Bildungsniveau und klassische Musik

  • In letzter Zeit fiel mir im Forum immer mehr die Tendenz auf, die Affinität zur klassischen Musik gern mit einem hohen Bildungsniveau gleichzusetzen. Als Annahme mag dies noch angehen, und die sofort in den Kopf schießenden Exempla kompletter Ignoranz bei gleichzeitiger fanatischer Klassik-Leidenschaft dürfen gern als die Regel bestätigende Ausnahmen abgetan werden. Problematisch wird es hingegen, sobald das Dictum Raum gewinnt, der "Durchschnitt" der Klassikfreunde sei im Hinblick auf das Ererbte und Erworbene anderen Musikkonsumenten ein gutes Stück voraus.


    Ich kann nun vom Durchschnitt nicht ausgehen, weil mir die repräsentativen Kontakte fehlen. Jedoch scheint es mir absurd, den Bildungsgrad von Menschen an ihrem Musikgeschmack ablesen zu wollen. Bei kursorischer empirischer Vogelschau der mir zu Verfügung stehenden Objekte scheint mir der musikalische Eklektizismus proportional mit dem Bildungsniveau zu wachsen. Vulgo: Je mehr die von mir herangezogenen Wesen auf dem Kasten haben, desto weiter ist ihr musikalischer Horizont, und ihr Urteil variiert nicht nach gattungsspezifischen Kategorien, sondern nach den – zumeist durch musikalische Vorbildung erhärteten – persönlichen ästhetischen Präferenzen. Kaum eine der wandelnden Enzyklopädien, die ich zu kennen die Freude habe, hatte bisher kategorisch abwertende Äußerungen über "die Popmusik", "den Rock'n Roll" oder "den Hip-Hop" nötig, um sich als besonders kultivierter Mitteleuropäer zu gerieren. Dieses Verhalten ist mir ausschließlich aus dem kleinbürgerlichen, von "klassischer" Bildung nur oberflächlich berührten Milieu vertraut.


    Ich denke daher, wir täten als "Community" gut daran, hochnäsige Töne über unsere Erwähltheit ob der Erlesenheit unseres Geschmacks inskünftig zu unterlassen – oder aber dafür Sorge zu tragen, daß solche ausschließlich im internen Bereich zu lesen sein werden.


    Herzlich grüßt



    Christian

  • Verehrter und gefürchteter Grande Inquisitore, ist das hier ein interner Thread????? 8o



    Wie auch immer, ich traue mich trotzdem mal.


    Ich denke , um einen Zugang zur klassischen Musik zu haben, muss man erstmal damit in Berührung gebracht werden und das hängt in jungen Jahren sehr stark von der jeweiligen Umgebung ab.
    Das Thema hatten wir ja kürzlich hier in aller Ausgiebigkeit ineinem Thread über Musik in der Schule, in einem Thread über Eliten und klasssiche Musik etc pp.
    Wenn ich nun mal nur von erwachsenen Menschen meiner verschiedensten Lebenskreise in Gegenwart und Vergangenheit ausgehe, also deine Frage rein empirisch und eben nicht ideologisch angehe:


    ich habe sehr viel Begeisterung quer durch alle Bildungsschichten erlebt. Vom Arbeiter bis zum Universitätsprofessor, vom kleinen Angestellten bis zum Chefarzt. Ich kenne opernfanatische Bäcker und Maurer und Putzfrauen und vollkommen klassikrestistente Germanisten oder Ärzte-da gibt es einfach Alles!
    Was allerdings ein entscheidender Unterschied war und ist, ist die Kenntnis des Repertoires, der Hintergründe, der Muskgeschichte-und theorie. Da sind in meinen Lebenskresien die Akademiker klar im Vorsprung.
    Auch was unbekanntere, weniger populäre Gattungen wie z.B. die Kammermusik angeht.
    Gesang und "Programmmusik", oder grosse Solokonzerte haben es im Allgemeinen lecihter. Dann gibt es natürlich Komponisten, die immer ziehen, wie etwa Mozart.
    Aber das ist eine ausserordentlich differenzierte Frage, die Du hier aufwirfst und ich stelle ledgilich ein paar spontane Gedankenschnipsel ein. Die Frage der Vermittlung und Verbreitung spielt sicher eine ganz grosse Rolle!


    Ich selbst finde mich übrigens nicht political incorrect, wenn ich nur ganz selten(zum Abtanzen und Fensterputzen) Popmusik mag :no: :D


    Fairy Queen

  • Das geht mir ähnlich, ich bin auch eher ein Scheuklappenhörer.

    Aber sage mir, Muse, ist es nicht natürlich, daß intellektuell interessierte Zeitgenossen "mehr" über diverse Hintergründe in Erfahrung bringen, qua Gewohnheit? Die von Dir angeführten Bekannten zum Maßstab erhoben: Würden sich die "Akademiker" (seit Plato ein arg strapazierter Begriff) ihres Interesses für klassische Musik wegen anderen, weniger Klassikbegeisterten als überlegen empfinden? Ist die von mir angesprochene Junktur zwischen Bildung und Klassik (und diese ist im Forum fundamental postuliert worden) nicht womöglich ein Rettungsring für Zu-kurz-Gekommene, einzig im Dienst der Selbstüberhebung gebraucht?


    Jedem Tierchen sein Plaisirchen, doch der exklusive und wegwerfende Gestus anderen Gattungen gegenüber, die mir persönlich auch nicht vertraut sind, scheint mir eher einem tief verwurzelten Komplex zu entspringen als auf Beobachtungen zu beruhen, die man im gern bemühten intellektuellen Umfeld machen kann. Der Begriff der kulturellen Elite machte schon mehrfach die Runde, wie leicht es aber ist, zu diesem Kreis sich gehörig zu fühlen, läßt eben den Zweifel in mir nagen...


    Nun ja, überlassen wir die Entscheidung dem Quorum!


    LG


    Christian

  • Hallo,


    als ich dieses Thema las juckte es mich schon in den Fingern. Ich habe aber jetzt erstmal gewartet, was da kommt.


    Also ich versuche mich jetzt mal, im einfachen "Hausfrauen-Deutsch" auszudrücken:


    Ich bin eine ehemalige Volksschülerin, aber von einer musikalischen Mutter geboren und aufgezogen worden, bei ihr lag schon Hausmusik in der Familie und die Liebe zur Musik war in großer Bandbreite vorhanden. Sie hatte eine tolle Stimme nur leider keine Chance sie auszubilden.


    Vom Schlager bis zur Oper! Das war also meine Mutter, ich habe die Liebe zur Musik, auch von Pop, Jazz, Musical, Operette, Oper, Rock and Roll, und was es so gab und gibt, von ihr in den Genen. Mein Bruder z.B. hat daran überhaupt kein Interesse.


