Diesen Thread beginne ich mit einer persönlichen Entschuldigung: Ich bin kein Alte-Musik-Experte. Und ich wildere in BBBs und des Lullisten ureigenstem Terrain. Aber ich bitte um Nachsicht. Es muss sein. Denn in letzter Zeit hat kein Komponist meinen Mund so nachhaltig offenstehen lassen wie dieser.
Guillaume Bouzignac ist ein absoluter Zufallstreffer. Ich stehe in meinem CD-Fachgeschäft Da Caruso in der Wiener Operngasse, ein Kunde walkt Alte Musik durch. Etwas Monteverdi, kennt man ja, Bach auch, dann folgt ein Gesualdo - und dann etwas, das ich nicht einordnen kann: Eine seltsame Mischung von Stilen, ungeheuer expressiv, fasziniert mich restlos in ihrem kühnen Nebeneinanderstellen, fast etwas wie ein Renaissance-Janácek. Das ist von...
...Guillaume Bouzignac.
Aha.
Bin ich froh, daß der Kunde die CD ins Regal stellt - oder vielmehr stellen will, denn ehe sie das Fach berührt, habe ich sie in Händen und geb' sie nimmer her. Es ist diese CD:
Jetzt kommt der Abschnitt, in dem man normalerweise forumskonform ein wenig über die Biographie erzählt.
Aber nichts da. Leider.
Von Bouzignac haben wir folgende Fakten:
- Geboren um 1587 im Languedoc
- vermutlich ausgebildet an der Chorschule der Kathedrale von Narbonne
- 1606 "maitre de musique" an der Kathedrale von Grenoble
- vor 1634 in Tours in Diensten von Gabriel de la Charlonye
- nach 1643 gestorben.
Mit ziemlicher Sicherheit war Bouzignac die meiste Zeit seines Lebens nicht an einem Fürstenhof engagiert (andernfalls gäbe es mehr Zeugnisse über ihn). Seine Musik ist indessen nur in Handschriften überliefert, die erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefunden und herausgegeben wurden.
Was macht nun Bouzignacs Musik so einzigartig? Ich bin versucht, von einem "französischen Gesualdo" zu sprechen, aber das wäre irreführend. Bouzignacs Harmonik ist nämlich keineswegs verwegen neuartig. Es ist vielmehr die Art, wie er mit dem Material umgeht.
Er paßt es der dramatischen Szene an, stellt Stimmen dialogisierend einander gegenüber, behandelt die Chorstücke wie dramatische Szenen, indem er Polyphonie und Homophonie mischt und auch stilistische Eigenarten miteinander kontrastieren lässt. "Postmoderne" von anno dazumal ist das beinahe. Und führt zu erstaunlich rauhen Klangergebnissen.
Aber nicht nur das: In "Ecce homo" verwendet er den Text des Neuen Testaments - aber, um es mit einem modernen Ausdruck zu sagen - er fragmentiert ihn, indem er alle Zwischentexte wegläßt und das Geschehen auf die direkte Rede beschränkt. Jesus steht vor Pialtus. Die Musik ist von einer Gespanntheit, wie ich das bis herauf in unsere Gegenwart kaum erlebt habe. Und das Ganze zusammengedrängt auf gerade einmal zwei Minuten.
Im Moment ist lediglich eine zweite CD greifbar, die ausschließlich Werke Bouzignacs bietet, nämlich diese (mir im Moment noch unbekannte):
Leider kenne ich die anderen Stücke Bouzignacs nicht - aber wenn sie das Niveau nur annähernd so halten, dann wäre es hoch an der Zeit, das Gesamtwerk dieses außerordentlichen Komponisten zugänglich zu machen.