Die "Bilder einer Ausstellung" neu instrumentiert - ein paar Anmerkungen

  • Und wieder eine neue Instrumentierung von Modest Mussorgskijs „Bildern einer Ausstellung“! – Ja, warum denn das? Der muß ja verrückt sein…


    Sicher, Verrücktheit gehört irgendwie zum Handwerk des Komponisten. Auch wenn er sich nur als Instrumentator betätigt. Und überhaupt: Es war ja alles gar nicht so geplant.


    Begonnen hat es, als mich ein Freund, selbst Dirigent, anrief und mit etwas Verzweiflung in der Stimme sagte: „Ich soll die ,Bilder’ dirigieren. Ich bin todunglücklich. Wir müssen uns zusammensetzen.“


    Gesagt – getan.


    Wir gingen also die vorliegenden Versionen durch: Funtek, Stokowski, Ashkenazy, Gortschakow. Und natürlich Ravel.


    Stokowski flog gleich hinaus, dann auch Funtek (zu dem ich geraten hatte). Gortschakow sagte meinem Freund auch nicht zu: „Das ist Schostakowitsch, nicht Mussorgskij.“ Ashkenazy? „Ja, sicher, glänzend, aber eine Kapellmeisterarbeit. Viel zu glatt.“ Also doch Ravel? „Wenn ich das Saxophon höre, kriege ich Aggressionen“, sagte mein Freund.


    „Das Saxophon ist mir egal“, sagte ich. „Sicherlich eine Fehlentscheidung. Mich stört aber mehr, dass er die „Promenaden“ falsch gedeutet hat. Die russische Sprache hat völlig unregelmäßige Betonungen und Akzentverschiebungen. Gerade Mussorgskij hat das gewußt. Hätte er darstellen wollen, wie Menschen in einer Ausstellung hin- und herschlendern, dann hätte er das mit einem gezierten Thema gemacht, so etwas wie im Polen-Akt des ,Boris’. Hier aber schreibt er deutlich vor: ,Nel modo russico’. Und er variiert die Promenaden nach dem Eindruck, den die Bilder machen. Die Promenaden sind also sozusagen eine Art Werkkommentar, wobei dieser Kommentar stellenweise zum Werk selbst wird, etwa in den Katakomben und im Schlußbild. Das Einzige, was zu so etwas taugt, ist die Sprache. Ich bin völlig überzeugt, Mussorgskij wollte nicht herumstehende Menschen schildern, sondern das Gespräch dieser Menschen während sie promenieren. Daher: Alle Phrasen etwas ähnlich, aber doch mit Verschiebungen: Man sagt das Gleiche mit anderen Worten, betont einen Aspekt, nimmt einen anderen weniger wichtig. Ravels pompöses Auftreten am Anfang ist daher Quatsch.“


    „Und was hättest Du gemacht“, fragte mein Freund.


    „Ich hätte jeder Phrase ihr eigenes Gesicht gegeben, jeder Phrase ihre Klangfarbe zugewiesen.“


    „Und das Saxophon wäre bei Dir was?“ – „Ein Englischhorn. Dazu Bratschen. Ein Klang, der etwas altertümlich wirkt, fast wie ein Consortium; dazu ein Tamburin.“


    „Mach es“, sagte mein Freund. „Das will ich aufführen.“


    So also hat es begonnen.


    Die konkrete Aufführungsmöglichkeit war zeitlich viel zu nahe, das wussten wir beide. (Ravel machte aus praktischen Gründen das Rennen.) Aber ich blieb dran. Nun ist die Instrumentierung fertig, wir werden sehen, wann sich die Chance der Aufführung ergibt, angepeilt ist 2011.


    Nun zu meinem Ansatz.


    Die grundlegende Frage für mich war, wie Mussorgskijs Klavierversion zu behandeln ist: Als Klavierauszug oder als vollständiges Werk? Ravel tendierte zum Klavierauszug, die anderen machten es ihm de facto nach, wobei sie lediglich die Farben veränderten, kaum aber den ästhetischen Ansatz.


    Aber hatte Ravel wirklich recht?


