Kann eine Interpretation LIEBLOS sein?

  • Hallo,


    bei diversen Interpretationen aus dem Bundesland Spanien kam mir öfter der Gedanke, daß das Musizieren der Hombres und Senoras bei aller technischen Perfektion [die damit ja rein gar nichts zu tun hat] auf mich etwas gefühlskalt, gar lieblos wirkt. Natürlich kann ich keinem Interpreten Lieblosigkeit vorwerfen, denn ich gehe davon aus, daß man/frau mit Liebe - meist sogar bis zur Detailliebe hingehend - ans Werk geht.


    Woran liegt es, daß manche Interpretationen so dermaßen falsch [z.B. bei mir als Empfänger] ankommen? Ist es Mentalitätssache? Geschmacksache? Falsche Hörgewohnheit?


    ?(


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    ich fürchte, dass Du etwas präziser werden musst. Auf welches Werk oder Einspielung beziehst du dich?


    Ich habe einige Schallplatten aus den 60ger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit spanischen Zarzuelas. Also den Aufnahmen kann ich nur Gutes, feuriges abgewinnen.


    Bevor ich mich in wieteren Spekulationen ergebe, sollte ich lieber Deine Antwort abwarten... :pfeif: :untertauch:

  • lieber ulli.


    mit deiner frage überschneidest du gerade etwas, woran ich für einen neuen thread arbeitete.
    weil deine frage nicht auf spanische musik beschränkt war, kann ich ein klares beispiel geben.


    nur muß ich zuerst wissen wie du das "lieblos" umschreiben würdest. ist es "uninteressiert" oder meinst du einen mangel an sich einfühlen.


    lg, paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    nur muß ich zuerst wissen wie du das "lieblos" umschreiben würdest. ist es "uninteressiert" oder meinst du einen mangel an sich einfühlen.


    Hi,


    lieblos trifft m. E. auf beide Beschreibungen zu.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    es kann durchaus sein wenn man als Spanier gerade noch in der Stierkampfarena einen Stier kalt gemacht hat, dass man dann danach auf der Gittarre lieblos wirkt. :D :D


    Nein, aber im allgemeionen sind doch die spanischen Werke mit emotionalem Feuer aufgeladen und können schon durch die Kompositionsvorgabe gar nicht total lieblos gespielt werden.
    Im Moment beschäftige ich mich mit Isaac Albeniz:
    Iberia-Suite
    Navarra
    Klavierkonzert Nr.1
    Catalonia-Suite.


    Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein ernsthafter Musiker, der sich dieser Musik interpretativ hingibt, diese lieblos spielen kann.
    Meine Aufnahme mit Enrique Batiz und Aldo Ciccolini am Klavier läßt solche Gedanken jedenfalls gar nicht aufkommen.



    ;) Aber für lieblose Interpretationen gibt es massig Beispiele, die auf CD gebannt wurden.
    :boese2: Spontan fallen mir drei ein:
    1. Beethoven Sinf.Nr.5 und KK Nr.5 mit Previn (EMI) - eine ehemalige Horror-Platte von mir.
    2. Beethoven: KK Nr.1-5 mit Horst Stein (Decca) - als liebloser Orchesterbegleiter.
    3. Dvorak Sinf.Nr.4+8 mit Grunzenhauser (Naxos) - die schlechteste und liebloseste Naxos-Cd, die ich jemals hatte.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Hallo Ulli,


    Ich habe gestern einige CDs gehört, unter anderem auch die als "total lieblos" eingestufte CD von Naxos- CD von Naxos mit den Dvorak Sinfonien.


    Also, ich kann mich der Meinung total lieblos da nicht anschliessen.


    Ich meine, jeder Dirigent hat eine Auffassung von einem Werk, welches er dirigiert. Er beschäftigt sich Wochen, ja vielleicht Monate damit, zieht hunderte Quellen und Notizen zu Rate, probt ellenlang mit dem Orchester, und spielt das Werk ein.


