Un ballo in maschera-Riccardo, oder GustavIII.

  • Hallo Forianer,
    mit Verdis Oper: "Un ballo in maschera"habe ich ein Problem. Die zensierte Originalfassung sieht einen Gouverneur von Boston vor. Die Musik ist aber konzipiert, für König GustavIII. von Schweden. Das die Musik Verdis einem König gilt, hört man schon beim Auftritt Riccardos, und bei der Huldigungsszene im II.Akt. Andere Rollen sind natürlich auch geändert worden, z.B.: Ulrica ist eine Negerin. Ein Mulatte singt vom "castello" seiner Ahnen,u.s.w.
    Das Problem ist nun, daß man sich scheut, das italienische Original-Libretto umzuändern. Bisher habe ich jedenfalls nur in deutscher Übersetzung die ursprüngliche Fassung gehört, einmal 1960 in Köln, und einmal in einer Fernsehproduktion. Wie denkt ihr über dieses Thema?


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Herbert,


    In der Wiener Oper hat man 1986, als man auf Gustavo und das Königtum umgestiegen ist, eine italienische Fassung gesungen (das war die auch im Fernsehen übertragene Aufführung mit Abbado, Pavarotti, Lechner, Cappuccilli), von der es auch eine DVD gibt. Ich nehme an, es war die Urfassung von Somma (vielleicht ein bißchen adaptiert). Was Verdi nach den Zensurschwierigkeiten 1859 auf die Bühne bringen durfte, war ja nicht das Original, sondern eine bereits umgeschriebene Version. Die Somma-Fassung findest Du auch im Internet (via Wikipedia).


    Der Wechsel auf Schweden war mir natürlich zuerst etwas ungewohnt, aber da es eine großartige Aufführung war (ich erinnere mich noch an die Superlative, die selbst ein Karl Löbl von sich gegeben hat), beschränkte sich das auf wenige Minuten. Inzwischen dürften im Opernbetrieb die Gouverneure von Boston allgemein ziemlich zurückgedrängt worden sein, d.h. Schweden ist gegenwärtig eigentlich Standard.


    LG


    Waldi

  • In einem anderen Thread habe ich schon auf diese Einspielung des "Maskenball" in der Originalfassung hingewiesen:



    Gustavo III (unzensierte Fassung von "Un Ballo in Maschera")
    Aufnahme: 2002, live, Göteborg
    Spieldauer: 128'56
    Dirigent: Maurizio Barbacini
    Gothenburg Symphony Orchestra
    Chor der Oper Göteburg
    Chorleitung: Natalia Edvall
    Kommentar: Rekonstruktion der Urfassung Neapel 1858 von Philip Gosset und Ilaria Narici
    Label: Dynamic CDS 426 (2 CD)
    Rollen und Sänger
    Amelia: Hillevi Martinpelto
    Cavaliere: Ulf Glemme
    Cavaliere: Joel Rosenlund
    Cavaliere: Mihael Simlund
    Oscar: Carolina Sandgren
    Renato (Count Ankarström): Krister St. Hill
    Riccardo (Gustavo III): Tomas Lind
    Samuel (Count Ribbing): Ake Zetterström
    Silvano (Christiano): Jonas Landström
    Tom (Count DeHorn): Mats Almgren
    Ulrica (Arvidson): Susanne Resmark
    Un servo: Tore Svarredal




    Lieber Herbert,
    ich habe irgendwo noch eine Fernseh-Aufzeichnung in deutscher Sprache, meinst Du die vielleicht:
    Gustav III. oder ein Maskenball
    Aufnahme: 1966, Film
    Dirigent: Nino Sanzogno
    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
    Chor der Hamburgischen Staatsoper
    Kommentar: deutsche Fassung
    Rollen und Sänger
    Amelia: Charlotte Berthold
    Oscar: Roberta Peters
    Renato (Count Ankarström): Rudolf Constantin
    Riccardo (Gustavo III): Sándor Kónya
    Samuel (Count Ribbing): Peter Roth-Ehrgang
    Silvano (Christiano): Heinz Blankenburg
    Tom (Count DeHorn): Toni Blankenheim
    Ulrica (Arvidson): Martha Mödl
    Un giudice: Kurt Marschner
    Un servo: Werner Malambré


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Lieber Herbert,


    der "Ballo" ist unter den Opern Verdis meine Lieblingsoper: eine hinreißende Musik, die sich von den meisten Opern Verdis in meinen Ohren dadurch unterscheidet, dass einige mehr "französische" Elemente enthalten sind.


