Programm-Musik und "deutsche" Musik

  • Nachfolgend mal einige Betrachtungen zur Abwehrhaltung gegenüber der Programm-Musik (bzw. malenden Musik) im 18. und 19. Jahrhundert unter einer bislang gerne vernachlässigten Perspektive. Vielleicht reizt es ja ein wenig zur Diskussion:


    Die Abwehr der malenden musikalischen Naturnachahmung ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht nur durch das Dispostiv der ‘Verschönerungsästhetik’ bestimmt. Die Bevorzugung des ‘reinen’ Instrumentalstils ist verbunden mit der Bemühung um eine typisch deutsche Musik. Es findet eine Besinnung auf angeblich deutsche Tugenden wie Tiefsinnigkeit und Gründlichkeit statt, die für das Komponieren leitend sein sollen.


    „Ernsthaft, arbeitsam, künstlich, ausgearbeitet und nachdrücklich“, dies sollen die charakterisierenden Merkmale des „deutschen Styls“ sein, der in seiner Art einzigartig sei. Verbunden mit der Heraushebung der angeblich deutschen Qualitäten ist eine Abwertung der Musik vor allem aus italienischer und französischer Produktion. Carl Ludwig Junker demonstriert diese Haltung an einer Lobpreisung Carl Philipp Emanuel Bachs: „Aber man hat gesagt Bachens Stücke sind zu lang - schwehr, tiefsinnig, und weit hergesucht! (...) tiefsinnig? - desto besser! Gegenmittel für die lose Speise des Galliers!“ Ernsthaft und arbeitsam sollen nicht nur die Kompositionen sein, auch dem Hörer werden diese Tugenden abverlangt, will er sich eines wahren Kunstgenusses versichern. Es ist „nothwendig, daß man sich vorher auch als Zuhörer zu einem solchen Stücke zubereite; sich von der Wichtigkeit der Sache, die nun abgehandelt werden soll, überzeuge, gleich dem Componisten, ehe er zu arbeiten anfängt, und daß man sich auch gleich ihm vor aller Zerstreuung während dem Stücke hüte“. Eine „Angst vor dem Verfall der Kunst“ verbreitet sich unter Musikgelehrten und Komponisten. Dem Publikum wird ein „verderbter“ Geschmack unterstellt, da es ausschließlich nach „Modekomponisten“ verlangt: „Das träge und frivole Publikum (...) mag sich lieber etwas süß vorschmeicheln und vorgaukeln, als vorarbeiten und vordenken lassen, mag lieber leichte Sachen, die den Ohren wohlthun, behaglich genießen, als mitdenken und richtig empfinden.“


    Bedient wird das Publikum mit diesem „Ohrenkützel“ durch Produktionen italienischer oder französischer Herkunft: „Alles dieses verhindert uns auch nicht, zu sagen: daß die Italiener meistentheils an dem Verfalle Schuld haben, in welchem die Musik bey gelehrten und vernünftigen Leuten gerathen ist.“ Gerade das in der französischen Musik noch weit verbreitete und beliebte ‘Malen’ gerät in Konflikt mit dem Streben nach ‘deutscher’ Kunstreinheit. Die Abwehrhaltung einiger Komponisten geht soweit, daß eigene Kompositionen in gewissen Maßen verleugnet werden. Exemplarisch für diese Haltung ist Haydns Einwurf gegen das nachgeahmte Quaken in Nr.18 (T.53ff.) seiner ‘Jahreszeiten’: „Diese ganze stelle als eine Imitazion eines frosches ist nicht aus meiner feder geflossen; es wurde mir aufgedrungen diesen französischen Quark niederzuschreiben.“


    Die Kombination von deutscher Superioritätsvorstellung und abqualifizierender Denunziation ausländischer Musikprodukte ist besonders in Forkels Verherrlichung der Musik Johann Sebastian Bachs erkenntlich. Bereits der Untertitel der Forkelschen Bach-Biographie (‘Für patriotische Verehrer echter musikalischer Kunst’) zeigt, wie ‘echte’ Kunst und Patriotismus zusammengedacht werden, woraus sich explizit die ungeschriebene Fortspinnung von ‘falscher’ Kunst und ‘Undeutsch’ folgern läßt. In seiner Vorrede wird Forkel noch deutlicher: „Die Werke, die uns Joh. Seb. Bach hinterlassen hat, sind ein unschätzbares National-Erbgut, dem kein anderes Volk etwas ähnliches entgegensetzen kann.“


    Nach Ansicht deutscher Musikideologie geht es den ausländischen Komponisten und ihrem Publikum nicht um die Musik ‘an sich’, um das tiefsinnige Ausloten immanenter Formzusammenhänge, vielmehr begnügen sie sich mit auf die Musik applizierten Äußerlichkeiten. Der hämische, national gefärbte Unterton in Robert Schumanns Kritik der ‘Symphonie fantastique’ zeigt, daß sich diese Haltung im 19. Jahrhundert keineswegs ändert, sondern eher noch verstärkt: „Berlioz schrieb indes zunächst für seine Franzosen, denen mit ätherischer Bescheidenheit wenig zu imponieren ist. Ich kann sie mir denken mit dem Zettel in der Hand nachlesend und ihrem Landmann applaudierend, der alles so gut getroffen; an der Musik allein liegt ihnen nichts.“


    Die Schumannsche Formel der ‘Musik allein’ wird im 19. Jahrhundert zum Inbegriff der deutschen Musik, wo hingegen die musikalische Welt um den deutschen Nabel herum bis zur heutigen Musikgeschichtsschreibung als qualitativ weniger tragfähig beschrieben wird. Der hier auftretende Nationalismus wird geschickt verdeckt, indem gerade anderen Nationen das musikalische Etikett der ‘nationalen Schule’ aufgedrückt wird. Nur die Deutschen haben keine nationale Schule, denn sie haben ja die Musik.


    Erstmal so weit


    Gruß vom Wiesengrund