    Ich gebe zu: Ich weiß es nicht. Aber es war ein Weg, den ich nicht gehen wollte. Für mich ist Mussorgskijs Original bindend, was drin steht, wird instrumentierend gefärbt, aber nicht umgedeutet oder übermalt. Ich füge keine Akkorde hinzu, nicht einmal Oktavparallelen.


    Letzteres allerdings mit wenigen Ausnahmen. An einigen Stellen ist nämlich klar, daß Mussorgskij nur deshalb keine Verdopplungen schrieb, weil sie grifftechnisch nicht möglich sind. Meine Regel lautet daher: Klangverstärkung durch Oktavparallelen verwende ich ausschließlich, wo sie sich aufdrängen und nur durch die Begrenzung der Fingerspannweite unmöglich sind. Eine solche Stelle ist der Höhepunkt des „Bydlo“, bei der „Baba Jaga“ gibt es eine und im „Großen Tor von Kiew“ auch.


    Nächste Überlegung: Welches Klanggewand soll meine Instrumentierung anlegen? Ich entschied mich, von Mussorgskijs eigenen Instrumentierungen auszugehen, wobei ich mich vor allem auf die Fragmente aus „Salammbô“ bezog, aber auch auf die „Nacht“ und Teile des „Boris“. Ein reines Nachahmen der Instrumentierung Mussorgskijs wollte ich jedoch vermeiden, zumal alle drei Werke sehr unterschiedlich instrumentiert sind.


    Allerdings spürt man, welche Farben Mussorgskij bevorzugt: Bratschen, Oboen, Klarinetten, Hörner. Auch weite Teile der „Bilder“ scheinen mir gerade diese Farben zu suggerieren. Also besetzte ich zwar ein normales großes Orchester mit dreifachem Holz, 4 Hörnern, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba und Streichern, nur haben die Geigen in meiner Instrumentierung etwas weniger zu tun und melden ihren Führungsanspruch keineswegs durchgehend an.


    Jedes Bild bekommt dabei eine spezifische Farbe zugewiesen. Das volle Orchester spielt nur in den beiden Schlußbildern, sonst ist es aufgesplittert. Außerdem hat jede Gruppe ein Bild für sich allein: Streicher und abgestimmte Schlagzeuge (hier gehe ich über Mussorgskij hinaus und besetze mit Xylophon, Marimbaphon, Vibraphon und Celesta) lassen die Küken in ihren Schalen tanzen, die Holzbläser lassen die Marktfrauen von Limoges keifen, die Blechbläser wölben düstere Katakomben, wo nur ein einziges Mal für eine Phrase die Streicher aufklingen.


    Und dann die Frage: Die Glocken im Großen Tor? Ravel hat sie weggelassen. Andere lassen die Orchesterglocken läuten. Ist das sinnvoll? Mussorgskij imitiert Glocken. Glocken zu verwenden, um Glocken zu imitieren? Ich darf Bedenken anmelden – und entschied mich für eine rein orchestrale Glockenimitation.


    Und jetzt ruft mich mein Freund an, der die Partitur in Händen hat, und sagt, ich soll gleich die „Nacht“ auch machen und ein paar Klavierstücke, er habe da so eine Idee – von der ich allerdings versprochener Maßen nichts verraten kann, weil sie dermaßen originell ist, dass er sein „Copyright“ zurecht beansprucht.


    :hello:


    Dieser Text ist ein umformulierter, teilweise erweiterter, teilweise gekürzter Auszug aus dem Vorwort der Partitur.

    ...