    Ich glaube, man bekommt es mit von daheim und ererbt es auch ein bißchen. Und wenn man dann Interesse hat, lernt man halt immer wieder was Neues dazu, was einem gefällt. Egal, ob Hauptschule, Realschule, Abitur oder Studium.


    Schönen Tag noch und viele Grüße aus dem wieder etwas kühleren gerade 850 Jahre alten München


    Kristin

  • Auch ich meine, daß Bildungsniveau nicht zwingend notwendig etwas mit dem Interesse für Klassik zu tun hat. Etliche ehemalige Mitgymnasiasten und jetzt die Kommilitonen haben oft in keinster Weise einen Nerv für klassische Musik, während ich aus meinem Bekanntenkreis etwa einen Hauptschüler kenne, der von der Oper total begeistert war, als ich ihn mal mitnahm.


    Ob man den musikalischen Geschmack erbt, wage ich ja auch eher zu bezweifeln: Ich habe von daheim keinerlei Impulse bekommen, klassische Musik zu hören. Das habe ich mir alles selber "beibringen" müssen. Vielleicht spielte auch meine Art, immer gegen den Strich sein zu wollen, ein wenig mit. :pfeif: Jedenfalls kann ich mir ein Leben ohne Klassik nicht mehr vorstellen - und das ist auch gut so.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Hallo Felipe,


    da habe ich wohl mißverständlich ausgedrückt, ich meinte man erbt die Liebe zur Musik im allgemeinen.


    Grüße


    Kristin

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore


    Nun ja, überlassen wir die Entscheidung dem Quorum!


    Nun, dem Forum würde ich allenfalls ein Stimmungsbild überlassen, nicht aber die Entscheidung.


    Seien wir doch ehrlich: jeder neigt mindestens in gewissem Maße dazu


    a) sich für etwas Besonderes zu halten (fast immer mit Recht, übrigens) und


    b) von sich auf andere zu schließen.


    Ich denke, Fairy Ansatz ist wenigstens insoweit zutreffend, als sie zwischen prinzipieller Begeisterungsfähigkeit und hinreichender Kenntnismöglichkeit unterscheidet.


    Letztere wächst nun einmal fast zwangsläufig, wenn man z. B. länger auf der Schule ist, und dafür braucht es schon mal bestimmte minimale Voraussetzungen. Bildung muss man sich eben auch nicht nur erwerben dürfen, sondern auch erwerben können. Das heißt natürlich nicht, dass die Schule der einzig richtige Weg ist, denn sie ist - bei hinreichendem Glück bei den Lehrern - nur der bequemste. Wie der von Fairy angesprochene Schulthread gezeigt hat, ist das heute zwar womöglich nicht mehr so selbstverständlich wie "zu meiner Zeit", aber ich vermag auch nicht zu sagen, welchen Weg mein Musikgeschmack eingeschlagen hätte, wenn ich alles hätte verarbeiten müssen, was heute auf einen einstürzt und nicht als Kind öfter klassischer Musik ausgesetzt gewesen und (vor allem von einer Lieblingstante) relativ häufig in die Oper mitgenommen worden wäre bzw. ihre Abokarten bekommen hätte, wenn ich zu besuch war.


    Wie man in guten Zeitungen lesen kann, lässt sich auch über Popmusik aller Richtungen viel Intelligentes erfahren und diskutieren, auch wenn die Mehrzahl der Teilnehmer an diversen Popmusikforen differenzierte Ausdrucksfähigkeit nicht unbedingt mit Löffeln gefressen zu haben scheint. Das gilt allerdings auch für Postings, die sich weitgehend in dem Repertoire zwischen :jubel: und :kotz: erschöpfen oder sich zu bestimmten Idolen ähnlich kniefällig verhalten wie andere (und wenigstens mit dem Nachsichtsbonus der besonderen Jugendlichkeit) anderswo zu Tokyo Hotel.


    In einem stimme ich Dir deshalb sofort zu: es mag heutzutage schon etwas Besonderes sein, wenn man klassische Musik mag, aber etwas Besseres ist man deswegen noch lange nicht. Letztlich ist doch wesentlich wichtiger, was man aus seinen Interessen und Begabungen macht, als welche Weggabelungen wir einst mehr oder weniger bewusst oder auch nur freiwillig eingeschlagen haben.


    :hello: Jacques Rideamus

  • The plural of anecdote is not data!


    Leider sind anekdotische Belege wohl das einzige, was die meisten von uns aufzuweisen haben. Ich kenne z.B. in meiner Generation nur sehr wenige Leute näher, die kein Abitur haben. Damit ist meine Wahrnehmung sofort verzerrt und ich werde keine Anekdote vom opernliebenden Bäcker vorbringen können.


    Selbstverständlich gibt es aber massenhaft Leute mit formal hohem Bildungsgrad (akadem. Abschluß) oder auch solche mit allgemein hohem Bildungsniveau, also nicht die, die mit 32 eine Professur für Mathematik innehaben, aber das einzige Nichtfachbuch, was sie je freiwillig gelesen haben, war Hitchhikers Guide to the Galaxy, das kennen sie dafür aber ebenso wie sämtliche Startrek-Folgen annähernd auswendig, sondern solche, die kulturbeflissen, geschichts- und literaturkundig usw. sind, aber klassische Musik völlig oder weitgehend ignorieren.


    (Warum Klass. Musik hier einen Sonderstatus gegenüber anderen Künsten haben könnte, haben wir schon mehrfach ohne rechtes Ergebnis angesprochen, Suche z.B. nach "Beuys Stockhausen")


    Es gibt aber (naturgemäß oberflächliche) sozialstatistische Untersuchungen. Eine aus England hat nachgewiesen, was angedeutet wurde, daß mit dem Status (komplexe Kenngröße, die stark vom formalen Bildungsgrad, aber auch vom Einkommen usw. abhängt) die Wahrscheinlichkeit steigt, ein ziemlich breites Spektrum von Musik zu hören, einschließlich klassischer Musik. Der typische "Gebildete" hört also auch klassische Musik. Der typische weniger gebildete hat aber nicht deshalb ein engeres Hörspektrum, weil er nur klassische Musik hört, sondern er hört natürlich normalerweise keine, sondern sein Spektrum beschränkt sich auf Stile populärer Musik.


