Das Ordinarium Missae und seine Vertonungen durch die Jahrhunderte

  • Hallo


    Der Titel ist natürlich etwas sehr hochtrabend, Messvertonungen hätte es ja schliesslich auch getan...
    Das Ordinarium Missae ist der feststehende Text, der in jeder regulären Messe zu normalen Sonntagen gesprochen bzw. gesungen werden muß. Es gibt freilich ausnahmen, so entfällt beispielsweise in der Fastenzeit das Gloria, es gibt der Ausnahmen noch einige mehr, Am Ostersonntag beispielsweise wird üblicherweise auf das Credo verzichtet... In einer normalen "Messe" wird vertont das:


    Kyrie (Herr erbarme dich)
    Gloria
    Credo (Glaubensbekenntnis)
    Sanctus / Benedictus
    Agnus Dei


    Auf die konkrete Idee, diesen Thread zu starten, hat mich jetzt der "Spatzenmessethread" gebracht, aber eigentlich wäre er längst fällig gewesen, da ich Messen aus mehreren Gründen unheimlich interessant finde. (Wir wollen hier in diesem Thread von den mehr oder weniger Verwandten Themen wie Requiem, andere Formen katholischer Kirchenmusik und gar ausserkatholischer Kirchenmusik einmal absehen.)


    Messvertonungen sollten auch für nichtkirchliche Musikfreunde hochinteressant sein: erstens gibt es Gipfelwerke der Musikgeschichte in dieser Gattung, Bachs h-moll-Messe, Beethovens Missa Solemnis und Mozarts c-moll-Messe haben zu Recht auch schon ihren eigenen Thread.
    Zweitens haben wir das einmalige Phänomen, daß über ein Jahrtausend lang Komponisten sich an der selben Vorlage versucht haben und bis heute immer wieder neu der selbe Text vertont wird. Zudem ist der Text reich an Bildern, Affekten, Stimmungen, daß anhand der Messvertonungen geradezu ein historisch-musikalisches Wörterbuch erstellt werden kann, welche Bilder wann wie vertont wurden.


    Es ist also ein Thread für alle hier, von den Freunden der Gregorianik, über die Renaissancefreunde, die Barockfreunde, bis hin zu den Verehrern von Bruckner, Strawinsky, Pendercki und vielen anderen.


    Und die Textvorlage hat allerlei zu bieten: Eher meditative Teile, flehentliche Teile, Prunkvolle Teile, ausdruck der Dankbarkeit und geradezu musikdramatische Teile, wie der Part zwischen Krufifixus und et resurrexit.


    Messen gibt es in allen musikalischen Stilen: die volkstümlich gehaltenen kleinen messen Mozart und Haydns, die prunkvollen großen Orchestermessen Haydns, es gibt den philosophischen Kosmos der Missa Solemnis Beethovens, Bachs "theologisches Hauptwerk", die h-moll-Messe, es gibt verschwenderische und bescheidene Messen, alle Epochen der Musikgeschichte haben interessante Messvertonungen herausgebracht.


    Wie gesagt, das faszinierende ist, daß über 1000 Jahre lang der selbe Text jeweils relativ zeitgemäß (oder auch historisierend oder unnötig kitschig) vertont wurde.


    Wollt Ihr Euere Lieblingsmessen vorstellen und ein bisschen erklären, was Euch daran besonders gefällt und was ihr an neuen kompositorischen Lösungen des alten Textes besonders hervorhebenswert findet.


    Gruß, Markus

  • Ein toller thread, ich freu mich drauf! Kann aber erst morgen beitragen, das ich jetzt blitzartig den Rechner verlassen muß.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -


  • Ich will gleich den Anfang machen mit einer der musikalisch "schönsten" Messen, Haydns Theresienmesse. Sie ist wunderbar ausgewogen was das Verhältnis Solistenquartett/Chor betrifft und einfach herrliche österreichische Kirchenmusik. Die Aufnahme mit Pinnock gefällt mir sehr gut. Überhaupt möchte ich die sechs großen Orchestermessen von Joseph Haydn sehr empfehlen.
    Sehr schön und interessant ist die "Paukenmesse" - Missa in tempore belli (Messe in Kriegszeiten). Beethoven hat die bedrückenden "kriegerischen Elemente" im Agnus Dei der Missa Solemnis hier bei Haydn "geklaut".



    obwohl vollkommen unterschiedlich, gefallen mir sowohl Bernsteins als auch Harnoncourts Aufnahmen der Paukenmesse.