    Was den Ricardo angeht, so sehe ich in dieser Rolle immer das Bild des Schwedenkönigs Gustav III vor mir: Die widersprüchliche Persönlichkeit (aufgeklärt, aber auch am Swedenborgschen "Geisterreich" interessiert, übermütig, aber auch melancholisch, und eben auch ein Anhänger des französischen Klassizismus), wie sie in Biographien beschrieben wird, ist meiner Meinung nach in dieser Oper sehr gut eingefangen worden.


    Gut, es sind in erster Linie dramatisch wirksame Elemente herausgegriffen worden, und die Liebesgeschichte hat mit dem historischen Gustav wohl auch nichts zu tun, nichtsdestotrotz ist die Oper für mich auch in musikalischer Hinsicht mehr auf einen Königshof als auf einen amerikanischen Gouverneur zugeschnitten.


    Ich kenne die ursprüngliche Fassung leider noch nicht, aber dein Beitrag ist eine willkommene Anregung für mich, die beiden Fassungen einmal zu vergleichen!


    :hello: Petra


    ... und mir die Göteborger Inszenierung zuzulegen, :hello:

  • Lieber Harald,
    ja, ich meinte den Fersehfilm von 1966, der allerdings nur wegen Konya zu ertragen war.


    Da ich hier lese, daß die Urfassung auch in der Originalsprache wieder
    aufgeführt wird, erübrigen sich meine Einwände. Ich merke daran, wie lange ich schon die Opernhäuser meide. Auf meinen vielen CD Aufnahmen des "Ballo",es sind, alleine sechs, aus der "Met" und auch meine italienischen Gesamt-Aufnahmen sind alle in der zensierten Textfassung.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • hallo,


    es ist m. E. in der Tat nicht recht stimmig, einen amerikanischen Gouverneur aus der Zeit vor 200 - 300 Jahren in einem solch feudal - imperialen Ambiente darzustellen, wie es im Ballo in Mascara geschieht. Darüber stolpere ich auch immer wieder.


    Da diese Gouverneure eher aus einem wie auch immer gearteten demokratischen Modus heraus legitimiert waren, ging es wohl, auch im Falle von Reichtum, wohl weniger "höfisch" zu. Zumindest die weißen "Untertanen" haben sich wohl sicher nicht als solche betrachtet und auch eine andere Haltung gegenüber dem Chef eingenommen als es in der Oper rüberkommt.


    M. E. musste Verdi einfach aufgrund der Zensur - die historisch gesehen, die monarchischen Mächte auch nicht retten konnte :D- gegen seinen Willen Abstriche machen, was natürlich den organischen Aufbau der Handlung störte.


    Ich meine aber, dass er sich Gedanken gemacht darüber hat, unter der Vorgabe der Zensur noch ein stimmiges Produkt zu kreieren. So haben die jeweiligen Männerfreunde Ricardos zuweilen doch einen recht kumpelhaften Umgang mit ihm.


    Auch der Aberglaube ist zeit- und ort - adäquat dargestellt. So etwas gab es in der Neuen Welt mehr als einem lieb ist, incl. Hexenverbrennung. Die Ulrica - Szene im Milieu der schwarzen Sklaven anzusiedeln, passt, wobei ich mir vorstellen kann, dass die Herrschaften zwar durchaus die Dienste einer fähigen Wahrsagerin gesucht haben, aber dies nur unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit.


    Ergo: Trotz Zwangsumbau ein weitgehend authentisches Werk, dass in sich, finde ich, logischer ist als so manche andere (Verdi) - Opernhandlung (von der Eigenheit, dass irgendjemand kraftvoll singt, den man eigentlich nicht hören soll, mal abgesehen).


    Diese Oper auf deutsch zu interpretieren, widerstrebt mir total (und das nicht nur, weil mir die Vorstellung, den Ulrica - Part auf deutsch zu singen, zutiefst grausig ist :untertauch:


    Ich finde das gerade bei Verdi - Opern genauso scheußlich wie die Vorstellung, Wagner anders als auf deutsch zu hören.



    LG


    Ulrica

  • Ich kenne beide Fassungen,tendiere aber auch für die am schwedischen Hof.
    Die Figuren passen einfach besser dahin.
    Auch ich liebe diese Oper.



    Rita

  • Ich glaube, hier sind gerade zwei verschiedene Begriffe der Originalfassung im Gespräch:


    Anders als die Textvorlage von Eugène Scribe und das ursprünglich von Antonio Somma erstellte Libretto spielt die Fassung der Uraufführung nicht in Schweden sondern in Boston. Dadurch gibt es einige kleinere Ungereimtheiten im Text. Außerdem ist man inzwischen teilweise zu der Ansicht gelangt, dass das koloniale Ambiente nicht zu dem absolutistischen Flair der Musik passe.


    Daher hat man seit mindestens 20 Jahren immer öfter versucht, die Oper zumindest durch die Inszenierung nach Schweden zurückzuholen, zum Beispiel bei den Festspielen in Salzburg 1990, wovon es auch eine DVD gibt. Im Zuge dessen hat man dann auch das Libretto an einigen wenigen Stellen angepasst. Riccardo heißt dann Gustavo, statt Conte heißt es Re. Die bislang bekannte Fassung wurde musikalisch nicht verändert.


    Ganz konsequent war man mit den Namensänderungen übrigens auch nicht immer. Im Mitschnitt aus der MET vom 22.01.1955 z.B. singt Roberta Peters (Oscar) im ersten Akt noch "S’avanza il Re." Später wird Richard Tucker dann wieder als "Conte" angesprochen. Offenbar gab es schon damals beide Varianten.


    Die von Harald vorgestellte Aufnahme geht einen Schritt weiter. Die Oper heißt jetzt "Gustavo III" und man hat sich nicht auf die üblichen Namensauswechslungen beschränkt, sondern versucht, der Oper die von Verdi ursprünglich geplante Dramaturgie wiederzugeben. Die Oper in ihrer bisher bekannten Gestalt wurde dazu an mehreren Stellen auch musikalisch verändert. Dabei ist man von Skizzen ausgegangen (Ich kenne keine Details.) und hat diese neu orchestriert.


    Ich will jetzt gar nichts dazu sagen, ob das seriös ist, denn ich habe die Aufnahme nicht. Die Bezeichnung "unzensierte Originalfassung" kommt mir aber schon etwas reißerisch vor, denn die Originalfassung ist für mich in erster Linie die Fassung der Uraufführung. Es gibt auch überhaupt keine gesicherte erste Fassung, weil Verdi die Oper noch nicht abgeschlossen hatte, als das Projekt von der Zensur geblockt wurde. Man weiß also überhaupt nicht, wie die Oper ausgesehen hätte, wenn die Zensurbehörde nicht eingegriffen hätte. Es handelt sich daher meines Erachtens wohl eher um eine spekulative Neubearbeitung als eine Rekonstruktion. Vielleicht kann Harald oder ein anderer glücklicher Besitzer ja mal ein paar Angaben dazu machen, wie weit die Änderungen gehen.

  • Zauberton
    Ich bin nur ein kleiner Sammler, einen genauen Bericht über die Rekonstruktion der "unzensierten" Originalfassung traue ich mir nicht zu. Zum Kauf der Platte hatte ich mich verleiten lassen durch einen Bericht in "Rondo". Den Link zu dieser Besprechung findest Du hier


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich habe festgestelt, dass sich der sterbende Riccardo in der letzten Arie des Maskenballs mal von Amerika in einer anderen Variante wieder von seiner Amelia verabschiedet:


    - Addio diletta America


    oder


    - Addio dieltta Amelia


    Ich besitze eine CD da verabschiedet sich Riccardo von Amerika und eine DVD, da verabschiedet er sich von Amelia. Im vergangenen Jahr habe ich diese Oper zweimal in verschiedenen Aufführungen gesehen, einmal mit Gustavo III. und einmal mit Riccardo, dem Conte, als Hauptfigur. Jeweils verabschidete er sich von Amelia (auch in den auf deutsch jeweils eingeblendetet Obertiteln).


    Lediglich, wenn es sich um den Gouverneur aus Boston handelt, kann ich eine Verabschiedung von Amerika nachvollziehen, in den anderen beiden Varianten nicht.


    Wie war denn die Originalfassung von Verdi?

    Viele Grüße,


    Marnie

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  • Zitat

    Wie war denn die Originalfassung von Verdi?



    Der ursprünglich geplante Titel der Oper war.
    "Una Vendetta in Domino" (Eine Rache im Domino)


    Das Libretto wurde von Antonio Somma nach einem von Eugen Scribe für Daniel Francois Auber geschriebenen verfasst - allerdings unter der Bedingung, daß er anonym bleiben dürfe.


    Der österreichischen Zensur gefilel die Idee jedoch nicht, einen Könismord, noch dazu einen historisch belegten , auf die Opernbühne zu bringen und verlangte von Verdi zahlreiche Streichungen, Umbenennungen und Änderungen, unter anderm eine Verlegung der Handlung ins Florenz der Renaissance und unter neuem Titel " Adelia degli Adimari"


    Verdi war höchst verärgert - und obwohl ich momentan die Quelle nicht finden kann, so erinnere ich mich, daß er das Werk sogar zurückziehen wollte.
    Es kam zu Streitereien öffentlichen Tumulten, sodaß der König von Neapel Verdi letztlich aus seinem Vertrag entließ.
    Das Stück hatte, nachdem es ieinige Jahre zuvor einen Putschversuch gegen Napoleon III. gegeben hatte - eine gewisse politische Brisanz.


    Schließlich zeigte sich Rom an der neuen noch unveröffentlichten Oper interessiert, hier aber war es die päpstliche Zensur, die Änderungen -wenngleich nicht so einschneidender Art wie in Neapel - verlangte.


    So einigte man sich schließlich auf die Verlegung nach Boston und die Umbennenung einiger Namen, während das Stück im wesentlichen unangetastet blieb. Aber es bekam erneut einen neuen Namen "Un ballo in maschera" (Ein Maskenball)


    Nun aber zur impliziten Kernfrage.
    Verdi hätt mit absoluter Sicherheit darauf bestanden, daß das Original
    wiederhergestellt wird.
    Dem int nichts entgegenzusetzen ausße die -Tradition, man ist das Werk so gewöhnt wie es ist. Aber wie es scheint beginnt sich die "Urfassung" - wie gesagt wurde sie zu Verdis Lebzeiten nie gespielt - generell durchzusetzen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen.


    Zitat


    So einigte man sich schließlich auf die Verlegung nach Boston und die Umbennenung einiger Namen, während das Stück im wesentlichen unangetastet blieb. Aber es bekam erneut einen neuen Namen "Un ballo in maschera" (Ein Maskenball)


    Nun aber zur impliziten Kernfrage.
    Verdi hätt mit absoluter Sicherheit darauf bestanden, daß das Original
    wiederhergestellt wird.


    Dann gehe ich davon aus, dass sich Riccardo in der Schlussarie der ursprünglichen Fassung von Amelia verabschieden wollte und erst nachdem die Oper nach Boston verlegt wurde aus Amelia - Amerika wurde.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Un ballo in maschera (Ein Maskenball),
    Melodramma in 3 Akten von Giuseppe Verdi.
    Text von Antonio Somma nach dem Libretto Gustave III ou Le bal masqué von Eugène Scribe (1833).
    Uraufführung: 17.2.1859 Rom, Teatro Apollo.
    (ursprünglich unter dem Titel La vendetta in Domino)
    mit Eugenia Julienne-Dejean • Pamela Scotti • Zelinda Sbriscia • Gaetano Fraschini • Leone Giraldoni • Stefano Santucci • Cesare Bossi • Giovanni Bernardini • Giuseppe Bazzoli,
    Dirig. Angelini.



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)