Beethoven: Schauspielmusiken und Ballette

  • Ludwig van Beethoven: Musik zu einem Ritterballett WoO 1


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    Auf meinen Aufnahmen musizieren die Staatskapelle Berlin unter Günther Herbig, die Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan und die Nicolaus Esterhazy Sinfonia unter Bela Drahos.


    Die acht Nummern des Ritterballetts schrieb Beethoven für eine Fastnachtsveranstaltung am 6. März 1791 im Redoutensaal der Bonner Residenz. Im Theaterkalender ist zu lesen: Am Fastnachtssonntage führte der hiesige Adel auf dem Redoutensaale ein karakteristisches Ballett in altdeutscher Tracht auf. Der Erfinder desselben, [...], dem Komposition des Tanzes und der Musik zu Ehre gereichen, hatte darinn auf die Hauptneigungen unserer Urväter, zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen Rücksicht genommen.


    Es war eine zur Karnevalszeit veranstaltete Maskerade, bei der Tanz und Pantomime sich abwechselten. Nach einem einleitenden Marsch wird ein "Deutscher Gesang" vorgestellt, der refrainartig nun nach jeder Nummer wiederholt wird. Ein Jagdlied mit den zeitüblichen Versatzstücken wird gefolgt von einem Minnelied, einer Romanze, die sich deutlich auf die Romanze des Pedrillo in Mozarts Entführung bezieht, einem wilden Kriegslied, einem Trinklied und dann einem Deutschen Tanz (Walzer). Hierauf folgt keine Wiederholung des "Deutschen Gesangs", sondern eine Coda, in der auch wieder der "Deutsche Gesang" verarbeitet ist.


    Insgesamt eine Tanzmusik mit Suitencharakter (durchgehend in D, die Romanze in der Mollparallele h - dort zeigt der Wechsel nach Dur den Erfolg des Liebeswerbens an.)


    Die Einspielungen geben sich bei der Einfachheit der Struktur wenig. Bei meiner Beethoven-Kiste stört mich nur, dass die einzelnen Sätze des Ritterballetts nicht indiziert sind. Hörenswert ist das kleine Werk Beethovens auf jeden Fall, nicht zuletzt, weil Beethoven innerhalb des vorgegebenen Rahmens sich um kompositorische Dichte bemüht. Die Orchesterbesetzung ist klein (1 Pikkoloflöte, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Trompeten, 2 Pauken und Streicher), wer die räumlichen Verhältnisse der Redoute kennt, weiß warum ...


    Liebe Grüße Peter

  • Ludwig van Beethoven: Musik zu Egmont op. 84



    Die Schauspielmusik zu Goethes "Egmont" ist mir besonders vertraut, da ich sie früh als Schallplatte bei dem "Ring der Musikfreunde" kennenlernen durfte. So kannte ich die Ouvertüre, der man noch am ehesten begegnet, erst einmal im Zusammenhang mit der ganzen Bühnenmusik. Da ich mit dem Schauspiel gut vertraut war, wuchsen so auch Schauspiel und Musik für mich zu einer Einheit zusammen.


    Mit dem Weg der Schauspielmusik in den Konzertsaal ergab sich die Notwendigkeit, zwischen den einzelnen Stücken verbindende Texte zu schreiben. Dies ist insoweit paradox, da die Zwischenmusiken ihrerseits eine verbindende Funktion zwischen den Akten haben. So vermittelt die Zwischenaktmusik I zwischen Brackenbergs Trauer nach der Zurückweisung durch Klärchen (Seuzfermotivik, metrisches Stocken) und dem Tumult in Brüssel (Allegro con brio). Friedrich Mosengeil schrieb verbindende Deklamationstexte, 1831 bearbeitete sie Grillparzer, von Bernays stammt ein eigener Text - allerdings setzen diese Texte die Kenntnis des Goetheschen Dramas voraus. Gerd Albrecht hat eine eigene Fassung vorgelegt. Doch - um die Musik zu verstehen, braucht es der Kenntnis des literarischen Textes. Wie bei jeder Musik gibt es auch hier eine Bringschuld des Hörers.