  • nun, das hört sich ja sehr, sehr spannend an. :yes: :yes: :yes:


    meine ohren verlangen nach einer baldigen überprüfung :D


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor
    nun, das hört sich ja sehr, sehr spannend an. :yes::yes::yes:


    meine ohren verlangen nach einer baldigen überprüfung :D


    :hello:


    Dito! Klingt nämlich sehr einleuchtend, das alles, obwohl mir der Ravel auch sehr gefällt.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    abgestimmte Schlagzeuge (hier gehe ich über Mussorgskij hinaus und besetze mit Xylophon, Marimbaphon, Vibraphon und Celesta) lassen die Küken in ihren Schalen tanzen

    ...Wow, das klingt sicher irre :) Die Küken sind mein Zweit-Lieblingsstück aus den Bildern (nach dem Gnomus natürlich), und Xylophon/Marimba/Vibraphon/Celesta gehören zu meinen Lieblingsinstrumenten :D Wäre höchst erfreut, wenn es zu einer Aufnahme käme, die man sich anhören könnte!

  • Zitat

    Original von klingsor
    nun, das hört sich ja sehr, sehr spannend an. :yes::yes::yes:


    meine ohren verlangen nach einer baldigen überprüfung :D


    :hello:


    Dito!


    Wobei ich persönlich die Klavierfassung - zumindest bisher - jeder Instrumentierung vorgezogen, aber trotzdem bin ich sehr gespannt!


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ich gebe zu, ich bin sehr von Ravel geprägt, schon seit meiner Jugend, mehr noch als von der originalen Klavierfassung. Auch ich wäre gespannt auf die Neufassung - aber sich bis 2011 gedulden? Auch meine Ohren warten... Wie auch immer: Viel Erfolg!

  • Zitat Edwin Baumgartner:


    Zitat

    Und wieder eine neue Instrumentierung von Modest Mussorgskijs „Bildern einer Ausstellung“! – Ja, warum denn das? Der muß ja verrückt sein…


    Ja, muss er auch! :stumm:



    Zitat Edwin Baumgartner:


    Zitat

    Gerade Mussorgskij hat das gewußt. Hätte er darstellen wollen, wie Menschen in einer Ausstellung hin- und herschlendern, dann hätte er das mit einem gezierten Thema gemacht, so etwas wie im Polen-Akt des ,Boris’.


    Hätte es Mussorgskij so darstellen wollen, dann hätte er es selbst instrumentiert - immerhin hatte er nach der Fertigstellung der Klavierkomposition noch genügend Zeit gehabt.


    Und was soll das jetzt? Mussorgskij-Historismus? Kaum auszudenken! :untertauch:



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Auch ich bin sehr gespannt, vielleicht eröffnet mir die Neuinstrumentierung wieder einen Zugang zu diesem Werk. Seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und auch kein großes Verlangen, dies zu ändern. Zumindest in Hinblick auf die Ravel-Fassung.
    Ich schätze ja die dunklen Seiten des Werkes sehr: Bydlo und die Katakomben :D


    :hello:

  • Ach was, die "Nacht auf dem kahlen Berge" ist doch auch ein Orchesterwerk von Mussorgskij und wurde von ihm selbst orchestriert. - Also Vorsicht damit, andere für dumm zu verkaufen!

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  • Zitat


    Also, vor dem Rachfeldzug, ein wenig nachdenken. Ach ne,wozu auch? Man kann ja wüst Behauptungen in den Raum stellen und sich dann nioch groß fühlen, weil man meint, man halte den Sturm der Kritiker aus... :rolleyes:


    Es gibt halt Leute, denen reicht ein Cannae nicht .... :D:D



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hmm, das war ein Versehen mit dem Punkt.


    Es kommt darauf an, Mussorgskij hat es mehrfach bearbeitet, anschließend Rimskij, der übrigens eine Menge von Mussorgskijs Werken bearbeitete.
    Mussorskij selbt besaß eine recht mangelhafte musikalische Ausbildung, die seinem Genie kein Abbruch tat, vielleicht sogar im Gegenteil.


    Das, was wir heute unter der "Nacht auf dem Kahlen Berge" kennen, ist die Instrumentierung von Rimskij. Das Original heißt denn auch "Johannisnacht (auf dem kahlen Berge). Inwieweit die Umbearbeitung durch Rimskij nötig war, sei mal dahingestellt.

