Wer wird Superstar? – Haydns "Le Pescatrici"

  • Haydns vierte erhaltene Oper „Le Pescatrici“ (Die Fischerinnen) gibt es derzeit nur als Raubkopie einer 1965 erschienenen Aufnahme mit dem Netherlands Chamber Orchestra unter Alberto Erede zu kaufen, natürlich ohne Booklet. Immerhin findet man das Libretto von Goldoni unter http://www.librettidopera.it/zps_gol/Z_pdf/Pescatrici.pdf. Da hier nicht alle Italienisch können, bringe ich eine kurze Inhaltsangabe.


    Personen:
    Mastricco, Fischer, Dorfältester
    Eurilda, vermeintliche Tochter von Mastricco
    Nerina, junge Fischerin, Schwester von Frisellino und Freundin von Burlotto
    Lesbina, junge Fischerin, Schwester von Burlotto und Freundin von Frisellino
    Burlotto, Bruder von Lesbina und Freund von Nerina
    Frisellino, Bruder von Nerina und Freund von Lesbina
    Lindoro, Prinz von Sorrent


    Ort: Ein Fischerdorf an der Küste in der Nähe von Tarent



    Erster Akt


    Burlotto und Frisellino schenken ihren Freundinnen als Beweis ihre Liebe eine Meeräsche bzw. einen Umber (das sind Mittelmeerfische). Die Frauen streiten sich, welcher Fisch der schönere und anschließend, wer die attraktivere Frau sei. Es werden diverse Vergleiche gemacht zwischen Fische fangen, Netze auslegen, Männer umgarnen, etc.


    Eurilda tritt auf und erklärt, dass sie mit Männern und Liebe nichts am Hut hat. Mastricco, ihr vermeintlicher Vater, tadelt diese Einstellung. Als er allein ist, erfährt der Zuschauer, dass Eurilda nicht seine Tochter ist. Sie wurde ihm als Kleinkind übergeben und von ihm großgezogen, wovon weder sie noch die anderen Dorfbewohner etwas wissen.


    Lindoro kommt mit dem Schiff und größerem Gefolge im Fischerdorf an. Mastricco möge die Leute zusammenrufen, er (Lindoro) habe ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Er sucht die verschollene Erbin von Benevento, wovon zunächst aber nur seine Gefolgschaft weiß.


    Nerina beklagt sich bei Mastricco, dass ihre Mutter ihr keinen Mann geben will. (Hinweis: In meiner Aufnahme ist hier Nerina durch Lesbina ersetzt, wahrscheinlich weil man kurz davor eine Arie von Lesbina gestrichen hat.) Mastricco verspricht, mit der Mutter zu reden.


    Die Dorfbewohner sind nun versammelt, Lindoro kommt, um den Grund seines Besuches mitzuteilen. Nerina und Lesbina finden ihn sehr attraktiv, selbst Eurilda nimmt eine gewisse, sie selbst überraschende Gefühlswallung wahr. Lindoro erklärt, dass vor 15 Jahren der Fürst Casimiro vom Tyrannen Oronte um Thron und Leben gebracht wurde. Die gerade geborene Thronerbin konnte gerettet werden. Inzwischen ist Oronte gestorben, und Lindoro sucht nun die verschollene Erbin, um sie auf den Thron zu führen. Nerina und Lesbina hoffen jeweils, die Thronerbin zu sein, Eurilda sieht das eher neutral, nur Mastricco weiß Bescheid.


    Nerina und Lesbina sind immer mehr von sich überzeugt, zu Höherem geboren zu sein, unterstützt jeweils vom Bruder. Für den Bruder ist es natürlich toll, wenn die Schwester in Wirklichkeit eine Prinzessin ist. Allerdings scheinen sie zu verdrängen, dass der jeweilige Freund ggf. dann zum Teufel gejagt wird...


    Zweiter Akt


    ...was ihnen aber bald klar wird. Zunächst entscheidet Burlotto, seine Schwester Lesbina zur Thronerbin zu erklären, und tischt Lindoro eine entsprechende Lügengeschichte auf. Lindoro bliebt misstrauisch, zumal ihm gleich darauf eine ähnliche Geschichte von Frisellino bzgl. dessen Schwester Nerina erzählt wird.


    Lindoro fragt beim Dorfältesten Mastricco um Rat. Dieser erklärt ihm, dass die wirkliche Prinzessin seine Ziehtochter Eurilda ist. Lindoro glaubt nun natürlich gar nichts mehr und beklagt sich bei Mastricco, dass es schon zwei andere vermeintliche Prinzessinnen namens Nerina bzw. Lesbina gibt. Mastricco macht sich daraufhin Sorgen um Eurilda.


    Lesbina bereitet sich schon mal auf ihr vermeintlich zukünftiges Leben als Adlige vor. Sie trifft auf Lindoro, es kommt zu einem recht witzigen Gespräch (in meiner Aufnahme fast komplett gestrichen). Beispiel: „Ich fühle mich zu Ruhm bestimmt, Anstrengungen sind mir zuwider.“ – „Das kann auch einfach nur Faulheit sein.“


    Lindoro denkt nach, da trifft er auf Nerina. Auch sie erklärt ihm, sie sei die Thronerbin. Und überhaupt: „Alles langweilt mich, nicht gefällt mir, nur wenn ich von Zeptern, Kronen, Prunk und Großartigkeit reden höre, fühle ich mich vor Freude jubeln.“ – „Das reicht nicht, meine Tochter.“ Lindoro ist nun ratlos.


    Das Dorf muss sich ein weiteres Mal versammeln, damit endlich die Wahrheit herausgefunden wird. Lindoro möchte Geschenke verteilen: Silbergeschirr, wertvoller Schmuck, Goldmünzen und das mit Edelsteinen verzierte Messer, mit dem damals der Prinz Casimiro (d.h. Eurildas Vater) ermordet wurde. Das Messer hat noch Blutspuren. Lesbina und Nerina nehmen Schmuck, Burlotto und Frisellino Geschirrteile, Mastricco entscheidet sich für die Münzen. Eurilda fühlt sich zu dem Messer hingezogen. Als sie es in die Hand nimmt, wird sie ohnmächtig.


    Damit ist die Sache klar, Eurilda ist die gesuchte. Burlotto und Frisellino machen sich über ihre jeweilige Freundin lustig und bestrafen sie mit Liebesentzug, aber am Ende versöhnen sie sich.


    Dritter Akt


    Lindoro wird Eurilda heiraten, Mastricco wird die beiden begleiten, und alles wird gut.


    Burlotto und Frisellino wollen ihren Freundinnen aber noch einen Streich spielen. Sie verkleiden sich und geben sich als adlige Kavaliere aus. In diesem Aufzug machen sie Lesbina und Nerina als „Burbanicolo“ und „Barapendicolo“ den Hof. Diese lassen sich noch schneller als Fiordiligi und Dorabella bei Mozart verführen, wobei der jeweilige (Ex-)Freund durchaus sein Fett abbekommt: „Er war plump und machte einen auf schön“ – „Er gefiel mir mal, aber jetzt interessiert er mich nicht mehr.“


    Lindoro, Eurilda und Mastricco verabschieden sich. Von Burlotto und Frisellino werden sie kurz aufgehalten, damit sie – unter den Augen von Nerina und Lesbina – ihre geliehenen vornehmen Kleider zurückgeben können. Die beiden Frauen erkennen, dass sie reingelegt worden sind. Burlotto und Frisellino machen ihnen natürlich schwere Vorwürfe. Mastricco versöhnt sie.


    Am Ende lieben sich alle wieder:


    Così le pescatrici,
    nel loro amor felici,
    avran contento il cor.


    (So haben die Fischerinnen,
    glücklich in ihrer Liebe,
    ein zufriedenes Herz.)



    Thomas Deck

  • Auch bei den Pescatrici (wie bei allen Haydn-Opern) bin ich der Meinung, dass das Textbuch zu wenig hergibt, um *heute* noch jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken, wenn man es "originalgetreu" (was immer darunter zu verstehen ist) umsetzt.


    Bitte aber in *diesem* Thread keine Diskussion zum Regietheater, gerne aber, ob meine These bei den "Pescatrici" geteilt wird.


    Anders gefragt: Wie würdet ihr diese Oper inszenieren? Falls traditionell, dann bitte mit Angabe, warum sich die Leute das *langfristig* anschauen sollen.


    Meine eigene Idee steckt bereits im Betreff: Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" (gibt es sowas auch in Österreich oder der Schweiz?) drücken die Sehnsucht von Leuten aus, irgendwann auf einen Schlag berühmt zu werden. Das gab's wohl auch schon im 18. Jahrhundert. Haydn ist eben zeitlos.



    Falls sich jetzt keine Profi- oder Hobby-Regisseure melden:


    Die Oper läuft derzeit in Wien (Kammeroper), Premiere war gestern (21.2.09). Ich werde erst die letzte Vorstellung (21.3.) besuchen. Sonst noch jemand? Bis dahin habe ich keine Ahnung, wie in Wien inszeniert wird.


    Jedes rechtschaffene Tamino-Mitglied aus Wien wird sich ja hoffentlich die Oper ansehen. Dann könnte er/sie über die Inszenierung berichten...



