Giuseppe Verdis Oper „Aida“, einstmals für die Eröffnung des Suez-Kanals 1869 konzipiert, wurde am Heiligabend des Jahres 1871 in Kairo uraufgeführt und gehört wohl zu den berühmtesten Werken des italienischen Komponisten.
Nicht nur in Verona kann „Aida“ als Breitwandkitsch angeschaut werden, viele reisende Operntruppen bieten das Stück in pseudo-ägyptischer Aufmachung in Festhallen oder als Freiluftspektakel an, oftmals wird der Aufmarsch der Massen schon auf den Plakaten angekündigt.
Am 31. Januar 1981 ging in Frankfurt am Main erstmals eine „Aida“ über die Bühne, wie die Opernwelt noch keine gesehen hatte: Hans Neuenfels verlegte die Handlung in ein Museum, zeigte Aida als Putzfrau und den König als Mumie und beim Triumphmarsch führten Glitzergirls echte Wilde vor, die mit Hühnerbeinen gefüttert wurden. Als dann auch noch Aida und Radames den Gaskammertod starben, war das konservative Publikum endgültig verstimmt. Die Tumulte während und nach den Folgeaufführungen nahmen orkanartigen Charakter an – bis sich die Aufführung durchsetzte und das Publikum sie später genauso einhellig bejubelte, wie es sie am Anfang in Grund und Boden brüllte.
Dreizehn Jahre später, 1994 in Graz, kam es ebenfalls zu Tumulten um eine „Aida“-Aufführung, die allerdings einen ganz anderen Weg ging, als ihn Hans Neuenfels beschritten hatte. Peter Konwitschny machte aus der „Grossen Oper“ ein Kammerspiel und die Inszenierung setzte sich mit der Zeit ähnlich durch, wie das bei jener von Neuenfels der Fall war. Die Konwitschny-Inszenierung der „Aida“ kam in Meiningen, in Wien und in Saarbrücken zur Aufführung und erlebte jetzt noch einmal eine Neueinstudierung in Leipzig.
Nur ein verhältnismässig kleiner Ausschnitt der Bühne ist zu sehen und der zeigt einen sterilen, weissgekachelten Raum, links eine Tür, in der Mitte ein weisses Sofa mit einer roten Samtdecke darüber. Konwitschny wendet die Geschichte um einen Mann zwischen zwei Frauen konsequent ins Private. Da sitzen sie auf dem Sofa, das geistige Oberhaupt des Staates, Ramfis, und Radames in seiner weissen Uniform, noch nicht ganz korrekt gekleidet, und plaudern miteinander über die Geschicke des Landes. Radames ist weniger ein strahlender Held, als ein naiver, etwas unreifer Mann, der in Schuhe gedrängt wird, die ihm vielleicht doch noch etwas zu gross sind.
Amneris kommt dazu, eine schlanke, blonde femme fatale mit der Ausstrahlung eines Filmstars und auch Aida, die Hausangestellte im schlichten Dienstbotenschwarz lässt nicht lange auf sich warten – die drei bilden ein durchaus kompliziertes Beziehungsgeflecht.
Da dringt die Aussenwelt herein – durch die geöffnete Tür verfolgen Amneris, Aida und Radames das Geschehen, dass das Publikum nur hören, aber nicht sehen kann. Im Fokus hat das Publikum die Reaktionen der drei Personen auf der Szene. Als Radames zum Kriegschef ausgerufen wird, reicht ihm Amneris einen Plüschelefanten, ein kindlicher Glücksbringer für einen Anti-Helden.
Die Priesterin betritt den Raum, der Chor bleibt unsichtbar. Radames und Ramfis treten in eine Art rituelle Handlung ein. Die Priesterin hängt kopfüber über dem Sofa und irgendwie wirkt es wie eine sexuelle Initiation, wenn die beiden Männer hinter ihr stehen und Radames das Schwert vom Priester empfängt.
Als nächstes gibt sich im bis auf das Sofa leeren Raum Amneris ihren Gedanken hin – diese sind eindeutig: zu den Klängen des Balletts aus dem zweiten Akt wird Amneris von orgasmusartigen Konvulsionen geschüttelt. Nur mühsam schafft sie es, ihre Fassung wieder zu erlangen, als Aida dazu kommt. Die beiden Frauen liefern sich eine sehr moderne Auseinandersetzung um den abwesenden Mann – und Aida zieht nur deshalb den Kürzeren, weil das ihre gesellschaftliche Stellung so vorgibt.
Radames ist siegreich heimgekehrt – vom Schnürboden fallen Konfetti und Luftschlangen auf die Decke des Raumes, während das unsichtbare Volk jubelt. Der König kommt herein, schon leicht angeschickert, das Sektglas in der Hand, Luftschlangen um den Hals und ein Faschingshütchen auf dem Kopf. Auch der Priester macht mit, gleichfalls mit einem kleinen Hütchen geschmückt und Amneris, die schon mehr intus hat, als ihr gut tut, hat so lustige Tröten dabei, die sich selbst ausrollen, wenn mann oder frau hineinbläst. Die drei haben Spass und wie das bei so Festlichkeiten oft ist – die Situation entgleitet. Der Priester fällt über Amneris her, Gläser werden zerschmissen und das Dienstmädchen darf dann aufräumen.
