belanglose Wiederentdeckungen

  • Durch den Joseph Martin Kraus Artikel aus der "Zeit" kam mir die Idee zu diesem Thread.
    Dort fiel mir ein Satz ins Auge:



    Zitat

    Der CD-Markt lebt von allerlei belanglosen Ausgrabungen und Wiederentdeckungen.



    Ist das so ?


    Welche Aufnahmen oder Werke sollen denn das sein ?



    Ich persönlich habe ja da ja eine ganz eigene Meinung dazu, betreffend die "Komponisten" Locatelli und Quantz :pfeif:
    aber das behalte ich für mich...


    Aber lassen wir mal die Polemik beiseitig, falls das bei diesem Thema überhaupt möglich ist.


    Welche Wiederentdeckungen sind denn nun wirklich belanglos ?
    Ich würde mir wünschen, dass man die CD dazu postet und auch die Gründe dafür angibt warum man dieser Auffassung ist.


    Viel Spaß :D



    :hello:

  • Eigenartig, daß dieses Thema auf null Resonanz stieß....


    Aber auch ich, dem Vernehmen nach eine veritable "Giftspritze" per excellence habe so meine Probleme mit dem Thema "belanglose" Wiederentdeckungen.


    Jeder wird etwas anderes für "belanglos" einstufen.


    Nehmen wir - der Einfachheit halber - am besten gleich die Beispiele Quantz und Locatelli. Auch wenn der Lullist seine Meinung über die beiden für sich behält :stumm: so meinte ich unterschwellig einen gewissen Unterton der Abneigung feststellen zu können....


    Was Quantz betrifft (ich kenne nicht allzuviel von ihm), so bin ich geneigt ihm zu folgen - aber die Ursache leigt vermutlich darin, daß ich Flöte generell nicht mag.


    Anders schauts da schon bei Locatelli aus - einiges kommt schon verdächtig nache an Vivaldi heran, aber es soll ja bis heute Musikfreunde geben, die Vivaldi ebenso für eine überflüssige Ausgrabung halten.


    Viele Komponisten des 18. Jahrhunderts werden für "belanglos" eingestuft, lediglich weil man sich nicht genug mit ihnen beschäftigt hat.
    Im ersten Augenblick klingt alles ähnlich und gefällig. kein Thema bleibt im Ohr hängen...
    Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man das auch über Instrumentalwerke von Vivaldi, Boccherini und Joseph Haydn sagen.


    Pleyel wurde auch lange Zeit als bedeutungslos gesehen.....


    Manchmal frage ich mich allerdings ob beispielsweise Herschel nicht ein besserer Astronom als ein Komponist gewesen ist, letzlich habe ich einst auch Raff und Ries für "belanglos" gehalten - heute gehören beide zu meinen Lieblingskomponisten...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • mich hats auch gewundert, dass sich niemand getraut hat.
    Ich wollte gerade nicht den Anfang machen, aber ich bin mal an eine CD geraten, bei der ich mich noch Heute frage - warum hab ich die überhaupt ?!




    Anna Bon di Venezia: Trio Sonaten




    Nichts gegen die ausführenden Musiker, aber mal ehrlich - was soll diese Ausgrabung, langweiliger ist nur noch Spohr - oder im gleichen Stil Quantz
    Das ist spät-barocke Massenware für das einmalige musizieren zu Hause, die einzige interessante Sonate ist jene in d-moll.


    Der Rest ist eine Aneinanderreihung von bekannten Floskeln der Frühklassik.


    Und meine Ablehnung hat bestimmt nichts damit zu tun, dass es hier um Kompositionen einer Frau handelt, ganz im Gegenteil.
    Gerade ihre Brötchengeberin die Markgräfin Wilhelmine, oder auch Antonia Walpurgis von Bayern waren ganz ausgezeichnete Komponistinnen.


    Aber diese Ausgrabung hätte man sich schenken können, sowas hört man sich einmal an und ist sehr schnell froh, wenn es vorbei ist.

  • Ich habe mich mit den meisten "Wiederentdeckungen" noch nicht ausreichend befaßt. Das Vorurteil fürs Bekannte sorgt häufig eben dafür, daß dann doch eher die bekannten Werke im Player landen.
    Eine CD mit Quartetten von Dittersdorf fand ich allerdings ziemlich überflüssig, selbst verglichen mit ganz frühen Werken Haydns.
    Mit Onslow müßte ich mich mal näher befassen; ich habe drei oder vier CDs von cpo (2 Sinf., sonst Kammermusik). Das fand ich zwar überhaupt nicht belanglos, sondern sehr gut gemacht, aber letzlich nicht sehr einprägsam und oft etwas trocken.


    Das Hauptproblem bei vielen Wiederentdeckungen scheint mir zu sein, daß man sich ihnen eben möglichst vorurteilsfrei und eher noch intensiver als den bekannten Komponisten der Zeit widmen sollte, was man aber meistens nicht tut. Die Wiederentdeckungen haben die Aufmerksamkeit besonders nötig. Vielleicht ist eine Sinfonie Onslows wesentlich raffinierter und dichter komponiert als z.B. Schuberts 1. oder 2. Aber Schubert kennt man eben und auch die frühen Werke haben einen großen melodischen Reiz und Charme, der z.B. dem Onslow m.E. fehlt.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Aber Schubert kennt man eben und auch die frühen Werke haben einen großen melodischen Reiz und Charme, der z.B. dem Onslow m.E. fehlt.


    Bei diesen wiederentdeckten Komponisten - hier: Onslow - fehlt vor allem das Breitbandspektrum, wie wir es von den 'großen' gewohnt sind. Mir gefallen z.B. die Sinfonien und Quartette nicht besonders, dafür die Klaviertrios um so mehr. Diese hier gab es z.B. äußerst preiswert bei 2001 (zum Normalpreis hätte ich sie wohl leider verschmäht - jetzt gehört sie zu meinen Lieblingen):



    Ich finde das äußerst rhythmisch und garnicht so weit von einer Mozart-Beethoven-Mischung entfernt, zudem wahrlich erstklassisch gespielt! Für meine Belange alles andere als belanglos :D


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das Hauptproblem bei vielen Wiederentdeckungen scheint mir zu sein, daß man sich ihnen eben möglichst vorurteilsfrei und eher noch intensiver als den bekannten Komponisten der Zeit widmen sollte, was man aber meistens nicht tut. Die Wiederentdeckungen haben die Aufmerksamkeit besonders nötig.


    Dieses "man" trifft auch mich nicht zu. Ich mache das außerordentlich gerne.
    Und nur in den allerseltendsten Fällen habe ich nachher den Eindruck, dass es sich nicht gelohnt hat. Und das sind dann eher CDs, die ich geschenkt bekommen habe ...
    :hello:

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Durch den Joseph Martin Kraus Artikel aus der "Zeit" kam mir die Idee zu diesem Thread.
    Dort fiel mir ein Satz ins Auge:



    Ist das so ?


    Nein.


    Das ist so eine typisch verallegmeinernde, inhaltsleere Aussage, wie sie für manche frustrierte Musikjournalisten üblich ist und deshalb auch kaum der Rede wert.


    VG, Bernd

  • Mit den belanglosen Wiederentdeckungen ist das so eine Sache.
    Vor allem sind es mittelmäßige oder eigenwillige Interpretationen, die ein Werk uninteressant oder im schlimmsten Falle sogar abstoßend erscheinen lassen können. Oder aber eine durch verfälschende Booklets erzeugte Erwartungshaltungen, die dann beim Abhören nicht erfüllt werden.
    Ich empfand beispielsweise die Sinfonien von Luise Farrenc als eher langweilig - vermutlich weil ein Bericht sie in Beethovennähe stellte - was mir nicht der Fall zu sein schein. IOch glaub zu wissen, welche Dittersdorf- Aufnahmen gemeint sind -in der Tat sind sie allenfalls belanglos - aber das dürfte eher an der Interpretatrione und am stumpfen Klang der Aufnahmen liegen. Onsol, Spohr - ja - ich glaube, daß diese Musik heute niemanden mehr beeindrucken kann.
    Rosetti - Ich habe ihn zuerst auf TELDEC mit Concerto Köln gegört - und war entsetzt. Andere Interpretationen haben mir dann aber gezeigt wie lieblich diese Musik klingen kann. Um der Gerechtigkeit willen habe ich aber auch schon Ausgrabungen gehört, wo nur die etwas aggressive Lesart von Concerto Köln das Werk retten konnte.


    Als ich das erste mal eine Sinfonie von Raff hörte hielt ich sie für eine belanglose Wiederentdeckung - Heute jedoch zählt er zu meinen liebsten Sinfonikern des 19. Jahrhunderts.....
    Ries hingeben hat mich von der ersten Stunde an begeistert. Es war, als ob man einen alten Bekannten (Beethoven? Schubert?) träfe, dessen Klangsprach einem von Geburt an vertraut war.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Zweifellos ist Spohr viel beeindruckender als Ries.


    Mit der sujektiven Behauptung könnte ich allenfalls noch leben - vor allen mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß sie mich persönlich treffen soll.


    Das ZWEIFELLOS indes stört mich schon, Während Ries, der hier im Forum ja nicht unbedingt nur Freunde hat doch eingermaßen gelobt wird, fand ich im Internet über Spohr vorzugsweise abfälliges.
    Ich besitze so ziemlich alle Violinkonzerte von ihm, kein einziges Thema ist haften geblieben.
    Und nach Kauf einer Aufnahme mit zweien seiner Sinfonien habe ich auf die Fortsetzung verzichtet. Genauer gesagt habe ich den Kauf "auf später" verschoben - aber das ist nun schon mehr als 15 Jahre her....
    dieses "Später" wird es vermutlich nie geben...


    Mir ist bewusst, daß dies alles sehr subjektiv ist - aber einen glühenden Verfechter von Spohr habe ich noch nie getroffen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hurra, Alfred ist wieder da!


    Herzlichen "Empfangs"-Gruß
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Naja, wenn Du schreibst, dass Du meinst, dass "niemand" mehr von Spohr beeindruckt werden kann, ist das schon eine reichlich merkwürdige Aussage. Zu Spohr listet jpc immerhin 87 Titel, die unter seinem Namen laufen, und Spohr ist ein "größerer Name" als Kreutzer, Ries, Kalkbrenner, Kuhlau, Schneider und Silcher, um einmal die zwischen 1780 und 1789 geborenen Deutschen zu nennen, die mir präsent sind und nicht Weber oder Spohr heißen. Das ist soweit objektiv gemeint, also: Spohr ist vergleichsweise berühmt, geschätzt, präsent.


    Ich weiß nicht, was ein "glühender Verfechter" eines Komponisten sein soll. Spohrs 9. Sinfonie habe ich zeitweise sehr oft gehört und der Beginn des ersten Satzes gehört zu meinen meist-gesummten Zitaten. Hier habe ich auch schon mal diese Sinfonie gelobt.


    Aber wenn jemand lieber Ries hört, stört mich das auch nicht. Zu Ries gibt es weniger als die Hälfte an Einspielungen ... ich nehme an, dass Ries in den letzten Jahren einen vorübergehenden "Boom" hatte, der wieder abflauen wird. Vielleicht erleben wir auch einmal einen Friedrich-Schneider-Boom?

    :hello:

  • Ich denke, über die Frage belanglos oder nicht belanglos läßt sich nicht streiten, weil das zu sehr vom subjektiven Geschmack abhängt. Ich bin nicht kompetent genug, die musikalische Qualität eines Werks zu beurteilen, sondern gehe da mehr von meiner Empfindung aus. Ich habe mir häufiger mal Wiederentdeckungen zugelegt, einfach, um sie kennenzulernen, u.a. auch Werke von den schon genannten Spohr und Ries. Manche der weniger bekannten Werke gefielen mir auf Anhieb, bei anderen habe ich zu dem Werk erst nach mehrfachem Hören einen Zugang gefunden. Ich glaube auch, dass die jeweilige Stimmung, in der man sich befindet, eine Rolle spielt und natürlich auch ein wenig der Wiedererkennungswert. Zur Stimmung vielleicht ein Beispiel: Ich liebe das Weihnachtskonzert von Manfredini. Aus dem Grunde habe ich mir dann eine CD mit Concerti grossi von Manfredini gekauft. Da ich sie in einer anderen Jahreszeit gehört habe, sagten mir die weiteren Werke zunächst garnichts. Dann habe ich es bei brennenden Lichtern am Tannenbaum noch einmal versucht und da hatten sie eine ganz andere Wirkung. Ich habe neben etlichen CD mit Werken von Vivaldi auch mehrere CD von Corelli, Albinoni usw. Auch hier sprechen mich nicht alle Werke an. Bei Albinoni läßt das einzig weltweit bekannte Adagio - schon weil man es häufiger hört - alle anderen Werke hinter sich. Was mir wertvoll erscheint mag für andere belanglos sein und umgekehrt. Wie sagt man doch? "Wat dem eenen sin Uhl is dem andern sin Nachtigall


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich besitze so ziemlich alle Violinkonzerte von ihm, kein einziges Thema ist haften geblieben.


    Schade. Aber: Die muss man ja auch nicht »mitpfeifen-/singen« - trotzdem – mir gefallen diese Violinkonzerte sehr gut.
    Jedes irgendwie anders, aber man merkt recht bald den Komponisten … 8)


    Zitat

    Und nach Kauf einer Aufnahme mit zweien seiner Sinfonien habe ich auf die Fortsetzung verzichtet. Genauer gesagt habe ich den Kauf "auf
    später" verschoben - aber das ist nun schon mehr als 15 Jahre her....


    Vermutlich waren das die Marco-Polo-Aufnahmen … inzwischen gibt es aber bessere …
    z.B. mit H. Shelley von Hyperion – die gefallen mir wesentlich besser …


    Zitat

    dieses "Später" wird es vermutlich nie geben...


    Gib dem Spohr ruhig nochmal 'ne Chance! :yes:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

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