    Dass nicht nur die Ouvertüre große Musik ist, sondern auch die Zwischenmusiken, die ein Netz vielfältiger Verknüpfungen, Verweisungen und Bezugnahmen knüpfen (Andreas Ballstaedt hat eine erste Analyse dazu vorgelegt), belohnt die Mühe. Das Pfeifchenmotiv, das im ersten Liede Klärchens auftaucht und als Zeichen für eine kämpferische und zugleich siegessichere Haltung steht, wird schon im Lied so exponiert, dass deutlich wird: Hier ist mehr gemeint als ein lautmalerisches Element. "Aufwärts gerichtete Bewegung, beschleunigtes Anlaufen des Zieltones, Schlussswirkung durch latente D[ominate]-T[onika]-Kadenz und Quartambitus" (Ballstaedt) werden immer wieder aufgegriffen, um an die Freiheit zu erinnern - und am Ende, in der Siegessymphonie, wird ja die Freiheit in der Gestalt des Klärchens den Sieg verkünden. Wie überhaupt die Bühnenmusik die Sichtweise Beethovens deutlich macht, Klärchen neben Egmont in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen: die Trennung von Privatsphäre und Politik wird als unhaltbar erkennbar.


    Eine mitreißende, eine ergreifende Musik, etwa die Musik "Klärchens Tod bezeichnend". Beide Einspielungen können mich nicht ganz überzeugen, aber da habe ich ja noch eine (allerdings gekürzte) von Klemperer im Regal - und unten im Keller schlummert noch eine alte ORBIS-Platte, deren Interpretation eines der bleibenden Musikerlebnisse für mich darstellt, sie brauche ich gar nicht mehr zu hören, sie ist Teil meines Lebens geworden, von der Ouvertüre mit der gepanzerten Sarabande, die jede freiheitliche Lebensregung zu unterdrücken droht, bis zu dieser jubelnden Siegessymphonie, in der die Motive von Egmont und Klärchen im Jubel über die gewonnene Freiheit verschmelzen.


    Liebe Grüße Peter

  • Ludwig van Beethoven: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43


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    Das einzige große Ballett Beethovens, entstanden in Zusammenarbeit mit Salvatore Viganò, war ein großer Erfolg. 1801 und 1802 ist es 23mal (nach anderen Quellen 29mal) aufgeführt worden, es gab eine ungewöhnlich große Anzahl von Bearbeitungen, Karl van Beethoven berichtet, Teile der Musik seien häufig und mit großem Beifall in den Augarten-Konzerten aufgeführt worden, "eine Ehre, weche noch keiner Ballettmusiek wiederfahren ist, als Musikstück aufgeführt zu werden".


    Viganò steht in der Tradition der revolutionären Ballettmeister Noverre und Angiolini, die mit der Musik Glucks verbunden sind. Er strebt ein Tanzdrama an, mit einer Bewegungsführung nach der Natur. Die Wiener Fortschrittlichen erkannten sich in ihm wieder, und so sind die Klaviervariationen WoO über ein Menuett à la Vigano auch als offene Huldigung zu verstehen.


    Die inhaltliche Orientierung der Balletthandlung geschieht nach dem Freiheitsgedicht Il Prometeo des großen italienischen Dichters Vincenzo Monti, der in Napoleon Bonaparte den neuen Beweger und Lenker sah, den zeitgenössischen Vollender der mythischen Menschenerziehung, der die Menschen von ihrem feudalistischen Joch befreien sollte. Viganò brachte Beethoven das Werk Montis nahe und bezog sich auch im Textbuch auf die Prefazione Montis, in der Prometheus beschrieben wird als "combatté lungamente e con valore e con senno contra il despostismo di Giove, e divenne co' liberi suoi sentimenti il flagello perpetuo dei congiurati aristocratici dell' Olimpio".


    Der Schöpfung des Menschengeschlechtes folgt die Erziehung der Menschen durch die besten denkbaren Lehrer - durch Beispiel und nicht durch Gewalt. Das Ziel ist die höhere Kultur und die Selbstbestimmung der Menschen. Die Schönheitssinne der Menschenkinder werden erweckt - und als Melpomene, die Prometheus zum Vorwurf macht, die Menschen mit dem Leben auch zugleich zum Tode erschaffen zu haben, diesen zum Entsetzen der Kinder ersticht, tröstet sie Thalia in einer Pastorale und Pan weckt den Toten wieder auf. Die freie Kultur musste um den Preis des Opfers errungen werden. Mit der Nr. 11 beginnt nun eine Reihe festlicher Tänze, die die errungene Freiheit feiern.


    Das poltische Verständnis des Prometheus-Stoffes hat Beethoven sein Leben lang begleitet, Nach dem Aufbruch der 1. Sinfonie ist das Prometheus-Ballett eines der großen Werke, die in die Zukunft weisen, zur Eroica und über sie hinaus.


