Kaiser Karl VI. und die Musik

  • Über "Mozarts Kaiser" Joseph II. habe ich bereits eine kurze Abhandlung verfasst (siehe hier), heute soll die Rede von Karl VI. sein, einer (heute) ungleich unbekannteren Herrscherpersönlichkeit, die dem Normalsterblichen des Jahres 2008 am ehesten noch als der Vater Maria Theresiens sowie der (sich späterhin als so trügerisch erweisenden) Pragmatischen Sanktion geläufig ist. Dabei lohnt sich die nähere Beschäftigung mit diesem Habsburger - dem letzten "echten" (will heißen: in direkter männlicher Linie) übrigens - durchaus. Bei den Zeitgenossen ging er als "Gnädigste[r] der Prinzen in Europa" [1] und als "Titus seines Jahrhunderts" [1] in die Geschichte ein. Er war der Kaiser des Barock. Unter ihm erreichte diese Epoche ihren Zenit, mit ihm ging sie (zumindest in Wien) eigtl. auch schon wieder unter. Seine beinahe dreißigjährige Herrschaft (1711-1740) stellte den allerletzten Höhepunkt pompös-theatralischer römischer Kaiserherrlichkeit dar, nach ihm ist der sog. "Reichsstil" in der Kunst benannt worden. Seine Haupt- und Residenzstadt Wien strahlte wie ein funkelnder Diamant am Firmament des damaligen Europa und brauchte sich wahrlich nicht vor Versailles verstecken: während dort der Hofstaat seit den Tagen des Regenten Philipp v. Orléans (1715-1723) sogar leicht schrumpfte und weniger exorbitante Ausmaße annahm, blähte sich sein Wiener Pedant vielmehr immer mehr auf; bereits Maria Theresia (1740-1780) leitete eine drastische Reduzierung des barocken Pomps ein, unter Joseph II. (1780-1790) und Leopold II. (1790-1792) war vom imperialen Gehabe des noch im Geiste der Gegenreformation erzogenen (und ihr bis zum Ende verhaftet gebliebenen) Großvaters schließlich kaum mehr etwas spürbar.


    KARL VI.
    geb. 1. X. 1685 Wien
    als Carolus Franciscus Josephus Wenceslaus Balthasarius Joannes Antonius Ignatius,
    Königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, Erzherzog von Österreich
    gest. 20. X. 1740 ebd.
    König von Spanien, beider Sizilien und Jerusalem 12. IX. 1703
    König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien und Slawonien 17. IV. 1711
    Römischer Kaiser 12. X. 1711
    König in Germanien 12. X. 1711


    Zwar "zeichnete sich die beginnende Krise der kaiserlichen Reichspolitik und ihr Niedergang" [2] bereits in den letzten Lebensjahren Karls VI. ab - etwa die ungelöste Nachfolgefrage des söhnelos gebliebenen Habsburgers, insbesondere die immer wieder hinausgeschobene Wahl seines Schwiegersohns Franz Stephan zum Römischen König noch zu seinen Lebzeiten -, doch "ein Jahrhundert glanzvollen kaiserlichen Vorrangs" [3] ging dennoch erst am Todestag Karls VI. zu Ende - der sterbende Kaiser riss gleichsam die nach dem Westfälischen Frieden 1648 mühsam wieder erarbeitete kaiserliche Machstellung, die - im Gegensatz zu früheren Annahmen - ganz erheblich war, mit ins Grab. In der Tat gelang es Karl VI. vom Todestag seines einzigen Sohnes Leopold (1716-1716) an bis zu seinem eigenen nicht mehr, einen weiteren in die Welt zu setzen - woran dies lag, darüber kann nur spekuliert werden. Als gesichert kann allerdings gelten, daß die Liebe des Kaisers eher seinem Minister Graf Althann galt denn der Kaiserin (mit der er aber dennoch eine harmonische Ehe führte). So schrieb er - für ihn total untypisch - zum Tode des besagten Grafen Althann 1722 völlig am Boden zerstört in sein Tagebuch: "16. März 1722 halb 7 auf, unter der letzt Mess, ganz gah, oh höchster Gott, um 8 mein einziges Herz, mein Trost, mein treuester Diener, mein Herzfreund, der mich wie ich ihn 19 Jahr inniglich geliebt, in wahr Freundschaft gehabt, in diesen 19 Jahr nie uneinig gewes, mein Kammerherr nachher Oberstallmeister, mein alles, mein liebster Michael Johann Graf Althann gestorben in einer halb 4tel Stund, seind unser Herz zertrambt worden, der ewig in mein Herz und den ewig in sein Kinder und Frau, was ich ihm schuldig, so lang ich leb erkändlich sein werde. Gott sei mein Leid geklagt, da ich all Trost, alles vor mich verlohren, Gott sei seiner Seel gnädig und tröst mich Amen." [4]


