Wiener Klassik

  • Ich möchte in diesem Thema auf die Wiener Klassik eingehen, denn mir ist sie bisher kaum zugänglich.
    Ich kann nicht nachvollziehen, was viele Hörer an Mozart so begeistert, bis auf ein paar Ausnahmen (z.B. die Kanons) werde ich beim Hören von Mozart geradezu agressiv, mich langweilt es. Ebensowenig kann ich mich, obwohl ich verstandesmäßig durchaus feststelle, dass es große Musik ist, für Beethoven begeistern. Auch hier gibt es Ausnahmen, wie einige der Sonaten.
    Eine Ausnahme eines Komponisten der Wiener Klassik, damit keine Missverständnisse entstehen, ist Schubert, ich denke, man zählt ihn eigentlich auch zur Frühromantik.
    Ich würde mir wünschen, das ihr eure Meinung zur Wiener Klassik äußert, was ihr dabei fühlt, was sie für euch interessant macht, oder ob es auch ähnliche Einschätzungen wie die meinige gibt.


    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Auch wenn ich gegen alle gängigen Musikgeschichtlichen Einordungen anlaufe, wenn ich die Begriffe wie "Vorklassik" und "Wiener Klassik" aus meinem Wortschatz verbanne - aber ich tue es nochmal:


    Für mich gibt es nur Rokoko , Klassik und Romantik, statt dieser beiden Bezeichnungen.
    Nach meinen Erfahrungen sind diese "Kategorien" einfach nicht zutreffen, ich will nicht direkt sagen falsch, aber das trifft es vielleicht noch besser.


    Das Zentrum der Symphonie war nicht Wien, sondern Paris. London und Wien ergatterten erst die führenden Plätze als der frz. Staat zusammenbrach.
    Das die ganze "Wiener Klassik" auf der Mannheimer Schule und den Symphonien aus Paris basiert wird oft vergessen.


    Ab 1770 würde ich die musikalische Epoche als Klassik bezeichnen, da auch in der Architektur und der Malerei die klassischen Ideale wieder aufgegriffen werden.
    Das an einer bestimmten Stadt festzumachen ist in Meinen Augen Unsinn, dafür kenne ich zuviele großartige Komponisten die nicht in Wien tätig waren.


    Zu Deiner Frage, vielleicht solltest Du Dich nicht nur mit Mozart beschäftigen, sondern mit den damals viel gefragteren Komponisten, der Zeit:


    Joseph Haydn
    Luigi Boccherini
    Domenico Cimarosa
    Antoni Salieri
    André Modeste Grétry
    Estiènne Mehul
    C.P.E. Bach
    Christoph Willibald Ritter von Gluck
    Christian Cannabich
    Die Familei Stamitz
    Antoni Rosetti
    Francois Devienne
    Francois Joseph Gossec


    das sind nur einige, aber manchmal kann man auch dem damaligen Geschmack vertrauen ;)


    Ich finde es einfach schade, dass viele dieser großartigen Meister immer mit Mozart verglichen werden - warum?
    Wie bei der Barockmusik - verlasse die großen bekannte Namen und wende Dich den damals Berühmten zu - dann endeckst Du wahre Schätze und lernst die Epoche vielleicht doch noch schätzen.

  • Salut, bubba,


    es ist ja wirklich erstaunlich, dass Du ausgerechnet die Kanons Mozarts magst…nun, ich kann es mir selbst erklären: Die Kanons als eine Art Krönung in Mozarts kontrapunktischem Schaffen haben natürlich analytisch gesehen rein gar nichts mit dem Wiener Klassischen Stil zu tun, sondern sind eine fortgeführte Tradition, die – wenn man es genau nimmt - bereits aus dem Mittelalter stammt.