    Die Einspielung des ORF Radio Sinfonie Orchesters unter Milan Horvat ist durchaus passabel, die des Orpheus Chamber Orchestra wirkt schlanker, die unter Rickenbacher wird leider erheblich beeinträchtigt durch Ustinovs Versuch, dem Stoff seine eigene Variante abzugewinnen, die zwar witzig, doch an der Musik und der Sache vorbei mehr der Selbstdarstellung Ustinovs dient.


    Liebe Grüße Peter

  • Ludwig van Beethoven: Musik zu "Die Ruinen von Athen" op. 113


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    Meist kennt man allenfalls die Ouvertüre zu "Die Ruinen von Athen". Wenn sie nicht zu den bedeutenden gerechnet wird, so liegt das nicht zuletzt daran, dass man die Bühnenmusik nicht kennt, zu der sie gehört, denn die Ouvertüre bezieht sich mit ihren Vorausdeutungen auf das Duett Nr. 2 und auf den Marsch Nr. 6. Immerhin findet man sie häufiger auf CD.


    Entstanden ist die Musik bei Beethovens ersten Aufenthalt in Teplitz. Kotzebue hatte den Auftrag erhalten, für die Eröffnung des neuen Theaters in Pest ein Festspiel zu verfassen. Als Vorspiel schrieb er "Ungarns erster Wohlthäter" (König Stephan" , als Hauptstück "Belas Flucht" und als Nachspiel "Die Ruinen von Athen". "Bela Flucht" wurde übrigens von den Auftraggebern nicht akzeptiert, erinnerte es sie doch an die Flucht Kaiser Franz aus Wien. Für das Vorspiel und das Nachspiel wurde Beethoven als Komponist gewonnen.


    Ein anderes Ereignis waren noch die Ungarn für mich. Indem ich in meinen Wagen steige, nach Teplitz zu reisen, erhalte ich ein Paket von Ofen mit dem Ersuchen, zu der Pester Eröffnung des neuen Theaters etwas zu schreiben. Nachdem ich drei Wochen in Replitz zugebracht, mich leidlich befand, setze ich trotz dem Verbot meines Arztes mich hin, um den Schnurrbärten, die mir von Herzen gut sind, zu helfen, schicke am 13. September mein Paket dorthin ab, in der Meinung, daß den 1. Oktober die Sache vor sich gehen sollte.


    Im kurzen Zeitraum von drei Wochen hatte Beethoven - neben seiner Arbeit an der 7. Sinfonie - die beiden Schauspielmusiken komponiert. Wie immer erledigt Beethoven seine Aufgabe professionell, wollte er sich doch auch dem Textdichter empfehlen, den er wenig später um ein Opernlibretto bat. Das Werk - und das macht seine "Schwäche" aus - ist wirkungsvoll für die Bühne geschrieben. Kennt man aber weder Schauspiel noch erlebt man es auf der Bühne, entgeht einem vieles an der Komposition. Da das Schauspiel auch noch für eine einzige Gelegenheit geschrieben war, ist mit ihm auch die Musik in die Vergessenheit versunken. Das verdient sie aber nicht.


    Die Ausgangsidee von Kotzbues Text ist ein 2000jähriger Schlaf, in den Minerva versetzt wurde, weil sie den Tod des Sokrates nicht verhinderte. Als sie nun wieder erwacht (ein unsichtbarer Chor weckt sie: Nr. 1 "Tochter des mächtigen Zeus! erwache") , um mit Merkur ihr geliebtes Athen wieder aufzusuchen, findet sie eine von den Türken besetztes Stadt vor, deren Bevölkerung unter dem Joch stöhnt. Ein griechisches Paar singt kunstlos klagend von der Unterdrückung (Nr. 2 "Ohne Verschulden Knechtschaft dulden"). Nun wirbeln Derwische auf die Szene (Nr. 3 "Du hast in deines Ärmels Falten den Mond getragen"). Der Derwisch-Chor erfordert zwei Hörner, zwei Trompeten, Alt- und Bassposaune. Streicher und "alle mögliche hierbei lärmende Instrumente wie Castagnetten, Schellen etc." Ein Eindruck leiernder Gleichförmigkeit wird durch monotone Figuren (Wechsenoten in Achteltriolen) in den Streichern erreicht, die Sekundreibungen mit den Männerstimmen bewirkt. Dazu kommt die Verwendung des Tritonus. Die Klangvorstellungen speisen sich von Glucks "iphigénie en Tauride" und Mozarts "Entführung", weniger von damals durchaus bekannter authentischer türkischer Musik. Das gilt auch für den nun folgenden Türkischen Marsch mit Piccoloflöte, Oboen, Klarinetten. Fagotten und Kontrafagott, Hörner, Trompeten, Streicher, Triangel, Becken und großer Trommel. Der Marsch ist "entwicklungslos", eine Faktur aus kleinen ständig wiederholten Motiv- und Taktgruppen (Müller). Dazu kommen die "allgegenwärtigen" Vorschlagsnoten. Minerva kommentiert dies mit "Ha! welchen Unsinn hat mein Ohr vernommen!". Merkur empfiehlt der entsetzten Minerva, einen Ort aufzusuchen, an dem es die Musen besser haben: Pest.


    Die Veränderung ist auch musikalisch spürbar: Eine sanfte Holzbläsermusik hinter der Szene begleitet Verse, die ein alter Mann zum Preise seines Königs spricht ("Es wandelt schon das Volk im Feierkleide"). Es folgt nun der Einmarsch von Tragödiengestalten in den neuen Musentempel (Nr. 6 Marsch und Chor "Schmückt die Altäre"). Nun folgt eine Arie des Oberpriesters mit Chor (Nr. 7 "Will unser Genius noch einen Wunsch erfüllen"). Diese Arie schließt sich mit dem Chor "Wir tragen empfängliche Herzen im Busen, wir geben uns willig der Täuschung hin. Drum weilet gern, ihr holden Musen, bei einem Volk mit offenem Sinn") zusammen, der bewusst einfach gehalten ist. Der Oberpriester bittet, dass der Konig "in der Mitte seiner Kinder" erscheinen möge. Die begleitenden vier Hörner färben die Musik mit den zwei Fagotten in einen warmen Klang.


    Nun ruft Minerva leise den Beistand von Zeus an, es gibt einen Donnerschlag, die Büste des Kaisers steigt plötzlich auf und wird bekränzt. Es folgt ein Allegro con brio, ein mitreißendes Stück in einem von der ungarischen Folklore inspirierten Rhythmus.


    Das Erscheinen der Kaiserbüste gehört zu den Elementen, die erst die Musik verständlich machen. Als 1814 eine konzertante Aufführung im Redoutensaal geplant wurde, beschwor Beethoven den Intendanten, unbedingt für einen Vorhang zu sorgen:


    - sei's nur ein Vorhang, wenn auch ein Bettvorhang oder nur eine Art von Schirm, den man im Augenblicke [beim Einsatz des Orchestertutti] wegnimmt, ein Flor usw. Es muß was sein, die Arie ist ohnedem mehr dramatisch fürs Theater geschrieben, als daß sie im Konzert wirken könnte, alle Deutlichkeit geht ohne Vorhang oder etwas Ähnliches verloren! - verloren! - zum Teufel alles! [...] Vorhang!!! oder die Arie und ich werden morgen gehangen.


    Ich habe die Bühnenmusik noch auf LP, bin aber froh, dass ich nun auch auf CD besitze - mit meinem Beethoven-Klotz ...


    Liebe Grüße Peter

  • Hallo Peter,


    ja, Beethovens Schauspielmusiken sind nahezu aus dem Blickfeld der orchestralen Kompositionen verschwunden.
    Daher ein dankenswerter Thread für Werke von Beethoven, die für viele bereits vergessen sind.
    Man betrachtet bei den Orchesterwerken Beethovens die Sinfonien, Ouvertüren, KK, VC, Tripelkonzert --- das wars.


    Ich schätze auch das Ballett "Die Geschöpfe des Prometheus op.43" sehr hoch und kann mich Deinen Ausführungen nur anschließen.
    Zur Verfügung habe ich dazu die von Dir abgebildete DG-Aufnahme mit dem Orpheus Chamber Orchestra (DG, 1987,DDD).


    Auf LP aus der Zeit als DG die Beethoven-Ediotion auf Schallplatten herausbrachte habe ich noch die DG-LP mit Die Ruinen von Athen op.113.
    Hier spielen die Berliner PH, Bernhard Klee.
    Ich muß gestehen diese Platte selten gehört zu haben - ;) wegen der weiteren Besetzung.
    Auf der DG-Platte ist auch ein Auszug aus den Geschöpfen des Prometheus mit enthalten (die ich damals öfter hörte).
    Das schöne DG-Cover bildet die Akropolis Athen ab.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich möchte hier auf die empfehlenswerte Gesamtaufnahme des Stückes "Die Geschöpfe des Prometheus" mit dem Chamber Orchestra of Europa/ N. Harnoncourt hinweisen (rec. 1993). Wie gewohnt auf höchstem Niveau!