  • Zitat

    Original von Caesar73
    Es gibt halt Leute, den reicht ein Cannae nicht .... :D :D
    Christian


    Da sagst Du was. Das sind auch die Leute, denen Geschichte aus Büchern oder anderen Medien nicht reicht. Die das dann noch nachstellen müssen- bitte, bitte. Wie heißt es so schön? Reisende soll man nicht aufhalten :pfeif:

  • Ich weiß selbst, dass Mussorgskij mit der Instrumentierung seine Probleme hatte. Auch dass sein Orchesterwerk "Johannisnacht auf dem kahlen Berge" heißt, ist mir nicht unbekannt.


    Fakt ist, dass es es selbst instrumentiert hat, wie auch den "Boris" (1868-1870) und (1872)


    Also erzählt nicht so einen Quatsch, dass er die "Bilder einer Ausstellung" nicht selbst hätte instrumentieren können...

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Also erzählt nicht so einen Quatsch, dass er die "Bilder einer Ausstellung" nicht selbst hätte instrumentieren können...


    Was umgekehrt allerdings auch nicht heißt, dass Instrumentierungen keine Alternative sein können.


    Damit wir uns hier richtig verstehen: Bisher habe ich die Klavierfassung jeder Instrumentierung auf Dauer vorgezogen. Nur in der Klavierfassung entfaltet der Zyklus für mich seinen ganzen Charme. Aber warum nicht offen sein für Alternativen? Edwins Überlegungen klingen für mich zumindest so interessant, dass ich mir das Ergebnis einmal anhören würde. Denn Edwin scheint sich ja nahe am Original entlang zu bewegen.


    Herzliche Grüße,
    :hello: Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zweifellos, aber wie schon gesagt: wäre es Mussorgskijs sehnlichster Wunsch gewesen, ein Orchesterfassung herzustellen, dann hätte er es bestimmt auch gemacht. Selbst mit dem Hintergrund, dass er ewig nicht mit seiner Arbeit unzufrieden gewesen wäre und es auch etliche Eigen-Bearbeitungen gegeben hätte.

  • Allerdings. Und weißt Du, LT, warum Mussorgskij die Bilder nicht instrumentiert hat??
    Und selbst, wenn er die Zeit, die richtige Einstellung etc. gehabt hätte, erschließt sich mir immer noch nicht, inwiefern das ein Argument gegen Edwins Perspektive sein soll. Hätte, Könnte, sollte.....ganz schlechte Partner in diesem Fall.
    Nicht wir sind die, die Quatsch verzapfen....


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Zweifellos, aber wie schon gesagt: wäre es Mussorgskijs sehnlichster Wunsch gewesen, ein Orchesterfassung herzustellen, dann hätte er es bestimmt auch gemacht.


    Wir bewegen uns jetzt im Reich der Hypothese, aber was wäre - und so genau kenne ich mich bei Mussorgski nicht aus- wenn er nun einfach nicht mehr dazu gekommen ist? Und selbst wenn nicht: Spannend können solche Experimente in jedem Fall sein, sie zeigen andere Faccetten eines Kunstwerks auf- oder schlimmstenfalls, dass eben noch nichts über die Klavierfassung geht.


    Die Frage: Was wäre gewesen wenn? hat in diesem Fall durchaus ihren Reiz: Denn hierin liegt der Sinn des Ansatzes: Wie hätte Mussorgski hier instrumentiert? Alleine schon aus diesem Grund ist Edwins Bearbeitung ein spannendes Experiment.


    Es gibt in der Geschichtswissenschaft einen eigenen Zweig, der sich mit dem Erstellen von alternativen Szenarien zu bekannten historischen Ereignissen beschäftigt: Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn Alexander der Große nicht mit 33 Jahren in Babylon gestorben wäre?


    Edwins Bearbeitung hat aus dieser Perspektive (auch) ihre Berechtigung und ihren Sinn: Sie ermöglicht andere Perspektiven.




    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ganz einfach: Wenn es die Intsrumentierung Mussorgskij geben würde, erübrigte sich eine so große Vielzahl von Berarbeitungen.


    Meines Wissens gibt es derzeit ca. 30 Bearbeitungen der "Bilder einer Ausstelllung", kennst du die denn alle?


    Mit Historismus in der Musik, "an dem Original dran sein" habe ich so meine Probleme. Ich bin mir ganz sicher, wenn beispielsweise Ravel es so gewollt hätte, dann hätte er auch noch näher am Original bleiben können. Es macht ja gerade die Faszination aus, eine ganz eigene Sicht auf die Komposition zu erleben.


    Ähnlich verhält es sich auch mit der Schostakowitsch-Fassung des "Boris". Schostakowitsch konnte und wollte keinen "Boris" a la Mussorgskij bis ins kleinste Detail, sondern seine ganz eigene Sicht auf die Komposition.

  • Zitat

    Original von Liebestraum


    Meines Wissens gibt es derzeit ca. 30 Bearbeitungen der "Bilder einer Ausstelllung", kennst du die denn alle?


    Nein, denn wie gesagt ziehe ich grundsätzlich die Klavierversion vor. Insofern höre ich mir Bearbeitungen der Bilder nur dann an, wenn sie mir aus irgendeinem Grunde interessant erscheinen- und das ist- nachdem Edwin hier seine Überlegungen vorgestellt hat- der Fall.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Ganz einfach: Wenn es die Intsrumentierung Mussorgskij geben würde, erübrigte sich eine so große Vielzahl von Berarbeitungen.


    Lieber LT,


    die "Bilder" sind ein eigenständiges Klavierwerk, das keiner Instrumentierung bedarf und auch nicht durch eine Instrumentierung "überholt" werden kann. Die Bearbeitungen von Mussorgsky-Werken durch Rimsky & Co. waren nicht unbedingt das, was nun Mussorgsky wollte. Sie haben allerdings auch den Ruf von Mussorgsky begründet und ihm mehr genutzt als geschadet.


    Offensichtlich hat sich dieses Klavier nicht zuletzt wegen der programmatischen Musik besonders angeboten instrumentiert zu werden (wie man Webers "Einladung zum Tanz" auch deutlich weniger als Klavierwerk kennt). Dass ein solcher Könner wie Ravel sich das Werk vornahm, hat ein Kunstwerk sui genere geschaffen.


    Zitat

    Meines Wissens gibt es derzeit ca. 30 Bearbeitungen der "Bilder einer Ausstelllung", kennst du die denn alle?


    Eine ganze Reihe kenne ich, wenn auch nicht alle. Ravels Einrichtung spielt aber noch immer eine besondere Rolle.


    Zitat

    Mit Historismus in der Musik, "an dem Original dran sein" habe ich so meine Probleme. Ich bin mir ganz sicher, wenn beispielsweise Ravel es so gewollt hätte, dann hätte er auch noch näher am Original bleiben können. Es macht ja gerade die Faszination, eine ganz eigene Sicht auf die Komposition zu erleben.


    Mir ist nicht ganz klar, wo er hätte näher am Original bleiben können - mit einer Instrumentierung schafft man seine eigene Perspektive.


    Zitat

    Ähnlich verhält es sich auch mit der Schostakowitsch-Fassung des "Boris". Schostakowitsch konnte und wollte keinen "Boris" a la Mussorgskij bis ins kleinste Detail, sondern seine ganz eigene Sicht auf die Komposition.


    ... wobei Schostakowitsch schon eine an Mussorgsky orientierte Fassung erstellte, die nicht vorgibt, dass er besser instrumentieren könnte als Mussorgsky (wie es der Rimsky-Fassung zu unterstellen ist).


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Aber vielleicht ist ja da schon eine mit dabei, die dir gefallen könnte (Ravel mal ausgenommen)...?


    Nicht zu vergessen ist ja die Horowitz-Bearbeitung des Werkes für Klavier ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Aber vielleicht ist ja da schon eine mit dabei, die dir gefallen könnte (Ravel mal ausgenommen)...?


    Sicher denkbar.


    Lieber Peter,


    Du schriebst:


    Zitat

    die "Bilder" sind ein eigenständiges Klavierwerk, das keiner Instrumentierung bedarf und auch nicht durch eine Instrumentierung "überholt" werden kann. Die Bearbeitungen von Mussorgsky-Werken durch Rimsky & Co. waren nicht unbedingt das, was nun Mussorgsky wollte. Sie haben allerdings auch den Ruf von Mussorgsky begründet und ihm mehr genutzt als geschadet.


    dem stimme ich zur Gänze zu. Andererseits: Das Bearbeitungen den "Originalen" zum Durchbruch verhelfen ist ja in der Musikgeschichte k,eine Seltenheit. Als Beispiel kommen mir da spontan Liszt´s Bearbeitungen von Schubert-Liedern in den Sinn, die diesen - unter anderem- zum Durchbruch verhalfen. Bei Mussorgski liegt der Fall ähnlich. Kennengelernt habe ich die Bilder übrigens in der Orchestererfassung Ravels- die gefiel mir durchaus, nur war ich nachdem ich das Original kennengelernt hatte, für Bearbeitungen ersteinmal verloren. Daran hat sich bis heute nichts geändert.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Nicht zu vergessen ist ja die Horowitz-Bearbeitung des Werkes für Klavier ...


    Liebe Grüße Peter



    Die kenne ich :D


    Nicht unbedingt mein Fall- aber hin und wieder durchaus unterhaltsam :D


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber Peter,


    Zitat Peter:


    Zitat

    Webers "Einladung zum Tanz"


    heißt "Aufforderung zum Tanz"


    Mit am Original dranbleiben, meine ich Edwins spekluative Äußerungen, wie er sich vorstellen könnte, wie Mussogskij es instrumentiert haben könnte:


    Zitat Edwin:


    Zitat

    Die russische Sprache hat völlig unregelmäßige Betonungen und Akzentverschiebungen. Gerade Mussorgskij hat das gewußt. Hätte er darstellen wollen, wie Menschen in einer Ausstellung hin- und herschlendern, dann hätte er das mit einem gezierten Thema gemacht, so etwas wie im Polen-Akt des ,Boris’.


  • Vielen Dank für die Korrektur, ich habe flugs aus dem Französischen "rückübersetzt".

  • Also noch ein paar Anmerkungen: Liebestraum, böse auf mich (kein Wunder nach seinem von mir mitverursachten Regietheater-Cannae), kennt nicht nur die bewußte "Aida"-Aufführung nicht, sondern auch nicht die ganze Wahrheit über die "Bilder".
    Schade, wieder ein Fall von "Si tacuisses..."


    Was nun Liebestraums Einwand betrifft:

    Zitat

    Mit am Original dranbleiben, meine ich Edwins spekluative Äußerungen, wie er sich vorstellen könnte, wie Mussogskij es instrumentiert haben könnte:


    Entweder hat Liebestraum ungenau gelesen oder absichtlich mißverstanden. Da es alle anderen jedoch verstanden haben, halte ich mich mit einer nochmaligen Erklärung nur dann auf, wenn Liebestraum meine Ausführungen zu Beginn des Threads partout nicht nochmals lesen mag.



    Ravel hat gute Arbeit geleistet - aber er hatte nicht Mussorgskijs originale Klavierfassung als Vorlage, sondern eine korrumpierte Ausgabe. Das mag die Fehler dieser Fassung erklären - nicht die instrumentationstechnischen, aber die vielen Ungenauigkeiten, Taktverschiebungen etc. Es ist außerdem gut, Ravels Fassung als Mussorgskij/Ravel zu bezeichnen, weil Ravel an einigen Stellen Hinzufügungen vornimmt, um einen bestimmten Klang zu erzeugen, der so mit Sicherheit nicht gemeint war. Ravels Fassung ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Es ist, wie ich schon ausführte, eine legitime Herangehensweise, die mir aber nicht liegt.


    Völliger Unsinn ist Liebestraums These, "wenn Mussorgskij gewollt hätte, hätte er es selbst gemacht". Mussorgskij hat das Werk zweifellos für seinen eigenen Klaviervortrag komponiert. Ob er und was er damit weiter gemacht hätte, wenn er länger gelebt hätte, weiß niemand. Tatsache ist, daß Mussorgskij neue Versionen älterer Stücke anfertigte ("Salammbô" -> "Boris"; "Mlada" -> "Johannisnacht" mit Chor -> "Johannisnacht" ohne Chor -> "Johannisnacht" im "Jahrmarkt"). Tatsache ist ferner, daß er nach dem "Boris" überhaupt nichts mehr instrumentierte, sondern allenfalls ältere Instrumentierungen retuschierte.


    Tatsache ist, daß in einigen der "Bilder" das Klavier nicht alle Ideen wiedergeben kann. Paradebeispiel ist das Große Tor ab T.136, wo man im Klavier nur Akkorde hört, aber kaum noch das Thema. Spielt der Pianist die Stelle etwas schneller, erkennt man den Zusammenhang besser, sie wirkt aber hastig. Eine für mich noch wichtigere Passage ist "Katakomben": Das Klavier kann die Akkorde nicht so lange aushalten, wie Mussorgskij es vorschreibt, und seine Dynamikbezeichnungen sind mit dem Klavier aus technischen Gründen nicht durchführbar. In "Con mortuis" wiederum spielt die rechte Hand ein Tremolo, das seltsam dünn klingt, dabei aber stark an den Tod des "Boris" (Originalfassung) erinnert - ich bin sehr sicher, daß Mussorgskij hier eine bestimmte Klangvorstellung hatte, die auf dem Klavier aber nicht anders realisierbar war (es sei denn, man nimmt viel Pedal - aber dann verschwimmt die linke Hand).


    Soll heißen: Das Werk ist in der Klavierfassung natürlich ein Meisterwerk und bewunderungswürdig komponiert. Es hat jedoch Facetten, in denen bestimmte Strukturen in einer instrumentierten Version deutlicher werden.


    Abgesehen davon ist es eine unglaublich spannende Arbeit.



    Etwas Anderes ist die "Nacht": Hier eine Neufassung anzufertigen, ist eine heikle Sache, denn es gibt Mussorgskijs Original. Dieses ist brillant komponiert und gar nicht schlecht instrumentiert, es hat nur einen Nachteil: Es ist wesentlich schwächer als die Chorversion - die ihrerseits wiederum nicht sehr gut instrumentiert ist, z.B. wenn es um die Mittelstimmen geht, die oft sehr eng beisammenliegen, wodurch ein etwas stumpfer, "mehliger" Klang erzeugt wird. Sollte ich diese Arbeit wirklich machen, ginge ich von der Chorversion aus und würde überlegen, ob und wie man aus ihr ein symphonisches Stück bauen kann, dessen Steigerungswelle intensiver verläuft als das Original. Es gäbe eine Möglichkeit durch Vermeidung der wörtlichen Wiederholung der Repetition, aber das ist ein ungelegtes Ei, zumal ich erst dabei bin, die Originalfassung wirklich zu "lernen".


    ***


    Zur Frage, weshalb Stokowski ausgeschieden ist: Nun, weil er die "Tuilleries" hinausgeschmissen hat, ebenfalls massenhaft klangliche Zusätze anbringt und obendrein ein so großes Orchester verlangt, daß Zusatzmusiker engagiert werden müßten. Gegen diese Fassung sprechen also auch praktische Gründe.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    das im Opern-Thread ist die eine Sache, hier ist es eine andere. Aber auch hier habe ich meine Meinung und meinen Standpunkt. Ich weiß zu trennen - was allerdings nicht jedem hier gelingt... Schade eigentlich.


    Ich finde, dass es bereits genügend Bearbeitungen der "Bilder" gibt. Die einen sind gut, andere eher zufriedenstellend, manches geht gar nicht, je vom Standpunkt des Betrachters heraus gesehen. Die Vorstellung, die Ravel-Fassung toppen zu wollen finde ich schon einen eher unangemessenen Anspruch. Denn welchen Zweck sollte sonst eine neuerliche Bearbeitung haben? Man darf hierbei ja nicht vergessen, dass sich die Ravel-Fassung ins Gehör gespielt und dadurch auch international durchgesetzt hat.

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