Transkriptionen von Instrumentalwerken für Chor

  • Wer Chormusik mag, liebt vor allem den ganz besonderen, einzigartigen Klang eines Chores. Und hat sich deswegen bestimmt schon einmal bei so manchem instrumentalem Werk versucht vorzustellen: wie klänge es wohl, wenn es statt eines Orchesters von einem Chor aufgeführt würde?
    Diese Frage bewegt offensichtlich viele Komponisten, was die große Anzahl von Transkriptionen von Instrumentalwerken für Chor zeigt. Eines der bekanntesten Beispiele fürd diese Transkriptionen stammt von Samuel Barber. Er selbst schuf von seinem überaus beliebten Adagio for Strings eine Chorfassung: Agnus Dei.


    Eine wirklich gelungene und absolut empfehlenswerte Zusammenstellung von solchen Transkriptionen ist auf diesen beiden CDs des französischen Kammerchores "accentus" zu finden:



    Hier sind Werke von Gustav Mahler, Franz Schubert, Frederic Chopin oder Maurice Ravel zu hören.


    Die meisten Werke sind dabei von drei Komponisten nachträglich für Chor umgeschrieben worden: Gerard Pesson, Franck Krawczyk und Clytus Gottwald. Vor allem letzterer scheint ausgesprochen fleißig zu sein, von ihm stammen die meisten der au den CDs vorgestellten Stücke.


    Übrigens sind diese Transkriptionen nicht nur ein interessantes Experiment, eine wohlbekannte Musik einmal ganz anders zu erleben, für mich bilden sie auch eine Brücke zu Original selbst. Ganz intensiv erlebe ich dies gerade bei dem von Gottwald gesetzten Werk "Kein deutscher Himmel", welches eine Umsetzung des Adagietto der 5. Sinfonie von Gustav Mahler ist. Bislang mit instrumentaler Musik Mahlers wenig in Berührung gekommen bin ich nun neugierig geworden auf dessen Klangfarben und Stimmung.



    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Lieber Chorknabe,


    mir fielen ja spontan eher so Comedian Harmonists - Geschichten ein wie Perpetuum Mobile nach Strauß, Eine kleine Frühlingsweise nach Dvorák oder die Tell-Ouverture ein. Auch die Swingle-Singers mit ihrem Bach-Gezwitscher.
    Dann fiel mir ein, dass ich irgendwo Noten der gesamten Schubertschen Müllerin besitze, gesetzt für vier Stimmen a cappella.
    Ansonsten bin ich bei diesem Thema so blank wie interessiert. Vielleicht kannst Du diese spannende Empfehlung etwas ausführlicher beschreiben?


    Gruß,



    audiamus

  • Lieber audiamus, lieber Chorknabe,


    die accentus-Transkriptionen bleiben schon im Genre der Ursprungswerke. Die Comedian Harmonists transponieren ja in eine andere Musikgattung, ähnlich wie in Frankreich einige Jahre später die "Quatre Barbus". Anmerken muß man hier allerdings, daß beide sich auch hauptsächlich solcher Stücke angenommen haben, die zu ihrer Zeit nahezu Schlagercharakter hatten (und auch in Großmutters Klavieralbum auftauchten). Die "Swingle-Singers" sind anders ausgerichtet: Wie auch John Lewis (Modern Jazz Quartett) oder Jaques Loussier haben die Parallelen in der Musiksprache Bachs mit der des Jazz endeckt und dies entsprechend umgesetzt, auch hier also eine Übertragung in ein andere Gattung.


    Nicht so accentus: Von den beiden CD's die Thomas vorgestellt hatte, kenne ich "Transcriptions 2". Was geht da vor sich? Nun, so ganz a capella geht es nicht immer zu. Brigitte Engerer begleitet das Schubert-Stück am Klavier und auch zwei, drei weitere Stücke werden vorsichtig begleitet.


    Wagners Lied "Im Treibhaus" etwa bekommt eine völlig neue Dimension dadurch, daß das Orchester entfällt, die der Solo-Sopran allerdings durch einen dunkel timbrierten Chor ersetzt wird.