    Gruß, Markus


  • Die drei großen Messen von Bruckner bedeuten mir auch recht viel. Zur dritten Messe habe ich allerdings noch keinen hundertprozentigen Zugang gefunden. Die zweite Messe ist acapella und etwas historisierend in Richtung Palestrinastil.
    Besonders mag ich die erste Messe in d-moll. Die Aufnahmen von Gardiner (!) und Jochum kann ich beide empfehlen. Von den ersten chromatischen instrumentalen Seufzern des Beginns an zieht mich diese Messe in ihren Bann. Einiges erinnert an Beethovens Missa Solemnis, sie ist mächtig aber bei weitem nicht so "extrem" und leichter verständlich. Neben sehr "expressiven" Stellen bietet sie auch hinreissend schöne lyrishe Passagen und vielfach hat sie einen strahlenden "Schmiss". Das Credo hat es mir besonders angetan. "Bruckners Pedigt" überzegt! Der Teil vom Crucifixus bis Et resurrexit gefällt mir wieder besonders gut, das hat religiöse Hörspielqualitäten. Seltsam ist, daß in Jochums Aufnahme zur "Grablegung" (et sepultus est) ein kleines Orgelsolo erklingt und bei Gardiner dieses von den Holzbläsern übernommen wird.
    Das charmante Benedictus weckt Erinnerungen an Schubert oder Mozart, aber halt satt orchestriert. Im flehentlichen Agnus Dei schließt sich dann die musikalische Klammer wieder, thematisch kehrt das Kyrie zurück.
    Für Brucknerfans unerlässlich.


    Bruckner, Messe nr. 1 + einige Motetten. Wiener Philharmoniker - John Eliot Gradiner - Monteverdi Choir - Luba Orgonasova, Bernarda Fink, Christoph Pregardien, Eike Wilm Schulte. 1996 DG


    Bruckner, Messen 1-3. Chor und Symphonieorchester des BR - Eugen Jochum. Edith Mathis, Marga Schiml, Wieslaw Ochman, Karl Ridderbusch. 1972 DG


  • Minkowskis Aufnahme der "Messe de minuit" H.9 (Mitternachtsmesse zu weihnachten) gefällt mir gut, unser Lullist hat schon auf die Aufnahmen der sakralen Werke von Niquet bei Naxos hingewiesen. Ich habe vol. 3 mit der Messe H.1.
    Es fällt mir zwar ehrlich gesagt etwas schwer, mich an die französische Aussprache in beiden Aufnahmen zu gewöhnen, aber das macht die Musik nicht weniger schön.
    Das klingt musikalisch nach dem prallen Leben, richtig volkstümlich (im besten Sinne des Wortes). Die Weihnachtsmesse besteht aus vielen Zitaten von alten französischen Weihnachtsliedern.
    In Sachen musikalischer Textausdeutung allerdings..... wenn zum Crucifixus eine fröhliche Weihnachtsmelodie geträllert wird, hm, naja. Muss ich nich noch ein bisschen akklimatisieren.


    (Ist keine essentielle Messe für mich, aber vielleicht hilft es ja, die Freunde der französischen Barockmusik in den Thread zu locken).
    Weiter geht es dann mit Palestrina, wo ich mir Unterstützung erhoffe.

  • Aus der Zeit, als noch keine Kantaten für jeden Sonntag komponiert wurden, sondern Messen :D :


    Die 12 stimmige Missa et ecce terrae motus von Antoine Brumel (1460-1520), eine Ostermesse. Man höre nur das zweite Agnus Dei. Da steckt die ganze Ostergeschichte drin. Die Musik wird immer düsterer, scheint fast stehenzubleiben. Und plötzlich bricht ein gleißender Lichtstrahl durch und jubelnd geht dieser Teil zuende. Es gibt noch andere Aufnahmen als die gezeigte, aber die mit dem Huelgas Ensemble ist mit Abstand die beste (und noch nicht mal teuer):



    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
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    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Salut,


    der in meinen heil’gen Hallen beliebteste [reine] Kirchenmusikkomponist ist


    Jan Dismas Zelenka [Johann Lukas Ignatius Dismas, verschiedene Schreibweisen]. Er wurde am 16. Oktober 1679 getauft, vermutlich am selben Tage in Lounovice geboren. Zelenka studierte u. a. bei J. J. Fux, A. Lotti, vielleicht A. Scarlatti. In Dresden war Zelenka offiziell als Kirchenkompositeur anerkannt, ein Titel der ihn bei neben seiner Anstellung als Kontrabassist übrigens zu nichts verpflichtete und zu nichts berechtigte: Die Kapellmeisterstelle wurde J. A. Haase übertragen. Zelenka starb unverheiratet am 23. Dezember 1745 in Dresden.


