Wir haben ja jetzt im Opernführer einen Beitrag zur „Ariadne auf Naxos“ – ein Grund mehr, endlich einen Thread zu diesem Werk zu eröffnen.
Abgesehen von den beiden Ausnahmewerken „Salome“ und „Elektra“ ist mir „Ariadne auf Naxos“ die liebste Strauss-Oper – aus mancherlei Gründen:
Der bewusste Rückzug von der Mitarbeit an der musikalischen Moderne, den Strauss im „Rosenkavalier“ vollzogen hat, ist m.E. in der „Ariadne“ noch überzeugender gelungen. Das liegt zum einen an der genialen Konzeption Hofmannsthals: es ist eine „Oper in der Oper“, ein Spiel mit der Geschichte und den Traditionen der Gattung. Dem entspricht der ungemein variable musikalische Duktus, das ganz schnelle, beinahe filmische Hin-und Herwechseln zwischen verschiedenen musikalischen Stilen, das Strauss virtuos betreibt. Hinzu kommt der im „Rosenkavalier“ noch vermiedene Schritt zur Verwendung eines Kammerorchesters – solche Aspekte sind es, die den Titel des Threads - „Fortschritt im Rückschritt“ – rechtfertigen. „Ariadne auf Naxos“ ist alles andere als eine – wenn auch hübsche – Sackgasse der Musik- bzw. Operngeschichte.
Die nicht unkomplizierte Entstehungsgeschichte der Oper hier nur in aller Kürze: sie war ursprünglich als Nachspiel zu einer Aufführung von Molières „Bürger als Edelmann“ geplant, fiel in dieser Fassung aber in der Stuttgarter Uraufführung von 1912 durch. Also erfolgte die Umarbeitung zu einer zweiten Fassung (das Molière-Schauspiel wurde durch das Vorspiel ersetzt), die sich dann durchsetzte (Uraufführung 1916 in Berlin).
Der genialste Teil der Oper ist für mich das Vorspiel, eine textlich wie musikalisch atemberaubende tour de force durch rasend schnell wechselnde szenische Situationen und musikalische Stillagen – von der Sprechrolle über rezitativische bis zu den oftmals nur ganz knapp skizzierten ariosen Passagen. In der eigentlichen „Ariadne“-Oper bleibt die Konfrontation der „Buffa-“ und „Seria-“Elemente erhalten, es erfolgt aber eine stärkere Trennung zwischen beiden Bereichen. Das irritierende Aneinander-Vorbeireden der Figuren steht immer auf der Grenze zwischen Komik und Tragik, was der Oper eine eigentümliche Färbung verleiht.
Die musikalische Inspiration ist durchgängig hoch (weniger Durchhänger als im „Rosenkavalier“ oder gar in der späteren „Arabella“). Teilweise, nicht nur im Vorspiel, sondern auch etwa bei der Arie „Es gibt ein Reich“ oder in der ersten Phase des Aufeinandertreffens zwischen Ariadne und Bacchus, gelingt Strauss wirklich Überragendes. Auch die berühmte Zerbinetta-Arie, das Paradestück für Koloratursoprane überhaupt, verdient ihren Ruf. Problematisch finde ich allenfalls einen großen Teil der undankbaren Bacchus-Partie und den affirmativen Schluss, den Strauss leider gegen Hofmannsthal durchsetzte und bei dem das Kammerorchester doch wieder die große Apotheose simulieren muss.
Die Aufnahmen: Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass meine Lieblingseinspielung z.Zt. anscheinend nirgendwo erhältlich ist – 1967 für EMI aufgenommen, Rudolf Kempe dirigiert die Staatskapelle Dresden, die Rollen sind folgendermaßen besetzt: Ariadne - Gundula Janowitz; Zerbinetta - Sylvia Geszty; Komponist - Teresa Zylis-Gara; Bacchus - James King; Harlekin - Hermann Prey; Musiklehrer - Theo Adam. Gleichmäßig hohes, im Falle der Janowitz überragendes Niveau der Besetzung – der Trumpf sind aber wieder mal das Dirigat von Kempe und das Spiel der Staatskapelle.
Eine edle Besetzung hat die monaurale Karajan-Aufnahme von 1954 mit dem Philharmonia-Orchestra aufzuweisen: Ariadne - Elisabeth Schwarzkopf; Zerbinetta - Rita Streich; Komponist - Irmgard Seefried; Bacchus - Rudolf Schock; Harlekin - Hermann Prey; Musiklehrer - Karl Dönch. Ich stelle sie wegen der Gesamtwirkung und des Dirigats trotzdem unter die Kempe-Aufnahme – empfehlenswert ist sie aber allemal (es gibt auch eine noch preiswertere Version bei Naxos):
Als dritte Einspielung besitze ich die 1986 für die DG aufgenommene mit James Levine und den Wiener Philharmonikern; die Besetzung ist folgende: Ariadne - Anna Tomowa-Sintow; Zerbinetta - Kathleen Battle; Komponist - Agnes Baltsa; Bacchus - Gary Lakes; Harlekin - Urban Malmberg; Musiklehrer - Hermann Prey (es gibt überhaupt nur wenige Aufnahmen der Oper, in denen Prey NICHT mitwirkt – wobei er seine Sache als Harlekin bzw. Musiklehrer immer sehr gut macht). Die Besetzung: teils grandios (Battle), überwiegend ok (Tomowa-Sintow, Baltsa), teils desaströs (wieder mal: Gary Lakes). Vielleicht die klangschwelgerischste Aufnahme, wunderbares Orchester, aber irgendwie dirigiert Levine doch am Tonfall des Werks vorbei: zu sehr große Oper. Gelungenes vor allem im Vorspiel: Was immer man von Otto Schenk halten mag – in der Sprechrolle des Haushofmeisters ist er ein Knüller.
Weitere Aufnahmen kurz referiert:1958 Leinsdorf in Wien mit Rysanek und Jurinac; 1977 Solti in London mit L. Price und Gruberova; 1987 Masur in Leipzig mit Jessye Norman und Gruberova. Die Erstfassung ist von Kent Nagano 1994 in Lyon aufgenommen worden, mit Margaret Price und Sumi Jo.
Von Karl Böhm, dem man immer ein besonderes Händchen für diese Oper nachsagte, gibt es eine bei der DG erschienene Studioaufnahme mit dem SO des Bayerischen Rundfunks, die aber m.W. wegen Hildegard Hillebracht in der Titelrolle keinen so guten Ruf genießt. Darüber hinaus diverse Mitschnitte: Wien 1944 (Reining, Noni); Salzburg 1954 (della Casa, Güden); Salzburg 1965 und Wien 1967 (Hillebracht, Grist); Wien 1979 (Behrens, Gruberova).
Der verheißungsvoll wirkende 1954er-Mitschnitt ist sehr preiswert erhältlich:
Dann wäre da neuerdings noch die vielversprechende DVD einer Wiener Staatsopernaufführung unter Böhm von 1977 (Janowitz, Gruberova, Trudeliese Schmidt, Kollo). Vielversprechend bezieht sich hier (für mich!) allerdings auf die musikalische Leistung, von der Regie (ist’s Sanjust oder Otto Schenk?) erwarte ich mir nicht soviel (bei Youtube existiert ein Ausschnitt, bei dem Janowitz „Es gibt ein Reich“ singt):
Überhaupt zum Thema Inszenierung: Die Oper bietet einem Regisseur sehr viel an, gerade bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Vorspiel und Oper. Ich erinnere mich noch gerne an eine eher düstere Inszenierung von Peter Mussbach in Frankfurt, bei der am Schluss das im Vorspiel angekündigte Feuerwerk stattfand und auch einige Sänger auf der Bühne Feuer fingen…
Eine ungewöhnliche, mich sehr beeindruckende Version lieferten Jossi Wieler und Sergio Morabito bei den Salzburger Festspielen 2001. Übrigens auch musikalisch hervorragend: Christoph von Dohnanyi dirigierte die Wiener Philharmoniker, in den Hauptrollen sangen Deborah Polaski, Natalie Dessay, Susan Graham und Jon Villars. Leider nicht auf DVD, obwohl die Aufführung mal auf Arte übertragen wurde. Bei Youtube gibt’s einen Ausschnitt – die Zerbinetta-Arie: leider mit desaströser Klangqualität, aber in das Regiekonzept erhält man einen tiefen Einblick. Warnung: das ist etwas anders als gewohnt!
"http://de.youtube.com/watch?v=Y9vNY91Vf9c" (dort irrtümlich als Pariser Aufführung bezeichnet)
Was haltet Ihr von der Oper?
Welche Aufführungen habt Ihr gesehen?
Welche Aufnahmen schätzt Ihr?
Viele Grüße
Bernd