    Wie der Lullist bereits richtig ansagte, ist der Wiener Klassische Stil eine Fortführung der Mannheimer Schule, die definitiv mit der Auflösung des Mannheimer Hofes im Jahre 1778 aufgehört hat, zu existieren. Die Mannheimer Schule ist quasi der Startschuss für die Veränderungen in der Musik und prägend für die Entwicklung der Sinfonie gewesen. Rückblickend betrachtet, klingen die Werke der MS für uns heute noch immer ein wenig steif und das liegt für mich eindeutig an der Entwicklung durch die Wiener Klassik, wie sie von den vom Herrn Lullist bezeichneten Komponisten (u.v.a.) vertreten wurde.


    Für mich bedeutet die Wiener Klassik nicht nur Experimentierfreude, Loslösen von der Steifheit, Entwicklung neuer Formen, Ausnützung der Eigensprache eines jeden Instrumentes sondern auch pure Lebensfreude: man merkt den Drang in einem jeden Werk, nach Vorne zu streben, mal etwas zu wagen, türkische Musik, Neuentwicklung von Instrumenten (z.B. Clarinette, Bassettclarinette durch die Gebr. Stadler), Virtuosität, Brillanz, Elegance und sogar Romance… es ist für mich ein Zeitgeist, den ich in der Musik miterleben darf! Dazu gehören auch die entsprechenden Stilmöbel, die Kleidung, die Sprache [vgl. Thread-Eintrag von Heldenbariton zu „Die Zauberflöte – ein Machwerk?], die Literatur, die Bilder und der musikalische Ausdruck… es ist eben ein Stil wie jeder andere heute auch [Jazz, Hardrock, Volksmusik, Rock, Punk, Pop…]: Alles kann nervös und aggressiv machen, es kann aber auch beruhigende oder gar faszinierende Wirkung haben.


    Mozart war hier insofern etwas besonderes, als dass er zwar an der Front mitgekämpft hat, aber eigentlich stets die „großen Meister“ wie Bach und Händel im Hinterstübchen dabei hatte: Sehr häufig finden wir bei Mozart kontrapunktisches Schaffen, was z.B. bei Salieri kaum der Fall ist. Rosetti hat dies teilweise, aber nicht so vielfältig und elegant verstanden, wie Mozart. Bei Devienne finden wir es gar nicht (mal ein Fugato…). Haydn war hier ähnlich wie Mozart und verwendete oft und gerne kontrapunktische (demnach „alte“) Kompositionsmethoden. Und das, finde ich, macht die Musik interessant und vielfältig.


    Ich finde da die Romantik, angefangen durchaus bei Beethoven und Schubert eher etwas langweilig und stur: Der Glanz der [Wiener] Klassik fehlt hier gänzlich, immer muss etwas in der Tiefe des Werkes zu finden sein. Nicht, dass ich das nicht mag – das gibt es selbstverständlich auch in der Klassik und ich schätze das sehr – aber die Romantik ist mir hier zu konsequent. Nenne mir ein wirklich lustiges romantisches Werk… Beethovens 1. und 2. Sinfonie lassen wir mal weg (zwar nett, aber weder noch richtig klassisch, noch bereits romantisch). Die 3.-8. Sinfonie z.B. mit Ausnahme der Pastorale (N° 6) sind schlichtweg total durchkonstruiert… hier ist fast nirgends ein wirklicher Aha-Effekt eingebaut. Die 9. wiederum ist etwas ganz arg besonderes, hier ist Beethoven wohl sich selbst ziemlich weit voraus gewesen, ebenso in seinen letzten Streichquartetten op. 129 und op. 130, die selbst seine engsten Freunde nicht spielen wollten…


    Bei E.T.A. Hoffmann gehörten z.B. Mozart und Haydn schon bereits zu den Romantikern... aber ist das ein Maßstab?


    Ich kann mich nur Herrn Lullist anschließen: Erkunde es…


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salut Ulli


    Zitat

    Die 3.-8. Sinfonie z.B. mit Ausnahme der Pastorale (N° 6) sind schlichtweg total durchkonstruiert… hier ist fast nirgends ein wirklicher Aha-Effekt eingebaut.