    Das Werk Zelenkas ist heute [leider] unvollständig, umfasst dennoch 22 [vorhandene] Messen, 28 einzelne Mess-Sätze, Oratorien, 12 Litaneien, diverse Requiem, auch verschiedene [konzertante] Instrumentalwerke. N. Schulz berichtet über Zelenkas Schaffen:


    Missæ decantate per anni decursum sunt 95, pro defunctis 15. Zu diesen Messen kommen noch, wie die Werke bezeugen, gelegentlich besondere Nachmittagsgottesdienste (Trauermetten, Vespern, Prozessionen, Marien- und Xaverius-Andachten).


    Besonders hervorzuheben sind seine letzten VI Missæ ultimæ, von denen es heißt, Zelenka habe sie bewusst als krönenden Abschluß seines kirchenmusikalischen Schaffens komponiert. Im Gloria seiner Missa S. Cecilia aus dem Jahre 1712 komponiert Zelenka das Qui tollis meisterhaft als 7stimmige Doppelfuge. Sein Pater coelis aus der Litaniæ Omnium Sanctorum ist sehr ähnlich dem Domine Deus aus Mozarts unvollendeter c-Moll Messe KV 417a [427], jedoch schlanker angelegt. Beneidenswert frisch und frei ist die Bassarie Ab ira tua aus dem vorgenannten Werk, in dem mehrfach auf einer großen Septime „herumgeritten“ wird.


    Zelenkas Musik beeindruckt mich durch sinnreiche barocke Anlage, ohne jedoch den gewöhnlichen Prunk, souveränes polyphones Ausarbeiten, ausgewogene Chromatik und gewisse Härten in Durchgängen.


    Für die Bachianer ist Zelenka sicherlich eine Entdeckung wert…


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Das wahrscheinlich früheste Beispiel eines komplett vertonten Ordinarium Missae ist die Messe de Nostre Dame von Guillaume Machaut (1300-1377).


    Machaut ist neben Philip de Vitry, dem Autor des namesgebenden Traktat Ars nova von 1322 der Hauptvertreter dieser Stilrichtung. Gegenüber der Ars antiqua rückt die Mehrstimmigkeit mehr in den Vordergrund, genauso wie die weltliche Musik. Wie so oft waren die Kirchenväter dagegen. Papst Johannes XXII. verbot sogar unter Strafandrohung in der Bulle Docta Sanctorum die Aufführung dieser Musik in der Kirche.


    Bis zur Messe de nostre Dame vom Machaut gab es "nur" Sammelbände einzelner Messteile die für den Gebrauch immer neu zusammengestellt wurden. Und es hat fast hundert Jahre gedauert, bis wieder eine Messe als ganzes komponiert wurde. Dann aber verbreitete sich diese Gattung sehr schnell. Ein weiteres Novum ist die Vierstimmigkeit der Messe, und sie enthält noch einen sechsten Teil, das "Ite missa est".


    Durch viele leere Quinten (unter anderem) klingt diese Musik sehr herb, irgendwie archaisch. Ich habe eine Weile dafür gebraucht, bin aber nun hingerissen davon. Eine sehr schöne Aufnahme liefert Marcel Peres mit seinem Ensemble Organum. Die Messteile werden durch Gregorianik verbunden und somit in den liturischen Kontext gestellt. Zudem gibt es reichlich Verzierungen. Die Aufnahmen des Hilliard Ensembles und des Ensemble Gilles Binchois haben mir auch gut gefallen. Abraten möchte ich dagegen vom Clemencic Consort. Da wird zu viel Brimborium gemacht. Die vielen Einschübe bei Clemencic machen die Messe selbst kaputt, ja sogar lächerlich.



