Volksmusik in der Klassik

  • Hallo,


    einer kleiner Osterbeschäftigungsthread...


    Eben las ich folgende Zeilen aus einem Interview mit Gunther Emmerlich, die mich zu dem Thread inspirierten:


    Zitat

    Zitiert aus op-marburg.de


    Letztlich hat gerade Mozart viel Nektar aus der Volksmusik gesogen. Das ist ja das Geheimnis von Mozart. Er hat den Leuten zugehört, was sie singen und was sie fiedeln. Das gilt für Haydn noch viel mehr. Papagenos Vogelfängerlied ist eigentlich ein Volkslied. Ein „Er-Volks-Lied“.


    Wo er Recht hat, hat er Recht.


    Um einige unkonkrete Beispiele zu nennen: Schubert verarbeitete angeblich Zigeunerweisen und anderes Volksliedgut, viele Komponisten variierten [damals] bekannte Volksmelodien - das Feld ist sehr weit. Das Vogelfängerlied bzw. die Arie des Papageno ist natürlich erst im nachhinein zum Volksliedgut übergegangen [ist es das wirklich?], solche Beispiele sind also eher nicht gemeint, sondern:


    Welche Werke bekannter und weniger bekannter Komponisten fallen Euch ein, in denen Volksliedgut - auf geniale Weise? - verarbeitet wird?


    :hello:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    spontan fallen mir hier einige Beispiele aus Opern ein:


    Aus Flotows „Martha“ die „Letzte Rose“, die auf einer irischen Volksweise („The Last Rose“) basiert; Mendelssohn-Bartholdy komponierte über dieses Lied seine Fantasie E-Dur op. 15.


    Einiges in der „Arabella“ wurde von Strauss nach slawischen Volksweisen in Töne gesetzt,
    z. B. das Duett Arabella – Zdenka: „Aber der Richtige“, sowie das Duett Arabella – Mandryka: „Und du wirst mein Gebieter sein“.


    In Brittens „Peter Grimes“ gibt es das Chorlied "Oh! hang at open doors the net the cork!", das sehr stark an ein Shanty erinnert; es basiert aber wohl nicht auf einem echten Shanty, sondern wurde aus shanty-ähnlichen Motiven komponiert.


    :hello: Petra

  • Hallo,


    Die Liste könnte unendlich Lang werden.
    Gerade, wie im Eröffnugnsbeitrag genannt die Klassiker, aber auch die (National-)Romantiker verwenden unzählige Volkslieder bzw Themen volkstümlichen Charakters.
    In Ungarn, Rumänien und anderen Slawischen Ländern sammeln insbesondere Bartok und Kodaly das volkstümliche Liedgut und notieren es...
    In Amerika verarbeitet Charles Ives das völkische Liedgut in zahlreichen Werken - interessanterweise nährt sich dieses Liedgut zum einen aus den Spirituals der afroamerikanischen Sklaven, zum anderen insbesondere aber aus der
    Feder eines Kompoinisten: Stephen Foster - dem "Amerikanischen Schubert"...


    LG
    Raphael

  • Hallo,


    auch wenn sich das Booklet darüber ausschweigt, so gehe ich doch davon aus, dass sich Kraus in seiner Angloise (Track 14) aus der Ballettmusik "Fiskarena" in der Irischen "Popmusik" bedient hat.


    Denn genau die selbe Melodie ist auf dieser CD zu finden, allerdings unter der Bezeichnung "The Sailor's Hornpipe" ohne Angabe eines Komponisten:



    Grüße
    Violoncellchen

  • Hallo,


    was auch immer das ist - The Sailor's Hornpipe passt ja hervorragend zu Kraus' Thematik in dieser Ballettmusik. Da muß also etwas dran sein.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Das Ding war wohl ein richtiger Schlager zu Kraus' Zeiten und auch unter dem Namen "The College Hornpipe" bekannt.


    Hier eine Seite aus einer Sammlung von Hornpipes aus dem 19. Jhdt:



    Wikipedia weiss:

      The usual tune for this dance was first printed as the "College Hornpipe" in 1797 or 1798 by J. Dale of London. [2]. It was found in manuscript collections before then - for instance the fine syncopated version in William Vickers' manuscript, written on Tyneside, dated 1770 [3].


    und das "Farne Folk Archive" ergänzt:

      This well known tune remains extremely popular in both England and America. It is probable that the tune is derived from an old sailor's song called 'Jack's the Lad.' The melody has become associated with the nautical hornpipe type of dance which became a popular solo step-dance on the stage at the end of the 18th century, and, in fact, it is popularly known as 'The Sailor's Hornpipe' today.


    Wäre dennoch interessant zu wissen, woher Kraus es kannte, da es doch erst Jahre nach seinem Tod im Druck erschien.


    :hello:
    Violoncellchen

  • Zitat

    Wäre dennoch interessant zu wissen, woher Kraus es kannte, da es doch erst Jahre nach seinem Tod im Druck erschien.


    Drucke sind nicht das Maß aller Dinge in der damaligen Zeit.


    Nach seiner Festanstellung am Schwedischen Hofe gewährte ihm sein Auftraggeber Gustav III. großzügige Studienreisen, die u.a. nach Frankreich, Deutschland und England führten. 1785 weilte Kraus einige Wochen in London und nahm an den Feierlichkeiten zu Händels 100. Geburtstag teil. Kraus komponierte daraufhin Teile eines Te Deum - wenn man diese hört, merkt man sehr deutlich, an wen hier die Hommage gerichtet ist. Es ist also mehr als möglich, daß Kraus diese damals populäre Melodie der Pipe dort aufgeschnappt und in seinem Werk verarbeitet hat. Die Fiskarena wurde jedenfalls 1789 komponiert, was in dieses Puzzle gut hineinpasst.


    Da Kraus seine Studien in Schweden auswerten sollte [Gustav III. bestand darauf, die besten und schönsten Künste in seinem Land zu vereinen], scheint es durchaus sichergestellt, daß Kraus Aufzeichnungen machte, darunter ggfs. jene Melodie: Denn auch die Bezeichnung Angloise ist ja eigentlich eindeutig.


    Ich finde übrigens auch, daß sie gewisse Ähnlichkeit mit Thomas Arnes Air If those who live in shepherd's bow'r [The Masque of Alfred, Track 10] hat.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ich finde übrigens auch, daß sie gewisse Ähnlichkeit mit Thomas Arnes Air If those who live in shepherd's bow'r [The Masque of Alfred, Track 10] hat.


    Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen!


    Der markante Terzsprung abwärts auf den Grundton am Ende einer Phrase scheint ein typisches Merkmal britischer Volkslieder zu sein. Ich erinnere mich, dass es mir auch bei den Haydnse (Paul :hello: ) Volksliedbearbeitungen des öfteren über den Weg lief.


    :hello:
    V.