    Karl VI., der die Kronen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, (nominell) Spaniens, beider Sizilien (Neapel-Sizilien), Jerusalems, Ungarns, Böhmens, Dalmatiens, Kroatiens usw. auf seinem Haupt vereinigte und somit die Wiederherstellung des Reichs Karls V. (1519-1558) in greifbare Nähe rückte, war jedoch auch - und das interessiert uns in diesem Zusammenhang freilich am meisten - ein großer Freund der Musik, der letzte der komponierenden Kaiser. Zwar waren die heute bekanntesten Komponisten jener Zeit - Händel und Bach - nicht in Wien (der eine war in London, der andere war keinesfalls so populär wie heute), doch hatte die Kaiserstadt mit Johann Joseph Fux einen ebenso hochkarätigen Compositeur in ihren Diensten, welchen er zum Hofkapellmeister ernannte.


    Zum musikalischen Geschmack des Kaisers sei bemerkt, daß er den französischen Stil nicht leiden konnte - ein Merkmal, das auf viele Habsburger zutrifft (sicher nicht zuletzt auch durch die österreichische Antipathie gegen Versailles begründet). Er komponierte - wie bereits erwähnt - auch selbst, doch ist - im Gegensatz zu seinem Vater - von ihm wenig erhalten geblieben. Karl soll auch nicht ganz die Tonsetzerqualitäten Leopolds I. erreicht haben, jedoch verstand er von der Sache an sich sehr viel. In seinen Tagebüchern sind uns auch Opernaufführungen überliefert - leider aber nicht namentlich. Er ließ es sich auch nicht nehmen, zuweilen selbst zu dirigieren, so etwa nach der Geburt von Maria Amalia.


    "Die kaiserliche Hofkapelle und die Kammermusik wurden bald als die besten in ganz Europa angesehen und verschlangen erhebliche Summen, hatte die Hofkapelle im Jahre 1723 doch 134 Mitglieder. Bis über 60.000 Gulden konnte eine einzige Oper kosten, die damals auf dem Spielplan noch nicht so in Serie gingen wie heute." [5]


    Weitere bedeutende Komponisten am Hofe Karls VI. waren etwa Antonio Caldara und Nicolá Porpora, von den Dekorationskünstlern sei nur der Name Giuseppe Galli-Bibiena genannt.


    In diesem Zusammenhang muß auch der Name Pietro Metastasio fallen, ein Dichter aus Rom, der auch Opernlibretti verfasste. Der Kaiser war von diesem so positiv überrascht, daß er ihn 1730 zum Kaiserlichen Hofpoeten ernannte (und Stelle, die Metastasio bis zu seinem Tode 1782 behalten sollte).


    Doch auch das Volkstheater blühte zu Zeiten Karls VI. auf: Unter Josef Anton Stranitzky hatte das Kärtnertortheater einen solch ausgezeichneten Ruf, daß sich sogar der Kaiser samt Gemahlin nicht selten dorthin begab.


    Insgesamt betrachtet bietet sich also ein völlig neues Bild des Wiens der 1710er, 20er und 30er Jahre, das bislang immer völlig zu unrecht so im Schatten des Hofes von Versailles stand. Gerade auch in musikalischer Hinsicht erwarb sich die Stadt bereits unter Karl VI. Weltgeltung.



