Händels Rinaldo-ein Triumph der Barockoper

  • Hallo liebe Opernfreunde!


    Nachdem ich mich heute intensiv mit der Oper Rinaldo, meiner Lieblings-Händeloper, beschäftigt habe, liegt es nur nahe, dass ich ihr nun einen eigenen Thread widme, ganz im Sinne des Jubiläumsjahres 2009.


    Zuerst einmal eine grobe Skizze der Handlung: Im Jahre 1099 im heiligen Land (ein eigener Thread zum Hintergrund folgt noch)belagert ein christliches Kreuzfahrerheer die Stadt Jerusalem, um sie aus den Händen des muslimischen Fürsten Argante zu befreien. Anführer des Kreuzheeres ist Goffredo, seine wichtigsten Gefolgsleute und Freunde sind Eustazio und der Titelheld Rinaldo. Rinaldo liebt Almirena, Goffredos Tochter und bittet ihn um die Hand der Geliebten. Goffredo verspricht ihm ihre Hand, wenn Jerusalem gefallen ist. Es kommt zu Verhandlungen zwischen Argante und Goffredo, wo ein dreitägiger Waffenstillstand vereinbart wird. Rinaldo nutzt die Pause vom Kampf und eilt zu Almirena. Als sich die beiden treffen erscheint die Zauberin Armida und entführt Almirena. Armida und Argante machen gemeinsame Sache und die Zauberin hinterlässt zwei Furien, die Rinaldo verspotten.
    Rinaldo ist wütend und will mit Waffengewalt gegen die Zauberin vorgehen, während Goffredo und Eustazio den Rat eines Zauberers einholen wollen, um die Zauberin mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
    Doch Armida will mehr – Almirena reicht ihr nicht, sie schickt Sirenen, die die Kreuzfahrer verwirren sollen und Rinaldo zu ihr locken sollen. Es gelingt den Sirenen den Widerstand Rinaldos zu brechen und ihn auf ihr Schiff zu locken, das mit Rinaldo davonsegelt. Das Schiff bringt ihn in Armidas Zaubergarten, wo schon Almirena und Argante warten. Argante gesteht der verzweifelten Almirena seine Liebe und verspricht ihr sie und das Kreuzheer zu schonen, wenn sie ihn heirate.
    Armida feiert ihren Triumph über Rinaldo, der sie aber mit seiner Kühnheit und der Dreistigkeit als Gefangener Forderungen zu stellen begeistert. Er begeistert sie so sehr, dass sie sich in ihn verliebt und ihm dies auch mitteilt. Armida verwandelt sich abwechselnd in Almirena und dann wieder zurück, um Rinaldo für sich zu gewinnen, doch Rinaldo bleibt in seiner Liebe zu Almirena unbeirrbar. Armida ist wütend und schwört ihm Rache und nimmt erneut die Gestalt Almirenas an. Da kommt Argante, der versucht sich an Almirena heranzumachen, er wird aber abgewiesen, da diese Almirena ja Armida ist. Sie beschimpft ihn des Verrats und er stürmt wutentbrannt davon und schwört auf sein Schwert, dass er die Kreuzritter besiegen werde.
    Von fernem sieht man Armidas Zauberschloss, ebenso Eustazio und Goffredo, die mit dem Zauberer versuchen das Schloss zu infiltrieren. Der Zauberer warnt die beiden vor den Kräften Armidas und die beiden bekommen diese auch sofort zu spüren: Ein Drache vertreibt die beiden. Doch mit Hilfe zweier Zauberstäbe gelingt es ihnen den Drachen zu vertreiben und den Berg, auf dem Armidas Schloss steht zu überwinden. Der Berg wandelt sich zu einem See, zu dem die beiden Ritter hinabsteigen.
    Im Garten der Armida hat sich die Situation zugespitzt. Armida will Almirena töten, da sie hofft, dass Rinaldos Liebe zu Almirena so enden wird. Rinaldo will Armida aufhalten, doch die Zauberin sendet zwei Erdgeister, die Rinaldo festhalten. Als Armida Almirena mit dem Schwert durchbohren will, tauchen Goffredo und Eustazio auf und berühren mit den Zauberstäben die Sträucher des Gartens, die daraufhin verschwinden, mit ihnen die Geister, wodurch Rinaldo Armida vertreiben kann. Im Hintergrund sieht man in der Ferne Jerusalem, dass man nun mit vereinten Kräften erobern will.
    Armida und Argante versöhnen sich und lassen ihre Truppen vor ihnen in Richtung Jerusalem erobern. Man bereitet sich auf die Schlacht vor, die beiden Parteien sind fest entschlossen sie zu gewinnen.
    Es kommt zum Kampf, der durch den Mut und den Einsatz Rinaldos zu Gunsten der Kreuzritter entschieden wird. Am Ende des Kampf es nimmt Rinaldo Argante gefangen und führt ihn zu Goffredo, ebenso gelang es Eustazio mit seinem Zauberstab Armida gefangen zu nehmen, die er nun ebenfalls zu Goffredo bringt.
    Armida und Argante gestehen ihre Niederlage und erkennen an, dass sie von einem viel mächtigeren Gott als dem ihren geschlagen wurden und nehmen den neuen Glauben an. Almirena und Rinaldo bekommen den Segen Goffredos und Argante und Armida gehen eine Liebschaft ein. Mit allgemeinem Jubel endet die Oper.