    Für ihn, und der produzierenden Firma, sollte es das Nonplusultra sein, was er bisher gemacht hat, wenn alles gestimmt hat von Aufnahmeort, Orchester, Solisten...etc.


    Doch bei einigen Zuhörern kommt es nicht an, bei anderen wohl...


    Ich finde, jeder hat ein subjektives Hörerlebnis. Es kommt auf die momentane Stimmung an, es können hundert Faktoren sein, die einem eine Interpretation verleiden.


    Darum wage ich zu fragen, ist die Aufnahme als lieblos zu bezeichnen, weil ich gerade nicht in der Varfassung/Stimmung bin, gerade diese Interpretation zu akzeptieren??

  • Lieber Ulli,


    Für mich sind "uninteressiert" und "ein Mangel an sich einfühlen" nicht synonym.


    Leicht ist es zu verdeutlichen am Beispiel des Sängers, der eine Arie singt.


    1. Der Sänger kann einen Tag haben, wo er nicht dabei ist. Seine neue Schuhen tun ihm Weh, es ist schon die achte Mal in zehn Tage, daß er diese Arie bringt, usw. Er ist dann nicht interessiert. Aber kann dennoch den Inhalt der Arie verstehen und einfühlen.


    2. Dagegen ist ein Sänger, der den Text nichts sagt (ein Ausländer z.B. der nur Klänge gelernt hat), nicht (oder nie) in der Lage den Text - ergo die Arie - einzufühlen.


    Lieblos 1 und Lieblos 2 unterscheiden sich m.E. gewaltig.
    1 würde ich routiniert nennen und für 2 weiß ich wirklich kein Wort. Dennoch ist es möglich, denn ich habe Situation 2 einmal erlebt. Natürlich war der Inhalt des Textes erklärt, aber dennoch klang es als "so habe ich es gelernt". Eine musikalische Dose hätte vermutlich genauso geklungen.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    Für mich sind "uninteressiert" und "ein Mangel an sich einfühlen" nicht synonym.


    Werter Paul.


    Für mich sind sie auch nicht synonym - aber Bestandteil von Lieblosigkeit.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • mir ist das schon öfter aufgefallen.


    Vor allem wenn Musiker etwas spielen sollen, dass sie eigentlich nicht mögen, bzw. sich nicht dafür interessieren.
    Ich muss jetzt etwas aufpassen was ich schreibe.... :pfeif:



    aber wenn ich Konzerte versuche zu organisieren, dann wird von 10 beteiligten Musikern maximal von einem die Frage gestellt,
    was soll denn überhaupt gespielt werden ?
    Den anderen geht es nur ums Geld, wieviel, wann...
    Ich habe auch gegenteilige Erfahrungen gemacht, aber leider ist das etwas was sich ständig wieder bestätigt.


    Wenn nur von einem Musiker überhaupt Interesse für die Musik kommt, dann fange ich schon an zu grübeln.
    Das größte Interesse gilt meist nur der Gage und das finde ich ziemlich abstoßend. Denn natürlich ist Geld wichtig, aber in dem Maße, finde ich das ehrlich gesagt ekelhaft.
    Kann so eine Aufführung gut werden ?
    Nein sie wird lieblos.



    René Jacobs hat das mal so formuliert.
    Er arbeitet lieber mit Musikern zusammen die alte Instrumente spielen, nicht wegen den Instrumenten, sondern weil sie die Musik lieben, die sie spielen.


    Denn gerade bei Alter Musik ist es immer das gleiche, zumindest war das meine bisherige Erfahrung, die jenigen die sich darauf spezilisiert haben, bringen eine Menge Idealismus mit und sind voller Begeisterung etwas völlig Neues zu machen.
    Sie sind bestens mit den alten Spielweisen vertraut und wärend sie diese Musik spielen, hört man die Liebe regelrecht, die sie dafür empfinden.
    Sie improvisieren über den Baß, zieren aus und es ist fast wie ein Liebesakt zwischen den Musikern und der Musik.
    Diese Leidenschaft und Vertrautheit - so muss das sein!


    Für dieses großartige Engagement werden sie von den "normalen Musikern" oft mit Geringschätzung bedacht.
    Ich habe noch nie soviel unqualifizierte Polemik gehört gegen die HIP Musiker, wie aus den Reihen der normalen Orchester Musiker.
    Da werden nicht nur die Instrumente schlecht gemacht, sondern auch über das Können der Musiker hergezogen und nicht zuletzt auch die Musik mit Verachtung getraft.


    Ich finde soetwas ziemlich bedenklich. Denn anstatt das als eine weitere Möglichkeit zu sehen, etwas neues zu erleben, etwas bekanntes neu zu beleuchten, wird das nieder gemacht, weil es der üblichen Auffassung widerspricht.


    Mir zeigt sich dagegen der Unterschied zwischen den echten Künstlern und den einfachen "Musikreproduzierern"


    Nach Möglichkeit arbeite ich auch lieber mit den HIP Musikern zusammen, weil sie einfach diese Feuer haben, diese Liebe um Musik zum Leben zu erwecken, etwas was ich bei den anderen nicht gefunden habe.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Da werden nicht nur die Instrumente schlecht gemacht, sondern auch über das Können der Musiker hergezogen und nicht zuletzt auch die Musik mit Verachtung getraft.


    Ich finde soetwas ziemlich bedenklich. Denn anstatt das als eine weitere Möglichkeit zu sehen, etwas neues zu erleben, etwas bekanntes neu zu beleuchten, wird das nieder gemacht, weil es der üblichen Auffassung widerspricht.


    Ich habe nur die letzten Absätze zitiert, weil die sich auch mancher nicht musizierende Musikfreund hinter den Spiegel stecken sollte, bevor er bestimmte Musikrichtungen, mit denen er/sie - legitimerweise - persönlich nichts anfangen kann, wegen angeblich mangelnder Tiefe oder sonst was disqualifiziert.
    Verachtet mir die Leichten nicht!


    Davon abgesehen, finde ich aber auch Dein ganzes Posting eine sehr richtige und bedenkenswerte Beobachtung, die nicht nur auf den Barock und HIP bezogen werden muss. Danke dafür. :jubel:


    :hello: Rideamus

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  • Zitat

    Original von Rideamus
    Davon abgesehen, finde ich aber auch Dein ganzes Posting eine sehr richtige und bedenkenswerte Beobachtung. Danke dafür. :jubel:


    ...wobei ich jetzt nicht prinzipiell alle unHIPen Musiker derart abwerten würde... :rolleyes:


    Aber die aufgezeigte Tendenz scheint mir zur Zeit durchaus korrekt beobachtet zu sein, wobei es auch HIP-Ensembles gibt, bei denen durchschimmert, daß sie uninspiriert ständig Neues produzieren und den Gehalt der Musik deutlich vernachlässigen - eben Masse statt Klasse [wohinter wohl auch eher ein Geschäftssinn zu vermuten ist].


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Servus,


    wie Ulli schon schrieb, derart schwarz-weiß sollte man das nicht mahlen.


    Denn eigentlich muß jeder, der sich dafür entscheidet, professioneller Musiker zu werden, mit viel Idealismus beschlagen sein, denn die Aussichten auf einen gut dotierten Posten sind sehr klein. In Konsequenz sind die meisten Musiker freelancer - und wer dort kein Engagement in seinem Beruf zeigt, der ist ruck-zuck ganz draußen.


    Andererseits ist fast jeder Freischaffende gezwungen, jede Sch$%§#ß-Mucke zu machen, damit nicht am Ende des Geldes noch ein Haufen Monat übrig ist. Das kann auch ganz schön frustrieren...



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • schwarz.weiß wollte ich nichts malen, denn ich kenne ja auch Musiker die das ganz ohne Dogmen sehen und einfach Musik mit liebe machen.


    Aber wie gesagt, das war eine persönliche Erfahrung die ich gemacht habe, das ist hoffentlich nicht die Regel.