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Vorwort:
Dieser thread soll den „Musikalischen Exequien“ des Heinrich Schütz gewidmet sein. Ein solch hervorragendes und bedeutendes Werk hat sicher einen eigenen Thread verdient, wenn auch im allgemeinen Schütz-Thread einiges dazu gesagt wurde (einige Beiträge daraus habe ich in diesen Eröffnungsbeitrag mitaufgenommen). Bei Schütz bin ich auf etwas für mich wackeligem Grunde unterwegs, bin ich doch wahrlich kein Experte für diese Zeit. Ich hoffe, die Schütz-Freunde hier im Forum werden mich, falls nötig, korrigieren, und weitere Informationen beisteuern.
Ich habe das Werk für das „Alle hören“-Projekt nicht nur deshalb nominiert, damit auch mal alte Musik oder geistliche Musik drankommt, sondern weil gerade dieses Werk für mich ein ganz besonderes ist. Ich bin ein ausgesprochener „Fan“ von Requien und Trauermusiken, und diese von Schütz zählt bei mir mittlerweile zu den allerliebsten und ist die nichtlateinische, die ich am meisten schätze. Die Direktheit der Worte, die Unmittelbarkeit der Trauer und des Trostes, die Schlichtheit und Ruhe des Werkes berühren mich stets aufs Neue wieder.
Ich wünsche allen, die beim Hörprojekt mitmachen, viel Freude beim Hören des Werkes!
Link zum allgemeinen Schütz-thread: Heinrich Schütz
Über die Geschichte des Werkes:
Heinrich Schütz wurde geboren im thüringischen Köstritz, sein Landesfürst war somit Heinrich Posthumus von Reuß. Den Beinamen Posthumus bekam dieser, weil sein Vater und Ahnherr bereits vor dessen Geburt gestorben war. Auch sonst war der Tod ein wichtiges Thema für den Fürsten. Er beauftragte noch zu Lebzeiten Schütz, den er bereits seit Jahren persönlich kannte, für ihn eine Begräbnismusik zu komponieren. Ende 1635 starb er dann, und die Exequien wurden zur Begräbnisfeier am 4.2.1636 in Gera aufgeführt. Angeblich hörte sich der Fürst schon zu Lebzeiten das Werk an, aber dafür gibt es wohl keine sicheren Belege.
Es handelt sich also um ein Auftragswerk, das Schütz aber so hoch einschätzte, daß er es unter seine „Hauptwerke“ (als Opus 7) aufnahm. In der Regel war das wohl bei Auftragskompositionen nicht der Fall. Inzwischen ist es das berühmteste und beliebteste (Anzahl an Aufnahmen) Werk Schützs geworden, weil (oder obwohl?) es von ganz außergewöhnlicher musikalischer Qualität und epochaler Bedeutung ist. Davon möge sich jeder selbst überzeugen.
Aufbau und Text der Exequien:
Das Werk ist dreiteilig angelegt, wobei der erste der weitaus längste ist.
I: Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Missa SWV 279
II: Motette „Herr, wenn ich nur dich habe“ SWV 280
III: Canticum Simeonis SWV 281
(SWV – Schütz-Werke-Verzeichnis)
Zur Besetzung: Es singen 2 Chöre (als Favorit-Chor mit Solisten und Capell-Chor im I. Teil aufgeteilt; zum besonderen Einsatz der beiden Chöre im III. Teil siehe Salisburgensis' Beitrag weiter unten zur Arman-Aufnahme), begleitet von einer kleinen Continuo-Instrumentengruppe. In der Gardiner-Aufnahme kommen im II. Teil noch einige Blechbläser hinzu – ich weiß nicht, ob das richtig so ist.
Der Text besteht im I. Teil aus einer Folge von Bibelsprüchen, die der Fürst zu Lebzeiten auch als Gravur für seinen späteren Sarg bestimmte. Der Titel (in Form einer Messe) deutet auf die grobe Orientierung an der Missa brevis (Kyrie und Gloria) hin:
Kyrie eleison: Nacket bin ich...
Christe eleison: Christus ist mein Leben...
Kyrie eleison: Leben wir...
Qui tollis: Wenn eure Sünde...
Suscipe deprecationem: Gehe hin, mein Volk...
Qui sedes: Ich weiß, daß mein Erlöser...
Quoniam tu solus sanctus: Herr, ich lasse dich nicht...
Beide Messenteile werden vom Solo-Tenor intoniert, und es folgt meist ein Wechsel aus von Solisten vorgetragenen Bibelworten und Choralpassagen.
Link zum Text: http://heinrich-schuetz-haus.de/swv/sites/swv_279.htm
Der Text im II. Teil entspricht der Begräbnispredigt des Fürsten (hatte dieser natürlich auch zu Lebzeiten schon festgesetzt). Es ist ein reines (Doppel-) Chorstück; vertont wurde ein Teil aus Psalm 73.
Link zum Text: http://heinrich-schuetz-haus.de/swv/sites/swv_280.htm
Der Text im III. Teil, gesungen bei der Beisetzung (Hinablassen des Sarges) besteht aus den Worten Simeons, der nach Anblick des Jesuskindes mit seinem Leben ausgesöhnt war (dies entspricht dem katholischen bzw. lateinischem „Nunc dimittis“). Schütz hat diese Worte übrigens noch drei weitere Male vertont.
Link zum Text: http://heinrich-schuetz-haus.de/swv/sites/swv_281.htm
Zur Musik:
Über die musikalischen Details sprechen lieber musiktheoretisch und musikhistorisch bewanderte als ich es bin. Ich werde evtl. noch einige interessante Booklet-Zitate dazu nachliefern (auszugsweise darf man ja noch zitieren, hoffe ich) und fange mit diesem an:
Hinzu kommt die Bildlichkeit der Komposition, ihre abbildliche Beziehung zum Text, indem die Ton- und Klangbildungen mit dem Inhalt der Worte übereinstimmen, z.B. gleich zu Beginn die „Blöße“ der Ton- und Akkordwiederholungen bei den Worten „Nacket werde ich...“ oder dann das „Wegnehmen“ der Töne, die Pause in allen Stimmen bei den Worten „...der Herr hats genommen“. Wohl mehr als hundert solcher Bilder sind in dem Werk enthalten.
(aus dem booklet der Ehmann-Aufnahme; die booklets der 5 CDs haben mir freilich auch beim übrigen Text geholfen)
Meine subjektive Wahrnehmung der Musik Schützs habe ich in der Einleitung bereits anklingen lassen. Dazu möchte ich später dann auch noch etwas loswerden, besser aber nicht gleich im Eröffnungs-Beitrag.
Aufnahmen:
Ich hatte Gelegenheit, mir folgende fünf Aufnahmen anzuhören:
Wilhelm Ehmann / Westfälische Kantorei (1960)
I: 29:48
II: 3:29
III: 5:24
Wolfgang Helbich / Alsfelder Vokalensemble, I Febiarmonici (2001)
I: 22:14
II: 2:59
III: 3:48
Howard Arman / Schütz-Akademie (1992)
I: 22:56
II: 3:22
III: 4:38
John Eliot Gardiner / Monteverdi Choir, English Baroque Soloists (1987)
I: 22:54
II: 3:05
III: 4:41
Philippe Herreweghe / La Chapelle Royale (1987)
I: 25:59
II: 3:39
III: 4:55
Als zweites Stück auf der CD ist die Johannespassion von Schütz zu hören, für die ich eine neuere Alternativaufnahme suche.
Die Naxos-CD mit Helbich ist eine interessante neuere Alternative. Mir gefällt die Aufnahme gut (ich hatte die Exequien mit dieser CD kennengelernt und bin ein wenig dadurch vorgeprägt) – sehr ästhetisch ansprechend und einfühlsam.
Auf der CD ebenfalls enthalten sind „Die sieben letzten Worte Jesu Christi am Kreuz“ SWV 478.
Die Arman-Aufnahme, die ich nach dem ersten Hören als „blaß“ und „durchschnittlich“ empfand bzw. abtat, hat sich bei genauerem Hinhören als verstecktes Juwel erwiesen. Nicht zuletzt die überragendem Kritiken hier im Forum ließen mich nochmal genau hinhören: Das ohnehin schon recht nüchtern wirkende Werk ist nochmal aufs Notwendigste entschlackt und wirkt so sehr unmittelbar, fast komplentativ und wunderschön (etwa so wie ich schlichte romanische Kirchen wunderschön finde). Ja, ich kann mir vorstellen, daß dies dem Klang von 1635 nahe kommt.
In dieser Aufnahme werden die Exequien durch einen Choral unterbrochen, so wie auch beim Trauergottesdienst für von Reuß außer Schützs Musik weitere Choräle erklangen. Es wurden für die Aufnahme „Herzlich lieb hab ich dich“, „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ und „Hört auf mit Weinen und Klagen“ ausgewählt, die die Musikalischen Exequien ergänzen - jeweils Kompositionen von Michael Praetorius.
Auf der CD finden sich noch weitere deutsche Trauermusiken des Frühbarock.
Zitat von BigBerlinBearDie Musik von Heinrich Schütz bezieht den Raum, für den sie konzipiert wurde, in das Klang-Geschehen ein: Bei den "Musikalischen Exequien" die in der Salvator-Kirche zu Gera im Jahr 1636 zum ersten mal erklangen, wurde der Hauptchor im Halbkreis im Kirchenraum verteilt; ein weiterer
kleinerer Chor in der geöffneten Gruft aufgestellt.
Die erste Aufnahme, die dem Rechung trägt, ist die Howard Armans mit der Schütz-Akademie und ihm gelang eine Einspielung von großartiger Intensität, die für mich alle anderen Aufzeichnungen dieses Schlüsselwerkes des Frühbarocks weit hinter sich lässt: Es ist zu bedauern, daß Arman seine Schütz-Interpretationen nicht fortgesetzt hat.
Zitat von SalisburgensisAlles anzeigenich möchte nochmal auf die Musicalischen Exequien zurück kommen und auf die schon von BigBerlinBear empfohlene Aufnahme mit der Schütz Akademie unter Howard Arman.
Den dritten Teil, das Canticum Simeonis mit dem Text "Herr, nun lässest du deinen Diener in Friede fahren", läßt Schütz von zwei getrennten Chören singen. Der erste Chor, 5stimmig, bestehend aus Sopran, Alt, 2 Tenören und Baß, singt: "Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast für allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volks Israel." und symbolisiert die, die der Verstorbene zurückgelassen hat.
Der zweite Chor, 2 Soprane und ein hoher Baß dagegen steht für das Überirdische, den Ort, an dem der Verstorbene seine ewige Ruhe findet. Der Text: "Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach. Sie sind in der Hand des Herren und keine Qual rühret sie. Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben."
Der Gegensatz zwischen dem tiefen ersten und dem hohen zweiten Chor stellt die Distanz zwischen Himmel und Erde dar. In der Aufnahme mit der Schütz Akademie wird nun diese Distanz auch räumlich vollzogen, mit einem überwältigenden Effekt. Der Engelchor steht weit entfernt und ist anfangs nur zu erahnen. Erst etwas später, wenn das Erdenvolk schweigt, kann man ganz sicher sein, dass da noch mehr ist. Erst dann hört man die Engel deutlich heraus, die mit ihrer Botschaft die Hinterblieben trösten: "Sie sind in der Hand des Herren und keine Qual rühret sie".
Zitat von BigBerlinBearOhne die von mir beschriebene Öffnung der Reussischen Gruft, was erst die Simulation der Sitution zum Zeitpunkt der Beisetzung des Grafen Heinrich Posthumus ermöglichte, hätte diese exemplarische Aufnahme nicht entstehen können und der Gemeindekirchenrat zeigte sich anfangs wenig Willens, dem Ansinnen Armans zu entsprechen.
In Anbetracht der Hochwertigkeit dieser Einspielung (das kann man auch auf die anderen Darstellungen der Schütz-Akademie überrtragen) ist es umso bedauerlicher, daß dieses Kapitel wirklich kompetenter Schütz-Interpretation unwiderruflich der Vergangenheit angehört.
Was man Gardiner vorwerfen könnte, ist, zu sehr Wert auf Präzision gelegt zu haben als auf Gefühl und tiefempfundene Trauer. Das wird z.B. im direkten Vergleich mit Arman, aber auch Helbig klar. Er rast allerdings nicht durch die Partitur, wie er das manchesmal tat. Dennoch ist diese CD auf jeden Fall eine Bereicherung, ob nun als Erst-, Zweit- oder Drittaufnahme; dafür reicht alleine die grandios musizierte Saul-Motette (nebst anderer Schütz-Motetten als „Füllstoff“ enthalten).
Zitat von MStauchVielleicht am bewegendsten die Musikalischen Exequien, das wohl erste Requiem in deutscher Sprache. Typisch für Schütz, der äußerst konzentrierte auf den Kern der Existenz und auf geistliche Fragen gerichtete Text, der eindrucksvollst in Musik gefaßt wird. Die schönste Aufnahme der Exequien ist für mich die von John Elliot Gardiner und dem Monteverdi-Chor, 1988. Ich sehe das Gardiner-Wirken sehr differenziert, aber diese Aufnahme geht unter die Haut. Andere Aufnahmen kenne ich in größerer Zahl, für mich ist es diese. Die Exequien sind vielleicht überhaupt der beste Zugang.
Zitat von SagittDeswegen plädiere ich dafür, in Schütz die Trostmusik zu erkennen. Er hat viel Schrecken konkret miterlebt, viel Leid,weil er alle Angehörigen sterben sehen musste und die Musik hat ihm sicher geholfen, alles dies zu tragen. Das möchte ich hören- und das höre ich bei Gardiner zu wenig.Ich habe den Eindruck, er kann mit der Gemütsdimension des Protestantismus wenig anfangen- und deswegen ist dies nicht meine Referenzaufnahme.