    Wie ihr schon an der Inhaltsangabe erkennen könnt, hat die Oper alles, was ein Stück der damaligen Zeit haben musste, um das Publikum zu begeistern: Special-Effects en masse, Massenszenen, Pferde auf der Bühne (auch wenn bei der UA keine vorhanden waren, wie ein Zuschauer, der das Libretto mitlas entsetzt feststellte) und natürlich große Sänger und Sängerinnen und in diesem Falle eine der besten „Musicken“, die Händel überhaupt komponierte.
    Wie kam es überhaupt zum „Rinaldo“. Im Jahre 1710 wurde Händel der Posten des Kapellmeisters von Hannover angeboten, eine Folge von einflussreichen Kontakten, die Händel auf der Italienreise geknüpft hatte. Gemäß einer älteren Vereinbarung des Komponisten mit dem Prinzen Ernst, dem Bruder des Fürsten, war es Händel gestattet, sich längere Zeit von seinem Dienstort zu entfernen, was der Maestro auch sogleich tat. Er reiste nach Halle um seine Mutter zu besuchen, danach nach Düsseldorf und dann nach London, wo er hoffte, ein Libretto zum Vertonen zu bekommen. Es sollte so geschehen und so blieb er ganze acht Monate in London, um auch die Aufführung der Oper zu überwachen. Der Librettoentwurf stammte vom Impresario Aaron Hill, der sich bei Torquato Tassos „Gerusalemme liberata“ bediente.

    London um 1710


    In London selbst war die italienische Oper unterrepräsentiert, da italienische Ensembles nur als „Pausenfüller“ für die Pausen in Schauspielen dienten. Im Jahre 1710 plante der schon genannte Aaron Hill, Impresario am Haymarket Theatre „die englische Oper in größerem Glanze als ihre italienische Mutter zu etablieren“, sodass er sich einfach das Libretto von Giacomo Rossi griff und es auf englisch übersetzen ließ, sodass jeder im Publikum verstehen konnte, was auf der Bühne geschah.
    Eigentlich wollte Hill ja Bononcini für diesen „Job“, doch dieser lehnte ab, da ihm das Risiko eines Fiaskos zu hoch erschien.

    Einstudierung einer Oper-Marco Ricci, der Kastrat rechts ist Nicolini (Siehe unten)


    Im Vorwort des übersetzten Librettos, das bei der Uraufführung verteilt wurde, bedauert Hill die Fehler, die bei der Übersetzung gemacht wurden, da es ihm nicht möglich war in der kurzen Zeit (Händel schrieb die Musik in nicht einmal drei Wochen) alle Texte redigieren zu lassen, da Händel einige ältere Texte und Noten in die Oper einfügte (ua aus „Il trionfo del tempo e del disinganno“).

    Partitur


    Am 24. Februar 1711 kam es am Queens Theatre am Haymarket zur Uraufführung.
    Es sangen:
    Rinaldo Nicolini Altkastrat
    Goffredo Francesca Vanini-Boschi (S)
    Eustazio Valentini Altkastrat
    Almirena Isabella Girardeau
    Armida Elisabetta Pilotti-Schiavonetti
    Argante Giuseppe Maria Boschi (B)
    Magier Giuseppe Cassani Altkastrat
    Bühnenbild Marco Ricci


    Die Oper wurde ein unglaublicher Erfolg und man sparte nicht an Spezialeffekten: Zum Beispiel stürzte die komplette Bühne zweimal ein (Armidas Zauberberg/Schlacht), in der Waldszene wurden echte Spatzen eingesetzt, was allerdings auch einige Kritiker auf den Plan rief, die die unglaubwürdige Handlung und die übertriebenen Kostüme (Nicolini trug Roben aus Hermelin, während die Boote aus Papier waren) kritisierten.
    Nichtsdestotrotz war die Oper ein Publikumsmagnet, alleine bis zum Saisonende wurde sie 15 Wiederholungen, bis zum Jahr 1717 47.