    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

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    Der preußische Kabinettssekretär Johann Friedrich Leopold Duncker reiste im September in Begleitung des preußischen Königs zum Wiener Kongress an. Während seines Wiener Aufenthaltes freundete er sich mit Beethoven an, eine Freundschaft, die bis in die zwanziger Jahre andauern sollte. In dem Reisegepäck Dunckers befand sich ein Drama, eben die "Eleonore Prohaska", zu der Beethoven im Frühjahr 1815 vier Stücke als Schauspielmusik komponierte.


    Eleonora Prohaska war eine Heldin der Befreiungskriege. Als Tochter eines Unteroffiziers und Militärmusikers wurde sie am 11.3.1785 geboren. In Männerkleidern und unter dem Namen August Renz hatte sie sich 1813 dem Freikorps Lützow angeschlossen. Sie kämpfte unerkannt an der Seite anderer Freiwilliger wie Theodor Körner. Am 16.9. wurde sie bei der Schlacht an der Göhrde verwundet und starb am 5. Oktober 1813 in Danneberg.


    Eleonores Ruhm verbreitete sich rasch, sie wurde in Dramen, Gedichten und Bildern gefeiert. Eleonore Prohaska war vor ihrem Eintritt in das Freikorps Musikerin, sie hatte, so die Allgemeine musikalische Zeitung sich frühzeitig eine grosse Fertigkeit auf der Flöte erworben, und gab auch daher vor einigen Jahren mit ihrem Vater Concerte. [...] Von der Liebe für die Sache des deutschen Vaterlandes ergriffen, nahm sie jetzt, statt der Flöte, das Schwert, und fiel siegreich. Eine zweifache Grenzüberschreitung, denn wie die Flöte galt das Schwert nach Auffassung der Zeit nicht in die Hand der Frau.


    Dass es nur diese vier vorliegenden Stücke der Schauspielmusik gibt, liegt wohl daran, dass sich bald abzeichnete, dass keine Aufführung zustande kommen werde. Der Text von Dunckers Drama ist verschollen, es ist also schwer, die durch die Komposition überlieferten Texte in den Kontext des Stückes zu stellen.


    Die Nr. 1 ist ein Kriegerchor



    Wir bauen und sterben; aus Trümmern entsteht -
    Ist längst unser Asche vom Winde verweht -
    Der Tempel der Freiheit und Liebe.


    Wir folgen dem König, verfechten das Recht,
    Es schützet dem kümmernden Menschengeschlecht
    Das Leben, die Freiheit, die Liebe


    Froh seh'n wir dem Tode ins bleiche Gesicht,
    Es ruft uns zum Kampf des Gerechten Gericht,
    Zum Kampfe für Freiheit und Liebe.


    Der Text ist von freimaurerischen Gedanken geprägt. Bei der Komposition hat ein Wandel von einem mehr kriegerischen Charakter (geprägt von Auftakt, Tempobezeichnung "Vivace" und Punktierungen) zu einem eher priesterlichen Schreiten stattgefunden. Hoffmann weist darauf hin, dass der Kriegerchor am Beginn der Hammerklaviersonate op. 106 über vier Takte fast wörtlich und in den folgenden vier Takten sinngemäß zitiert - ein Hinweis, dass bei der Analyse der Hammerklaviersonate semantische Bezüge nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Der Chor ist a cappella - ein deutlicher Unterschied zu den anderen politischen Hymnen Beethovens.


    Die Nr. 2 ist eine Romanze für Sopran



    Es blüht eine Blume im Garten mein,
    Die will ich wohl hegen und pflegen,
    Sie soll mir die nächste am Herzen sein,
    Solang ich sie nenne die Blume mein,
    Gibt sie mir Frohsinn und Segen.


    Es hat sie ein Engel ins Leben gesät,
    Sie ist nicht auf Erden entsprossen,
    Sie hebt sich in lieblicher Majestät
    Auf Wohlgeruch duftendem Blumenbeet,
    Vom Tau des Himmels umflossen.


    Und noch eine Blume, die nenn' ich mein,
    Sie glüht meinem Herzen in Fülle,
    Sie glüht in des Morgenrots Purpurschein,
    Soll mir eine heilige Blume sein,
    Drum pfleg' ich sie in der Stille.