    Was die Transkriptionen bewirken ist dies: die altbekannten Stücke werden in die Dimension "Stille" überführt. Das gilt selbst für den in seinen beiden Ecksätzen quirligen "Winter" der "Stagioni" von Vivaldi, mit dem die CD eröffnet wird. Da, wo accentus reine Instrumental-Stücke aufführt, verfällt das Ensemble nicht in eine Art Kultivierung von Scat-Gesang (wie etwa die "Swingles" oder das Ray Connif Orchestra), vielmehr wir ein Text unterlegt. Das gibt der Sache einen besonderen Reiz. Bei Vivaldi etwa sind es drei Teile der Requiem-Liturgie.


    Da ich nur "Transcriptions 2" kenne, kann ich auch nur die empfehlen. Dies tue ich mit Nachdruck.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    Deine Ergänzungen sind völlig richtig. Es waren einfach meine leider einzigen Assoziationen zum Thema.

    Wobei: Ich meine, in Fechners Film "Die Comedian Harmonists - Sechs Lebensläufe.", der neben einer packenden Musikdokumentation auch ein aus ersten Händen geschildertes, ergreifendes Stück Zeitgeschichte ist, wird erzählt, dass bei Auftritten die Truppe gelegentlich das Programm hinter geschlossenem Vorhang begann.
    Mit eben ihrer Version der Tell-Ouverture.


    Die Imitationen der Instrumente müssen so verblüffend echt geklungen haben, dass das Publikum bei Freigabe der Sicht auf die Sänger völlig außer Rand und Band geriet. Man hatte ein klassisches Orchester mit Klavierverstärkung erwartet.


    Deine Ausführungen über accentus machen mich nun noch neugieriger, ich starte sofort die Preisrecherche, und dann wird "Transcriptions 2" mir Nachdruck bestellt.


    LG,



    audiamus

  • Cher Audiamus, darin kann ich dich nur nachdrücklichst unterstützen!
    Du wirst ein Klangerlebnis der besonderen Art haben, das verspreche ich dir. :yes:
    Ich finde diese Transkriptionen unglaublich intensiv und war ganz hingerissen. Mir fiel es selbst bei Werken, die ich sehr gut kenne plötzlich wie Schuppen von den Augen.
    Der Chor Accentus ist m.E. ein Spitzenensemble, das es immer wieder fertigbringt, bekannte Werke neu und überraschend zu interpretieren und das mit einer Transparenz auch in opulenten Werken (wie neuerdings dem Brahms-Requiem mit zwei Klavieren) die Ihresgleichen sucht.
    Wenn ich mir im Moment neben all den anderen Anschaffun überhaupt Chor-Cds leiste, dann die von Accentus unter Laurence Eqilbey!


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von audiamusmir fielen ja spontan eher so Comedian Harmonists - Geschichten ein wie Perpetuum Mobile nach Strauß, Eine kleine Frühlingsweise nach Dvorák oder die Tell-Ouverture ein. Auch die Swingle-Singers mit ihrem Bach-Gezwitscher.[..]


    Wie Thomas es schon erwähnt hat, sind die Stücke der Comedian Harmonsists eher eine lockere und vor allem witzige Unterhaltung gewesen. Bei den Swingle-Singers liegt dies sicher ähnlich, wenn sie auch nicht so ganz ulkend an die Bch'sche Musik herangingen.


    Die Transkriptionen, welche bspw. auf den obigen CDs zu finden sind, sind dagegen ganz ernster Natur. Ziel ist es nicht, durch vokale Verfremdung mit lustigen Texten eine Art gesangliches Kabinettsstückchen darzubieten und das Publikum zu erheitern. Vielmehr wird eine ganz neue Klangwelt erschlossen.


    Hört man bspw. das sehr bekannte Adagio for Strings von Samuel Barber und vergelicht es mit der Transkription für Chor Agnus Dei, so fällt diese ganz andere Klangwelt auf. Der Chor erzeugt einen im Vergleich zu Streichorchester volleren und dabei dennoch viel weicheren Klang. Vor allem die Harmoniewechsel und Übergänge wirken um ein Vielfaches betonter, bedeutungsschwerer, intensiver.
    Es mag sicher vor allem Geschmackssache sein, aber für mich gewnnt die Musik Barbers durch diese Transkription deutlich an Gefühl und Wärme.


