In letzter Zeit fiel mir im Forum immer mehr die Tendenz auf, die Affinität zur klassischen Musik gern mit einem hohen Bildungsniveau gleichzusetzen. Als Annahme mag dies noch angehen, und die sofort in den Kopf schießenden Exempla kompletter Ignoranz bei gleichzeitiger fanatischer Klassik-Leidenschaft dürfen gern als die Regel bestätigende Ausnahmen abgetan werden. Problematisch wird es hingegen, sobald das Dictum Raum gewinnt, der "Durchschnitt" der Klassikfreunde sei im Hinblick auf das Ererbte und Erworbene anderen Musikkonsumenten ein gutes Stück voraus.
Ich kann nun vom Durchschnitt nicht ausgehen, weil mir die repräsentativen Kontakte fehlen. Jedoch scheint es mir absurd, den Bildungsgrad von Menschen an ihrem Musikgeschmack ablesen zu wollen. Bei kursorischer empirischer Vogelschau der mir zu Verfügung stehenden Objekte scheint mir der musikalische Eklektizismus proportional mit dem Bildungsniveau zu wachsen. Vulgo: Je mehr die von mir herangezogenen Wesen auf dem Kasten haben, desto weiter ist ihr musikalischer Horizont, und ihr Urteil variiert nicht nach gattungsspezifischen Kategorien, sondern nach den – zumeist durch musikalische Vorbildung erhärteten – persönlichen ästhetischen Präferenzen. Kaum eine der wandelnden Enzyklopädien, die ich zu kennen die Freude habe, hatte bisher kategorisch abwertende Äußerungen über "die Popmusik", "den Rock'n Roll" oder "den Hip-Hop" nötig, um sich als besonders kultivierter Mitteleuropäer zu gerieren. Dieses Verhalten ist mir ausschließlich aus dem kleinbürgerlichen, von "klassischer" Bildung nur oberflächlich berührten Milieu vertraut.
Ich denke daher, wir täten als "Community" gut daran, hochnäsige Töne über unsere Erwähltheit ob der Erlesenheit unseres Geschmacks inskünftig zu unterlassen – oder aber dafür Sorge zu tragen, daß solche ausschließlich im internen Bereich zu lesen sein werden.
Herzlich grüßt
Christian