    Natürlich wechselten die Sänger. Hier ein Überblick über die Aufführungen in den Jahren 1711-1717 (soweit bekannt):


    RINALDO
    Nicolini (Niccolo Grimaldi) (AK) 1711+1712
    Jane Barbier (S) 1713
    Diana Vico (S) 1714,1715


    ARMIDA
    Elisabetta Pilotti-Schiavonetti 1711-1717


    ALMIRENA
    Isabella GIrardeau 1711
    Maria Manina 1712+1713
    Anastasia Robinson 1714+1715


    GOFFREDO
    Francesca Vanini-Boschi 1711
    Francesca Margherita de l´Epine 1712+1713
    Caterina Galerati 1714+1715
    Antonio Bernacchi 1717


    EUSTAZIO
    Valentini 1711
    Jane Barbier 1712


    ARGANTE
    Giuseppe Maria Boschi 1711
    Salomon Bendeler 1712
    Richard Leveridge 1713
    Angelo Zanoni 1714,1715
    Gaetano Berenstadt 1717


    Nach der Aufführung reiste er zurück nach Hannover, aber er blieb dort nicht lange, denn es zog ihn zurück nach London, um dort die italienische Oper voranzutreiben, aber das ist eine andere Geschichte…


    Im Jahre 1718 wurde der Rinaldo umgearbeitet, allerdings nicht von Händel, sondern von Leonardo Leo, der diese eine Aufführung auch leitete. Am 1.10.1718 feierte Kaiser Karl VI. in Neapel seinen Geburtstag. Diesem Anlass entsprechend arbeitet Leo Rinaldo um, die Sängerriege ist heute unbekannt, bis auf die Tatsache, dass Leo den Rinaldo von 1711 als Goffredo engagierte und Anna Vincenza Dotti als Almirena sang.


    Es entstand dann noch eine zweite Fassung (dritte Fassung, wenn man die Leo Fassung mitrechnet) im Jahre 1731, als Händel das Haymarket Theatre selbst leitete. Er änderte einige Arien für seinen Hauskastraten Senesino


    Diese Fassung hatte am 6.4.1731 Premiere und wurde 6 mal wiederholt.
    Die Besetzung lautete damals:
    Rinaldo Senesino
    Almirena Anna Strada del Po
    Armida Antonia Margherita Merighi
    Argante Francesca Bertolli
    Goffredo Annibale Bio Fabri
    Zauberer Giovanni Giuseppe Commano




    Philippe Jaroussky als Rinaldo


    Weiters wurden ab dem Jahr 1715 in Hamburg am Theater am Gänsemarkt regelmäßig Vorstellungen vom Rinaldo gespielt. Bis zum Jahr 1730 (aber nicht jede Saison) ca. 40. Die musikalische Leitung der Aufführung hatte ein gewisser Reinhard Keiser inne.


    Händel schafft es in dieser Oper soviele eingängige Melodien zusammenzusuchen, wie in kaum einer anderen Barockoper. Beinahe jede Arie ein Ohrwurm, manche haben sich durchgehend gehalten „Lascia chío pianga“, z.B. Für mich ist diese Oper ein Paradebeispiel der Barockoper und gleichzeitig auch ein zeitloses Stück Musiktheater, in dem die, zweifellos fragwürdige, Überlegenheit einer Religion gepriesen wird. Eine Thematik, die wohl nie sterben wird. Wie gesagt, im Rinaldo finden sich zuhauf wunderbare, große und zutiefst berührende Momente. Meines Erachtens nach sein größtes Meisterwerk und das ohne große Chorszenen :D , gut der Schlussgesang ist als Coro tituliert, aber das ist in beinahe jeder Seria-Oper so.


