Basel, Stadttheater, "Der fliegende Holländer", Wagner, 18.01.09

  • Als vor zwei Jahren Philipp Stölzl in Salzburg den „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz inszenierte, musste der filmemachende Bühnenbildner, der auch schon Video-Clips und Werbefilme gedreht und Musicals geschrieben und selbst inszeniert hat, viel Kritik einstecken. Auch hier im Forum hagelte es Unfreundlichkeiten. Dem „Benvenuto Cellini“ war auf der Opernbühne eine Stölzl-Inszenierung des „Freischütz“ von Carl-Maria von Weber in Meiningen vorangegangen, es folgte dem Berlioz-Werk in der vergangenen Spielzeit ein radikal ins Heute verlegter „Faust“ von Charles Gounod in Basel.


    Dort, in Basel, hatte nun gestern eine weitere Opern-Inszenierung von Philipp Stölzl Premiere, „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner.


    Gleich zu Beginn öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf eine grosse, die ganze Bühne umfassende, holzgetäfelte Bibliothek frei, links ein massiver Schreibtisch, davor ein Globus, rechts eine Sitzecke mit schweren Sesseln und einem Sofa, an der rechten Seite ein Kamin, im Hintergrund in einem der Regalfächer erkennbar die gutsortierte Getränkebar des Hauses Daland. Fast die ganze Rückwand dieser Bibliothek wird von einem riesigem Gemälde ausgefüllt, das sturm- und meerumtobte Felsen zeigt.


    Die ganze Szene ist weit nach vorne gezogen, sodass die Bühne zuerst nur einen relativ schmalen Streifen zeigt. Das Interieur deutet es schon an: wir befinden uns etwa im Jahr 1843, der Uraufführungszeit des „Fliegenden Holländers“ und es gehört auch wenig Phantasie dazu, um festzustellen, dass hier kein Seemann, sondern wohl ein reicher Kaufmann wohnt.


    Es ist dunkel, die Kronleuchter an der Decke sind ausgeschaltet, es ist Nacht in Dalands Haus. Mit dem Einsetzen des Holzbläsermotivs während der Ouvertüre öffnet sich die Tür im rechten Hintergrund, mit einem Kerzenleuchter in der Hand betritt die junge Senta in der Unterbekleidung den Raum und zieht aus einem der Regale links einen übergrossen Folianten hervor, mit dem sie sich in den Sessel rechts zurückziehen wird. Sie versinkt in diese wohl schon oft gelesene Geschichte vom „fliegenden Holländer“, erträumt sich eine Erlösung aus ihrem repressiven, familiären Umfeld durch die Hingabe an eine Spukgestalt, die selbst der Erlösung bedarf.


    Schon hier wird klar, dass die Handlung des „fliegenden Holländers“ in Basel aus der Perspektive der Senta zu erleben sein wird, sie ist der omnipräsente Mittelpunkt der Inszenierung.


    Gegen Ende der Ouvertüre schläft Senta ein, das Buch fällt ihr aus den Händen. Da öffnet sich das Bild im Hintergrund. Was eben noch als zweidimensionales Gemälde zu sehen war, ist jetzt im Bilderrahmen als dreidimensionaler Bühnenaufbau zu sehen. Bilderbuchseeleute ziehen ein Schiff von rechts herein, Daland ist zu erkennen, er hält ein ausziehbares Fernrohr in der Hand, der Steuermann kann ausgemacht werden. Nach-und-nach tritt die Mannschaft aus dem Bild heraus und kommt nach vorne in die Bibliothek. Daland schläft in einem Sessel, der dem von Senta am nächsten steht, ein.


    Von links kommt nun das Holländerschiff hereingefahren, grösser, als das von Daland, Skelette sind am Rumpf erkennbar, bedrohlich ragt die Spitze in die Bibliothek hinein. Das Schiff ist ganz schwarz und die Gallionsfigur leuchtet leicht rötlich.


    Zuerst ist nur die Stimme des Holländers zu hören, dann sieht man ihn anstelle Dalands im Sessel sitzen. Senta erschrickt und flieht unter den Schreibtisch. Der Holländer, ein schwarzer Bass, hat rechts einen Haken, anstatt einer Hand und links ist die Hand ganz aus Silbermetall.


    Mit seinem Haken wird er die Weltkugel, die vorm Schreibtisch steht, an sich reissen und mit ihr vor den Sesseln zusammensinken. Die Handlung läuft dann so ab, wie man das in jeder konventionellen Inszenierung zu sehen bekäme – die Mannschaft des Holländers sind Gestalten aus einem B-Horrorfilm, Daland ist vom Schatz mehr als angetan und bringt schon mal die oben liegenden Stücke in Sicherheit, nur allzu bereit, die Tochter aus rein materiellen Gründen an einen reichen Fremden zu verhökern.


    Am Ende des ersten Aktes ziehen die beiden Schiffe mit ihren jeweiligen Mannschaften davon, das Bild schliesst sich wieder.


    Der Tag im Haus Daland bricht an, die Dienstmädchen unter Anleitung der gouvernantenhaften Frau Mary beginnen mit den Reinigungsarbeiten, während sich das gnädige Fräulein Senta unter dem Tisch verkriecht. Senta wird der Tee serviert, dann muss sie angezogen werden. Das blaue Kleid, in das man Senta brutal zwingt, ist nichts weiter als eine Art Gefängnis für ihren Körper.


    Mit dem schon bekannten Folianten in den Händen singt Senta (hier sieht man nun nicht mehr die fast noch kindliche Darstellerin aus dem ersten Akt, sondern ein eindeutig „spätes Mädchen“ mit unvorteilhafter, matronenartiger Figur und langem Blondhaar) die „Ballade“.


    Erik kommt dazu, kein Jäger, eher ein Konturist mit den dazugehörigen Ärmelschonern. Wenn Erik erzählt, wie er Daland gesehen hat, mit einem Fremden im Schlepptau, der wohl als Bräutigam für Senta gedacht ist, öffnet sich wieder das Hintergrundsgemälde und man sieht, was Erik berichtet – und zwar so, wie es sich Senta vorstellt. Links Erik auf dem Felsen, rechts Daland und der Holländer, dazwischen die junge Senta, die sich dem Holländer an den Hals wirft. Dieser wird mit einem gezielten Schnitt mit seinem Haken Senta die Kehle durchschneiden. Das Gemälde schliesst sich wieder.


    Wenn jetzt Daland den Raum betritt, sieht man eben keinen Seemann, sondern einen reichen Kaufmann mit Zylinder und Gehrock, der keinen „Holländer“ dabei hat, sondern einen ältlichen, kräftig gebauten, ebenfalls wohlhabenden Mann, den Daland als Schwiegersohn einführen wird. Ein Getränk wird gereicht, eine Zigarre angeboten und auch angenommen.


    Senta ist ob dieser Entwicklung entsetzt – als der Fremde ihr den Verlobungsring reicht, zögert sie. In diesem Moment öffnet sich das Bild wieder und man sieht, verkleinert, die identische Bibliothek, wie im Vordergrund, links in der Mitte der Holländer, rechts, parallel zur Sängerin unten, das junge Senta-Double. Senta flieht in ihre Phantasiewelt. Jede Bewegung der singenden Senta entspricht der Aktion, die im Bild zu beobachten ist, unten ohne Partner (der echte Bräutigam sitzt rauchend und wartend auf dem Sofa), oben in der Interaktion mit dem Holländer, der Senta ein Brautkleid reichen wird, dass die junge Senta überstreift.


    Beim grossen Duett Senta-Holländer öffnet sich auf der zweiten Ebene das rückwärtige Bild und gibt den Blick auf das Universum frei, die Bücher und die Möbel werden in den Raum gezogen.


    Allein, die Realität holt die träumende Senta sofort ein: Daland zwingt den Finger seiner Tochter in den Ring des Bräutigams.


    Im dritten Akt wird Verlobung gefeiert. Senta ist sturzbetrunken, sie taumelt mit der Flasche in der Hand herein, auch ihr zukünftiger Ehemann hat ordentlich gebechert. Beide schlafen auf dem Sofa ein.


    Die Verlobungsgäste, die Herren in Frack und Zylinder, die Damen in schwarzen Kleidern, auch schon nicht mehr nüchtern, machen sich einen Scherz mit dem eigentümlichen, schlafenden Paar und versuchen vergeblich die beiden mit ihren Gesängen zu wecken. Sentas Buch wird zerfleddert.


    Senta, endlich wachgeworden, versucht ihr geliebtes Buch zu retten, klaubt die herausgerissenen Blätter zusammen. Sie imaginiert ihre Traumwelt: das Gemälde gibt jetzt den Blick direkt auf das Deck des Holländer-Schiffes frei. Die Spukgestalten bedrängen die Verlobungsgesellschaft, mit einem Schwert wird Senta immer wieder auf den Steuermann einstechen.


    Nachdem sich die Szene beruhigt hat, taucht Erik auf – er hat seinen Koffer gepackt und stellt einen Abschiedsbrief auf den Kamin. Da entdeckt er Senta. Wie schon im zweiten Akt doppelt sich die Handlung auf der zweiten Ebene im Bild. Der Holländer führt all jene Frauen vor, die ihm die „ewige Treue“ nicht gehalten haben. Sie bevölkern den Bauch des Schiffes, so etwa, wie die Frauen des Blaubart dessen Schloss.


    Mit einer Scherbe schneidet sich die singende Senta die Arme auf, hier noch mehr Boderline, als Selbstmordversuch, Der Hausgesellschaft von Daland gelingt es nicht, Senta zurückzuhalten – mit einem Messer schneidet sie sich die Kehle durch, während das Double im Kuss mit dem Holländer für beide die Erlösung bringt.


    Das Stärkste an dieser Produktion ist das Bühnenbild – dieses gestaffelte, dreigeteilte Zimmer macht viel Eindruck und ist ein wirklich toll umgesetzter Einfall.


    Die eigentliche Inszenierung leidet nicht nur an einer gewissen Starre der Personenführung, sie bleibt auch interpretatorisch, gemessen an den letzten Inszenierungen des Stückes an anderen Bühnen, hinter den Möglichkeiten dieser Oper zurück. Das wird besonders deutlich, wenn man jene Inszenierung zum Vergleich heranzieht, die den selben Ansatz verfolgt, nämlich die „Holländer“-Inszenierung von Harry Kupfer aus Bayreuth. Da, wo es Kupfer mit Lisbeth Balslev und Simon Estes gelingt, psychologisch in die Tiefe zu gehen, wo das albtraumhafte z. B. im dritten Akt zur körperlich spürbaren Bedrohung wird, bleibt Stölzl oberflächlich-plakativ.


    Dennoch ist das eine gut ansehbare, nachvollziehbare Inszenierung geworden, die dem Zuschauer nichts zumutet, aber auch nichts abverlangt. Gut zwei Stunden gibt es immer etwas zu sehen, Langeweile kommt keine auf. Wozu der Regisseur allerdings eine Choreographin verpflichtet hat, bleibt dem Berichtenden unklar. Das, was ich gesehen habe, sollte ein Regisseur ohne fremde Hilfe hinbekommen.


    Die musikalische Leitung lag in den Händen des Mannheimer GMD Friedemann Layer, der zügige Tempi bevorzugte und auf einen klar strukturierten Klang setzte. Vieles im Orchester missriet an diesem Premierenabend, vielleicht finden die Basler Sinfoniker noch im Laufe der Aufführungsserie zu einem besseren Gesamteindruck.


    Der Chor konnte Stimmstärke suggerieren – das geschlossene Bühnenbild half da kräftig mit. Die Herren waren den Damen gegenüber etwas im Vorteil und gegen Ende schlichen sich dann leichte Ermüdungserscheinungen ein.


    Ein interessanter Holländer der Bassbariton Alfred Walker – eine grobkörnige, charakteristische Stimme, die zwar farblich etwas schmal bleibt, aber sich den Anforderungen gut gewachsen zeigte und sowohl in der Tiefe, als auch in der Höhe überzeugen konnte. Dynamische Schattierungen kommen hoffentlich noch hinzu.


    Nicht ideal die strahlkräftige Senta von Kirsi Tiihonen- darstellerisch streifte sie mehr als einmal mit einer überzogenen Mimik die Karikatur – an manchen Stellen war ein freizügiger Umgang mit den Noten zu hören, bei einer insgesamt wenig mädchenhaften Klanggebung.


    Einmal mehr ein Schwachpunkt der Erik von Thomas Piffka, der seine Stimme – nicht immer erfolgreich – künstlich zu vergrössern versuchte.


    Liang Li, mit kräftigem Bass, sang den Daland, öfter mal mit dem Text kämpfend, was auf den Gesang nicht ohne Auswirkung blieb, Differenzierungen sind seine Sache nicht, eine solide Leistung, das ist nicht wenig.


    Schwach Karl-Heinz Brandt als ungenauer Steuermann und die wenig konturierte Mary von Rita Ahonen.


    Viel Beifall für alle Beteiligten, auch für das Regie-Team, nur für das Orchester und den Dirigenten fiel die Zustimmung etwas schwächer aus.

  • Ich habe schon viel über diesen Holländer von Kollegen erzählen hören! Interessanter Beitrag von Alviano, da kann man sich wirklich schon ein plastisches Bild machen! Ich will mir das aber unbedingt noch ansehen! Mal sehen ob ich die gleiche sängerische Besetzung erlebe ;-)


    LG Azucena