    Na ja, denke einmal an den berühmten dissonanten Übergang im Kopfsatz der 3. Symphonie. Außerdem könnte man die ganze 3. als einen einzigen 50-minütigen Aha-Effekt bezeichnen. Ein Kopfsatz, der mit zwei Schlägen und ebensovielen Generalpausen beginnt und so lange ist, wie die meisten Symphonien zuvor, dann als vollständiges Novum ein unglaublicher Trauermarsch, dann als ebensolches Novum ein verhuschtes Scherzo, und als Finale ein nie zuvor gehörter Klangrausch.


    Auch bei allen folgenden Symphonien wirst du neue Elemente der Kompositionstechnik finden können. Nur weil wir sie schon alle ausreichend gut kennen, fehlt für uns der Aha-Effekt. Für das damalige Publikum war jede neue Beethoven-Symphonie etwas erregend Neues!


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Salut, Theophilus,


    Zitat

    Ein Kopfsatz, der mit zwei Schlägen und ebensovielen Generalpausen beginnt


    Doch, das klingt wirklich klasse! Gleich zwei Generalpausen...


    Ich wollte keineswegs die Beethoven-Sinfonien schlecht machen. Ich höre sie - natürlich - eher selten. Und gerade deswegen fällt mir auf, dass mir ein wirklicher Durchbruch, außer schließlich bei der 9. Sinfonie, eigentlich fehlt... am schönsten finde ich übrigens die 8. Sinfonie,


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zunächst einmal vielen Dank für die rege Beteiligung.


    Ich weiß nur nicht ganz, Ulli, was Du mit 'Loslösen von der Steifheit' meinst.
    Im Vergleich zu Bach finde ich es ganz und gar unzutreffend, vielleicht trifft es zu im Vergleich mit anderen Komponisten der Epoche, die allgemein als 'Barock' bezeichnet wird (über den Sinn und Unsinn von epochalen Klassifizierungen kann man sich tatsächlich streiten).
    Ich möchte aber noch ein Gegenbeispiel anführen und das wären wohl die meisten Vertreter der Chromatik der Renaissance, z.B. Gesualdo, Wert, Marenzio, Monteverdi. Harmonisch gesehen sind, mal abgesehen von Bach (ich sage nur Choralbearbeitungen für Orgel), 'Barock' und 'Klassik' ein Rückschritt.


    Dies sind aber nur theoretische Betrachtungen, ich kann trotzalledem, der Experimentierfreude und dem 'Zeitgeist' dieser Epoche, nicht leugnen, dass mich beim hören dieser Musik (und das fängt leider schon bei den Bach-Söhnen an) eine unglaubliche Langeweile beschleicht.


    Mit dem unbekannteren Komponisten des 'Barock', wie zum Beispiel Hasse (der damals viel Bekannter war als Bach und die hochbezahlte Stelle in Dresden hatte) habe ich mich schon praktisch in einem Chor auseinandergesetzt, und bin auch nicht sonderlich begeistert. Es gibt bestimmt sehr viele interessante Kompositionen, doch ich suche noch. Danke für die Tips!


    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Zitat

    Ich weiß nur nicht ganz, Ulli, was Du mit 'Loslösen von der Steifheit' meinst.


    Salut,


    das kann [und soll?] man natürlich nicht ins Heute übertragen, sondern muss es - wenn es geht - aus damaliger Sicht betrachten. Der Lullist war es glaube ich, der einen wunderbaren Artikel über die Barockoper Lully's geschrieben hat. Dort ist schön beschrieben, welche strenge Kriterien solch ein Œvre damals zu erfüllen hatte.


    Die Chromatik findet sich übrigens in Mozarts Privatwerk (a-moll Rondo KV 511) ebenso wie in Bach's WT (a-moll Praeludium).


    Cordialement,
    Ulli


    Nachschrift: Es handelt sich bei meinem Beitrag übrigens nicht um eine Rechtfertigung, sondern um den offenbar nicht geglückten Versuch einer Erklärung. Es ist eben Geschmacksache - wie beim Essen. Versuche mir mal "schmackhaft" zu beschreiben, wie gut Krokodil oder Schlange schmeckt...