    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Für die Bachianer ist Zelenka sicherlich eine Entdeckung wert…


    Hier kann ich Ulli nur beipflichten und auch in seiner Charakterisierung Zelenkas. Frieder Bernius hat mit seinen Ensembles Kammerchor & Barockorchester Stuttgart eine sehr schöne Einspielung der Missa Dei Patris vorgelegt:



    Thomas

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  • Givanni Pierluigi da Palestrina (1525 - 1594)
    Seine Messen sind von großer kirchenmusikgeschichtlicher Bedeutung, da noch im 19./20. Jahrhundert in der kirchenmusikalischen Strömung des Cäcilianismus der Palestrinastil als Vorbild galt.
    Seine vielleicht schönste Messe ist die Missa Papae Marcelli (leider kenne ich nur viel zu wenig Messen Palestrinas). Die Legende sagt, daß Palestrina mit dieser Messe kircheninterne Kritik an der üppigen mehrstimmigen Musik verstummen ließ. Tatsächlich ist Palestrinas Stil auch weit weniger üppig als beispielsweise der Stil des älteren Gesualdo. Palestrinas Messen wirken "transzendent/transparent", es gibt nicht zu viel Gewirr der Stimmen, Palestrinas Messen sind glaube ich überwiegend vier- oder fünfstimmig (?), und dennoch "passiert" genug, wenn sich die Stimmen imitatorisch überflügeln. In der Missa Papae Marcelli schließt sich ebenfalls wieder eine thematische Klammer zwischen dem Kyrie und Agnus dei.
    Die Messe wirkt auf mich wie ein tatsächlicher Aufenthalt im Petersdom wirkt, der musikalische Stil ist hier besonders... hm, ... "transzendent", blödes Wort in diesem Zusammenhang. Die "Missa L´homme armé" zum Beispiel klingt deutlich weltlicher, da sie vielmals auf dem Cantus firmus des gleichnamigen "Volkslieds" basiert. Über das Thema des Liedes L´homme armé wurden unzählige Messen geschrieben.


    Die oben abgebildeten Aufnahmen sind beide sehr schön und auf hohem Niveau, bei Pinnock lockt vielleicht die Kombination mit Allegris Miserere, Summerlys Aufnahme klingt vielleicht etwas "italienischer".

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Thomas Bernhard schrieb:

    Zitat

    Die "Missa L´homme armé" zum Beispiel klingt deutlich weltlicher, da sie vielmals auf dem Cantus firmus des gleichnamigen "Volkslieds" basiert.


    Und du hörst das alte Landsknechtslied heraus, das sich in endlos langen Noten, entweder teils versteckt und andernteils selbst für die sogenannte "Fachwelt" schwer zu orten ist ?
    Hm ich schaff das irgendwie nicht...
    Das was man gerne als den "Palestrinastil" bezeichnet, gabs aber auch schon vor dem Konzil in Trient, z.b. bei Josquin, der um das Jahr 1521 das Zeitliche segnete; das Konzil stellte lediglich die Regeln auf und kanonisierte sie. Ein Beispiel für Josquins Kunst und ein Juwel im nicht gerade üppigen Angebot seiner Messen ist diese hier:



    erschienen 2001 bei ASV


    Eine wundervolle Einspielung einer Messe des burgundischen Komponisten Pieter van Straaten, der sich auch Pierre de la Rue nannte, ist die "Missa "Alleluja", hier eingespielt von der großartigen "Capilla Flamenca" einem Ensemble, von dem ich JEDE bisher erschienen Aufnahme uneingeschränkt empfehlen kann.


    Das Werk van Straatens, bis vorwenigen Jahren eher ein "Geheimtipp" für Insider, scheint langsam grösseres Interesse zu erzeugen, was die wachsende Anzahl mit Einspielungen von Werken des Meisters belegt:


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Und du hörst das alte Landsknechtslied heraus, ...?


    Heraushören kann ich das nicht locker vom Hocker, ich wurde aber schon genötigt, mich mit dem Lied und seiner Weiterverarbeitung zu beschäftigen (inklusive Zwangssingen... :rolleyes: )
    Vor allem der Beginn des Liedes mit der Quarte aufwärts sticht gelegentlich deutlich hervor, wobei man dann aber genausogut jeden Quartsprung überinterpretieren kann. Du hast schon recht, man muß schon genau hingucken.


    Gruß, Markus

  • Zitat

    Die "Missa L´homme armé" zum Beispiel klingt deutlich weltlicher, da sie vielmals auf dem Cantus firmus des gleichnamigen "Volkslieds" basiert. Über das Thema des Liedes L´homme armé wurden unzählige Messen geschrieben.


    Solche Messen gab es im 16. Jahrhundert zuhauf, nicht nur über das Lied L´homme armé. Auch viele andere volkstümliche Lieder oder auch Motetten lieferten das musikalische Material zu Messen und wurden damit regelrecht geadelt. Man stelle sich vor, jemand nähme den Holzmichl her und schriebe eine Messe auf diese Melodie. :D Aber zurück zu den Parodiemessen; ein weiteres, sehr beliebtes Motiv war ein Chanson von Jean Richafort (ca. 1480 - ca. 1548 ) namens Tous les regrets. Orlando di Lasso und Nicolas Gombert haben das beispielsweise verwendet.


    Die Verwendung von Motetten oder gregorianischen Themen bedingt meist eine Bindung der Messe an bestimmte Zeiten oder Feste im Kirchenjahr. Diese Praxis, eine Messe thematisch zu gestalten, hat sich bis heute gehalten, z.B. William Lloyd Webber (1914-1982): Missa Sanctae Mariae Magdalenae.


    Aber auch freie Motive oder Tonleitern wurden verwendet. Im Namen des jeweiligen Stückes taucht dann die Tonfolge des Themas auf: Missa Ut, re, mi, fa, so, la von Giovanni Perluigi da Palestrina oder Josquin Desprez` Missa La sol fa re mi.


    Gelegentlich wurden auch Messen zu eher weltlichen Anlässen geschrieben. Auch hier taucht der Anlass wieder im Namen der Messe auf, z.B. Missa De la Mapa Mundi von Johannes Cornago (zweite Hälfte des 15. Jh.), übrigens eine der frühesten Parodiemessen auf ein weltliches Lied überhaupt. Anlass war die Präsentation einer Weltkarte.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
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    - H. Heine -

  • Ich bin ein "Fan" von Schuberts Messen ( insbesondere Es-Dur und G-Dur ). Sehr gerne höre ich Beethovens C-Dur Messe. An die frühen Messen ala Palestrina, Machaut etc. hab ich mich bisher noch nicht herangetraut, wird sich aber in nächster Zukunft ändern. Ein meiner weiteren Lieblings-Messen ist Bruckners f-Moll-Messe ( besonders das "Benedictus" )

  • ... um nochmal auf die "L'homme armé" - Thematik zurückzukommen:


    Seit ich vor "Urzeiten" im Musikunterricht auf die gleichnamige Vertonung von Guillaume Dufay (1400-1474) aufmerksam gemacht wurde (wir mussten die Tenorstimme im "Agnus Dei", die hier wie in den anderen Sätzen den "Cantus firmus" übernimmt, auseinanderpflücken :]), bin ich ein Fan dieser ebenfalls recht frühen Messvertonung!
    Und zumindest hier kann man eindeutig an mehreren Stellen Teile aus dem "L'homme armé"-Lied heraushören, wenn man sich auf die Tenorstimme konzentriert! Dufays Satz ist transparent, bei Palestrinas gleichnamiger Messe ist es mir bisher nämlich auch noch nicht gelungen, diesen "Schlager" der Früh-Renaissance herauszuhören....


    Eine empfehlenswerte Aufnahme ist für mich die mit der Oxford Camerata unter der Leitung von Jeremy Summerly:



    Ok - vielleicht historisch nicht ganz korrekte Einspielung, da hier ein ganz "gewöhnlicher" gemischter Chor singt (ich bin ein großer Bewunderer der Einspielungen der Oxford Camerata!!) - also auch Damen beteiligt sind. Früher hatte ich eine LP-Aufnahme (bei EMI erschienen) mit dem Hilliard-Ensemble, die sicherlich historisch gesehen authentischer gewesen sein mag (reines Herren-Ensemble, nur 2 Sänger pro Stimme), aber nachdem es diese Aufnahme nicht mehr auf CD zu geben scheint, ist die NAXOS-Einspielung auf jeden Fall ein mehr als gleichwertiger Ersatz - der Chor klingt spitze!