    Daß schließlich jemand, der seinen Status gefährdet sieht (ob mit guten Gründen oder nicht), mitunter besonders auf derlei Abgrenzungen bedacht sein wird, ist ebenfalls kaum verwunderlich. Wobei ich eher nicht glaube, daß man heute mit Kenntnis klass. Musik noch groß punkten kann. Es mag Situationen geben (in der neuen Klassengesellschaft, die zunehmend an die Stelle der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft tritt), in denen Ignoranz klassischer Musik ein Manko sein kann. Aber durch Kulturbeflissenheit und Musikkenntnis andere Mankos (reicher Papi, Golfclubkarte, Weltläufigkeit usw.) auszugleichen, dürfte kaum gelingen.


    Ich sehe aber auch nicht ein, warum man als "Gebildeter" oder Klassikhörer, besonders "tolerant" gegenüber Pop & Rock sein sollte, mal abgesehen davon, daß Toleranz überhaupt eine zu pflegende Tugend sein könnte.
    (Ich bin ja auch tolerant. Toleranz bedeutet nicht Indifferenz oder Gutheißen (auch wenn es heute häufig so verwendet wird), sondern Duldung von etwas, was einen stört oder was man für falsch hält. Wäre ich intolerant würde ich Handgranaten gegen die Autos, die mit lautem BOOM-BOOM hier ab und zu vorbeifahren, einsetzen.)
    Denn es gehört es meiner Erfahrung nach auch für Pop/Rock-Hörer über 30 durchaus dazu, ungeliebte Stilrichtungen (normalerweise natürlich innerhalb der Popkultur, Klassik interessiert ja eh keinen) mitunter drastisch runterzuputzen. Bei Jugendlichen ist das klar, denn solche Abgrenzungen sind in der seit je zum Tribalismus neigenden Popkultur üblich oder sogar notwendig (Popper überfährt man mit'm Chopper). Aber vermutlich neigt jeder dazu, sich geschmacklich abzugrenzen.


    Ich meine, warum verwendet man denn, und sei es selbstironisch, eine Handvoll lateinischer Ausdrücke in einem kurzen Forumsbeitrag? Selbst ironisch verstanden, ist das doch ein eindeutiges und abgrenzendes Signal!
    (Wenn unabsichtlich, ist es ein noch eindeutigeres...)
    Warum sollte man dann anderen bloßes Ressentiment unterstellen, wenn sie andere, vielleicht weniger souveräne, aber ebenfalls deutliche Signale setzen?


    Ich bin kein Soziologe, aber es ist sicher ein interessanter Punkt, wie (nicht nur) Musik, die einer Jugendkultur entstammt, bei 60jährigen funktioniert. Allgemeine Infantilisierung ist sicher ein Teilaspekt, aber wohl doch zu simpel.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Auf die Gesellschaft bezogen, ist das wohl nur zu wahr; eben daher könnte aber der Zwang rühren, mittels eines selbstgewählten Zirkels, den man aufgrund überkommener, vornehmlich in um Bürgerlichkeit bemühten Milieus vorherrschender Konnotationen als erlaucht ansieht, eben nicht überhaupt einer tribus anzugehören, sondern eben der maßgeblichen, elitären, geweihten...


    Daher könnte eine neutralere Selbsteinschätzung, womöglich ähnlich der von Star-Trek-Conventionalists (?), auch einem Klassik-Kreis gedeihlich sein.


    LG


    Christian

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore


    Auf die Gesellschaft bezogen, ist das wohl nur zu wahr; eben daher könnte aber der Zwang rühren, mittels eines selbstgewählten Zirkels, den man aufgrund überkommener, vornehmlich in um Bürgerlichkeit bemühten Milieus vorherrschender Konnotationen als erlaucht ansieht, eben nicht überhaupt einer tribus anzugehören, sondern eben der maßgeblichen, elitären, geweihten...


    Daher könnte eine neutralere Selbsteinschätzung, womöglich ähnlich der von Star-Trek-Conventionalists (?), auch einem Klassik-Kreis gedeihlich sein.


    Verstehe ich nicht ganz. Wenn das heißen soll, daß ich die Ansicht aufgeben soll, Klassische Musik sei lohnender als Star Trek, bin ich dagegen. :D
    Klassische Musik ist eine der glorreichen Errungenschaften der Menschheit, StarTrek ist Quatsch! StarWars ist noch größerer Quatsch! :beatnik:


    Wenn es ein Plädoyer (oder sollte ich lieber Plaidoyer?) schreiben :D, für mehr Lockerheit sein soll, gern.
    Wobei ich allerdings nicht sicher bin, ob die Trekkies u.ä. ein gutes Vorbild sind. Manche von diesen Gruppen scheinen nämlich ihr Hobby außerordentlich ernst (umgekehrt proportional...) zu nehmen. ;)



    :hello:


    JR

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  • Im Gegensatz zu Johannes habe ich mich im Laufe meines Lebens durch so ziemlich alle gesellschaftlichen Schichten vom "Proletariat" ( z.B.als alleinerziehende auszubildende Mutter mit Sozialhilfe) bis zum akademischen Bildungsbürgertum duchgewühlt, habe einen "proletarischen" und einen adligen Familienzweig und kann empirisch da ganz gut mitreden. :yes:


    Wenn man Menschen zu klassischer Musik einlädt, animiert und mit eigener Begeisterung ansteckt, spielt m.E. die (Vor-)Bildung überhaupt keine Rolle. Musik ist eine Sprache, die unmittelbar emotional wirkt, solange es GUTE Musik ist. Und solange es Musik ist, die keine ausgesprochene Vorbildung verlangt(was leider bei manchen, modernen Sachen der Fall ist). Da wird es dann haariger.


    Unterschiede sehe ich allerdings in der Bereitschaft und der Möglichkeit, sich weiterzubilden und musikalische Hintergründe zu erforschen, neue unbekannte Ufer anzurudern etc pp.
    Das fällt Menschen mit einem gewissen Bildungshintergrund einfach leichter.
    Siehe auch Rideamus Posting.
    Was nun die elitäre Arroganz und Überheblichkeit der Klassikfans im Hinblick auf die Nichtklassikhörer angeht:


    Vergleichen wir doch einfach mal ein McDonald mit dem, was die Moziwis hier auf den eingestellten Photos an Kochkunst präsentieren.
    Der strukturelle Unterschied ist da sehr ähnlich wie in den zum Teil mehr als primitiven Akkord/Kadenz-Folgen so mancher U- bzw Popmusik im Gegensatz zu komplexen klassischen Kompositionen.
    Wer von uns würde nun McDonald Futter mit Moziwi-Menü gleichsetzen?
    Und wenn jemand offen sagt: in dem 7 Gang Menü steckt viel mehr Detail-Arbeit, Phantasie, Kunstfertigkeit, hochwertige Zutaten, ist das dann arrogant und elitär gegenüber den Massen, die sich lieber mit Hamburgern und Fritten verlustieren?
    Irgendwo muss es schon noch Wertmassstäbe geben, die man klar aussprechen darf, ohne iener Inquisition zum Opfer zu fallen :untertauch::D


    Das bedeutet ja keinesfalls, dass die Menschen dahinter etwas Besseres sind. :no:
    Humane Tugenden haben ganz andere Quellen als Musikvorlieben!
    Sadisten köinnen in Wagner-Opern schwelgen, Folterknechte können Mozart-Symphonien lieben und das reinste und beste Herz der Welt hört vielleciht am liebsten Heintje und die No angels?



    Hier muss man absolut differenziert vorgehen, um nciht die falschen Dinge zu vermischen, finde ich.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Und solange es Musik ist, die keine ausgesprochene Vorbildung verlangt (was leider bei manchen, modernen Sachen der Fall ist). Da wird es dann haariger.


    Ich will Deinem schönen Beitrag gar nirgends widersprechen.
    :yes:
    Nur wird mir persönlich eigentlich immer unklarer, welche Musik nun Vorbildung - sagen wir: besonders wünschenswert erscheinen läßt - und bei welcher das weniger wichtig ist.


    Eigentlich vertrete ich die Ansicht, dass Mozart mehr (musikalische) Vorbildung verlangt, als Xenakis.


    Aber genießen kann man wohl jegliche Musik auch ohne Vorbildung - und bei jeder Musik kann es passieren, dass man auch mit Vorbildung nichts damit anfangen kann.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore


    Ich denke daher, wir täten als "Community" gut daran, hochnäsige Töne über unsere Erwähltheit ob der Erlesenheit unseres Geschmacks inskünftig zu unterlassen


    Lieber Christian,


    das unterschreibe gerne und mit Freuden. Eine Gleichung nach dem Muster hohes Bildungsniveau und Vorliebe für klassische Musik = höheres Wesen halte ich für unsinnig. Was sicher sein mag- und auch schon in anderen Postings anklang: Hohes Bildungsniveau (wobei immer noch zu definieren wäre, was man darunter versteht) erleichtert den Zugang zu klassischer Musik ist aber keine notwendige Voraussetzung hierfür. Es fällt einem wohl leichter sich mit den verschiedendsten Musikrichtungen auseinanderzusetzen, aber eben auch nicht mehr. Und klassische Musik grundsätzlich als höherwertig denn andere Musikstile zu bewerten würde ich so auch nicht unterschreiben, trotz Fairys kulinarisch reizvollem Vergleich.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber KSM, ich kann da wieder nur ganz pragmatisch und empirisch antworten:
    es ist mir ein Leichtes, Freunde, Verwandte, Bekannte ohne "bildungsbürgerlichen" Hintergrund in eine Mozart-Oper mitzunehmen. Besagte opernbegesiterte Bäcker z.B. amûsieren sich prächtig, finden das wunderbar und die Musiksprache geht unmittelbar zu Herzen.
    Wenn aber hier an der Oper Wozzeck gegeben wird sieht das schon deutlich anders aus!
    Und ich käme auch niemals auf die Idee, ihnen Orchesterstücke von Webern oder Streichquartette von Schönberg zu Weihnachten zu schenken. Serh wohl aber eine Lucia di Lammermoor oder als Test auch mal einen Giulio Cesare von Händel.
    Wenn ich sie (oder andere) zu einem Konzert einlade, in dem zwischen leichtzugänglcihen Stûcken auch mal serh Sperriges vorkommt, ist das wieder etwas Anderes.
    In solchen Fällen ist immer auch pädagogisches Geschick gefragt und Menschenkenntnis. So kann man sich langsam an unbekanntes herantasten ohne die Menschen gleich zu verprellen, in dem man sie überfordert.
    Das geht mir selbst ja bei Tamino auch so!


    Und nochmal: all das hat nichts das Geringste mit Herzensbildung zu tun!!!!! :no:


    F.Q.

  • Ich würde schon sagen, dass "klassische" Musik in gewissem Sinne höherwertig ist. Manche komplexe Strukturen verstehe und schätze ich erst nach ensprechender Vor-Erfahrung; sie erfordern eine ausdauernde Auseinandersetzung mit dieser Musiksprache. Ich sehe es ähnlich wie bei Werken der Weltliteratur: Wenn ich kaum Leseerfahrung habe und der Sprache kaum mächtig bin, wird mir jedes bessere Buch fremd bleiben, da zu mühsam. Mit Bildung hat das auf jeden Fall was zu tun, vor allem mit dem Willen zur Bildung, womit ich aber nicht ausschließe, dass man ohne viel Bildung Zugang zur Musik finden kann. Man braucht halt jemand vertrautes, der/die einen anfänglich dabei begleitet und einem manches schmackhaft macht, das Lust auf mehr macht. Bei mir war's zufällig so. Bei der Klientel, die ich in der Hauptschule täglich erlebe, stehen da die Chancen nicht so gut, um es gelinde zu formulieren.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

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  • Zitat

    Original von Melot1967
    Ich würde schon sagen, dass "klassische" Musik in gewissem Sinne höherwertig ist. Manche komplexe Strukturen verstehe und schätze ich erst nach ensprechender Vor-Erfahrung; sie erfordern eine ausdauernde Auseinandersetzung mit dieser Musiksprache. Ich sehe es ähnlich wie bei Werken der Weltliteratur: Wenn ich kaum Leseerfahrung habe und der Sprache kaum mächtig bin, wird mir jedes bessere Buch fremd bleiben, da zu mühsam. Mit Bildung hat das auf jeden Fall was zu tun, vor allem mit dem Willen zur Bildung, womit ich aber nicht ausschließe, dass man ohne viel Bildung Zugang zur Musik finden kann. Man braucht halt jemand vertrautes, der/die einen anfänglich dabei begleitet und einem manches schmackhaft macht, das Lust auf mehr macht. Bei mir war's zufällig so. Bei der Klientel, die ich in der Hauptschule täglich erlebe, stehen da die Chancen nicht so gut, um es gelinde zu formulieren.


    Da spricht aber schon der etwas leidgeprägte Lehrer. Du erinnesrt Dich an den - sicher etwas konstruierten - "Rhythm is it"-Film?


    Zu Deinem statement: Wo konkret finden sich komplexe Strukturen, die Du erst durch Vorbildung verstanden hast? Und ist Musik wertvoller je komplexer die Struktur? Muß jedes bessere Buch, wie Du schreibst, gleich in einer solchen Sprache geschrieben sein, daß sie lange Zeot Leseerfahrung voraussetzt??


    Ich weiß ja nicht....

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Klassische Musik ist eine der glorreichen Errungenschaften der Menschheit, StarTrek ist Quatsch! StarWars ist noch größerer Quatsch! :beatnik:


    Meinst Du das jetzt in naturwissenschaftlicher Hinsicht oder ganz und überhaupt (auch Populärmythen haben eine Mythenstruktur!)?Andererseits: Was wäre das Leben ohne Quatsch? Vielleicht nicht sinnlos, aber doch mit ziemlicher Sicherheit weniger lustig. Natürlich kann ich mich auch über die trotteligen nerds beömmeln, die auf irgendwelchen conventions in selbstgeschneiderten Kostümen aufkreuzen (in diesem Zusammenhang sehenswert: "www.youtube.com/watch?v=YpJu2-QyP2M"). Aber würde sich nicht auch ein sagen wir mal durchschnittlicher Bundesbürger verwundert den Kopf kratzen, wenn er erführe, dass es unter uns Klassikliebhaber gibt, deren Lebenszeit nicht mehr ausreicht, ihre komplette Sammlung auch nur einmal durchzuhören?


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • Genau. Die, die man sich selbst erworben hat.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Faszinierend.


    Schon wird begonnen, nicht exakt bestimmbare Größen wie Bildung, Intelligenz, Sozialstatus und Tiefenpsychologie zu einem homogenen Brei, der eher der klingonischen Blutsuppe denn der durchdacht komponierten Plomeek gleicht, zu vermengen.


    Das ist nicht logisch.


    Als Vulkanier stelle ich das gesamte in diesem Forum zur Schau wie Show gestellte Wissen, welches Ihr Bildung nennt, mit der linken Augenbraue in den Schatten und nähme es unter Zuhilfenahme der rechten locker mit dem Schiffscomputer auf, mit Euren bescheidenen irdischen Messmethoden würdet Ihr mir einen IQ von 23.682 attestieren, für meine Spezies ein gesundes Mittelmaß, der bedauerlichen Tatsache geschuldet, dass ich, da mein Vater seine Gefühle nicht in wünschenswerter Weise unter Kontrolle hatte, halb menschlich bin, meine soziale Stellung ist mit den Worten Erster nach dem Captain zusammenzufassen, und meine Psyche existiert in humanpathologischer Hinsicht nicht.


    Und doch, wiewohl ich ohne Vorbereitung in der Lage bin, die zweite Oboenstimme des ersten Aktes „La Bohème“ oder den Fingersatz Alfred Brendels in D.960 der Neumarkter Aufnahme fehlerfrei in 245 respektive 177 Sekunden niederzuschreiben, ziehe ich selbst die Etüden Delvoks jeder irdischen klassischen Musik vor.


    Da ist mir einfach die Jacke näher als die Hose und die Erde weiter vom Zentrum meiner Galaxis entfernt als Vulkan.


    Und jeder, der zu ähnlich kohlenstoffbasierter Lebensform- Konklusion kommt, wird das Wohl Vieler über das Wohl des Einzelnen stellen.
    Jeder aber, der einen Beweis, für wen auch immer, zu führen versucht, welcher die gegebenen Variablen verfälscht oder außer Acht lässt, rechnet ohne Logik und widerspricht damit grundlegenden Gesetzmäßigkeiten unseres Universums.


    Lebt lang und in Frieden,



    Spock, Mister



    .

  • Zitat

    Original von Wulf
    Zu Deinem statement: Wo konkret finden sich komplexe Strukturen, die Du erst durch Vorbildung verstanden hast? Und ist Musik wertvoller je komplexer die Struktur? Muß jedes bessere Buch, wie Du schreibst, gleich in einer solchen Sprache geschrieben sein, daß sie lange Zeot Leseerfahrung voraussetzt??


    Wie so oft, lieber Wulf, stimmt beides, allerdings nur bis zu einem gewissen Grade. Bei der geschriebenen Literatur ist es erst einmal augenfälliger, es gilt aber auch für die Musik. Ohne Leseerfahrung wird man vor allem von dem Stoff gefangen, die Feinheiten, warum es sich eigentlich erst lohnt zu lesen, wie etwas gesagt wird und nicht einfach was, spielen keine oder allenfalls eine nachrangige Rolle. Aber die formalen Feinheiten, die Vielzahl der Anspielungen, die nun wirklich das Vergnügen an Literatur ausmachen, wird man ohne (Lese-)Erfahrung nicht erfahren können. Auch wenn Musik voraussetzungsloser erscheint, ist sie es ebenso wenig. Man kann zwar die Fünfte auf ein per aspera ad astra-Gehämmer reduzieren, aber da gibt es Leichtgängigeres. Gerade Beethoven setzt gerne auf Erwartetes (als schon Erfahrenes, Gewusstes, über Konventionen Vertrautes), um durch die neue Lösung gleichermaßen zu überraschen und zu überzeugen.


    Das gilt - nebenbei - für Hardrock ebenso, wo es für den Unerfahrenen ein unterschiedsloses Gedröhne ist, der Erfahrene aber Personalstil und Aussage heraushören kann.


    Dass mit zunehmender Komplexität, d.h. auch zunehmend interessanterer Problemstellung in der Komposition, die Werke auch wertvoller werden, hängt davon ab, dass die Lösung des Komponisten nun auch interessant ist. Sind es Trivialstrukturen und Triviallösungen, sind sie eben nicht so "wertvoll". Allerdings gibt es für mich da keine lineare Gleichung, sobald die Komplexität eines Werkes mich nicht mehr interessiert, weil mich die Fragestellung nicht mehr überzeugt, nimmt für mich der Wert auch wieder ab ...


    Liebe Grüße Peter

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  • Es gibt sehr viele - vor allem junge - Menschen, für die es nicht selbstverständlich ist, einen einfachen kurzen Text mühelos zu verstehen, sei es in der eigenen Sprache, in der schon das Lesen und Schreiben schwerfällt, da nie ordentlich gelernt, oder gar in einer Fremdsprache wie Deutsch. Du kannst dir das vielleicht nur nicht vorstellen.


    Natürlich sind alle Stücke der Musik, um die es hier geht, komplex.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Unser Jüngster (17 Jahre) hat mir letztens in einem längeren Gespräch (mal wieder Anekdote) erklärt, daß er im Prinzip 2 Hauptmusikrichtungen unterscheidet, Mainstream (Pop) und Nicht-Mainstream, das eine ist eher melodisch und tonal (ich würde nicht weglaufen), das andere aus Prinzip GEGEN den Mainstram (mir kräuselten sich die Zehnägel).


    Es ist einmal mehr die fundamentale Wirkung von Us & Them zu beobachten - wir und die anderen, und je nach dem, auf welcher Mikroebene die Differenzierung zuschlägt, entwickeln sich höchst unterschiedliche Freund- und Feindbilder.


    Grundsätzlich ist er also erstmal gegen Mainstream, der kleinste gemeinsame Nenner mit den anderen Anti-Mainstreamern. Die unterteilen sich wieder in Hip-Hopper und Metaller. Neben der unterschiedlichen Musik gibt es unterschiedliche Kleidung, unterschiedliche Discos, unterschiedliche Seiten der Straße (sonst könnte es was auf die Nuß geben), aber gemeinsame Verachtung des Mainstream.


    Feine Verästelungen bei den Metallern (Heavy, Gothic, Death... hab ich mir nicht alles merken können) und den Hip-Hoppern (Funk, House, Techno, Rap ....) helfen, auf Mikroebenen zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, analog zu: - mal ist man für Deutschland (und jubelt Bayern-Spielern zu), mal nur für Schalke (und liebt alle anderen Schalke-Fans), mal lediglich Nordkurve unter erheblicher Verachtung der Schalker Business-Fans, die sich in ihren Logen-Ghettos den Champagner reinziehen.


    Da er seit 10 Jahren Klavier spielt, kann er ein klassisches Standardrepertoire selbst spielen (z.B. die einfacheren Stücke aus dem WTK), hört allerdings in seiner Freizeit keine Klassik. Allenfalls spielt er seiner Freundin mal ein paar klassische Stücke vor, kann aber ansonsten bei seinen Freunden mit Klassik weder punkten, noch muß er es vor ihnen verheimlichen. Klassik ist was für ältere Leute... Jazz sowieso, der findet bei den Jugendlichen, die er kennt, gar nicht statt. In Bezug auf den Kampf zwischen Hip-Hoppern und Metallern ist Klassik neutral.


    Fazit und Versuch einer Verallgemeinerung der Anekdote: Klassik taugt zur Zeit wenig zum Us&Them, "Gebildete" versuchen nicht, sich mit Klassik auszuzeichnen, das gefühlte Zusammenhangsmaß zwischen Bildung und Klassikaffinität bei Leuten unter 30 ist nahe Null.


    Bei Leuten über 30 könnte man versucht sein, die Kausalität umzukehren: nicht von der Bildung läßt sich auf Klassikaffinität schließen, aber von der Tatsache, daß Klassik gehört wird, auf einen höheren Bildungsgrad. Man könnte eine Aussage (aber nicht ihre Umkehrung !)über bedingte Wahrscheinlichkeiten treffen á la: p(Bildung unter der Bedingung Klassik) > p(Bildung unter der Bedingung Nicht-Klassik). Das scheint ja auch in gewisser Weise durch Empirie gestützt zu werden.


    Klassik wird vermutlich erst dann wieder massenhaft en vogue, wenn sie nicht mehr durch das Stigma "Ältere" vorbelastet ist, wenn sie also frei wird von einem inhärent negativen Image. Dann könnte sie sich, genauso wie Analog-Uhren, plötzlich wieder als der letzte Schrei präsentieren und in ihrer (uralten) Funktion als Musik für die "besseren" Schichten wiederauferstehen.

  • Zitat

    Original von Felipe II:
    Auch ich meine, daß Bildungsniveau nicht zwingend notwendig etwas mit dem Interesse für Klassik zu tun hat. Etliche ehemalige Mitgymnasiasten und jetzt die Kommilitonen haben oft in keinster Weise einen Nerv für klassische Musik, während ich aus meinem Bekanntenkreis etwa einen Hauptschüler kenne, der von der Oper total begeistert war, als ich ihn mal mitnahm.


    Ob man den musikalischen Geschmack erbt, wage ich ja auch eher zu bezweifeln: Ich habe von daheim keinerlei Impulse bekommen, klassische Musik zu hören. Das habe ich mir alles selber "beibringen" müssen. Vielleicht spielte auch meine Art, immer gegen den Strich sein zu wollen, ein wenig mit :pfeif:. Jedenfalls kann ich mir ein Leben ohne Klassik nicht mehr vorstellen - und das ist auch gut so.



    Was Felipe II hier anspricht, finde ich wichtig: den Zugang, den ein Kind oder ein Jugendlicher zur klassischen Musik erhält.


    Die Neigung zur klassischen Musik ist zwar auch meiner Meinung nach nicht unbedingt vererbbar, kann aber auch wohl nicht ganz unabhängig von einem bildungsfreundlichen Klima gesehen werden, in dem ein Kind aufwächst. Damit meine ich ausdrücklich nicht das Vorhandensein bestimmter Schul- oder Hochschulabschlüsse, sondern eine Offenheit gegenüber unterschiedlichen Richtungen (nicht nur in der Musik). In der Kindheit werden ja erst einmal bestimmte Wertmaßstäbe der Eltern übernommen, und ein Kind, das regelmäßig, aber ohne Zwang mit klassischer Musik in Berührung kommt, hat es in dieser Hinsicht schon einmal leichter als eines, dem die klassische Musik als "Musik für die feinen Leute" oder als "elitäres Gedöns" hingestellt wird. Auch wenn es bei mir in der Kindheit nicht so drastisch war, fehlten mir doch auch wichtige Impulse, um Zugang dazu zu finden; auch der Musikunterricht auf dem Gymnasium konnte da nur theoretische Grundlagen legen, ohne wirklich Begeisterung zu wecken.


    Für einen Jugendlichen ist es oftmals wichtig, sich von den Eltern abzugrenzen und mit dem Mainstream in der Clique mitzuschwimmen. Klassische Musik hat es da heutzutage nicht unbedingt leicht, gehört zu werden - es sei denn, man ist, wie Felipe II es hier darlegt, etwas individualistischer veranlagt und möchte gegen den Strom schwimmen.


    Ich war leider nicht so individualistisch veranlagt und habe erst als Erwachsene wirklichen Zugang zur klassischen Musik (und zur Literatur) gefunden. Und kenne ebenfalls Menschen mit Hauptschulabschluss, die regelmäßig und gern ins Konzert und in die Oper gehen (nicht, weil es "dazugehört") und Abiturienten oder Hochschulabsolventen, die zur klassischen Musik überhaupt keinen Bezug haben.


    Ein zwingender Zusammenhang besteht da wohl nicht, aber ich denke schon, dass vor allem ein bildungsfreundliches Umfeld gute Voraussetzungen schaffen kann. Ob die dann weiter verfolgt werden, liegt wohl an dem Einzelnen selbst.