    Du, dem ich sie weihte, gedenke mein,
    Bewahre mir Liebe und Treue,
    Dann soll einst die Blume dir eigen sein,
    Sonst wird sie verwelken am Leichenstein,
    Die Zeit bringt dir keine neue.


    Die Vorstellung einer Kriegerin verunsicherte die Zeitgenossen bei aller Verehrung. So beginnt Rückerts Gedicht mit Ich müsste mich schämen, ein Mann zu heißen, wenn ich nicht könnte führen das Eisen, und wollte Weiber es gönnen, dass sie führen es können Auch Beethoven setzt - nun musikalische - Mittel ein, um der "Natur der Frau" zu entsprechen. Die Wahl der Stimmlage (Sopran) rückt den Charakter ins Mädchenhafte. Die Romanze mit ihrem Volksliedton und der Blumensymbolik verharmlost die historische Eleonore. Die Romanze wird von der Harfe begleitet, ein "Frauenzimmer-Instrument".


    Nr. 3 ist ein Melodram



    Du, dem sie gewunden, es waren dein
    Zwei Blumen für Liebe und Treue,
    Jetzt kann ich nur Totenblumen dir weih'n,
    Doch wachsen an meinem Leichenstein
    Die Lilie und Rose auf neue.


    Auch hier hat Beethoven für die Sterbeszene wie beim "Egmont" die Form des Melodrams gewählt. Hier wird die Sprecherin (erneut fällt die Blumen-Symbolik auf) von der Glasharmonika begleitet. Das gibt dem Ganzen die Konnotation von Unkörperlichkeit. Die Anfangstakte des Melodrams zitieren den Marsch aus der 7. Sinfonie, den die Zeitgenossen als Trauermarach für gefallene Helden wahrnahmen (u.a. wegen der bekannten Verbindung zu "Wellingtons Sieg", allerdings hier in einer aufgehellten Dur-Variante.


    Nr. 4 Trauermarsch


    Dem ausdrücklichen Wunsch Dunckers folgend instrumentierte Beethoven die "Marcia funebre sulla morte d'un Eroe" aus der Klaviersonate op. 26. Mit der Besetzung 2 Flöten, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, Pauken und Streicher entsteht ein harmoniemusikähnlicher Klang. Hier geschieht am Ende eine (gleichberechtigte) Würdigung von Leonore als Heldin.


    Warum nun die Aufführung von Leonore Prohaska nicht zustande kam, wird mehrere Gründe haben. Hoffmann führt an, dass mit Piwalds "Das Mädchen von Potsdam" derselbe Stoff (Aufführung Frühjahr 1814) schon vorweg genommen war. Aber auch die Zensur könnte eine Rolle gespielt haben: in Wien gab es während des Kongresses eine wachsende anti-preußische Stimmung, auf der anderen Seite machten die freimaurerischen Bezüge des Dramas wieder Probleme mit der repressiven Politik Österreichs in freimaurerischen Fragen. Umstritten war auch die Verherrlichung von Freikorps.


    Wie so oft zeigt sich, dass "Gelegenheitsarbeiten" (nicht nur) von Beethoven Einblicke in Werke und Kompositionsprozesse gestatten, die dem Deutungsstrang einer "absoluten" Musik widersprechen. Motivische Verwandschaft, deren Semantik für uns hier durchschaubar wird, ist nicht zufällig - und wurde auch von den Zeitgenossen verstanden. Hier zeigte sich u.a., dass der scheinbar zufällige Bezug von "Wellingtons Sieg" und der 7. Sinfonie doch so zufällig nicht war, legt doch Beethoven selbst hier Verbindungslinien.


    Liebe Grüße Peter

  • Hallo!


    Ich stelle Euch heute diese Aufnahme von Ludwig van Beethovens "Die Geschöpfe des Prometheus" vor. pbrixius hat diese Aufnahme schon gezeigt, aber noch nicht besprochen.


    Karl Anton Rickenbacher dirigiert bei dieser Aufnahme die Litauische Kammerphilharmonie. Es erzählt Sir Peter Ustinov. - Bitte wie? Das ist doch Ballettmusik! Ja, das ist richtig. Das Libretto ging aber verloren. In einem Gespräch mit Ustinov meinte Rickenbacher, dass der Musik in einer konzertanten Aufführung nicht leicht zu folgen sein, worauf sich Ustinov bereit erklärte, Zwischentexte zu schreiben. Was er auch auf seine unnachahmlich Art aucht tat.
    Immer wieder stellt er historische Bezüge her, wie auch zu aktuellen Begebenheiten und Verhalten der Menschen, wie etwa die Sensationsgier.


    Über die Entstehung dieses Werkes muss ich nichts schreiben, da das schon obern erledigt wurde und ich nichts neues dazufügen kann.


    Die zur Aufführung gebrachte Fassung von "Die Geschöpfe des Prometheus" mit den Texten von Ustinov dauert zwei Stunden. Für diese Aufnahme wurde sowohl die Musik als auch der Text gekürzt. Die Gesamtspielzeit beträgt ca. 78min.
    Der Text dauert in Summe ca. 33 min., was in einer CD-Besprechung kritisiert wurde, da die Musik hinter dem Text zurück stünde.


    Da mir die Art Ustinovs zu erzählen gefällt und die Erzählung als Ersatz für das Ballett dient, um die Geschichte zu erzählen, bin ich mit der Aufnahme sehr zufrieden.


    lg,
    Franz

    Sagt nicht:"Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern:"Ich habe eine Wahrheit gefunden." (Khalil Gibran; Der Prophet, dtv, 2002)

  • Zitat

    Original von Franz Laier
    Die zur Aufführung gebrachte Fassung von "Die Geschöpfe des Prometheus" mit den Texten von Ustinov dauert zwei Stunden. Für diese Aufnahme wurde sowohl die Musik als auch der Text gekürzt. Die Gesamtspielzeit beträgt ca. 78min.
    Der Text dauert in Summe ca. 33 min., was in einer CD-Besprechung kritisiert wurde, da die Musik hinter dem Text zurück stünde.


    Tja, die Kritiker .... Warum die Plattenfirma nicht den Mut hatte, eine Doppel-CD zum Preis von einer daraus zu machen, verstehe ich nicht. Ungekürzt würde ich mir das anhören und kaufen, aber so verstümmelt - scheint doch sehr interessant zu sein, erst recht mit Ustinov!

  • Hallo miguel54!


    Es ist tatsächlich Schade, dass nicht alles aufgenommen wurde. Aber manchmal ist es besser als gar nichts.


    Hintergrund der gekürzten Fassung ist ein im Fernsehen übertragenes Konzert. Für das Fernsehen ist ein Konzert mit nur einem Werk von zwei Stunden zu lang, daher wurde gekürzt. Der Bayrische Rundfunk ist der Koproduzent dieser Aufnahme.
    Ohne die Fernsehaufnahme gäbe es überhaupt keine Aufnahme dieser Produktion. Dem Fernsehen und der Ökonomie ist es wohl geschuldet, dass es keine Gesamtaufnahme gibt.


    Im Forum lese ich hin und wieder, dass ein Werk in einer gekürzten/geänderten Fassung vorliegt und ebenfalls Zustimmung erhält. Somit sehe ich das bei dieser CD eher gelassen.


    Ich empfehle Dir die CD trotz der Kürzungen. Die Musik und Ustinovs Art zu erzählen ist einfach wunderbar. Eine Gesamtaufnahme ist Aufgrund des Todes von Ustinov möglich. Daher bleibt nur diese CD.


    lg,
    Franz

    Sagt nicht:"Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern:"Ich habe eine Wahrheit gefunden." (Khalil Gibran; Der Prophet, dtv, 2002)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Danke für die nochmalige eindrückliche Empfehlung - da die CD auf dem marktplatz günstig zu haben ist, werde ich ihr wohl eine Chance geben. :hello:

  • Liebe Gemeinde,


    ich weiß nicht ob ich in diesem Thread richtig bin, aber ich versuchs mal:


    Von Beethovens Ouverturen gefällt mir die des Schauspiels "Die Weihe des Hauses" mit am besten. Parallel dazu hab ich ein Chorstück aus diesem Werk, das wunderschön ist (hab den Namen leider nicht parat, da die CD im Auto liegt).
    Nun meine Frage an die Fachleute hier: Gibt es von "Die Weihe des Hauses" sowas wie eine Gesamteinspielung? Ist das überhaupt eine Art Werk?


    Würd mich über die eine oder andere Info sehr freuen. Allerbesten Dank schon mal.


