Kaiser Joseph II. und die Musik

  • Vielen ist er heute noch am ehesten als "Mozarts Kaiser" bekannt - eine freilich unzureichende Bezeichnung, die ihn allenfalls als Zeitgenossen des Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart (1756-1791) ausweist. Die Rede ist von Josephus Benedictus Augustus Joannes Antonius Michael Adamus, Königlichem Prinz von Ungarn und Böhmen, Erzherzog von Österreich (1741-1790), seines Zeichens als Joseph II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (und somit nominell weltliches Oberhaupt der Christenheit) in den Jahren 1765 bis 1790 - also der letzte in der Epoche des sog. Ancien Régime und gleichsam der letzte Römische Kaiser (ja, so lautete der korrekte Titel des Reichsoberhauptes tatsächlich bis zum Ende des Sacrum Romanum Imperium anno 1806), der eine - zu jener Zeit freilich eher schon anachronistisch anmutende - imperialistische Politik im Sinne hatte.


    JOSEPH II.
    geb. 13. III. 1741 Wien, gest. 20. II. 1790 ebd.
    Römischer König 27. III. 1764
    König in Germanien 27. III. 1764
    Römischer Kaiser 18. VIII. 1765
    König von Jerusalem 18. VIII. 1765
    König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Lodomerien und Galizien 29. XI. 1780


    Auf seine vielfältigen Reformen, die man bereits kurz nach seinem Tode unter dem Sammelbegriff "Josephinismus" zusammenfasste (der sich späterhin in erster Linie auf die kirchlichen Reformen bezog), kann hier in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Es sei nur soviel gesagt, daß er nicht zuletzt aufgrund dieser z.T. extremen Reformbestrebungen (die er kurz vor seinem Tode 1790 noch teilweise revidierte) in allen Teilen der Bevölkerung höchst umstritten, ja nicht selten gar verhasst war.


    Das eigentliche Thema dieses Threads jedoch soll eben das Verhältnis des Kaisers zur Musik sein.


    Wie bereits andernorts im Forum eindrucksvoll aufgezeigt wurde, gab es unter den Kaisern aus dem Hause Habsburg vier Komponisten: Ferdinand III. (1608-1657, Ks. 1637), Leopold I. (1640-1705, Ks. 1658), Joseph I. (1678-1711, Ks. 1705) und Carl VI. (1685-1740, Ks. 1711). Dies führte später zu der irrigen Annahme, nach dem Aussterben des Hauses Habsburg im Mannesstamme (1740) und seit der Verbindung mit dem Hause Lothringen (1736) habe die vormals bekannte Musikalität der Habsburger ein Ende gefunden.


    Daß dem keinesfalls so war, zeigte sich bereits in der nächsten Generation, eben jener Josephs II.: Selbst ältester Sohn von Kaiser Franz I. (1708-1765, Ks. 1745) und Maria Theresia (1717-1780, Ks.in 1745) - der ältesten Tochter Carls VI. -, erhielt er bereits als Kind einen umfassenden Musikunterricht in Theorie und Praxis (Klavier und Gesang). Josephs Musiklehrer war der Hoforganist Wenzel Raimund Birck (auch Pürk, 1718-1763). Daß Bircks Arbeit scheinbar nicht umsonst war, zeigt der Umstand, daß der Kaiser zeitlebens "ein passabler aktiver Musiker mit in Theorie und Ästhetik fundiertem, anerkanntem Urteilsvermögen" [1] war.
    So schreibt bereits Johann Pezzl, ein zeitgenössischer Biograph Josephs II., in seiner Charakteristik Josephs II. von 1790:


    "Musik war eine seiner angenehmsten Vergnügungen. [...] Ich habe schon weiter oben angeführt, da0 er sie bei seinem Aufenthalt in Wien beinahe täglich bei Tisch hatte. Wenn ein großes vollstimmiges Konzert war, so spielte er oft das Violoncello dabei. Bei Quartetten und kleineren Parthieen aber spielte er das Klavier und sang manchmal Arien aus den auf dem Theater aufgeführten Opern. Er sang einen reinen angenehmen Baß." [2]


    Ganz ähnlich klingt es im Tagebuch einer Musikalischen Reise von Charles Burney, welches er nach seiner Wien-Reise von 1772 verfasste:


    "Die ganze Kayserliche Familie ist musikalisch, der Kayser vielleicht gerade genug für einen Souverainen Herrn, das heißt, er hat hinlängliche Fertigkeit, sowohl auf dem Violonschell, als auf dem Flügel, zu seinem eigenen Zeitvertreibe, und hat hinlänglichen Geschmack und Einsicht, andre mit Vergnügen zu hören und richtig zu beurtheilen." [3]


    Die genauesten Nachrichten über die kaiserlichen privaten Aktivitäten musikalischer Natur verdanken wir aber einem unbekannten Wiener Korrespondenten und seiner Musikalischen Korrespondenz von 1790, worin es heißt:


    "War einer in unserer Kaiserstadt, der Kenner der Tonkunst war, der sie schäzte und liebte; so war's Er. Jeden Nachmittag verschafte sich Joseph das Vergnügen, mit drei Mitgliedern seiner Kammermusik und mit seinem Kammerdiener Strack, der das volle Zutrauen unsers verewigten Monarchen besaß, und selbst ein musikalischer Kopf ist, ein kleines Konzertchen aufzuführen." [4]


    Es folgen nun die Namen der Mitwirkenden: Franz Kreibich (Erster Geiger), Johann Kilian Strack (Violoncello), Thomas Woborzil (Geiger), Otto Bonheimer (Geiger), Anton Hoffmann (Geiger), ferner zuweilen Michael Umlauf (Geiger/Bratsche) sowie Joseph Krottendorfer (Geiger/Bratsche).


    "Alle diese Herren kamen nur in außerordentlichen Fällen zusammen. Gewöhnlich waren's nur drei, Strak und Joseph. Oft spielte dieser das Klavier, oft das Violonzell, und manchmal übernahm er auch eine Singparthie. ... Dieses Privatkonzert wurde täglich auf des Kaisers Zimmer gehalten. Insgemein wurde der Anfang nach der Tafel gemacht, und dauerte bis zur Theaterzeit. Fielen Staatsgeschäfte vor, so wurde später angefangen, aber dann desto länger gespielt, zumal wenn im Theater nichts vorzügliches gegeben wurde." [4]


    Über das dort gespielte Repertoire bemerkt der unbekannte Verfasser schließlich - nicht ohne sein Mißfallen darüber auszudrücken, daß die führenden Meister jener Jahre, J. Haydn, W.A. Mozart, L. Kozeluch und I. Pleyel, nie gespielt wurden:


    "Joseph bekam keine Note von diesen gewiß verdienstvollen Tonsezern zu hören; hingegen desto mehr von solchen, die nicht werth sind, jenen die Schuhriemen aufzulösen. Der Kaiser war Liebhaber von Pathetischen, ließ zuweilen auch Musik von Gaßmann, Ordonez u.a. aufführen; meistens aber wurden gewisse Parthieen aus ernsthaften Opern und Oratorien aus der Partitur gespielt." [4]


    Angeblich war der persönliche Geschmack Franz Kreibichs für diese Auswahl verantwortlich. Joseph II. kannte gleichwohl von anderswo Haydn und Mozart, denen er mit Vorbehalten gegenüberstand. Kreibischs Einfluß scheint sehr groß gewesen zu sein:


    "Ja selbst der Hofkapellmeister Antonio Salieri, dessen 'Axur' Josephs Lieblingsoper war, soll beim Kaiser in musikalischen Fragen nicht soviel Einfluß gehabt haben wie der Kammerviolonist Franz Kreibich." [4]


    Aus heutiger Sicht ist es allerdings mehr als fraglich, ob des Kaisers Geschmack allein auf jenen von Kreibich zurückging oder doch eher dem eigenen Stilempfinden entsprach. Die Untersuchungen Warren Kirkendales etwa sprechen vielmehr für letzteres. So spricht einiges dafür, daß sich Joseph II. eher der Vorklassik verbunden fühlte denn der damals aktuelleren Musik Haydns, Mozarts oder Pleyels. Die bevorzugten Instrumentalmusik-Komponisten des Kaisers waren neben den bereits genannten Carlos d'Ordonez (1734-1786) und Florian Leopold Gaßmann (1729-1774) ferner u.a. Christoph von Sonnleithner (1734-1786), Georg Matthias Monn (1717-1750) sowie Thaddäus Huber (1744-1798).


    Es bleibt also festzuhalten, daß Joseph II. "keine Anteilnahme an den epochalen Neuerungen in der Instrumentalmusik genommen [hat], die gerade zu seiner Zeit mit der Ausbildung des klassischen Stils vollzogen wurden; er ist am Beginn dieser Entwicklung stehen geblieben." [5]


    Allerdings muß man in einem Atemzug hinzufügen, daß er der Instrumentalmusik dennoch eine gewichtige Förderung angedeihen ließ. So stellte er etwa Burg- und Kärtnertortheater, Belvedere- und Augarten immer mehr für öffentliche Konzerte zur Verfügung. In den 1780ern, als die Bedeutung der Adelskapellen abnahm, gleichzeitig aber immer größeres Interesse beim Bürgertum an öffentlichen Musikproduktionen aufkam, war diese kaiserliche Förderung also von größter Bedeutung. Selbst allerdings besuchte Joseph II. selten öffentliche Konzerte - wohl wiederum aufgrund persönlicher Abneigung gegen den damals modernen Stil.


    Gänzlich anders sieht es mit der Oper aus. Diese besuchte Joseph II. sehr eifrig. Aus seiner Jugend kannte er noch den Typ der barocken Prunkoper, so etwa "Alcide al Bivio" von Johann Adolph Hasse (1699-1783), welche 1760 anläßlich seiner Vermählung mit Isabella von Bourbon-Parma komponiert und aufgeführt wurde, oder Hasses Krönungsoper "Egeria" von 1764 sowie Gaßmanns "Il trionfo d'Amore" von 1765 anläßlich Josephs zweiter Vermählung mit Maria Josepha von Bayern.
    Der Opernreform des Christoph Willibald Ritter von Gluck (1714-1787) stand der Kaiser positiv gegenüber. Ein direktes Eingreifen in diese Entwicklung gab es schließlich 1775, als er bessere Aufführungen für alle Sparten und desweiteren die Einführung des deutschen Prosatheaters forderte. 1777 bekam der Burgschauspieler Johann Heinrich Müller den Auftrag für ein deutsches Nationalsingspiel, welches sich mit Ignaz Umlaufs "Die Bergknappen" 1778 endgültig seinen Durchbruch verschaffte. In die Reihe der nun folgenden Singspielproduktionen gehört auch Mozarts "Entführung aus dem Serail" von 1782, was beim Kaiser allerdings nicht auf soviel Gegenliebe stieß wie beim Publikum. Joseph bemängelte die Behandlung des Orchesters, das bei Mozart selbständig dramaturgisch auftritt und nicht nur einleitet und begleitet. In diesem Zusammenhang äußerte der Kaiser, daß Mozart die Sänger "mit seinem vollen Akkompagnement übertäubt". [6]


    Ein weiteres Interessengebiet Josephs II. war seine Kammerharmonie, welche aus acht Bläsern (je zwei Oboisten, Klarinetten, Hornisten und Fagottisten) bestand. In erster Linie wurde sie zur Tafelmusik eingesetzt, auch im Freien. Das hohe Niveau der kaiserlichen Kammerharmonie fand viele Bewunderer.


    Besonders interessant und bereits vielfach kontrovers diskutiert wurde Josephs Haltung zur Kirchenmusik. Es gab seit etwa 1750 Tendenzen, die barocke Kirchenmusikpflege vor einer allzu heftigen Profanisierung zu schützen, während auf der anderen Seite eben diese Entwicklung für jene Jahre charakteristisch ist. Für den Kaiser und seine allgemeine Vorliebe für Fugen und insbesondere den strengen Satz - er hielt es mit Johann Joseph Fux (1660-1741) und dessen Devise "Gradus ad parnassum" und äußerte einmal: "Wer seinen Fux im Kopf hat, weiss alles, was er wissen muss und kann" [7] - bedeutete eben dieses Vordringen in eine neue Richtung eine persönliche Enttäuschung. 1767 hob er gar das 1753 von Maria Theresia erlassene (wenig wirksame) Vebot von Pauken und Trompeten in der Kirchenmusik wieder auf. Die einzige kirchenmusikfeindliche Verordnung des sonst so reformfreudigen Kaisers stammt aus dem Jahre 1783 und ist primär außermusikalischer Natur: Aufgrund der neuen Gottesdienstverordnung kam es de facto zu einer Verringerung der musikalisch gestalteten Gottesdienste. Verächter Kaiser Josephs II. haben dies früher völlig verfehlt als generelles Verbot der Kirchenmusik hochgespielt, wovon freilich in keinster Weise die Rede sein kann.


    Fassen wir all diese Fakten insgesamt zusammen, bleibt festzuhalten, daß Kaiser Joseph II. für seine eigene Person von allen musikalischen Bereichen lediglich in dem des Musiktheaters den Fortschritt suchte. Mit der Förderung seiner Kammerharmonie folgte er einem Trend, der ab etwa 1760 aufkam, aber nicht als besonders fortschrittlich gelten kann. In der übrigen Instrumentalmusik ist eine strikte Verweigerung jedweder Neuerung zu beobachten. Was die Kirchenmusik angeht, so finden wir hier das seltsame Phänomen, daß er eine Reform seiner Mutter bezüglich der Einschränkung derselben rückgängig machte.


    Summa summarum ist Joseph II. insofern als "Reformator in politicis und nicht in musicis" [8] zu bezeichnen, war "in seinem musikalischen Geschmack [also] traditionsverbunden und konservativ". [9]



    Quellenverweise:


    [1] Biba, Otto: Kaiser Joseph II. und die Musik, in: Ausstellungskatalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 1980: Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II. Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst, Wien 1980, S. 260.
    [2] ebd., S. 260.
    [3] ebd., S. 260.
    [4] ebd., S. 261.
    [5] ebd., S. 262.
    [6] ebd., S. 263.
    [7] ebd., S. 263.
    [8] ebd., S. 264.
    [9] ebd., S. 265.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões