Liebe Taminos,
nach langer Abstinenz möchte ich heute die Diskussion zu einer Sängerin eröffnen, die bis heute einen legendären Ruf genießt. Einer der größten Stars, die die Met je aufzubieten hatte, war Rosa Ponselle (ursprünglich Ponzillo, geb. 1897, verst. 1981).
Eine üppigere Sopranstimme hat es vermutlich nie gegeben, höchstens noch lautere (Flagstad, Nilsson). So viele Parameter sind hier erfüllt, daß es kaum zu glauben ist. Das Volumen ist gewaltig, die Färbungen schillernd und reich, die Agilität für eine Stimme dieser Schwere mehr als beachtlich, die Atem- und Registertechnik perfekt, das Timbre persönlich, der Umfang einzigartig (vom dreigestrichenen D in der Höhe bis zum tiefen D in "Der Tod und das Mädchen"), die Phrasierung kultiviert und intelligent. Insbesondere das strömende, flutende Singen ist hier in einer Meisterschaft zu hören, die überwältigt.
Nicht von ungefähr sprach Tullio Serafin von einem der drei Stimmwunder (neben Caruso und Ruffo) und Geraldine Farrar bezeichnete Ponselle und Caruso als jeglicher Diskussion enthoben. Warum also spricht Jens Malte Fischer von einem Gefühl der Enttäuschung angesichts ihrer Aufnahmen, einem unerfüllten Rest?
Es liegt wohl nicht an dem fast einmütigen Ruhm, den Ponselle erworben hat, es ist vielmehr das einmalige Potential, das man hört und daraufhin noch mehr Einmaligkeit im Ergebnis erwartet. Denn kleinere Beckmessereien sind natürlich auch hier möglich: ein teils etwas matronenhafter Klang, manchmal zurückgenommene Noblesse, wo explosive Sinnlichkeit der Stimme möglich wäre, müheloses Singen, wo etwas mehr Leid, etwas mehr Erdenrest der Interpretation gut täte.
Teils auch hört man (selbst in Aufnahmen aus der besten Zeit um 1925-30) leichte Schärfen bzw. eine verengte Säure, wenn sie die Stimme verschlanken muß, um Zierfiguren zu bilden (insbesondere beim Triller zu hören). Dies ist wahrscheinlich in Teilen der Aufnahmetechnik anzulasten.
Das ist die Argumentation mit dem fiktiven Ideal. Aber läßt man der Sängerin die gleiche Fairneß angedeihen bzw. mißt sie mit den gleichen Maßstäben wie andere, dann erlebt man tatsächlich Wunder. Nur drei kurze Beispiele: "Ernani, Ernani, involami" ist ein einzigartiger Drahtseilakt zwischen zartester Koloratur und dramatischem Melos. "Suicidio" in dieser Kontrolle, mit diesen Oktavsprüngen und dieser Stimmverblendung - das macht auch Gioconda hörenswert. Und die große Szene der Norma ab "Sediziosi voci" - Callas mag eindringlicher sein und ihre fallenden Skalen glitzernder. Doch hier singt ihre (fast) gleichwertige Vorgängerin. Beide teilen sich den Norma-Olymp.
Natürlich muß man auch ihre Forza-Leonore gehört haben, im Traum-Ensemble mit Martinelli und Ezio Pinza.
Die Carmen war ihre letzte große Rolle, ein Flop sondergleichen (was mit Sicherheit auch an der spießigen Aufmachung lag). Ich habe Probeaufnahmen davon auf DVD - Carmen ist sie nun nicht, aber stimmlich ist der Auftritt auch nicht schlecht zu nennen. Die negativen Kritiken sorgten dafür, daß Ponselle ihre Karriere 1937 aufgab - mit 40 Jahren!
Aufnahmen aus dem Jahr 1954 mit ihr selbst am Klavier bezeugen, daß sie als 57-jährige noch weit mehr als Reste ihrer Stimme besaß, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie angeblich nur für Freunde gesungen habe und nie daran gedacht hatte, diese spontane Aufführung freizugeben.
Wie seht Ihr die große Ponselle? Wie beurteilt Ihr andere Rollenportraits von ihr (Trovatore-Leonore, Violetta etc.)?
Auf die Diskussion freut sich
Christian