Was hör(t)e ich gerade jetzt - Hörerfahrungen, Empfindungen, Erkenntnisse...

  • Hallo Forum,


    Der Urlaub an der Nordsee liegt hinter mir. Ich habe ein schönes Stück in Richtung „zurück zu mir“ zurückgelegt und somit fand nun endlich auch wieder die Muße Einzug in mein Leben. Habe wieder zum Tee (zurück)gefunden (wo wenn nicht in Friesland) und auch die Klassische Musik hat wieder ihren festen Platz. Jetzt sitze ich zu Hause auf meiner Terrasse, den Blick in den Garten gerichtet und habe einen guten Darjeeling in der Tasse.


    Auf meinen Ohren träumt Gustav Maler durch seine Dritte. Langsam. Ruhevoll Empfunden. Wie schön…


    Es war, neben Bach und Beethoven, Mahler, der mich damals zur Klassik führte. Habe Maler gewählt, weil es hieß er sei etwas abgedreht. Von Abgründen war die Rede. Das Schöne in der Musik habe ich ja erst einige Zeit später schätzen gelernt (Hallo Paul) und dann auch gezielt gesucht. In meinen Anfängen war erst mal Bombast und Pathos gefragt. Beethoven 3, 5, 6! Mahler 6! List – H-Moll-Sonate! Schnell fand ich dann zu Bach. Später zu Mozart und Schubert. Habe das Kunstlied für mich entdeckt…


    Heute sitze ich jetzt hier bei einer Guten Tasse Tee und entdecke die Schönheit in Mahler Musik. So ruhig, so filigran. Wohl wissend dass spätestens in 15 Minuten der Hammer folgt. Der Hammer wessen dem ich seiner Zeit zu Mahler griff. Man weiß was kommt. Das ist nicht spannend. Aber schön. Unsagbar schön.


    Ja, ich komme ins Plaudern.


    Und da wären wir bei der Thread-Idee. Ich saß jetzt da, mit Mahler auf den Ohren. Ergriffen von der Musik und der Situation an sich. Und als ich dann meine Empfindungen nach langer Abstinenz im nach wie vor geliebten Taminoforum kundtun wollte, da fand ich keinen so rechten Platz. Zu allgemein, mein wirres Gedankengut.


    In Anlehnung in den Thread "Was hört ihr gerade jetzt, soll es hier nicht um das WAS, sondern um das WIE gehen.


    Ihr sitzt nach einer Sinfonie mit offenem Mund in Euerem Wohzimmer und wisst nicht wie Euch geschah? Die Schönheit einer Musik trieb Euch die tränen in die Augen? Euch traf bei einem analytischen Hörversuch die Erkenntnis wie ein Blitz? Aber Eure wirren Gedankengänge lassen sich nicht einem speziellen Thread zuordnen. - Raus damit. Lasst uns teilhaben. Dies ist der Thead dafür.


    Liebe Grüße
    Euer Gallo

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Das letzte Mal hatte ich das Erlebnis beim erstem Hören von Sakamotos Album "Discord":


    Der symphonische Gedanke in diesem minimalistischen 4 Sätzer wurden durch unmittelbare Eindrücke eines Weltmusikkomponisten japanischer Herkunft genährt, als er unter anderem durch Afrika tourte...


    Nun, schon vorher vom bis dahin reichenden Werk dieses in meinen Augen (Ohren) sehr interessanten Komponisten fasziniert begab ich mich dann auf die Reise: Kenwood an, AKG K 1000 auf die Ohren und LOS:


    1. Satz: "Grief": Ein unglaublich zartes klagendes Gewebe von zwei sich immer mehr verschlingenden Klangreihen steigert sich zunächst unmerklich, dann aber immer mehr zu einer herzerweichend flehenden Musik, die bei mich einfach nur offenen Mundes in den 2. Satz entliess


    2. Satz: "Anger": Mit Gong, viel Schlagwerg und regelrecht aufschreiendem Orchester lässt mich der Meister richtig seine ohnmächtige Wut über die kürzlich beobachtete Unmenschlichkeit spüren. Das ganze Klanggeschehen dreht sich im Grunde genommen um einen einzigen Grundton, bis dann der gesamte Klangkosmos unter heftigstem Getöse in einen anderen höheren Ton umschlägt, was mir diesem ohnehin bewusst agressiven Musikstück noch richtig eins drauf gab.


    3. Satz: "Prayer": Nach so viel Wut nun wieder "Ruhe". Ruhe schon, aber was für eine: Diese Musik scheint direkt aus einem tibetischen Tempel zu kommen, so viel Harmonie, Sehnsucht und Hoffnung geht von ihr aus. Auch hier bin ich aufs Neue von der sakamototypisch ganz eigenen Auslegung minimalistischer Kompositionskunst geradezu begeistert. Ein Endorphinschub jagte den nächsten.


    4. Satz "Salvation": Hätte mir irgendjemand nach dem Hören von den Sätzen 1 bis 3 gesagt, dass dieses Werk erst im 4. Satz seine wahre Grösse zeigt - ich hätte ihn ungläubig von mir gewiesen - aber 3 min später wurde ich eines wahrhaftig besseren belehrt: Dem hochgesteckten Titel würdig wird - nach einer kurzen Melodrameinlage - aus den beiden Linien des ersten Satzes eine quasi Passaglia vorgestellt, die mich regelrecht in ein musikalisches Paradies voller Harmonie und Neuanfang hineinsog.


    Da war es dann, wie mir vorher nur bei den Erstentdeckungen von beispielweise Beethovens oder Mahlers Musik wiederfahren ist: Diese Musik, dieses Salvation mit seinen am Ende mächtigen mit Bläserschleppen ausgeschmückten Klangsäulen schaffte es mich binnen kürzester Zeit in den Zustand einer totalen Zufriedenheit zu heben, bis man dann von einem gewaltigen Gongschlag wieder in die Realität zurückbefördert wird.


    Eine musikalische Reise, wie sie mir seitdem bisher leider nicht mehr wiederfahren ist.

    alle Menschen werden Brüder ...