    :hello: Petra

  • Es geht die Mär, daß ein bildungsfreundliches Klima so ziemlich die meisten Rezeptionen begünstigen soll.
    Zudem: Komplexer ist interessanter respektive besser: Also doch ein Denksport, vielleicht nicht dringlich umfassend gebildet, aber intelligent sollte er sein, der Klassikhörer. Folglich ist Heavy Metal fast zwangsläufig wertvoller als französischer Chanson, das leuchtet ein. Eine Rangliste zur künftigen Orientierung wäre mir da sehr zuträglich, auch damit ich nicht mehr soviel Zeit mit Trivialitäten rumbringe. Ist ja auch kein Leben, dieses melodieselige Spintisieren, man sollte auf seinen Umgang achten, will man nicht seines Prädikats als Kastenzugehöriger verlustig gehen.
    Dennoch: Erworben habe ich mir dieses nicht durch mein immer strebendes Bemühen um Differenzierung, sondern durch meine schlichte Kundgebung, ein Klassikhörer zu sein. Elite, danke, nächster, eiei, tut uns leid, da müssen Sie schon draußen bleiben, mit Ihrem plebejischen Rolling-Stones-Aufkleber, der Herr vor Ihnen, der hat Mozart als Lieblingskomponisten, da nehmen Sie sich jetzt einmal ein Beispiel, und tüchtig klatschen, wenn die Oper vorbei ist, und die singenden Leute anhimmeln, denn bei uns ist das ein Gildenzeichen, und Sie jubeln da diesem knittrigen Mick zu, peinlich ist doch das, suchen Sie sich einmal einen ruhig auch tattrigen Dirigenten und freuen sich über dessen kunstvolle Zerteilung, dann wird noch was aus Ihnen! (Ähnliches durfte ich mir neulich nach dem Konzertbesuch anhören, von sich sehr elitär und richtig empfindenden Kulturbürgerinnen, die sich über die klassische Musik freuten, die ich meinem Sohn vorsetze - weil's dem Spaß macht, sie aber wähnten ein auf höhere Werte zielendes Erziehungskonzept dahinter, denn wir wissen: Johann Strauß hilft dem Geist mehr auf die Sprünge als etwa CCR. Das geht natürlich nicht so leicht ins Ohr wie Peter Alexander!)


    Ich freue mich aber, daß Ihr meiner Aufforderung zum Tanz so zahlreich gefolgt seid und grüße die Runde


    Christian


  • Das seh' ich ja erst jetzt!


    Meine liebe Tochter, wenn Du wüßtest, wieviele vielgängige Menüs in angeblichen Spitzenrestaurants ich bereits erdulden mußte, würde sich die Aussage womöglich relativieren. So manches Mal hätte ich mir da anständige Fritten ersehnt, statt traniger getrüffelter foie gras!
    Ein treffliches Beispiel hast Du da geliefert, in etwa: Wer sich an einem edlen Sternemenü delektiert, ist der Masse enthoben und verfeinerten Genüssen zugeneigt, an Bildung nicht gebrechend. Ich kann Dir nur aus eigener Erfahrung sagen: Leider mitnichten. Ein großer Haufen affektierter Mitläufer und frisch arriviertes Publikum nimmt an der elitären Veranstaltung teil und hat womöglich vorher noch auswendig gelernt, in welche Hand welches Besteck zu nehmen ist und wie ein, zwei Rotweine auszuprechen sind. Tja, fast gleichnishaft, leider war mir das noch gar nicht eingefallen, trotz des aktuellen Hinweises auf Luxusboutiquen (OT).


    LG


    Christian

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  • Lieber Christian,


    Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore:
    ... der Herr vor Ihnen, der hat Mozart als Lieblingskomponisten, da nehmen Sie sich jetzt einmal ein Beispiel, und tüchtig klatschen, wenn die Oper vorbei ist, und die singenden Leute anhimmeln, denn bei uns ist das ein Gildenzeichen, und Sie jubeln da diesem knittrigen Mick zu, peinlich ist doch das, suchen Sie sich einmal einen ruhig auch tattrigen Dirigenten und freuen sich über dessen kunstvolle Zerteilung, dann wird noch was aus Ihnen! (Ähnliches durfte ich mir neulich nach dem Konzertbesuch anhören, von sich sehr elitär und richtig empfindenden Kulturbürgerinnen, die sich über die klassische Musik freuten, die ich meinem Sohn vorsetze - weil's dem Spaß macht, sie aber wähnten ein auf höhere Werte zielendes Erziehungskonzept dahinter, denn wir wissen: Johann Strauß hilft dem Geist mehr auf die Sprünge als etwa CCR. Das geht natürlich nicht so leicht ins Ohr wie Peter Alexander!)


    das war es gerade nicht, was ich mit dem "bildungsfreundlichen" Klima meinte, sondern eine Offenheit gegenüber unterschiedlichen Musikrichtungen, zu denen eben auch die Klassik gehört, ohne dass dabei andere Musikrichtungen abgewertet werden. Es sollte aber keine "Anleitung" zur Heranziehung künftiger Klassikhörer sein! ;)


    Denn das, was Du da so treffend ironisch beschreibst, kenne ich auch zur Genüge:
    Bekannte, die sich irgendwann einmal süffisant über meine Vorliebe für die Oper und historische Gesangsaufnahmen mokierten, äußerten einige Jahre später Enthusiastisches über eine Opernaufführung, die sie erlebt hatten. "Ganz zufällig" hatten sie diesen Besuch dann mit Nachbarn unternommen, die in der Gemeinde eine "wichtige Position" innehatten.


    Und Kommentare von Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen, die naserümpfend die Vorliebe meines ältesten Sohnes für Metal-Bands kommentieren und mich dann fragen, ob ich mit meinem Musikgeschmack nicht etwas mehr auf ihn einwirken könnte, habe ich auch schon über mich ergehen lassen müssen. Und damit gekontert, dass in unserem Haushalt sehr unterschiedliche Musikrichtungen gehört und gepflegt würden - und das sei auch gut so ;) .


    :hello: Petra

  • Lieber Christian,



    Das glaube ich Dir aufs Wort, obwohl meine Erfahrungen in der gehobenen Gastronomie bisher durchweg befriedigender ausgefallen sind, als in diversen McDoof-Filialen oder gar in als Brummifahrer-Geheimtipp gehandelten Autobahnraststätten.


    In besonders haarsträubender Erinnerung ist mir jedoch die intellektuelle Selbstbeweihräucherung eines spezifischen Klientels geblieben, dass ich während meiner Schul- und Studienzeit beim stunden- bis tagelangen Anstehen an der Philharmonie erdulden mußte. Da wurde wenig Hehl daraus gemacht, dass der Konsum von Kulturgütern lediglich als Substitution für nicht erreichbare monetäre Güter und gewisse gesellschaftliche Stellungen fungierte. Mahler mit Abbado wurde präsentiert wie die nicht bezahlbare S-Klasse, statt Diamantringen schmückte man sich mit Theateraufführungen. Nun ja.


    Aber die feelichen Ausführungen halte ich doch in einem Punkt für sehr treffend: Eine auf hohem Niveau zubereitete Küche stellt halt komplexe Anforderungen an die menschlichen Sinne. So, wie ein großartiger Rotwein, ein großer Roman von Thomas Mann oder eine Sinfonie von Mahler. Pommes Rot-Weiß, Lambrusco d´Aldi sued, Konsalik oder halt Hansi Hintersehers Alltime Klassiker "I koa zwoa net sin´g, tuas oba do", sind dann doch mit einem gröberen sensorischem Raster zu erfassen.


    Meine Erfahrung hinsichtlich der Auflösungsfähigkeit in bestimmten Bildungsschichten ist nun zwar, wie JR richtig feststellte, lediglich anekdotisch, jedoch reicht sie aus, um festzustellen, dass auch ein Doktortitel die Bevorzugung künstlerischer Hausmannskost nicht verhindert.
    Oder um es deutlicher auszudrücken und die durchaus schmachtenswerte Hausmannskost nicht zu beleidigen: Es scheint in jeder Bildungsschicht Menschen zu geben, denen es ausreicht, sich auf die Zufuhr von Flüssigkeit, Nahrung und das Unternehmen von Fortpflanzungsversuchen zu beschränken, und darüberhinausgehenden, komplexeren seelischen Input für verzichtbar anzusehen.



    Ansonsten stehe ich dieser Thematik mittlerweile relativ leidenschaftslos gegenüber, was nicht immer so war.
    Ich erinnere mich dunkel meiner Abiturzeit, wo ich mit einem Mitschüler stundenlange Streitgespräche darüber führte, ob Gustav Mahler oder Depeche Mode die bessere Musik geschrieben hätten. Heute führe ich solche Gespräche nicht mehr, sondern genieße den Mahler einfach.


    Andererseits mußte ich mich neulich dafür rechtfertigen, dass ich eine Schwäche für Ella Fitzgeralds Cole Porter Album habe...es sei schließlich das mieseste, was sie gemacht habe. Nun ja, immerhin höre ich nur noch selten Depeche Mode. :D


    Gruß
    Sascha

  • Ich weiß, ich wiederhole mich und das langweilt, aber manchmal ist lesen halt doch besser als reden/schreiben - und es gibt Bücher, nach deren Lektüre man sich plötzlich selbst zu tolerieren lernen muß:



    Wiedersehen,
    Medard

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    Meinst Du das jetzt in naturwissenschaftlicher Hinsicht oder ganz und überhaupt (auch Populärmythen haben eine Mythenstruktur!)?


    Es besteht wohl schon ein deutlicher Unterschied zwischen einem über Jahrhunderte entstandenen Mythos und einem Zusammenmixen von Versatzstücken aus allen möglichen Traditionen. Da die meisten Naturwissenschaftler auf solchen Kram abfahren, scheint eher irrelevant für die Rezeption, daß es naturwissenschaftlich gesehen auch Quatsch ist. ;) So spießig bin ich nun auch nicht, daß ich das vorwerfen würde.


    Ein wichtiger Punkt, der (soweit ich sehe, ich habe bspw. den Bourdieu nicht gelesen, sondern kenne das nur aus zweiter Hand) häufig ignoriert wird, ist, daß eine externe (etwa soziologische) Betrachtungsweise, Wesentliches verfehlt. Natürlich sind mit den Augen des außenstehenden Ethnologen gewisse Gebaren der Klassikhörer, der ganze Betrieb, erst recht einige Auswüchse wie Bayreuth strukturell fast dasselbe wie das, was die Trekkies oder Hooligans oder was weiß ich wer tun. Aber gerade diese Gemeinsamkeiten zeigen, daß über den Gegenstand (sagen wir Wagners Musikdramen) damit wenig oder nichts gesagt wird. Wenn zwei Dinge beide als Distinktionsmerkmal für Angehörige eine Klasse oder Schicht dienen können, gleichen sie sich eben erstmal nur darin. Von außen sind Wagner und StarWars "gleichwertig". Das zeigt für mich aber nur, daß es die falsche Perspektive ist :D


    Zitat


    Andererseits: Was wäre das Leben ohne Quatsch? Vielleicht nicht sinnlos, aber doch mit ziemlicher Sicherheit weniger lustig.


    Ich habe dem ja nicht die Existenzberechtigung abgesprochen! Aber nur weil Beethovens 9. und Return of the Jedi beides Kulturprodukte sind, kann dennoch das eine eine maßgebliche Errungenschaft sein und das andere unterhaltsamer (wobei ich das, was ich davon gesehen habe, nicht besonders spannend und eher (unfreiwillig?) komisch finde) Quatsch sein.


    Zitat


    Natürlich kann ich mich auch über die trotteligen nerds beömmeln, die auf irgendwelchen conventions in selbstgeschneiderten Kostümen aufkreuzen (in diesem Zusammenhang sehenswert: "www.youtube.com/watch?v=YpJu2-QyP2M"). Aber würde sich nicht auch ein sagen wir mal durchschnittlicher Bundesbürger verwundert den Kopf kratzen, wenn er erführe, dass es unter uns Klassikliebhaber gibt, deren Lebenszeit nicht mehr ausreicht, ihre komplette Sammlung auch nur einmal durchzuhören?


    Was schert mich denn ein durchschnittlicher Bundesbürger? :D
    Da unsere Lebenszeit nicht in unserer Hand steht, kann man oft gar nicht wissen, ob man seine Sammlung komplett durchhören kann. Ich bin aber keiner von denen (wenn ich von normaler Lebenserwartung ausgehe) und würde das auch eher als einen Auswuchs betrachten, der nicht notwendig mit einem besonderen Verständnis der Materie verknüpft sein muß (gleichwohl sein kann).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Dann will ich auch mal anekdotisch beisteuern: ein guter Freund von mir hat in Linguistik über die analoge Entwicklung von "each other" und "one antoher" im Englsichen promoviert. Ich saß als Zuschaer bei der Disputation und mit gesundem Menschenverstand und Interesse in Linguistik allein war dem kaum zu folgen.


    Sein Spektrum klassischer Musik ist - soweit ich weiß - eng, aber so exquisit, daß
    mancher advocatus die Schamesröte aufsteigen würde: Gesualdo, Monteverdi, Bach, Bruckner, Brahms - das ist sein Universum klassischer Musik. ansonsten spielt er seit zig Jahren Flamenco-Gitarre, fast so gut, daß er es hätte professionalisieren können. Ach und er hört sehr sehr gerne: Megadeth, Metallica, Portishead etc.


    Allen, die sich gerne im "Narzißmus der kleinen Differenz" (Freud) ergehen, erklärt mir diese contradictio - die meines Erachtens keine ist....


    :hello:
    Wulf

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