    Thomas Deck


    PS: Im Sommer gibt es eine weitere Inszenierung dieser Oper in England (Bampton). Da muss man wohl auch hin...

  • Problematisch oder auch interessant, wie man's nimmt, ist bei dieser Oper die Tatsache, dass sie nicht vollständig erhalten ist. Konkret:


    Im ersten Akt sind manche Arien unvollständig, im zweiten Akt fehlen mehrere Teil ganz. Daher wurden von unterschiedlichen Leuten die Fragmente ergänzt bzw. längere Passagen neu komponiert.


    In meiner Aufnahme von 1965 zeigt sich dies auf verschiedene Art:


    - Im ersten Akt hat man bei 1-2 Arien den Eindruck, der Sänger weiß nicht mehr, wie es weitergeht. Es ist nicht gravierend, aber man sieht doch, dass Haydn nicht nur gute Einfälle hatte, sondern diese auch zu einem überzeugenden Ende zu bringen wusste.


    - Im zweiten Akt wurde den "Ergänzern" mehr abverlangt, mit nicht immer überzeugendem Ergebnis. Z.B. wurden als Ersatz für fehlende Arien manche Rezitative "durchkomponiert", das klingt schon etwas komisch.


    - Cool: Eurildas Arie "Quanti diversi affetti" wurde von H.C. Robbins Landon komplett neu komponiert, und das kann sich durchaus hören lassen. Sie ist zwar nicht sehr komplex, aber insgesamt durchaus gelungen.



    Ich weiß natürlich nicht, ob bei der aktuellen Inszenierung in Wien auch neueres Material verwendet wurde, aber es ist auf alle Fälle spannend, wenn man versucht, den originalen Haydn vom Haydn-Imitat zu unterscheiden.


    Ich rufe die Wiener nach wie vor dazu auf, eine Vorstellung zu besuchen und ihre Eindrücke zu schildern...



    Thomas Deck

  • Nun also zur Aufführung in der Wiener Kammeroper vom 21.3.09. Ich war ziemlich begeistert.


    Erst mal zum Schwachpunkt: In der Anfangsphase wurde der italienische Text stark verfälscht übersetzt, das war schon krass. In sich schlüssiges Regietheater, aber der originale Text wurde beibehalten, nur die deutschen Übertitel neu gedichtet. 99% der Leute haben das nicht bemerkt, weil sie den Originaltext nicht kennen, kein Italienisch können und die Oper nicht 5 mal vorher angehört und dabei mitgelesen haben. Wien ist übrigens voll von italienischen Touristen, falls von denen einer in die Kammeroper ging, hat er eine andere Aufführung gesehen.


    Das Regiekonzept überzeugte: Arbeitslosigkeit nach Schließung einer Fischfabrik, die beiden Frauen (Lesbina und Nerina) wurden von ihren Macho-Freunden (Frisellino und Burlotto) zur Prostitution angehalten. Da kam der reiche Mann (Lindoro) auf der Suche nach einer Frau gerade recht. Ab da passten auch wieder die deutschen Übertitel zum gesungenen italienischen Text.


    Das Ensemble war nicht so homogen wie bei der "Fedeltà premiata" in Zürich, aber in der Spitze fast besser. Jennifer Davison (Lesbina) und Auxiliadora Toledano (Nerina) fand ich genial. Letztere ist vermutlich die hübscheste, charmanteste und attraktivste Frau (subjektiv!), die ich je auf einer Opernbühne gesehen habe. Außerdem sang und spielte sie toll, und Jennifer Davison stand ihr kaum nach. Ihre beiden Partner kamen da nicht ran, teilweise war das aber auch von der Regie so gewollt. Ebenfalls genial, vor allem auch schauspielerisch: Sebastian Huppmann als Lindoro.


    Es wurde fast die gleiche Version wie auf meiner Aufnahme von 1965 gespielt. Die bereits geschilderten problematischen nicht von Haydn stammenden Ergänzungen waren zwar zu erkennen, fielen aber kaum negativ auf. Live ist einfach was anderes, zumal eine wirklich blöde Kavatine von Lesbina ("Oh questa sì ch'è bella") im ersten Akt angenehmerweise gestrichen wurde. Die Oper hat wesentlich mehr Potenzial, als ich dachte.


    Im Vergleich zu Zürich fand ich gut, dass es auch ernste Momente gab, bei gleicher Spielfreude des Ensembles.


    Insgesamt bin ich schwer beeindruckt vom Niveau dieses eher kleinen Hauses.



    Thomas Deck


    PS: Die Oper wird im Juli auch in Bampton/Oxfordshire in einer eigenen Inszenierung gespielt. Da muss ich wohl hin, auch wenn die Latte hoch hängt...