    Viel intensiver tritt der Effekt auf beim letzten Titel der ersten CD auf: Lulajze, Jezuniu, eine Transkription aus dem Largo der Sonate für Klavier, op.58. Der Klang des Klavieres als Soloinstrument ist, gerade bei diesem langsamen Stück, ungeheur durchsichtig, man kann als Zuhörer fast jeden einzelnen Ton, jeden Tastenanschlag einzeln erwarten. Dagegen verändert die Fülle und Getragenheit des Chores das Stück völlig .. und bleibt ihm doch treu.


    Einzusätzlicher Reiz ist es sicherlich, durch eine geschickte auswahl eines gesungenen Textes, dem Werk eine zusätzliche und neue inhaltliche Bedeutung zu verleihen, die es zuvor nicht in diesem Maße besessen hat. So wird aus dem erwähnten Klaviersonate plötzlich ein Schlaflied. Und es wirkt, als wäre es schon immer dafür erdacht und komponiert worden.


    Liebe Grüße. der Thomas. :hello:

  • Die oben von Chorknabe angeführte Transkription von Barber ist schon sehr intensiv - ich habe sie in einer ebenfalls von Chorknabe empfohlenen Fassung mit dem Choir of New College, Oxford, Edward Higginbottom, wobei mir an manchen Stellen der Chor etwas zuuu intensiv wird, das geht schon fast ein klein wenig ins Schrille hinüber - mir gefällt auf derselben CD auch Lux Aeterna (nach Elgar, Enigma Variationen, Nimrod) sehr gut - und auch die restlichen Stücke auf der CD sind hörenswert.


    Ansonsten fallen mir bei der Vertonung von klassischen Instrumentalstücken durch Chor vor allem die Swingle Singers ein.

  • Ich hab mich mal verhalten schlau gemacht:
    Auf der Website von accentus 3w.accentus.asso.fr steht unter englischer Option ein französischer Text zu lesen, der ins Deutsche gerafft etwa folgendes aussagt:


    accentus besteht aus 32 Sängerinnen und Sängern, tritt als mittlerweile professionelles Ensemble unter der Leitung ihrer Gründerin Laurence Equilbey bei großen französischen und internationalen Festivals auf und arbeitet mit erlauchten Künstlern wie Pierre Boulez, Jonathan Nott, Christoph Eschenbach und auch anderen musikalischen Vereinigungen zusammen: Orchestre de Paris, Ensemble Intercontemporain, Concerto Köln, Akademie für Alte Musik, Orchestre de l'Opéra de Rouen/ Haute Normandie.
    Das Ensemble erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter eine Grammy-Nominierung.


    Gruß,



    audiamus

  • Zitat

    Original von audiamus[..]
    Auf der Website von accentus 3w.accentus.asso.fr steht unter englischer Option ein französischer Text zu lesen, der ins Deutsche gerafft etwa folgendes aussagt:
    [..]


    Verzeih mir den Einwand :untertauch::


    Mir ging es in diesem Thread um Transkriptionen von Orchesterwerken für Chor und das Wesen dieser Kompositionen Wesen ansich. Die beiden obigen CDs von accentus sind sehr stark auf dieses Thema ausgerichtet und passen daher gutals Beispiel und Entefhlung in diesen Thread. Sicher aggiert der Chor auf einem tollen Niveau, dies als auch die Chorgeschichte war allerdings nicht als Disskussionsthema gedacht :stumm:


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

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  • Lieber Chorknabe,


    wenn Du der Meinung bist, ich sei in Deinem Thread im Off gelandet, so bitten wir die Moderation, diese Beiträge zu löschen.


    Gruß,



    audiamus

  • Eine weitere CD mit Transkriptionen von Liedern und Instrumentalwerken für Chor ist diese CD:



    Sie enthält ausschließlich Tranbskriptionen des Komponisten Clytus Gottwald. Dabei finden sich umgesetzte Werke von Ravel, Caplet, Messiaen, Debussy, Berg, Hollinger, Wagner und Mahler.


    Neben dem herausragend gut gelungenen (und inwzischen bereits bekannten und oft aufgeführten Transkription des Rückert-Lieds "Ich bin der Welt abhanden gekommen" von Gustav Mahler möchte ich "Soupier" und "La valleé des cloches" aus den Trois Chansons von Maurice Ravel mit ihren geheimnisvollen und schwebenden Charakter als Highlight dieser CD nennen.


    Der ausführende Chor, das SWR-Vokalensemble lässt bei der Interpretation dieser Werke keine Wünsche offen. Die schwierige Literatur, häufig bis zu 16stimmig und mit weit tragende Phrasenbögen, kann der Chor hervorragend meistern. Insbesondere die weiten Phrasenbögen sind für einen Vokalensemble ausgeprochen schwierig zu leisten, benötigen einen langen Atem und kosten viel Kraft. An dieser Stelle kann das SWR-Vokalensemble seine Fähigkeiten voll ausspielen.



    Nachtrag:
    Es gibt eine weitere CD mit Transkriptionen von Clytus Gottwald mit dem Kammerchor Saarbrücken:



    Leider kenne ich diese CD noch nicht, aber vielleicht hat ja schon mal jemand hier hineingehört und kann etwas über den Höreindruck berichten?



    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Zitat

    Original von Chorknabe
    Nachtrag:
    Es gibt eine weitere CD mit Transkriptionen von Clytus Gottwald mit dem Kammerchor Saarbrücken:



    Leider kenne ich diese CD noch nicht, aber vielleicht hat ja schon mal jemand hier hineingehört und kann etwas über den Höreindruck berichten?


    Lieber Thomas,


    leider - aber das war auch nicht anders zu erwarten - reicht der Kammerchor Saarbrücken natürlich nicht an das SWR Vokalensemble heran. Ich würde sagen, er tummelt sich etwa in der Klasse von Frieder Bernius' Kammerchor Stuttgart und macht seine Sache recht gut.


    Ich habe das Gefühl, dass die Besonderheit der Bearbeitungstechnik, die Clytus Gottwald verwendet, ein so außergewöhnliches Ensemble wie das des SWR benötigt, um ihre Wirkung zur Gänze entfalten zu können. Trotzdem vermittelt der Kammerchor Saarbrücken natürlich schon einen Eindruck von dem Gottwaldschen Klangbild.


    Ich hatte diese CD seinerzeit vor allem als Repertoire-Ergänzung zu derjenigen des SWR Vokalensembles erworben, zwar gibt es Überschneidungen wie z. B. Soupir, Im Treibhaus, Träume, doch ergänzen sich die beiden Programme eigentlich recht gut. Auch unter diesem Gesichtspunkt: eine empfehlenswerte Einspielung.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Lieber Ullrich, liebe Mitlesenden,



    Heute habe ich einmal einige Stücke dieser beiden CDs gegengehört:



    Zuerst Ich bin der Wel abhanden gekommen von Gustav Mahler (transkribiert von [/I]C.Gottwald[/I]). Hier bin ich sehr begeistert von der live!-Aufnahme vom SWR-Vokalensemble. Die langen getragenen Linien, das Führen des Klanges über viele Takte gelingt dem SWR-Vokalensemble einfach hervorragend. Das getragene Tempo kommt dem Werk ebenfalls sehr entgegen. Der französische Kammerchor accentus hingegen scheint mit dem Werk nicht so recht klar zu kommen. Die Linien wirken etwas zerhakt, das Tempo zu schnell, der Klang zu uneinheitlich. Hinzu kommt ein sehr reifer aber leider manchmal auch zu vibratobehafteter Chorklang. Bei Diesem Stück also ist die Aufnahme des SWR-Vokalensembles klar vorzuziehen.