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Da hast Du recht, eine Geschmacksfrage, ich hatte gehofft, dass ihr diesen Geschmack, was ihr daran also findet, beschreiben könnt, was ja auch schon geschehen ist :) .
    Ich sagte ja, Bach muss man ausschließen, der hat harmonisch sich einiges getraut (es gibt eine Fantasie für Orgel, in welcher durch ALLE Tonarten chromatisch moduliert wird).
    Danke für den Mozart-Tip, werde ich mir mal anhören, ich frage mich nur, warum es soviele Werke in Dur-Dur und nochmals Dur von ihm gibt, ohne besonders einfallsreiche Modulationen, wenn er es doch eigentlich auch anders konnte.


    Ich habe mir die Gould-Einspielungen der Sonaten von Mozart angeschafft und muss sagen, dass sie lustig sind, aber nicht, weil ich die Musik irgendwie lustig fände, sondern, weil Glenn Gould sie dermaßen zergliedert und irgendwie diese Schwächen (für meinen Geschmack, versteht sich) pervertiert und somit aufdeckt, außerdem werden die sich oft wiederholenden Phrasen (ich sage nur Triller in der rechten Hand, Alberti-Bässe in der linken, alles Dominantsept oder diese für mich völlig sinn- und gehaltlosen Läufe) durch die hohen Tempi für mich erträglich.
    Wenn man dagegen Mozart mag, kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Einspielung etwas taugt.



    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Zitat

    Danke für den Mozart-Tip, werde ich mir mal anhören, ich frage mich nur, warum es soviele Werke in Dur-Dur und nochmals Dur von ihm gibt,


    ...für den moll-Fanatiker:


    Ich weiß nicht - bzw. kann es jetzt auf die Schnelle nicht finden -, ob die Anekdote stimmt: Aber der Erzesel Colloredo soll seinerzeit Werke in moll verboten haben... es soll großen Ärger wegen Mozart "kleiner" g-moll-Sinfonie KV 183 gegeben haben (vielleicht war es auch nur aus irgendeinem blöden Film...)


    Mozart in moll:


    1. Missa in c-moll KV 427 (417a)
    2. Requiem d-moll KV 626
    3. Kyrie d-moll KV 90
    4. Missa c-moll KV 139 (47a)
    5. Kyrie d-moll KV 341 (368a) !!
    6. La Betulia Liberata d-moll KV 118 (74c)
    7. Davidde penitente KV 469
    8. Don Giovanni (overtüre) d-moll/D-Dur KV 527
    9. Popoli di Tessaglia [Arie] c-moll KV 316 (300b)
    10. Als Louise die Briefe... [Lied] c-moll KV 520
    11. Sinfonie g-moll KV 183 (173dB)
    12. Sinfonie g-moll KV 550
    13. Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364, 2. Satz c-moll
    14. Klavierkonzert d-moll KV 466
    15. Klavierkonzert c-moll KV 491
    16. Klavierkonzert A-Dur KV 488, 2. Satz fis-moll
    17. Klavierkonzert Es-Dur KV 482, 2. Satz c-moll
    18. Klavierkonzert B-Dur KV 456, 2. Satz g-moll
    19. Klavierkonzert Es-Dur KV 271, 2. Satz c-moll
    20. Serenade c-moll KV 388 (384a)
    21. Adagio und Fuge c-moll KV 546
    22. Quintett g-moll KV 516
    23. Quintett c-moll KV 406 (516b)
    24. Quartett d-moll KV 421 (417b)
    25. Klavierquartett g-moll KV 578
    26. Triosatz d-moll KV 442
    27. Violinsonate e-moll KV 304 (300c)
    28. Sechs Variationen g-moll KV 360 (374b)
    29. Sonatensatz c-moll KV 396 (385f)
    30. Fuge für 2 Klaviere c-moll KV 426
    31. Klaviersonate a-moll KV 310 (300d)
    32. Klaviersonate c-moll KV 457
    33. Sonatensatz g-moll KV 312 (590d)
    34. Phantasie d-moll KV 397 (385g)
    35. Phantasie c-moll KV 475
    36. Rondo a-moll KV 511
    37. Adagio h-moll KV 540
    38. Kleiner Trauermarsch c-moll KV 453a
    39. Adagio u. Allegro f-moll KV 594
    40. Orgelstück für eine Uhr f-moll KV 608


    ...nicht zu vergessen etliche Mittelsätze in Sinfonien, Serenaden und Konzerten...


