da gar nicht so sicher bin. Und WENN er überlebt, dann fragt sich: In welcher Form ? Ist ein ruppig - knorrig interpretierter Mozart eigentlich noch als solcher erkennbar ?


    Sorry- aber irgendwie hören sich für mich solche Aussagen nach Rückzugsgefechten eines um ein früheres, appolinisches Mozartbild Trauernden an... ;)


    Ohne Zweifel gibt es in Mozarts Musik auch das Leichte, Schöne, Liebliche, Elegante und Heitere.
    Wenn man jedoch versucht, durch eine Interpretation den ganzen Mozart auf diese wenigen, idyllischen Eigenschaften zu beschränken und die anderen Affekte zu verharmlosen, dann reduziert man die gewaltige Ausdruckspalette dieses wirklichen Giganten zu Gunsten seines eigenen, nach leichter "Geniessbarkeit" gierenden Hörgeschmacks.
    In Deutschlands und Österreichs dunkelster jüngster Vergangenheit war das sogar politisch nicht gerade unerwünscht: Man wollte gewissen Hörerkreisen eine Erholung, eine Ablenkung von den Grauen des Krieges geben. Hierfür wähnte man Mozarts Musik als besonders geeignet. Man sollte sich diese historischen Hintergründe für den noch in den 60er-Jahren allgemein üblichen Mozartstil wenigstens bewusst sein. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht vor allem auch musikalisch-künstlerische Überlegungen waren, die zu dieser Spielweise führten.
    Doch irgendwann war die Zeit reif, dass die Patina dieser "Mozart-Traditionen" abgekratzt werden musste, vor allem auch deshalb, um die Musik in ihrer ergreifenden Wirkung neu erfahrbar zu machen.


    Es gibt aber bei der Musik dieses Komponisten eben auch die anderen Eigenschaften: Verzweiflung, (Todes)Angst, Grauen, Verwirrung, Trauer, Melancholie, Chaos, Bestürzung, manchmal geradezu brutale Störungen der heilen Welt. Und es gibt immer auch die besonders interessanten Zwischentöne.
    Manchmal steckt bei ihm unter der Oberfläche der vermeintlich heilen Welt auch der innere Abgrund.


    Im kontrastierenden Dialog mit den erstgenannten "schönen" Eigenschaften entfaltet diese Musik ihre eigentlich, ergreifende Wirkung. Man sollte beides erkennen, nachempfinden, spielen und hören.
    Dass spätestens ab den 1980er-Jahren das verzerrte schwerpunktmässige "Heile-Welt-Mozartbild" korrigiert wurde, hat Mozart mit Sicherheit in seinem Status der Unvergänglichkeit nicht geschadet, sondern im Gegenteil diesen noch verstärkt.
    Denn hierdurch ist dem Publikum ein Mozart mit einer wesentlich erweiterten Ausdruckmöglichkeiten zugänglich geworden.
    Den einseitigen, "appolinischen" Mozart der Böhmschen Prägung habe ich in meinem Jugenzeiten eben deshalb nicht gut ertragen können, weil es mir, als eingefleischtem Bachfreund, einfach zu süsslich, zu "unehrlich", zu langweilig klang. Überspitzt ausgedrückt hörte ich darin zuviel galant-höfische Speichelleckerei.
    Ich habe das damals in meiner jugendlichen Unbedarftheit auch so scharf formuliert, gerade in Diskussionen mit meinem Vater.
    Heute weiss ich, dass ich diesem wunderbaren Komponisten damit sehr Unrecht getan habe. Teilweise lag es aber auch an den mir bekannten Interpretationen, die mir ein einseitiges Bild vermittelten.


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Es wird ja derzeit der Versuch gemacht, die Wiener Klassik in eine heutige "Ästhetik" zu pressen, was den Erfolg hat, daß die EIGENTLICHE Klientel dieser Musikepoche, den Konsum dieser Musik verweigert.... Es wurde "etwas anderes" geschaffen.


    Heutige "Ästhetik"? Wer versucht das denn? Mozart auf dem Synthie? ?(
    Das wäre mir so nicht bekannt.


    Die Interpreten, dessen Mozart oder Beethoven ich jedenfalls besonders schätze, bemühen sich, diesen Komponisten nicht eine ästhetische Melange aus klassizistischer Strenge und verzärtelter Lieblichkeit aufzudrücken, sondern die Musik möglichst in ihrem ganzem Ausdrucksgehalt und mit den spielpraktisch ästhetischen Mitteln ihrer Entstehungszeit immer wieder neu zu einem mitreissenden Erlebnis werden zu lassen.


    Und wer ist denn "die EIGENTLICHE Klientel" ?
    Sind es etwa Personen, die im Grunde genommen bedauern, dass es heute naturgemäss keine neuen Böhm-oder Karajan-Platten / Konzerte gibt, bzw. sich heute niemand mehr als interpretatorischer Gralshüter einer längst vergangenen, musikhistorisch vielfach widerlegten Aufführungstradition zur Verfügung stellen möchte, und die sich dabei irrtümlicherweise in der Mehrheit wähnen?
    Oder sind es diese "besseren" Kreise, die heute, weil es angeblich keinen idylischen Mozart mehr zu hören gibt, standesgemässe auf die leicht konsumierbare Populärklassik ( a la Carreras im Duett mit den Skorpions) ausweichen müssen um sich in der Pause sehen zu lassen und sich mit einem Glas Sekt in der Hand wichtig zu machen? ( :kotz: )


    Zitat

    Original von Alfred Schmidt
    Ja natürlich gibt es eine Wiener Elite - und die Bürgerliche Oberschicht- und letztlich sogar noch die längst verstorbenen Dirigenten, die noch bis heute ein wenig die Spielweise der Wiener Philharmoniker beeinflussen.


    Meinem Eindruck nach war der Stefanien-Saal in Graz oft schon bis auf den letzten Platz mit eben diesen bürgerlichen, herausgeputzen feinen Leuten gefüllt.
    Auch wenn das jetzt die Grazer und nicht die Wiener "Elite" war: Da war sicher schon der eine oder andere dabei, den man mit "Grüss Gott der Herr Kommerzienrat" hätte begrüssen können...
    Oder sahen die nur fein aus?


    Sie gaben jedenfalls sehr emphatisch zum Ausdruck, dass sie eine gewisse "erschreckende" Spielweise trotz, oder gerade wegen ihrer emotionalen und ästhetischen Vielfalt, für offensichtlich "geniessbar" hielten.
    Sollte es stimmen, dass diese längst verstorbenen Dirigenten auch heute noch ein wenig die Spielweise der Wiener Philharmoniker beeinflussen, dann wird das wohl ein Grund sein, weshalb ich z.B. die Jupiter Symphonie beim gleichen Dirigenten noch lieber mit dem COE höre. Für Beethoven gilt das bei mir auch.


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Die EIGENTLICHE Klientel - wie ich sie verstehe - gibt das traditionelle Kulturgut - so unverändert wie möglich - weiter, so wie sie es übernommen hat - ohne Experimente und Modifikationen. Sie benötigt keine "Anpassungen", denn diese Musik ist für sie gemacht. JEDER ist eingeladen diese Musik auch zu geniessen und aufzuführen. Wer aber meint, diese Musik habe in der tradierten Form heute ihre Wirkung verloren - der sollte sie EIGENTLICH nicht hören -denn es gibt Leute die sie lieben - OHNE WENN UND ABER.


    Ja, das meine ich auch: Möglichst OHNE WENN UND ABER, d.h. mit allen Aspekten, sowohl der heilen Welt, als auch mit ihren Abgründen und ohne schönfärberische Modifikationen.
    Vor allem auch gestisch und sprechend gespielt, so "unverändert wie möglich" und ohne Anpassungen an ehemals sogar politisch gewollte ästhetische Vorgaben, die auf bewusst geschürten Zerrbildern beruhten.


    Zitat

    Original von Alfred Schmidt
    Natürlich klingt Mozart heute anders als vor 200 Jahren - aber das war eben Evolution und nicht Revolution. Ich behaupte, daß Mozarts Musik (und die seiner Zeitgenossen) vorzugsweise für den Adel und das Großbürgertum komponiert wurde - somit eine gewisse Grundhaltung (nicht Herkunft !!) erfordert.


    Um die gestische, aus dem Barock stammende Klangrede zu verstehen, bedurfte und bedarf es beim Hörer zweifelos eines gewissen Verständnisses. Wenn dieses nicht vorhanden ist, dann kann es u.U. schon passieren, dass einem der eine oder andere Aspekt als schwer konsumierbar vorkommt.
    Die Frage ist hierbei, ob sich die Interpretationskultur daran ausrichten müsse, was gewisse Hörerkreise gerne geschmäcklerisch goutieren wollen, ober ob das Publikum bereit wäre, sich auf eine Musik einzulassen, die sowohl emotional als auch intellektuell sehr herausfordernd sein kann, wodurch sie in ihren vielfältigen Schichten letztendlich wesentlich lebendiger, reizvoller und für den Einzelnen Hörer bedeutender wird.
    Wer sich z.B. für das Verständnis der Klangrede interessiert, kann sich dieses auch heute noch ( oder vielleicht besser: wieder) durch Lesen und vor allem durch nachvollziehendes Hören aneignen. Wenn dann auch noch anhand der Partituren mitgelesen wird, dann wird das Verständnis stetig zunehmen, auch durch vergleichendes Hören. Man muss es nur wollen.


    Ausserdem soll es ja Interpreten geben, die Mozart ganz hervorragend spielen, die niemals eine interpretatorische Revolution beabsichtigten und die -in einem mir bekannten Fall- sogar adeliger Herkunft sein sollen.
    Bei denen passt ja dann alles, nicht wahr ;)


    Mein Fazit: Die jüngste Interpretationsgeschichte, die gewisse stilistische Erstarrungen und Gewohnheiten zu Recht in Frage stellte, hat dazu beigetragen, dass die "unvergänglichen" Musik der alten Meister immer wieder aufs Neue entdeckt und erlebt werden kann.


    Noch zu Bach:

    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    ...ergänzt durch einen solchen als "Vielschreiber" immer gleich klingender Kantaten - ein Vorurteil das heute in dieser Form kaum je geäussert wird - Bach gilt derzeit als "zeitlos" und "ewiggültig".


    In einem mich keineswegs zum Mitmachen anregenden hiesigen Thread, bei dem der "Kampf der Titanen" ( also Händel vs. Bach) zum Thema gemacht werden sollte, habe ich ein solches Vorurteil, wenn auch ironisch als ein solches gekennzeichnet, in der letzten Woche gelesen.
    Auch hier wird diese Aussage, wiederum ordnungsgemäss als Vorurteil etikettiert, wiederholt.
    Damit ist sie zunächst einmal "in der (Tamino)Welt" und somit in der Öffentlichkeit.


    Hierzu nur folgendes:
    Die Bachsche Handschrift ist zwar immer erkennbar, was sich ja als ein Qualitätsmerkmal durch sein gesamtes Werk zieht.
    Doch sein unglaublicher Erfindungsreichtum und seine persönliche Entwicklung in allen möglichen kompositorischen Aspekten lässt sich auch besonders gut an seinem Kantatenwerk erkennen.
    Zum Erkennen gehört allerdings, dass man die Kantaten auch kennt, und hier nicht nur "Wachet auf" oder "Ich habe genung" sondern auch "Nimm was dein ist", "Es ist dir gesagt", oder "Herr wie du willt".
    Ganz unabhängig davon, wie sie denn nun (ein)gespielt wurden/werden, meine ich an zu erkennen, dass das Interesse hieran nicht allzu gross sein kann, vergleicht man es mit dem, was AN oder LL an öffentlichem, kurzfristigem Interesse herstellen konnten.
    Wahrscheinlich ist das aber auch gut so...


    Wenn man sich näher mit diesen Kantaten beschäftigt ( was sich sehr lohnt!), dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Koopman z.B. kann sich niemals über Bachs Rezitativkunst oder seine harmonischen Wendungen vor Begeisterung beruhigen, andere waren bei ihrer Gesamteinspielung allein schon wegen der innovativen Harmonisierungen der Schlusschoräle immer wieder neu aus dem Häuschen - und nicht nur deswegen.


    Das eine Kantate also wie die andere klänge, gehört zum grössten Unsinn, der mir jemals vorgekommen ist. Es ist sachlich falsch, und stimmt nur dann, wenn man seine Ohren ganz zu hat.
    Eben solche Vorurteile mögen das Ihre dazu beitragen, dass sich das Interesse an dieser Musik in vergleichsweise überschaubarem Rahmen hält - auch hier. Aber, wie gesagt, es ist wahrscheinlich auch besser so.


    Natürlich muss man Bachs Musik aus ihrer Zeit heraus verstehen, man muss ohnehin bereit sein, sich in diese Musik hineinzuhören und sein Verständnis zu erweitern, was sehr viel Spass machen kann.
    Durch ihre enorme Qualität ist sie ganz selbstversändlich immer auch zeitlos und von mir aus sogar ewiggültig.
    Ich setze diese Adjektive gar nicht in Anführungszeichen, denn sie haben tatsächlich ihre Berechtigung.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Sorry- aber irgendwie hören sich für mich solche Aussagen nach Rückzugsgefechten eines um ein früheres, appolinisches Mozartbild Trauernden an... ;)


    Lieber Glockenton,


    Du hast Dir sehr viel Mühe gegeben, Deinen Standpunkt darzulegen. Allein, es wird wohl nichts nützen.


    Seit Jahr und Tag kocht Alfred mit immer neuen Threads immer dieselbe Thematik auf. Vor wenigen Wochen erst wurde in einem der vielen HIP-Threads dieser Art über das gleiche Thema diskutiert.


    Es läuft stets auf dasselbe hinaus:


    Ein statisches Musikbild soll um fast jeden Preis konserviert werden. Eine bestimmte Form der Interpretation, ein bestimmtes Klangbild, eine bestimmter Inszenierungstil bei Opern, wird als der Wahrheit letzter Schluß betrachtet, meist unter Berufung auf eine idyllisch-romantische, von der Realität abgekoppelte Sicht auf die Entstehungszeit der Werke.


    Diese Sicht darf nicht verändert werden. Jede Veränderung ist ein kultureller Abstieg, wird vom Publikum nicht gewollt, entspricht nicht dem Charakter der Werke oder widerspricht dem Zweck der Kunst als bloßes Mittel der Zerstreung und des angenehmen Zeitvertreibs.


    Statt das Böhmsche oder Karajansche Mozart-, Händel- oder Bachbild als zeitgebundene Erscheinung und eine von mehreren (gleichberechtigten!) Möglichkeiten der Interpretation zu verstehen, statt Musik als lebendige Kunst zu begreifen, die imnmer wieder neu erschaffen wird, wird Musik rein museal verstanden und ein verkürzter Kunstbegriff gepflegt.