Glücklicherweise kommt Radames endlich dazu, deutlich vom Kampf gezeichnet und auch sein kleiner Plüschelefant ist reichlich zerrissen. Ein Gefangener fällt auf, es ist Amonasro der Vater der Aida, und an einem solchen Festtag ist man bei Königs nicht kleinlich: der Gefangene und seine Tochter dürfen mitfeiern, sie bekommen gleichfalls bunte Hütchen aufgesetzt und ein Sektglas in die Hand gedrückt und so sitzen sie dann auf dem Sofa oder stehen dahinter, perfekt arrangiert für ein Foto für die Presse.
Während dieser Szene öffnet sich der Hintergrund des Zimmers: ganz in schwarz gekleidet sieht man die Bühnenmusiker/innen und den Chor – das ist eine unwirkliche Situation die da entsteht und die Protagonisten vorne schauen auch eher unsicher zu den Kollektiven, die sich ausserhalb ihres Aktionskreises aufhalten.
Zum dritten Akt hat sich der Priester auf dem Sofa niedergelassen, im Hintergrund eine Fototapete mit Palmen und der Sphinx. Wenn er mit Amneris hinausgegangen ist, macht sich Aida bereit, Radames zu treffen. Aber: hinter dem Sofa wartet ihr Vater – und der will, dass Aida aus Radames herausbekommt, wie der Feind doch noch zu besiegen ist – er ist nämlich nicht nur Aidas Vater, er ist auch der König der feindlichen Truppen.
Aida überredet Radames zur gemeinsamen Flucht. Radames hat den Raum schon verlassen, da stürzt sich Amonasro auf seine Tochter. Er zwingt Aida, dass sie nachfragt, welcher Weg sich denn zur Flucht anbietet – nur unter diesem enormen, physischen Druck des Vaters fragt Aida nach. Radames ermöglicht Aida und Amonasro die Flucht: mit dem Schwert in der Hand hält er Ramfis und Amneris von einer Verfolgung der Flüchtenden ab.
Die Verurteilung des Radames erfolgt sichtbar: stumm und in sich gesunken sitzt er auf dem Sofa, während Amneris auf dem Boden kauernd leidet.
Am Ende der Szene zerschlägt Amneris die Seitenwände und die Rückwand des Raumes – der weitet sich nach hinten und gibt den Blick auf das wuselnde Leben des Leipziger Hauptbahnhofs frei. Im Schatten erkennt man Aida. Sie tritt zu Radames und Amneris, die drei nehmen sich liebenvoll in den Arm, halten alle drei ihre Hände, streicheln sich. Eine wunderbar, intime Szene, an deren Ende Aida und Radames in dem Bild des Leipziger Hauptbahnhofs zu verschwinden scheinen. Das „Pace“ der Amneris ist hier mehrdeutig, es bezieht die Frau, die dieses Wort singt, klar mit ein.
Es ist einmal mehr die bemerkenswerte Personenführung Peter Konwitschnys, die diesen Abend zu einem aussergewöhnlichen macht. Aber auch das Herausstellen der persönlichen Konflikte der Personen der Handlung, das Vermeiden jedes Massenaufgebotes an Chor und Statisterie, belegt das grosse Können des Peter Kownitschny. Die Kostüme zeigen eine zeitlose Moderne, Anklänge an irgendetwas, was auch nur annähernd ägyptisch sein könnte, unterbleiben vollkommen.
Gesungen wurde passabel – im Falle der Aida von Maida Hundeling sogar ungewöhnlich gut. Die Sopranistin verfügt nicht nur über eine grosse, tragfähige Stimme – sie ist auch zu erstaunlichen Tönen im Piano-Bereich fähig und meistert die Klippen ihrer Partie beachtlich.
Gustavo Porta war der Radames – und Porta verliess sich mehr auf das Ausstellen lauter Töne, als auf technische Finesse oder singdarstellerische Durchdringung seiner Partie. Da er schon etwa zur Mitte der Aufführung aufgrund dieser enormen Schallemission Stimmprobleme bekam, verengte sich die Stimme zunehmend, Porta verfiel immer öfter in ein Anjammern der Töne und verfehlte schon auch mal die korrekte Tonhöhe.
Darstellerisch ganz stark: die Amneris von Natascha Petrinksy. Stimmlich bewegte sich die Mezzosopranistin mit ihrer etwas unruhigen, nicht immer ausgeglichenen Stimme mitunter in Grenzbereichen.
Paolo Gavanelli, der Amonasro, setzte seinen rüden, kräftigen Bariton recht undifferenziert ein.
Unauffällig die beiden Bässe Danilo Rigosa (Ramfis) und James Moellenhoff (Farao).
Das Gewandausorchester spielte unter der Leitung von Axel Kober – der recht flotte Tempi bevorzugte – klangschön und spannend, eine gute Leistung ohne Auffälligkeiten in die eine oder andere Richtung.