    Zitat

    Wenn man dagegen Mozart mag, kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Einspielung etwas taugt.


    Du irrst! Vielleicht spielt Gould ja auch gerade so, wie Mozart gespielt hat? Hast Du die Aufnahmen von Friedrich Gulda schon probiert?


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo,


    Bei 180 Beiträgen heute (Forenrekord) und Überbietung des gestrigen Forenrekords von735 Besuchern Heute ca 860 !!) ist es kein Wunder, wenn man erst relativ spät auf manchen Thread stösst, ja die Gefahr des Übersehens ist groß, sonst hätte ich mich schon früher hier zu Wort gemeldet.



    Wenn man der Meinung ist, daß einem die "Wiener Klassik nichts zu geben hat, dann muß man sich fragen: "Was hat mir denn etwas zu geben ?"


    Erst nach Beantworung dieser Frage kann man hier ein Urteil fällen, ob es sich überhaupt rentiert sich mit dieser Epoche überhaupt zu befassen.


    Die Einteilung in Rokkoko, Klassik und Romantik ist IMO zwar möglich, ändert aber nichts am eigentlichen Problem.


    Ich gehe mal davon aus, daß wer die "Wiener Klassik" mag, auch die Mannheimer Schule", mag, die heute der Frühklassiki oder Vorklassik zugerechnet wird - aber all diese Einteilungen sind für die eigentliche Frage nicht von Bedeutung.


    Wenn jemand Mozart nicht mag, der mir erklärt er würde Musik des 20. Jahrhunderts "interessant" ,"Spannend", "mutig" und voller "überraschungen" finden - Dinge die ihm beispielsweise Mozart nicht zu bieten habe - - Dann würde ich sagen: "Lass Mozart Mozart sein - Du wirst ihn nie verstehen", Haydn wird dich langweilen, bei Beethoven und Schubert weiß man das nicht genau.
    Mozart wird von solchen Menschen als "brav" "geziert" "Vorhersehbar" und "rokkokohaft" empfunden, ohne Brüche ohne Spannungen.


    Neuere Interpretationen zielen darauf ab Mozar auf eine "schrilllere" Linie hinzutrimmen, mit dem Ergebnis, daß noch weniger Leute ihn hören wollen.


    Mozart-Verehrer lieben jedoch das "ebenmäßige" , "liebliche", "sonnige"
    "ebenmäßige" an der Klassischen Musik, die vollkommen Balance, die diese Musik in der Regel auszeichnet, da gibt es nichts vulgäres oder verstörendes.
    Wer jetzt lauthals protestieren möchte, dem empfehle ich ein Gemälde Fragonards, Bouchers, Gainsborougs ("Der Morgenspaziergang" oder eines von Creuze zu betrachten. Alles war in vollkommener Harmonie, ein wenig verspielt, parfümiert, hell freundllich, und lebensfroh. Unangenehmes wurde gern zugedeckt, sogar die Herren schminkten sich in jener Zeit. Es herrschte ein überfeinerter Lebensstil. Selbstverständlich schlägt sich das auch in der Musik nieder.


    Mozartianer mögen die Musik des späten 19. Jahrhunderts als zu dick zu laut und zu derb empfinden,alles spätere als vulgär und unanhörbar für "Feingeister"


    Und schon sind wir beim Thema: Wem jede Verzierung ein Greuel ist, wer in Jeans rumläuft und Seidenkrawatten für überholt hält, wer der Meinung ist man könne immer und überall alles sagen, was man sich denkt, wer Fast-Food nicht nur isst, sondern wem es auch noch schmeckt - was könnte der im allgemeinen mit der Zeit der Klassik schon anfangen ? Musik ist stets ein Ausdruck der Zeit.


    Und des Temperaments: Ich persönlich brauche keine "überraschungen" in der Musik sondern Harmonie. Die kann wie etwa bei Beethoven, durchaus laut werden, auch schnell - - aber NIEMALS DISSONANT und unangenehm. Ähnliches gilt im Leben. Eie Flugreise sehe ich als kalkulierbares Risiko an, das ich nach Tunlichkeit vermeide, andere können es gar nicht erwarten an einem Seil hunderte Meter in die Tief zu springen lustvoll die Möglichkeit im Hinterkopf habend, das Seil könnte reissen. Oh welch wunderbares unkalkulierbares Restrisiko. Dass solche Menschen andere Musik lieben als jene die lediglich Harmonie suchen , mag verständlich sein.


    Daher ist es eher unwahrscheinlich daß man sich für Musik je begeistern wird die einem einsmals zuwider war. Ich hör heute auch Mahler, Stravinsky und Schostkawitsch. Vor die Wahl gestellt, würde ich aber immer Mozart oder einem der anderen drei "Wiener Klassiker" den Vorzug geben.


    Der Lullist irrt übrigens IMO, wenn er Paris als Sinfonienfreundliche Stadt sieht. Paris war eher das Zentrum der Oper. Sicher nannte man Opernvorspiele eines "sinfonia" , aber von dieser Kunstform war ja nicht die Rede, sondern von der "Klassischen" Sinfonie. Deren Vorreiter waren aber in Mannhein, deren Spitzenreiter jedoch in Wien.


    Momentan schließe ich, ich glaube aber, das das Thema "Wiener Klassik" uns noch einige Zeit beschäftigen dürfte....



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo Alfred,


    das "Concert Spirituel" in Paris war eine der ersten öffentlichen Konzertveranstaltungen in Europa und in der ersten Zeit wurden hier nur die großen Motetten von Lully, Delalande und Campra gespielt, untermischt mit den italienischen "Pausen" da kamen dann Italiener zum Zug - Vivaldis 4 Jahreszeiten wurden da aufgeführt, Corellis Concerti Grossi etc.


    Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde dieses "Konzert" das in dem gleichen großen Saal regelmäßig gegeben wurde (Salle des Menus Plaisirs), indem später die Generalstände zusammentraten.


    Die Symphonie wurde zu einem der wichtigsten musikalischen Ereignisse des "Concert Spirituel" hier führte Simon le Duc seine ersten Sinfonien auf - zur gleichen Zeit als es auch schon in Mannheim losging.
    Die ganze Familie Stamitz gastierte in Paris bei diesen Konzerten und Anton blieb sogar in Paris.


    Dann die legendäre Aufführung von Haydns Symphonien im Rahmen einer zweiten großen Konzertvereinigung: "Le Concert de la Loge", ausgeführt durch Jean Joseph Boulogne Chevalier de Saint Georges Oberhofmeister der Musik von Marie Antoinette.


    Das Orchester beindruckte nicht nur durch seine größe und sein Können, das was sofort ins Auge stach war die einheitliche Kleidung der Musiker - hellblaue Seidenanzüge.


    Weiter Konzerteveranstaltungen schossen wie Pilze aus dem Boden "Concert des Amateurs" dessen Leitung Gossec hatte z.B.


    Das Wien irgendwann die Haupstadt der Symphonie geworden ist bestreite ich gar nicht, aber nach Mannheim kam ersteinmal Paris.
    Eventuell könnte die Reise Mozarts damit auch etwas zu tun gehabt haben können. :P


    Es gibt noch mehr Dinge die dafür sprechen, Paris war damals die größte Stadt der Welt, in der Zeit vor den Unruhen die ab den 1780er Jahren zunahmen konnte, ein Musiker hier fast unbegrenzte Möglichkeiten vorfinden: Die Adligen scheuten keine Ausgaben um Aufführungen zu ermöglichen und alle großen Komponisten der Zeit waren mindestens einmals in Paris - und sei es nur durch ihre Werke.