    Grüße Thomas

  • Hallo Zhomas K.,


    Die Bühnenmusik zu "Die Weihe des Hauses" entstand 1822 anlässlich der Eröffnung des Josephstädter Theaters in Wien.
    Zur Wiedereröffnung des Josephstädter Theaters verfasste Carl Meisl das Festspiel "Die Weihe des Hauses". Beethoven wurde um die Bühnenmusik dazu gebeten. Er erledigte das pragmatisch, indem er seine Musik zum Festspiel "Die Ruinen von Athen" umarbeitete. Lediglich eine neue Ouvertüre erschien ihm unerlässlich. Die neue Komposition wurde noch zu Beethovens Lebzeiten von der Kritik zu seinen "allervollendetsten Arbeiten" gezählt.


    Auf CD gibt es die abgebildete unbekannte Abbado-Aufnahme, die beim Amazon-marketplace für viel Geld noch zu haben wäre. Die CD ist schnell wieder vom DG-Angebot gestrichen worden - hat die keiner gekauft ?
    Aus meiner Sicht gibt es dort nicht viel neues, da es ja eine Umarbeitung der Athen-Ruinen-Musik ist.


    Mir reicht die Ouvertüre , die ich ebenfalls gerne höre (da ich die Aufnahme der Athen-Ruinen habe) - Die Ouvertüre am liebsten mit Karajan (DG) oder genauso gerne Bernstein (SONY).



    DG, 1996, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • wow, das ging ja flott und gleich so kompetent....


    Hallo Teleton, allerbesten Dank für die Info. Werd dann mal weiter Richtung "Ruinen von Athen" weitersuchen. Vielleicht finde ich ja, was ich suche.
    Super...
    Herzlichst
    Thomas

  • Sehr lesenswerte Texte finden sich hier! Ich hole den seit elf Jahren brach liegenden Thread wieder hervor, weil es anlässlich des 250. Geburtstages von Beethoven zwei sehr bemerkenswerte Neuerscheinungen der "Ruinen von Athen" und von "König Stephan" gibt - erschienen bei Naxos. Beide Stücken waren ja 1812 in Pest gemeinsam uraufgeführt worden, wie in Beitrag 4 anschaulich dargestellt.



    Das Besondere dieser Produktionen unter der Leitung des Finnen Leif Segerstam ist, dass nicht nur die musikalischen Nummer sondern die gesamten Festspiele - einschließlich der gesprochenen Teile mit deutschsprachigen Schauspielern - aufgenommen wurden. Das gab es nach meiner Beobachtung bisher noch nie. Es hätte auf dem Cover deutlicher werden können. Mitlesen bzw. herunterladen lassen sich die Texte von Kotzebue auf der Seite von Naxos. Es finden sich aber auch die digitalen Ausgaben der originalen Textbücher von 1812 in der unerschöpflichen Library of Congress in Washington. Ich habe beide Quellen verglichen und zu meiner Freude festgestellt, dass bei der neuen Produktion nicht ein Wort fehlt. Für mich sind beide CDs die bisher interessantesten Neuerscheinungen im Beethoven-Jahr.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • [...] nicht nur die musikalischen Nummer sondern die gesamten Festspiele - einschließlich der gesprochenen Teile mit deutschsprachigen Schauspielern - aufgenommen wurden. Das gab es nach meiner Beobachtung bisher noch nie. Es hätte auf dem Cover deutlicher werden können.

    Tatsächlich, das wurde mir auch erst im Nachhinein deutlich. Überhaupt ist die Hinwendung Segerstams zu Beethoven eine kuriose Sache, die man so kaum erwartet hätte. Für Naxos ist er derzeit wohl die erste Adresse in der Hinsicht. Da wäre ein klassischer Zyklus der neun Symphonien durchaus auch von Interesse. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Diese CD hat teleton betreits weiter oben vorgestellt. Inzwischen ist sie in der Edition, die ich neben der CD verlinke, aufgegangen. Ich höre sie dieser Tage sehr oft. Auch wenn die Stücke als bekannt gelten, lohnt es sich schon, ganz genau hinzuhören. Wenn ich es richtig sehe, bietet uns Abbado die einzige Einspielung des Todes von Leonore Prohaska mit einer Glasharfe an. Das ist ein ganz jenseitiges Klangbild. So überirdisch ist Beethoven selten. Schon deshalb lohnt sich die Anschaffung. Wieder und wieder wird mir deutlich, was für ein feinsinniger und sensibler Musiker dieser Dirigent gewesen ist. Er nimmt sich der etwas im Abseits stehenden Kompositionen mit derselbsn Inbrunst an als würde er eine der Sinfonien dirigieren. Dadurch gewinnen sie plötzlich an überragender Bedeutung - wenigstens für mich. Sie rücken ganz ins Zentrum meiner Verehrung für Beethoven.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent