Schon in den letzten Salzburger Jahren beschäftigte Mozart sich mit der Komposition eines Deutschen Singspiels, welches im Prinzip Die Entführung aus dem Serail vorwegnimmt:
ZAÏDE oder Das Serail
KV 344 (336b)
Text von Johann Andreas Schachtner (1731-1795)
Das leider unvollendete Werk wurde ausnahmsweise einmal von Constanze Mozart im Jahre 1799 entdeckt. Die Handschrift besteht aus 15 in Singstimmen und Orchestersatz vollständigen Nummern, offensichtlich fehlt nur die Ouverture und das Finale zum zweiten Akt, was das Werk durchaus aufführbar macht; in den dargebotenen Einspielungen, die durchweg alle empfehlenswert sind, wird dieses Manko in der Regel durch das Voranstellen der Sinfonie G-Dur KV 318 als Ouverture sowie durch Verwendung des Marsches D-Dur KV 335 Nr. 1 zum Ausklang des Werkes ausgeglichen.
Zitat
Die Handlung der Zaide ist nach dem Klischee der [damals] modischen Türkenoper gebaut: Der in die Gewalt des Sultans Soliman gefallene Christ Gomatz und das Mädchen Zaide aus dem Serail des Sultans, der Zaide vergeblich umwirbt, verlieben sich ineinander. Zaide lässt dem im Garten eingeschlafenen Gomatz zum Zeichen ihrer Liebe ihr Bild zurück. Ihre Fluchtpläne unterstützt Allazim, ein Günstling Solimans. Die Flucht misslingt, der Oberste der Leibwache Zaram bringt die Flüchtenden vor den wütenden Sultan, der sich allen Bitten um Gnade verschließt. Hier endet Schachtners Text. Wie sich der Ausgang gestalten sollte, ist […] unbekannt, da das Textbuch verloren ging.
Quelle: „Zaide“ • Torso im Schatten der „Entführung“ von Alfred Beaujean
Als sicher kann gelten, dass das Werk – wie auch Die Entführung aus dem Serail – in einem lieto fine hätte enden sollen. Alles andere wäre zur damaligen Zeit in diesem Genre nicht üblich gewesen.
Das typische alla turca oder – wie Mozart es bezeichnet – die Janitscharemusick fehlt dem Stück gänzlich, was aber nicht gleichbedeutend mit einer Verachtung des Werkes ist: Zwar beginnt der erste Akt mit einem simplen Sklavenchor, der lediglich von Streichern begleitet ist. Dieses Entrée mag gleich zum "Abschalten" bewegen; doch wer dies tut, verschmäht unbeschreiblich schöne und verschwenderische Musik: bereits das folgende Melodram – Mozart nennt es Melologo (Streicher und Fagotte in d-moll abwechselnd mit dramatischen Texteinlagen des Gomatz) – zeigt wieder einmal Mozarts Vollkommenheit in der Konstruktion solcher Musik. Es folgt eine süße Arie der verliebten Zaide „Ruhe sanft, mein holdes Leben“ – die Arie kann nicht besser umschrieben werden, als der Text es andeutet. Der erwachte und durch das hinterlassene Bild im Zusammenhang mit der für ihn feststehenden Unerreichbarkeit der Zaide wutentbrannte Gomatz singt folgend in einem Allegro assai „Rase, Schicksal, wüte immer!“. Unausweichlich folgt nun ein Duett der beiden Verliebten zu den Worten „Meine Seele hüpft vor Freunden | Aller Unstern, alles Leiden…“. Es folgen die üblichen Verwicklungsarien von Gomatz und seinem Helfer Allazim, die sich für die Hilfe bedanken bzw. Mut zusprechen. Der erste Akt endet natürlich in einem Terzett der drei Verbündeten, in dem sie ihren Pakt mit „O selige Wonne, die glänzende Sonne…“ besingen. Der zweite Akt beginnt mit einem Melologo ed Aria des Sultans, der in diesem Werk im Gegensatz zur Entführung eine aktive Gesangsrolle bekleidet. In seiner Arie beschreibt er – natürlich – seine unantastbare Macht. Auch Osmin hat in ZAÏDE bereits seinen ersten Auftritt – und wie gewöhnlich, geht es bei ihm zunächst um die Gaumenfreuden: „Wer hungrig bei der Tafel sitzt und schmachtend Speis’ und Trank nicht nützt…“. Es folgt der Auftritt von Soliman mit einer Lobeshymne an „reiche Verdienste“, worauf Zaide in einer fast melancholischen Arie „Trostlos schluchzet Philomele“ die ihr gewahr gewordene Freiheitsberaubung durch den Sultan besingt. Nun – wie kann es anders sein – fasst sie den Entschluss, sich der Macht des Herrschers zu widersetzen und besingt ihre Tatkraft und sein Ansinnen in einer g-moll-Arie mit „Tiger! Wetze nur die Klauen!“. Auch Allazim bedenkt den Sultan mit einer Bezichtigungsarie gegen die Sklaverei. Der Torso endet mit einem Quartett (Nr. 15: Zaide, Gomatz, Allazim, Soliman), das in kompositorischer Qualität dem berühmten Quartett aus der Entführung (Nr. 16 – Endlich scheint die Hoffnungssonne…“) um nichts nachsteht.
Obwohl das Libretto ein wenig kindisch anmutet, so ist doch die Musik Mozarts ein über allem liegender Zuckerteppich. Sicherlich bleibt Die Entführung aus dem Serail ein leuchtender Stern an Mozarts Opernhimmel, doch ist dieser Vorversuch durchaus einen Hörversuch wert. Wer hat Erfahrung mit diesem Werk und wie beurteilt Ihr es?
Cordialement,
Ulli