  • Hallo Alfred,


    ich will nicht alles kommentieren, aber doch ein Pünktlein.


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Und des Temperaments: Ich persönlich brauche keine "überraschungen" in der Musik sondern Harmonie. Die kann wie etwa bei Beethoven, durchaus laut werden, auch schnell - - aber NIEMALS DISSONANT und unangenehm.


    Eben dies sahen die Zeitgenossen, auf die Du Dich ja berufst (ist ihr Lebensstil wie von Dir dargestellt, anstrebenswert?), bekanntlich völlig anders, waren entrüstet über den "dissonanten" Anfang der ersten Sinfonie, empört über den "Lindwurm" der zweiten, und über das "Chaos" in der dritten will ich lieber schweigen. Kurzum: Ganz so harmonisch und einfach war es damals wohl auch nicht ;)


    Ebensowenig, wie es einfach ist, zu meinen, die Musik im 20. Jahrhundert und auch die Mozartinterpretation unserer Tage sei "schrill" und einfach nur "lärmig". Es stimmt eben nicht so ganz, wenn man einmal genauer hinschaut.


    Nix für ungut und beste Grüsse,


    Claus

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Alfred schrieb:

    Zitat

    Ich gehe mal davon aus, daß wer die "Wiener Klassik" mag, auch die Mannheimer Schule", mag, die heute der Frühklassiki oder Vorklassik zugerechnet wird


    Bei mir ist´s umgekehrt, Mannheimer Schule höre ich ganz gerne, Wiener Klassik nur bedingt.


    Mein Beitrag zur Mozart-in-moll-Statistik:


    Ulli zählt 40 Werke auf, macht bei knapp 630 Einträgen im KV grade mal 6,4% in moll.
    2 von über 40 Sinfonien macht sagenhafte 5 %
    Von den 81 Sätzen der 27 Klavierkonzerte stehen 9 in moll (wenn ich richtig gezählt habe), macht immerhin 11%


    Das ließe sich genauso mit anderen Kategorien machen. Was rauskommt dürfte sich in diesem Rahmen bewegen.


    Zum Vergleich die Bach´schen Orgelwerke zwischen BWV 525 und 771. Da gibt es knapp 140 in moll und etwas über 100 in dur.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Diese Statistik ist interessant, aber wahrscheinlich wurden nicht alle moll-Stücke von Mozart aufgeführt.
    Aber darum geht es mir nicht.
    Ich liebe auch Harmonie, aber sie muss irgendwie interessant sein, als Beispiel: 'Credo' aus der h-moll Messe von Bach, es ist ein Gefühl der unendlichkeit, und wie wärs mit dem Praeludium F-Dur aus dem WTK2 ?
    Da hört man das Meer rauschen.
    Mir gibt also Harmonie durchaus etwas, oder eine der Brahms-Balladen (Tonart ist mir gerade entfallen, aber Dur) mit diesem unglaublich warmen Mittelteil.


    Viele Grüße

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Salut,


    Zitat


    Original von Salisburgensis
    Zum Vergleich die Bach´schen Orgelwerke zwischen BWV 525 und 771. Da gibt es knapp 140 in moll und etwas über 100 in dur.


    lässt sich - meines Erachtens - wie folgt erklären:


    Im (Ba)Rokoko wurde moll und Dur noch anders definiert als in der (Wiener) Klassik. "moll" als weiches und "Dur" als hartes Tongeschlecht im Rokoko gegen "moll" als trauriges und melancholisches bzw. "Dur" als glänzendes solches in der Klassik. Natürlch lässt sich das nicht verallgemeinern, aber mir geht es z.B. so, dass das Bach'sche d-moll-Konzert für 2 was auch immer [es besteht eine gewisse Auswahl...] mir ziemlich fröhlich, gar lustig vorkommt, wohingegen Mozarts d-moll-Klavierkonzert KV 466 sehr melancholisch, teils traurig ist.