    Quellenverweise:


    [1] Rill, Bernd: Karl VI. Habsburg als barocke Großmacht, Graz, Wien, Köln 1992, S. 189.
    [2] Press, Volker: Die kaiserliche Stellung im Reich zwischen 1648 und 1740 - Versuch einer Neubewertung, in: Schmidt, Georg (Hrsg.): Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Stuttgart 1989, S. 76.
    [3] ebd., S. 80.
    [4] Rill, Bernd: Karl VI. Habsburg als barocke Großmacht, Graz, Wien, Köln 1992, S. 193 ff.
    [5] ebd., S. 198.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Insgesamt betrachtet bietet sich also ein völlig neues Bild des Wiens der 1710er, 20er und 30er Jahre, das bislang immer völlig zu unrecht so im Schatten des Hofes von Versailles stand. Gerade auch in musikalischer Hinsicht erwarb sich die Stadt bereits unter Karl VI. Weltgeltung.



    das wundert mich sehr, denn eigentlich war der Habsburger Hof stets ein Musikzentrum ersten Ranges.
    Gerade unter Ferdinand III und Leopold I.
    Man denke nur mal an die Festoper "Il pomo d'oro" von 1667



    Die Musik am Hofe Karls VI. war ziemlich italienisch (römisch) geprägt. Das ist schon ein Unterschied gegenüber dem Musikgeschmack seines Vaters, der den venizianischen Musikstil bevorzugte. Joseph I. schien übrigens den frz. Stil zu mögen, denn Fux widmete ihm seine Sammlung "Concentus Musicus Instrumentalis" die ja aus Orchestersuiten in frz. Manier besteht.
    Zwei Heute etwas bekanntere Komponisten hatten auch die Ehre für den Kaiser zu komponieren:



    Antonio Vivaldi, der Karl VI. seine Sammlung "La Cetra" widmete und Tomaso Albinoni, der für den Hof die Festa Teatrale "La Nasciamento dell'Aurora" schrieb, wahrscheinlich um die Geburt von Maria Theresia zu feiern (kann nicht direkt bewiesen werden, aber das Sujet des Werkes und die Entstehungszeit legen die Vermuung sehr nahe).


    Für Karl VI. dürfte noch ein weiterer Komponist sehr wichtig gewesen sein:


    Ferdinand Tobias Richter (1651 - 1711) Denn er war für die musikalische Ausbildung der Kaiserlichen Söhne Leopolds ( Joseph I. und Karl VI.) verantwortlich.
    Er verfasste mehrere Opern, Oratorien und eine ganze Reihe Instrumentalwerke. Am Hof hatte er die Position des ersten Organisten, also das Wienerische Pendant zu Francois Couperin in Versailles.

  • Sicher, der Wiener Hof war als Kaiserhof seit dem 17. Jh. ein Zentrum der Musik, besonders - wie Du richtig sagst - ab Ferdinand III. Vorher weniger, auch wegen des neuerlichen Residenzwechsel nach Prag (1583-1612). Konnte sich dann erst ab Ferdinand II. langsam etablieren.


    Dennoch ist er aus heutiger Sicht m.E. ein wenig im Hintertreffen - also was die Zeit vor Gluck angeht. Sieht man auch an den relativ wenigen Aufnahmen (zum Glück hat sich die Situation aber gebessert).


    Ich denke, die lange Zeit v.a. politische absolut unangefochtene Dominanz Frankreichs im 18. Jh. trägt dazu erheblich bei, daß andere Höfe in den Hintergrund traten - und dies zu unrecht, wie gesagt. Seit einigen Jahren wird der frz. Absolutismus an sich in Frage gestellt (gab es ihn je in Reinstform?), das ach so schwache "politische Monstrum" von Reich rückt mehr in den Mittelpunkt, und damit automatisch auch der Kaiserhof in Wien.


    Mehr gab die Karl VI.-Biographie musikalisch nicht her, es ließe sich gewiß noch viel hinzufügen - und dies soll auch ruhig getan werden.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Joseph I. schien übrigens den frz. Stil zu mögen, denn Fux widmete ihm seine Sammlung "Concentus Musicus Instrumentalis" die ja aus Orchestersuiten in frz. Manier besteht.


