Salut,
haben wir das nicht alle schon einmal in mehr oder weniger nüchterndem Zustand ausprobiert? Ein nicht ganz gefülltes Glas Wein steht vor uns, wir tauchen den Finger hinein und fahren mit dem angefeuchteten Finger am Glasrand entlang? Alsbald erklingt ein ebenso süßer wie durchdringend scharfer Ton…
Dies ist nichts anderes als das Prinzip der Glasharmonika.
In der Tat machte man sich das Weinglasprinzip zunutze und ordnete verschieden gefüllte Gläser auf einem Resonanzboden an und rieb die Ränder mit angefeuchteten Fingern:
Als Benjamin Franklin 1760 erstmals in London von dieser Musik hörte, war er von dem Klang derart fasziniert, dass er gleich ans Tüfteln ging, um das labile Instrument technisch zu vervollkommnen. Dazu positionierte er die Gläser ineinander gesteckt seitwärts auf einer Metallspindel, die durch den Boden der einzelnen Gläser geführt wurde [Glasglockenkegel genannt]. Dazu passend konstruierte er einen Tretmechanismus ähnlich der einer Nähmaschine, mit dem die Spindel in Drehung versetzt werden konnte. Franklin schrieb am 13. Juli 1762 an seinen Vater:
[…]Entzückt von dem Schmelze der Töne und der Akkorde, welche Delaval darauf hervorbrachte, wünschte ich nur die Gläser passender und näher zusammengestellt zu sehen, um eine größere Anzahl Töne anbringen zu können, sowie auch das Ganze dem vor dem Instrumente sitzenden Spieler bequemer einzurichten […] Die Vorzüge dieses Instrumentes sind, daß es von unvergleichlich sanftem Ton ist wie kein anderes; daß die Töne, je nachdem man die Finger mehr oder weniger stark aufdrückt, zu- und abnehmend und nach Belieben lang ausgehalten werden können, und daß endlich das Instrument, wenn es einmal rein gestimmt, nie mehr nachgestimmt zu werden braucht. Zu Ehren ihrer musikalischen Sprache entnahme ich derselben den Namen für dieses Instrument und heiße es „Harmonika“. […]
Das Model Bauchladen sah wie folgt aus:
Friedrich Schiller schrieb in einem Brief:
Die Wirkung dieses Instrumentes kann in gewissen Situationen mächtig werden; ich verspreche mir hohe Inspiration von ihr […]
Die berühmteste Interpretin auf der Glasharmonika war wohl die blinde Marianne Kirchgäßner (1770-1808 ). Der eigentlich diesem Instrument gegenüber eher missgünstige Schubart schreibt über Marianne Kirchgäßner:
Ihr Spiel ist zum Bezaubern schön, es weckt nicht nur Traurigkeit, sondern sanftes, stilles Wonnengefühl, Ahnungen einer höheren Harmonie, wie sie die guten Seelen in einer schönen Sommermondnacht durchzittern. Unter ihren Fingern reift der Glaston zu seiner vollen schönen Zeitigung und stirbt so lieblich dahin wie ein Nachtigallenton, der mitternachts in einer schönen Gegend verhallt..
Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts waren Besonderheiten wie türkischer Stil, Glasharmoniken und mechanische Spieluhren sehr beliebt. Eine Vielzahl von Komponisten schrieben bezaubernde Werke für das gläserne Instrument [unvollständige Aufzählung]:
J. G. Naumann: 12 Solosonaten, Duo für Glasharmonika und Laute, Andante gracioso für Glasharmonika, Flöte, Viola und Cello.
J. F. Reichardt: Grazioso (solo), Rondeau in B für Glasharmonika und Streichquintett.
W. A. Mozart: Adagio C-Dur (solo) KV 617a, Adagio c-moll und Rondo C-Dur KV 617 für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello.
L. v. Beethoven: Teile der Bühnenmusik zu Dunckers Leonora Prohaska.
Chr. W. Gluck: Werk für musical glasses und Orchester.
A. Rosetti: Konzert für Glasharmonika und Streichquartett.
Ferner gibt es Werke von Clementi, Salieri, Hoffmeister, Pleyel, Hasse, Reicha, Viotti, Benda, Jommelli, Sarti, Haydn, Fasch, Vranitzky, Cramer, Vanhal und Zumsteg.
J. G. Naumann soll von zu viel Umgang mit dem Instrument in eine nervliche Krise gekommen sein.
Cordialement,
Ulli