    In diesem Zusammenhang möchte ich mal das Geschrei der Kirchenoberen hören, wenn es heute ein Komponist wagen würde, einen weltlichen "Schlager" aus den Charts zum Grundthema einer Messvertonung zu machen! Irgendwie waren die damals in diesem Punkt zumindest toleranter - gute Musik war gute Musik, egal woher sie stammte...
    Und doch: Ich würde irgendwann gerne mal eine "Dancing Queen-" oder eine "99 Luftballons-Messe" hören :D

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • MarcCologne:


    Zitat

    Dufays Satz ist transparent, bei Palestrinas gleichnamiger Messe ist es mir bisher nämlich auch noch nicht gelungen, diesen "Schlager" der Früh-Renaissance herauszuhören....


    Hallo, das ist richtig, bei Dufay macht es wenig Probleme, das Lied zu hören, bei Josquin muss man sich schon ein wenig mehr anstrengen
    und bei Palestrina liegt die Melodie in den endlos langen Noten des Baßfundamentes, also da kann mans eher "sehen" als hören.
    Ich freue mich schon sehr auf eine Aufführung des Palestrina-Werkes im November 05 in der Taufkirche des Komponisten !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • ...und deswegen ist die erwähnte Messvertonung von Dufay vielleicht eine ganz gute Übung, sich mal mit der in der Renaissance weit verbreiteten Praxis vertraut zu machen, ein "einkomponiertes" Lied in so einer Messe zu entdecken und rauszuhören, quasi als Ansporn für weitere Versuche :]


    Zumal in der vorgestellten Aufnahme dankenswerterweise auch das Original-Lied "L'homme armé" vorgestellt wird - es ist ja relativ kurz und wie viele Schlager zu allen Zeiten sehr eingängig: Das hat man schnell im Ohr...
    Und unabhängig davon ist diese Messe von Dufay sehr stimmungsvoll und hört sich einfach gut an!


    Die von Dir erwähnte Palestrina-Messe als Konzert in seiner Taufkirche klingt aber auch sehr spannend - das wird bestimmt ein eindrucksvolles Konzert. Aufführungen von Werken an Orten, die mit diesen in irgendeiner Verbindung stehen, finde ich immer besonders schön.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • MarcCologne:


    Zitat

    Aufführungen von Werken an Orten, die mit diesen in irgendeiner Verbindung stehen, finde ich immer besonders schön.


    Ja, und noch schöner wird es, wenn die Ausführenden die "Tallis Scholares" sind !!! Aber davon ist mal abgeshen, ist Palestrina eine wundervolle kleine Stadt mit grossartigen antiken Ausgrabungen und dazu keine 30 km von Rom entfernt !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Gleich zwei, mich sehr ansprechende Vertonungen des Ordinarium Missae auf Basis des " L' homme armé" von Josquin Desprez bietet folgende CD der Tallis Scholars:




    Messvertonungen sind der umfangreichste Teil meiner Sammlung mit geistlicher Musik, mit mehreren hundert Aufnahmen.Leider fehlt mir momentan die Zeit zu längeren Beiträgen, ich werde aber nach dem anstehenden Urlaub hier noch einiges posten.


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Ehe ich über zeitgenössische Musik in (vermeintlichen? Bei mir ist es schlicht und ergreifend ein Zeitproblem....) Schmollwinkeln nachdenke, hier ein Hinweis, den ich schon lange geben wollte: Auf zwei großformatige Vertonungen des Messordinariums aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die auch auf CD vorliegen (und die beide bei mir schon länger auf der imaginären Einkaufsliste stehen...).


    Dieter SCHNEBEL - MISSA ("Dahlemmer Messe"), für vier Solostimmen, zwei Chöre, Orgel und Orchester (1984-87)



    Sven-David SANDSTRÖM - The high Mass (1993/94)



    Näheres gerne, wenn ich die CDs habe und besser kenne....


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

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  • Hallo C.,


    Zitat

    Näheres gerne, wenn ich die CDs habe und besser kenne....


    bitte nicht vergessen! Mich interessiert das sehr. Von Sandström kenne ich das Chorstück Hear my Prayer, o Lord, welches mir ziemlich gut gefällt.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
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    - H. Heine -

  • Heute wieder einmal gehört, Kodaly mit der Missa brevis und auf der CD ist auch noch die Messe in ES von Janacek:



    Die Kodaly-Messe ist wahrscheinlich in 1942 oder 43 geschrieben worden. Also noch eine zeitgenössische Messe - halbwegs jedenfalls.


    Neben den beiden Messen ist auch Laudes organi ein spannendes Stück.


    Mit besten Grüßen


    Matthias

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

  • Hallo Matthias,


    in der Tat, Janaceks unvollendete Messe in Es! Vor Jahren habe ich sie einmal im Chor mitgesungen, ein zwar kurzes, aber doch sehr beeindruckendes Stück. Aus den Augen verloren, aber nach der CD sollte ich mal Ausschau halten. Die Kodaly-Messe gibt es neben der hier offenbar aufgenommenen Orgelversion auch in einer Orchesterfassung, die man gekoppelt mit dem wunderbaren Te Deum auf Supraphon (glaube ich) erwerben kann - das Laudes organi gehört für mich ohnehin zu den besten Stücken Kodalys....;-)


    Beste Grüsse,


    C.


    P.S.: an salisburgensis: ich werde es nicht vergessen. Es wird nur dauern ;)

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Auch auf englischem Boden wurde das Ordinarium Missae vertont, z.B. von William Byrd. Inzwischen in etlichen Einspielungen vertreten sind die drei Messen zu 3, zu 4 und zu 5 Stimmen. Sie mußten in aller Heimlichkeit komponiert und auch aufgeführt wurden. Grund dafür war die antikatholische Haltung der anglikanischen Kirche, das Feiern der Messe war verboten. Byrd selbst war aber katholisch, entging jedoch den in etlichen Verfahren auferlegten Strafen meist, weil er hoch anerkannt war und zudem einen guten Draht zum Königshaus hatte. Das mag der Grund sein, weshalb Byrd die drei Messen sogar veröffentlichen konnte, ohne dafür belangt zu werden. Allerdings soll bei weniger protegierten Personen allein der Besitz ausgereicht haben, um hingerichtet zu werden. So ist es kaum verwunderlich, dass es aus dem England dieser Zeit nur wenige weitere Vertonungen des Messtextes gibt.



    Einspielung der drei Messen durch die Tallis Scholars



    Thomas

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  • Salut,


    klingt interessant... ich kenne [leider] bisher nur ein wunderhübsches Violinkonzert von Byrd. Aber in Anbetracht Deiner obigen Ausführungen ist mir die Anschaffung der Byrd-Messen derzeit zu gefährlich...



    ?( ?( ?(


    Sind die Messen denn in Latein oder auf englisch, das würde mich noch interessieren? Ich vermute, Latein?


    Beste Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hi Ulli,


    ich glaube, du hast ein neues Lieblings-Smilie, oder? :D


    Die Messen haben, wie es sich für katholische Kirchenmmusik gehört, natürlich den lateinischen Text.


    Aber bist du dir sicher, dass wir vom selben Herrn Byrd reden?? Die Gattung des Violinkonzertes war damals doch noch gar nicht erfunden. ?( ?(


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
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    - H. Heine -

  • Ja, ich habe zur Zeit Henkersstimmung...


    Ich hatte eigentlich diese CD gemeint:



    [Englische] Violinkonzerte von


    Thomas Linley [1756-1778,
    James Brooks [1760-1809],
    Thomas Shaw [c1755-1830] und
    Samuel Wesley [1766-1837],


    gespielt von Elizabeth Wallfisch in Begleitung von The Parley of Instruments unter Leitung von Peter Holman


    Da habe ich mich wohl falsch erinnert... :motz:


    Ich werde aber daheim nochmals auf dem Cover nachschauen.


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • William Byrd lebte auch geringfügig vor den Herren Linley, Shaw und Wesley, nämlich 1543 - 1623.


    Thomas

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    - H. Heine -

  • Eine hochinteressante Aufnahme, zugegeben mehr unter musikhistorischen Aspekten, ist folgende Aufnahme



    Die mittelalterliche Messpraxis in Nürnberg wird anschaulich dargestellt mit Auszügen von Messen für bestimmte Stadtpatrone oder Reliquienmessen.
    Die Schola Hungarica singt dabei so lebendig und präsent, daß man eine kleine Zeitreise unternimmt!


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!



  • Hallo C. Huth,


    haben diese beiden Aufnahmen schon deine imaginäre Einkaufsliste verlassen und sind realer Besitz geworden?


    Der an ein paar Sätzen dazu interresierte
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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