    Was Joseph I. angeht, weiß ich nichts Konkretes, könnte es mir aber vorstellen, weil der ohnehin ein untypischer Habsburger war. :D
    Lebensfroh, tollkühn, ein Weiberheld - vielleicht auch musikalisch frankophil.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • An anderer Stelle wird übrigens von Big Berlin Bear erwähnt, das von Karl VI. keinerlei Kompositionen überlebt haben, von Joseph I. allerdings schon.


    Zitat

    Sicher, der Wiener Hof war als Kaiserhof seit dem 17. Jh. ein Zentrum der Musik, besonders - wie Du richtig sagst - ab Ferdinand III. Vorher weniger, auch wegen des neuerlichen Residenzwechsel nach Prag (1583-1612). Konnte sich dann erst ab Ferdinand II. langsam etablieren.


    Das würde ich auch nicht so sehen, gerade unter Maximilian I. (und nicht zu vergessen unter Karl V) war die Musik am Habsburger Hof alles andere als Provinz, eher das Gegenteil.


    Eine musikalische Durststrecke war wohl eher die Epoche Maria Theresias, ihr Hofkapellmeister Johann Georg Reutter II. ist so gut wie bedeutungslos und Heute vollkommen vergessen, dabei hatte er eine ähnliche Allmachtstellung wie gute 100 Jahre früher Lully in Frankreich nur eben nicht das musikalische Genie des Florentiners.
    Und Maria Theresia hatte kaum ein wirkliches Interesse an der Musik, so verwundert es auch nicht, dass sie die Mittel der Hofkapelle massiv einschränkte.
    Eine solche Konzentration von Macht und Ämtern in Sachen Musik war am Habsburger Hof absolut einmalig - aber gebracht hat es nicht viel, denn es war ja keine Auszeichnung in dem Sinne, sondern vielmehr eine Sparmaßnahme von Personal.....
    Reutters größter Verdienst war wohl ohne Zweifel die Entdeckung von Joseph Haydn im Dorf Rohrau und Haydns Ausbildung am Stephansdom.
    Ohne Reutter keinen Haydn.

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  • Also in der Biographie (Stand 1992) steht noch, daß fast keine Kompositionen überliefert sind - wie die aktuelle Situation aussieht, weiß ich nicht. Wäre schon möglich, daß man damals gewisse Sachen für welche von Karl VI. hielt, was heute widerlegt ist.


    Ich dachte gerade auch noch einmal nach und muß Dir zustimmen. Gerade Maximilian I. war da ja sehr bekannt dafür. Wie es unter Ferdinand I., Maximilian II. und Rudolf II. aussah, wäre natürlich auch mal interessant zu erfahren (aber an anderer Stelle).


    Ich glaube, Maria Theresia hatte ne Art Kindheitsschock: Sie mußte scheinbar immer mitsingen, wenn irgendein Großereignis war, wo ihr Vater dirigierte. :D


    Vielleicht nährte das eine gewisse Aversion gegen das Musikalische.


    Infolge der maria-theresianischen Reformen ab Ende der 1740ern wurde ja überall massivst eingespart - vorbei die Barockherrlichkeit (leider). Sie verbot dann ja 1753 auch Pauken und Fanfaren in der Kirchenmusik (nach Benedikts XIV. Wunsch), was Joseph II. 1767 wieder aufhob.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von der Lullist


    Antonio Vivaldi, der Karl VI. seine Sammlung "La Cetra" widmete


    A. Vivaldi reiste 1728 ins Herzogtum Carniola nach Triest um Kaiser Karl VI. persönlich die Sammlung La cetra (Die Leier) zu überreichen. Ob Vivaldi schon vorher Karl VI. persönlich kannte ist nicht bekannt, jedenfalls standen sie im Briefwechsel.
    Die Konzerte (Violinkonzerte RV 183, 189, 202, 271, 277, 286) sind übrigens auf dieser



    CD "Concertos for the Emperor" mit Andrew Manze (Violine & Leitung) und The English Concert eingespielt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard