De gustibus non est disputandum - oder doch ?

  • Angeregt durch Rappys Aussage in einem anderen Thread:


    Zitat

    Sehr interessant finde ich auch die Frage: warum gefällt das eine oder andere Musikstück anderen und mir nicht? Und was gefällt den anderen daran, das ich offensichtlich nicht genügend wertschätze?


    habe ich diesen Thread eröffnet.


    Selbstverständlich fielen mir da gleich etliche Erklärungen ein - aber das hebe ich mir für später auf, bis einige andere hier ihre Meinung geschrieben haben. Das könnte ein heisser Thread werden....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Kantsche Antinomie des Geschmacks liefere ich vielleicht später mal nach. Rappy ging es, wenn ich recht verstehe, ja auch nicht darum, ob man über Geschmack nicht streiten (oder nur nicht disputieren) kann, sondern warum mir das gefällt, was mir gefällt und den anderen, was ihnen gefällt und was gefällt uns an bestimmten Musikstücken.
    Überhaupt die Frage aufzuwerfen, ist schon beinahe ein Verdienst, da ja viele den Geschmack spontan als "gegeben" und unanalysierbar ansehen würden. Und es ist auch alles andere als einfach, sich darüber klar zu werden, was genau einem an einem Stück gefällt. Man kann das oft nicht sagen bzw. man muß erst lernen, sich diesbezüglich zu artikulieren.


    Eine Teilantwort hat Rideamus vielleicht schon mit der langen Liste in einem anderen thread gegeben. Diese Liste sieht bei jedem ein wenig anders aus bzw. haben die einzelnen Punkte unterschiedliches Gewicht. Wenn also jeder für sich solch eine Liste aufstellen könnte, sähe man vielleicht sofort einige Unterschiede. Das ist aber noch nicht besonders interessant. Interessant wird es ja, wenn für die selben Stichworte ganz unterschiedliche Stücke angeführt werden und auch Uneinigkeit besteht, ob ein bestimmtes Stück durch dieses Stichwort angemessen charakterisiert ist.
    Eine andere Binsenweisheit: Wenigstens manchmal schätzen Hörer Stücke aufgrund unterschiedlicher Merkmale. Alfred (u.a.) hat hier im Forum schon mehrfach auf die oft erstaunliche Ähnlichkeit vieler weniger bekannter Zeitgenossen mit z.B. der Musik Mozarts hingewiesen. Schätzen viele Hörer tatsächlich das Einzigartige an Mozart, oder schätzen sie nur verbreitete Merkmale eines Zeitstils, wobei sie aber eben nur mit Mozarts Musik vertraut sind und nicht mit Vanhal oder Cimarosa?
    Daraus ergibt sich auch, daß mitunter ein Komponist/ein Werk gegen seine Liebhaber verteidigt wird: Nach Ansicht des Verteidigers schätzen es viele nur aufgrund oberflächlicher Eindrücke oder der "falschen" Merkmale, jedenfalls haben sie es angeblich nicht richtig erfaßt.


    Natürlich kann und soll man niemand zwingen, derartige Selbstaufklärung zu betreiben, oft stößt man vielleicht wirklich bald auf bloße Neigungen, die erstmal nicht weiter begründet oder hinterfragt werden können. Viele neigen dann auch zu einer externen Perspektive: Du magst X, weil Du so geprägt worden bist. Das ist oft wahr, aber trivial und wenig erhellend. Außerdem ist es oft auch einfach falsch. Wir lernen ja ständig, Stücke zu lieben, die anders sind als die, mit denen wir zuerst musikalisch sozialisiert wurden. Mitunter schämen wir uns sogar beinahe früher Vorlieben, als wir Capriccio italienne, Marche slave und 1812 rauf und runter gehört haben. Aber immer können wir versuchen zu verstehen, vielleicht hier sogar leichter aus der Distanz, die wir inzwischen zu dem Stück einnehmen, was uns damals daran gefallen hat. Und ggf., was uns heute nicht mehr gefällt. Das kann mitunter ein und dasselbe Merkmal sein (gewaltiger Lärm bei 1812) oder es hat sich verschoben, was man besonders schätzt, oder wie dies in den Stücken wiederfindet. Eingängige Melodien können einem nicht mehr so wichtig sein, oder sie können weiterhin wichtig sein, nur findet man die Melodien im Slawischen Marsch abgeschmackt und trivial.


    Es lohnt sich jedenfalls immer der Versuch, verstehen zu wollen, was andere an einem Stück schätzen (nicht nur an denen, die man selbst nicht mag). Vielleicht versteht man so auch leichter den eigenen Geschmack.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)