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Ich persönlich brauche keine "überraschungen" in der Musik sondern Harmonie. Die kann wie etwa bei Beethoven, durchaus laut werden, auch schnell - - aber NIEMALS DISSONANT


    Eine mehr als sonderbare Aussage, noch dazu vom Administrator und einem anerkannten Musik-Experten.


    Was ist denn der Reiz von guter Musik und was man gerade bei Mozart und Beethoven so gut nachvollziehen kann? Es sind die Überraschungen, die nicht erwarteten Wendungen die eine Melodie erst interessant machen. Es ist das ewige Wechselspiel von Spannung und Lösung, von Harmonie und Dissonanz. Was wäre Mozart ohne der sprichwörtlichen Mozartschen Chromatik (und die funktioniert natürlich nur mit Dissonanzen)?


    Natürlich, wenn man ein Stück zum x-ten Mal hört, verschiebt sich die Erwartungshaltung, die Überraschungen nehmen ab und die Würze der Musik hat nicht mehr dieselbe Wirkung.
    Der Verminderte Septakkord verursachte Ende des 19. Jhdts nicht mehr denselben Schrecken wie Ende des 18. Jhdts. Daher mussten die Komponisten immer kräftigere Dissonanzen entwickeln. Eine Entwicklung die dann im 20. Jhdt. zum Fluch geworden zu sein scheint...


    lg
    Hyperion

  • Salut,


    Zitat


    Original von Alfred_Schmidt
    Und des Temperaments: Ich persönlich brauche keine "Überraschungen" in der Musik sondern Harmonie. Die kann wie etwa bei Beethoven, durchaus laut werden, auch schnell - - aber NIEMALS DISSONANT und unangenehm.


    Natürlich empfinden wir heute den C7-Akkord zu Beginn von Beethovens Erstlingswerk nicht mehr als dissonant, unser Ohr hat sich daran gewöhnt und es ist sogar eigentlich einer der schönsten und am häufigsten verwendeten Akkorde der Wiener Klassik [bereits vor Beethoven]. Und auch der Überraschungseffekt ist natürlich mit der Zeit etwas ausgehöhlt; die verschiedenen „erlaubten“ Wendungen (enharmonische Verwechslungen, verminderte – oder gar auch unverminderte – Septakkorde usf.) sind „schnell“ erschöpft... ich nehme an, Alfred, Du meinst mit Harmonie die Gewohnheit des Guten, Bekannten, Schönen... ? Und das ist auch gut so.


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salut, Alfred,


    ich nehme nochmals Bezug auf Dein Dissonanzenproblem:


    a) Was sagst Du zu der Einleitung von Mozarts Quartett C-Dur KV 465, dem so genannten Dissonanzen-Quartett? Gefällt Dir das oder nicht? Würde mich einfach mal interessieren…


    b) Haydns – für mich – schönste Dissonanzen findest Du in seiner unvollendeten Oper L’anima del filosofo • ossia: Orfeo ed Euridice, Finale des 2. Aktes [Nr. 45c.] Coro Oh, che orrore! Oh, che spavento! , Takte 153: Akkord g#-h-d-e-f und 154: Akkord g-a-b-c#-e. Kennst Du diesen? Er ist in der Einspielung der Oper mit Bartoli • Hogwood Nr. 27 auf CD II.


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    Ich hatte jedacht, jeder jeder würde verstehen, was ich meine.
    Mozart , was immer er auch schrieb, konnte mich begeistern. Wenn ich mir beispielsweise die "Naxos-Quartette von Maxwell-Davies anhöre, dann packt mich zwar nicht, wie vielleicht vor 25 Jahren, das kalte Grausen, aber ich denke mir: Gottseidank war das keine Vollpreis-CD, wär schad, da hätt ich was von Boccherinii kaufen sollen.


    Momentan bin ich übrigens in masochistischer Laune und hör grad das erstgenannte (Nr1)


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut, Althread,


    ich hab's ehrlich gesagt nicht kapiert...


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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