Hallo miteinander,
zugegeben, man hätte auch fragen können "schon wieder ein Beethoven-Thread" oder die Fragestellung im Ludwig van Beethoven: Sinfonien Nr 1-9 Welcher Zyklus ist der Beste ? -Thread erörtern können, aber was bei den Herren Gardiner oder Rattle recht ist, soll bei Paavo Järvi billig sein .
Die bisher erschienenen Aufnahmen
wurden von der Fachpresse begeistert aufgenommen und auch im Forum hoch gelobt.
Aufnahmen, die sich an Beethovens Metronomangaben orientieren, gibt es seit ca. 30 Jahren (Gielens Einspielung der "Eroica" vom Oktober 1980 dürfte eine der ersten gewesen sein); nimmt man René Leibowitz (der 1961 alle Beethoven-Sinfonien aufnahm) oder z.B. Carl Schurichts Interpretation der "Eroica" mit dem Berliner Philharmonischen Orchester aus 1941 mit hinzu, so erkennt man, daß es eine lange Tradition gibt, Beethoven zu "enttitanisieren".
Auch ist es keine "Sensation" mehr, Beethoven mit reduzierter Orchesterstärke zu spielen. Anfang der 90er nahm die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Heinrich Schiff die ersten vier Sinfonien Beethovens auf und dürfte damals in ähnlicher Besetzung wie bei Järvi aufgetreten sein: Bei Beethovens 5. acht erste Violinen, sieben zweite, fünf Violas, fünf Violoncelli, drei Kontrabässe = 28 Streicher und drei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, drei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen und eine Pauke, also insgesamt 44 Orchestermitglieder.
Was also macht Järvis Beethovens so hörenswert? Warum soll jemand, der z.B. Gardiner, Zinman, Norrington und Harnoncourt als Beethoven-Dirigenten kennt und schätzt, noch einen (2/3)-Zyklus kaufen?
Selbst die neue Bärenreiter Edition verbreitet sich. Auch u.a. Zinman, Hugh Wolff und Abbado (Berliner Philharmoniker) folgten ihr.
Wolf Eberhard von Lewinski hat einmal über Günter Wand verlauten lassen, daß Wand "den Noten genau auf der Spur" bleibt "ohne je zu vergessen was -als das Entscheidende- hinter den Noten steckt". Diese weise Aussage mache ich mir u.a. zu Eigen, wenn ich für mich entscheide, ob mir eine Interpretation gefällt oder nicht.
"Nur schnell", also "Metronom pur" überzeugt mich bei Beethoven schon lange nicht mehr. Schnell erfaßt mich das Gefühl des "rein technischen Musizierens", der "Rekordjagd".
Dieses Gefühl habe ich bei Järvi allerdings nicht. Daß er Beethovens Tempo- und Dynamikvorgaben ernst nimmt, muß nicht weiter erwähnt werden. Daß durch die reduzierte Streicherbesetzung Holz- und Blechbläser mehr Gewicht erhalten und daß dadurch das gesamte Orchesterspiel kontrastreicher und "farbiger" gerät, liegt ebenfalls auf der Hand.
Järvis großes Plus liegt für mich darin, daß gerade druch die Farbigkeit des stets bestens disponierten Orchesters eine immense Spannung erzeugt wird. Man erhört quasi die Radikalität der Orchestrierung in der "Eroica" im Vergleich zu vielen Zeitgenossen neu, wenn zu Beginn des Finales die Streicher fast als Streichquartett geführt werden oder wenn der erste Satz der 8. Sinfonie nicht schwerfällig daher kommt, sondern feinsinnig-perlend, mit keck auftrumpfenden Hörnern und munter aufspielenden Holzbläsern einen mitreißenden Charakter erhält.
Trotz der schnellen Tempi wirkt Järvi niemals gehetzt. Im Gegenteil, in den langsamen Sätzen gestattet er insbesondere den Bläsern das liebevolle Ausspielen ihrer Passagen.
Spontaneität und rhythmische Präzision kennzeichnen Järvis Beethoven, das Orchester "hört gut aufeinander", so daß neben der schon erwähnten "Farbigkeit" eine ausgezeichnete Orchesterbalance hervozuheben ist.
Unterm Strich gehören die drei SACDs, die übrigens sehr transparent und natürlich klingen, für mich mit zu dem besten, was es zum Thema Beethoven zu kaufen gibt. Leichte Abstriche mache ich bei der 7. Sinfonie, die mir ein bißchen zu "gebremst" und kontrolliert-temperamentvoll interpretiert wurde, siehe Apotheose des Tanzes ? - Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr 7 -Thread.
Es folgen bis 2010 die 2., 6. und 9. Sinfonie. Insbesondere auf die 9. Sinfonie bin ich sehr gespannt, denn für mich gibt es noch keine "HIP" oder "HIP"-orientierte Einspielung (mit Ausnahme von Michael Gielen und mit einigen Abstrichen Norrington [SWR-Sinfonieorchester]), die mich zufrieden stellen konnte.
Mehr als bei allen anderen Sinfonien Beethovens zeigt sich bei der 9., daß das Metronom nicht den Maßstab einer guten Interpretation ausmacht. Man wird also sehen bzw. hören...
Welche Stellung nimmt bei Euch Paavo Järvi als Beethoven-Dirigent ein? Ist er einer von vielen oder liefert er einen Maßstab, den man künftig schlagen muß?
Ich freue mich auf viele spannende Beiträge...