    Nun zu den Aufnahmen:
    Freiburger Barockorchester - Rene Jacobs
    Rinaldo - Vivica Genaux
    Almirena - Miah Person
    Armida - Inga Kalna
    Goffredo - Lawrence Zazzo
    Eustazio - Christophe Dumaux
    Argante - James Rutherford
    Eine meisterhafte HIP-Aufnahme, die in jedes Opernregal gehört. :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:, lediglich eine Kleinigkeit stört mich, ich hätte den Rinaldo gern von einem Countertenor interpretiert gehabt, aber eine grandiose Genaux macht dieses Manko locker weg.


    Etwas billiger, aber dennoch nicht viel schlechter:

    Aradia Ensemble - Kevin Mallon
    Rinaldo - Kimberly Barber
    Goffredo - Marion Newman
    Almirena - Laura Whalen
    Armida - Barbara Hannigan
    Eustazio
    Argante - Sean Watson


    Bei weitem nicht so gute Sänger und kein solches Spitzenensemble wie bei Jacobs, dennoch eine Aufnahme zum Genießen!


    HÄNDE WEG HIERVON!

    Teilweise willkürlich besetzt (Goffredo-Tenor) und absolut unHIP, die Tonqualität bei NE ist grauenhaft. Diese Aufnahme gibt’s auch bei Brilliant, da ist die Tonqualität schwer in Ordnung und nur der Vollständigkeit halber zu empfehlen.


    Weiters ist mir noch eine Aufnahme bekannt, aber ich besitze sie noch nicht. Wenn jemand diese Aufnahme besitzt, wäre ich sehr dankbar für eine „Kritik“:

    Ich bin mir fast sicher, dass diese Aufnahme ein Hit ist, alleine wegen des Dirigenten und der Bartoli, lediglich der hohe Preis, der weit über meiner Schmerzgrenze liegt, hält mich davon ab diese Aufnahme in meine Sammlung aufzunehmen.


    Und nun sei die Diskussion eröffnet!


    LG joschi


    PS: Hier noch ein Buchtipp:
    Gucksdu

  • WOW! Muß das eine Liebe sein...


    :jubel: :jubel: :jubel:


    ...was sagt Deine Frau dazu? :D


    Zitat

    [...] gut der Schlussgesang ist als Coro tituliert, aber das ist in beinahe jeder Seria-Oper so.


    Der Coro der Seria setzt ich in der Regel, d.h. sofern nicht explizit Coro (Popoli, Pueri, Siciliani oder... oder... oder) genannt wird, aus den zum Schluß (noch) agierenden Acteuren (Solisten) zusammen. Selbst in Mozarts Mithridate und Lucio Silla ist das noch so.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Der Coro ist dezidiert als Coro tituliert, wenn mich mein Librettogedächtnis nicht täuscht. Diese Coronennung ist sogar noch bei Rossini vorhanden, aber der passt hier nicht unbedingt rein, obwohl er das Sujet auch verwendet hat.


    Zitat

    WOW! Muß das eine Liebe sein...


    die zum Detail?


    Zitat

    ...was sagt Deine Frau dazu?


    die schläft :beatnik:



    LG Joschi


    PS: Einen Thread zum historischen Hintergrund der Oper, also des ersten Kreuzzuges, werde ich ebenfalls noch starten.

  • Zitat

    Original von Joschi Krakhofer
    Der Coro ist dezidiert als Coro tituliert, wenn mich mein Librettogedächtnis nicht täuscht.


    Ja eben. Mit 'Coro' ist hier lediglich ein "Chor" der Solisten der Oper gemeint. Bei den "echten" Chören, die Du hier offenbar vermisst, die aber z.B. in Fernando vorkommen, ist dieser dann besonders als Coro militare bezeichnet - aber auch bei Fernando gibt es zum Schluß des 3. Aktes nur den üblichen aus Gesangssolisten bestehenden 'Coro' im Sinne eines 'Tutti' der Gesangssolisten (der vorhandene Chor hat hier zu schweigen). Bei Orlando (Librettoausgabe Hogwood) wird die Schlußszene der Oper mit Tutti bezeichnet - inwiefern das dem Originaltext entspricht, entzieht sich meiner Kenntnis. Einen Chor gibt es in Orlando nicht - also kann sich das 'Tutti' nur auf die präsenten Acteure beziehen.


    Ich bin mir nicht sicher, aber ich führe diese Vorgehensweise auf ein Element zum Kosten- und Mühesparen der damaligen Zeit zurück... nur in Ausnahmefällen (man müsste dies einmal detailiert überprüfen) dürften wirklich große separate Chöre eingesetzt worden sein, vermutlich je nach Anlass der Oper. Für eine reine 'Volksoper' begnügte man sich offenbar mit den Gesangstutti, für einen offiziellen Anlass hingegen - so kann ich mir das vorstellen - wurden dann weder Kosten noch Mühe gescheut und große Chöre integriert. Wobei ja bei der 'echten' Seria der Chor als solcher ohnehin selten bis nie vertreten ist.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • "Echte" Chöre wurden meines Wissens zum Beispiel in Lissabon bis zum großen Erdbeben 1755 eingesetzt.
    Weiters wurden sie in Neapel eingesetzt, wenn der Herzog in der Loge saß. Bei solchen Ereignissen wurde sogar die Kavallerie in die Oper befohlen, damit ja genügend Leute auf der Bühne standen...


    LG joschi

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  • Zitat

    Original von Joschi Krakhofer
    "Echte" Chöre wurden meines Wissens zum Beispiel in Lissabon bis zum großen Erdbeben 1755 eingesetzt.


    Hm. Scheint so, als träten die Choristen seit dem in der Oper nur noch als Wesen der Unterwelt auf... z. B. bei Gluck:rolleyes:


    Der Coro dürfte eine ähnliche Begriffswandlung durchgemacht haben wie benahe parallel die Sinfonia.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Der Coro dürfte eine ähnliche Begriffswandlung durchgemacht haben wie benahe parallel die Sinfonia.


    Die Begriffswandlung des Coro ist schon merkbar, wenngleich nicht sooo enorm, denn der Zweck des Coro und des Coro war ein und derselbe: Schlussjubel.


    Während die Sinfonia sich vom Einleitungsstück verselbständigte und von der Oper in den Konzertsaal wanderte.


    LG joschi


    PS: jetzt werdn wir aber immer mehr OT... :pfeif:


    PPS: Ich kann dir nicht sagen, ob in Lissabon danach auch große Chöre verwendet wurden, da müsste ich mich erst einlesen... und außerdem dauerte es einige Jahre bis in Lissabon wieder ein Opernhaus stand - die große Zeit der portugiesischen Barockoper war da aber dann schon vorbei- darum meine Zeitangabe 1755.

  • Das Publikum wollte keine langweiligen Chöre oder Massenszenen, sondern den oben schon geschilderten Radau mit fliegenden Wagen, Feuer und Wasserfall und vor allem anderen (was auch den Löwenanteil des Budgets verschlang): Kastraten und Primadonnen (etwa je zwei bis drei pro Oper, auch die secondi huomini, seconde donne waren nicht gerade billig...)
    (anderswo, besonders in Paris war das sicher anders und die Chöre viel wichtiger)


    Eine sehr schöne, ausführliche Vorstellung! Leider habe ich gerade nicht die Muße, mich mit der Oper (ich besitze nur Jacobs' Einspielung, es gibt aber etliche, die Hogwood/Bartoli für noch besser halten) mal wieder näher zu befassen. Es ist sicher eine der eingängigsten Händel-Opern (auch wenn ich selbst der Ansicht bin, daß er sie mit zB Giulio Cesare oder Alcina in mancher Hinsicht noch übertreffen konnte), außer dem unsterblichen Lascia ch'io pianga (übernommen aus Trionfo..., dort "Lascia la spina") gehören Rinaldos Arien "Or la tromba" und "Cara Sposa" zu den Highlights, die sich auch auf vielen Recitals finden. Cara Sposa erregte besonderes Aufsehen wegen der für eine Oper damals ungewöhnlich ausgearbeiteten polyphonen Begleitung.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo zusammen,



    Zitat

    Original von Joschi Krakhofer:


    Weiters ist mir noch eine Aufnahme bekannt, aber ich besitze sie noch nicht. Wenn jemand diese Aufnahme besitzt, wäre ich sehr dankbar für eine „Kritik“:

    Ich bin mir fast sicher, dass diese Aufnahme ein Hit ist, alleine wegen des Dirigenten und der Bartoli, lediglich der hohe Preis, der weit über meiner Schmerzgrenze liegt, hält mich davon ab diese Aufnahme in meine Sammlung aufzunehmen.


    die Aufnahme des Rinaldo der Academy of Ancient Music unter Hogwood mit Bernarda Fink als Goffredo, Cecilia Bartoli als Almirena, David Daniels als Rinaldo und den beiden Bösewichtern Luba Orgonasova (Armida) und Gerald Finley (Argante) schätze ich außerordentlich hoch. Allerdings: nicht nur "alleine wegen des Dirigenten und der Bartoli", obwohl die wirklich gut sind. Die "Restbesetzung", man muss auch Daniel Taylor (Eustazio) und Bejun Mehta ((Mago) erwähnen, singt nicht in einer niedrigeren Liga, und man bedenke, dass selbst die Nebenrolle des Herolds (un aroldo) mit Mark Padmore "luxusbesetzt" ist.


    Trotz der imitierten Bühnengeräusche ist diese Aufnahme allerdings ein "Kunstprodukt", und das liegt auch an der herausragend transparenten und direkten Aufnahmetechnik - auf der Bühne eines "real existierenden" Opernhauses ließe sich eine solche klangliche Direktheit nie erzielen. Auf der anderen Seite: die Barockoper a la Händel verträgt diese ästhetische Künstlichkeit ausgezeichnet, und durch sie vermittelt sich rein akustisch so etwas wie die Atmosphäre, die die "Zeigefunktion" im Sinne Bertolt Brechts auf der Bühne zu erreichen versucht - immer bleibt dem Hörer bewusst, dass die Sänger die handelnden Figuren nur spielen, und jede etwaige Identifikation des Hörers mit einer der Figuren wird immer wieder aufgebrochen. Eigentlich witzig, dass die extreme klangliche Direktheit eine gefühlsmäßige Indirektheit und Ironie erzeugt.


    Jedem, der das nicht ablehnt, sei die Aufnahme wärmstens empfohlen.


    Gruß
    Pylades

  • Guten Abend



    Kastraten als auch die italienische Oper waren bisher in London unbekannt,
    es wurde berichtet, dass Nicolini italienisch sang,
    während ándere Sänger bei der englichen Sprache blieben.
    (Ich weis nicht ob dies für die Uraufführung des "Rinaldo" zutrifft ?)
    Jedenfalls schrieb die engliche Zeitung "The Spectator" am 21. März 1711, also zeitlich kurz nach der Uraufführung in einem
    "wahrhaftigen Bericht über die italienische Oper" folgendes:


    "Ein weiterer Schritt war die Einführung italienischer Sänger in unseren Opern. Sie sangen ihre Rollen nur in ihrer Sprache, während gleichzeitig unsere Landsleute ihre Rollen in ihrer Muttersprache gaben. Der König oder der Held einer Oper sprach normalerweise Italienisch, seine Sklaven antworteten in Englich. Der Liebhaber warb um das Herz seiner Prinzessin in einer Sprache, die sie nicht verstand. Man sollte eigentlich glauben, daß es sehr schwierig ist, sich auf diese Weise zu unterhalten, ohne daß dauernd ein Dolmetscher bei den Gesprächen anwesend ist. Aber es ging so auf der englichen Bühne ungefähr drei Jahre lang. Schließlich war es dem Publikum leid, die Hälfte der Oper zu verstehen, und um sich von der Mühe des Denkens zu befreien, verlangte es, daß die ganze Oper in einer unbekannten Sprache aufgeführt würde. Wir verstehen deshalb die Sprache auf unseren Bühnen nicht mehr, und ich bin, wenn ich unsere italienischen Sänger in heftiger Aktion zwitschern höre, oft besorgt, daß sie uns mit Schimpftworten beleidigen. Aber da wir sie mit großen Vertrauen bewundern, hoffe ich, daß sie nicht vor unseren Augen gegen uns reden, obwohl sie es so unbesorgt tun könnten, als wenn es hinter unserem Rücken geschähe. Manchmal denke ich auch, daß ein Historiker, der zweihundert oder dreihundert Jahre nach uns schreiben mag, und den Geschmack seiner weisen Vorfahren nicht kennt, zu folgender Schlußfolgerung kommen mag: Am Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die italienische Sprache in England von allen verstanden, so daß die Opern in Theater in dieser Sprache aufgeführt wurden."


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

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  • Dieser Sprachmischmasch, der m. W. auch in Hamburg Usus war, war aber vermutlich eher beim Konkurrenzunternehmen vorzufinden, denn - wie man deutlich sieht - sind sechs Siebtel der Acteure Italiener bzw. mindestens Italienischsprechende (oder -singende) gewesen.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)