    Vergleicht man jedoch Soupier von Maurice Ravel (ebenfalls eine Transkribtion von C.Gottwald), ergibt sich ein anderes Bild. Hier schafft es accentus viel besser, die geheimnisvole Stimmung des Stückes einzufangen. Hier kann der Chor zudem die Linien wundervoll entwickeln, was ihm beim Mahler nicht so recht gelang. Was mir außerdem gut gefällt ist, dass die Pfeifstimmen, die wohl von Gottwald einkomponiert sind, bei accentus besser herausgearbeitet werden. Bei diesem Stück würde ich also wiederum die CD von accentus vorziehen.


    Man könnte jetzt ketzerisch behaupten, der französische Kammerchor kommt mit den Werken französischer Komponisten besser klar als mit denen deutscher Komponisten, beim deutsche Chor ist es umgekehrt.. :D


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Lieber Thomas,


    ein schöner Vergleich, den ich im Ergebnis so auch sehen würde (nur die Zuordnung von Komponisten und Chören nach ihrer geografischen Herkunft finde ich mit Rücksicht auf das sonstige Repertoire beider Chöre weder zwingend noch treffend).


    Allerdings klagen wir hier auf hohem Niveau :pfeif: .


    In Ravels Soupir findet Accentus zu einer unfassbaren Differenziertheit. Auf die sehr schön herauskommenden Pfeifstimmen weist Du zu Recht hin. Den daraus folgenden Effekt erreichen weder SWR Vokalensemble noch KammerChor Saarbrücken. Die Frage ist aber, ob die verhaltene, quasi nach innen gekehrte Ausführung dieses Pfeifens beim SWR Vokalensemble nicht vielleicht besser dem unterlegten Text "se trainer le soleil jaune d'un long rayon." - an einem langen Strahl wird mühsam die Sonne hinterher geschleppt, ein Strahl, der ja dann auch langsam entschwindet: das finde ich schon sehr treffend bebildert bei den Stuttgartern.


    Andererseits baut Marcus Creed im ersten Teil einen sogartigen Spannungsbogen mit einem weiträumigen Crescendo auf das "fidèle" hin; das gelingt Accentus nicht im gleichen Maße, die dafür eine feingliederige Binnenspannung erhalten und den Übergang zum "Vers l'azur" schöner gestalten.


    Am Ende würde ich also Accentus von der insgesamt den Höreindruck einer etwas größeren Beweglichkeit der Stimmführung hinterlassenden Darbietung her bei Soupir ebenfalls den Vorzug geben. Der KammerChor Saarbrücken tritt demgegenüber wenig subtil, ungenügend differenzierend und ausarbeitend auf, geradezu massiv, und das kommt dem Stück in keiner Weise entgegen.


    Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen zeigt sehr schön die unterschiedliche Stimmkultur von Accentus einerseits und SWR Vokalensemble andererseits auf. Ab den Mittelstimmen aufwärts wirken die Stimmen bei Accentus auf mich herber, trockener, teilweise geradezu "unlieblich" (???). Das Ensemble achtet anscheinend sehr darauf, eine Klangmischung zu vermeiden, die Stimmen akustisch strikt getrennt zu halten. Das mit merklich weicheren, "unherben" Stimmcharakteren arbeitende SWR Vokalensemble lässt demgegenüber - bei diesem Stück in einer Live-Aufnahme, also in der Konzertsituation (!) - eine solche Klangmischung sehr wohl zu - allerdings ohne dass dies in irgendeiner Weise zu Lasten des Transparenz gehen würde. Diese klangliche Mischfähigkeit unterstützt - erstaunlicherweise - in hohem Maße das Kompositionskonzept Gottwalds, das eine Engführung der Textverse anwendet, eine Übereinanderschichtung unterschiedlicher Verszeilen oder -halbzeilen.


    Sehr schön wird dies jeweils in den zweiten Strophenhälften deutlich, als Beispiel mag die zweite Hälfte der dritten Strophe dienen. Wie dort die Worte "Himmel", "Lieben" und "Lied", jeweils mit dem Wort "meinem" davor, gegeneinander geführt und übereinander geschoben werden, das wird vor allem bei den Stuttgartern hörbar und führt zu einer Dichtheit des atmosphärischen Ausdrucks, die Accentus nicht erreicht. Einmalig übrigens beim SWR Vokalensemble gegen Ende der zweiten Strophe die "Girlande" der hohen Frauenstimmen auf "gestorben".


    Dem Stück hilft allerdings auch die übergroße Eile eher wenig auf die Beine, zu der Laurence Equilbey ihren Accentus antreibt, um mit 6'04'' durchs Ziel zu gehen. Marcus Creed lässt den Stuttgartern mit 6'43'' hier mehr Luft zum Atmen, was den atmoshärischen Ausdrucksmöglichkeiten des Chors entgegenkommt. Die meiste Zeit lässt Georg Grün dem KammerChor Saarbrücken mit 8'19'' - eine gute Entscheidung, die die Entfaltungsfähigkeit des Chores ganz offensichtlich unterstützt. Die Saarbrücker bemühen sich ebenfalls um eine Klangmischung in der Korrenspondenz zwischen den - ebenfalls weicher geführten - Stimmen, erreichen aber nicht die Durchsichtigkeit innerhalb der die Textverse verdichtenden Passagen, wie sie bei den Stuttgartern zu hören ist. Sowohl die Klangmischung, als auch das getragene Tempo entsprechen in hohem Maße diesem Stück, so dass ich hier den KammerChor Saarbrücken in der Qualität der Ausführung von Ich bin der Welt abhanden gekommen zwar hinter dem SWR Vokalensemble, aber deutlich vor Accentus sehe.


    Werfen wir doch noch einen Blick auf Gottwalds Bearbeitung von Richard Wagners Im Treibhaus:


    Die von den Saarbrückern auch bei Wagner verfolgte Taktik der wunderbaren Langsamkeit führt dort leider nicht wieder zum Erfolg. Die zu starke Massivität des Chorklangs macht sich hier wieder negativ bemerkbar, und in den Spitzenlagen lassen sich die Schwingungen einer eher "gemischten" Intonation nicht verbergen.


    Diese kritischen Stellen meistert Accentus - bei denen das Stück auf ihrer Nachfolge-CD Transcriptions 2, naive V5048 enthalten ist - mit traumwandlerischer Sicherheit. Vor allem nehmen sie das Stück mit der ihnen eigenen Transparenz und Leichtigkeit, zudem mit 5'22'' immerhin gut anderthalb Minuten rascher als der KammerChor Saarbrücken mit 6'56''. Das setzt der "Schwüle" des Wesendonckschen Treibhaustextes und des Wagnerschen Satzes doch eine gewisse Erfrischung entgegen, die ich hier unbedingt erwünscht finde. Unterstützt wird diese Frische durch das besondere Strahlen, das die hohen Stimmen hier produzieren.


    Das SWR Vokalensemble scheint sich auf der schwülen Seite des Treibhauses wohler zu fühlen; mit 6'33'' (nicht wie im Booklet angegeben 3'40'') holen sie in Tempofragen fast die Saarbrücker ein. Das muss man akzeptieren, da dieser Interpretationsansatz in jeder Hinsicht der Textaussage entspricht, dem der Chor mit einer sehr dichten Stimmgestaltung nachkommt. Die Intonation ist natürlich tadellos. Ganz wundervoll das Ausbrechen hellen Glänzens bei der Stelle ""umstrahlt von Licht und Glanze". Dass wir hier nicht wie im Saarbrücker Treibhaus in der Schwüle ersticken, liegt an der detailverliebten bildhaften Ausarbeitung, die die Stuttgarter dem Ganzen angedeihen lassen. Beispielhaft höre man auf die letzte Strophe, man hört das "säuselnd Weben" man hört, wie "schwere Tropfen ... schweben". Das ist so liebevoll und chorisch so überlegen gestaltet, dass ich bei aller Sympathie für die Schwerelosigkeit des Accentus-Vortrags in der Hand des SWR Vokalensembles doch die vorzugswürdige Gestaltung sehe.


    Was mich angeht, möchte ich keine dieser vier Einspielungen missen. Gottwalds Arbeit ist außergewöhnlich und verdient es allemal, von den Chören auf breiter Basis beachtet zu werden.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Hallo,


    zu den Transkriptionen von C. Gottwald zweier Mahler-Lieder habe ich bei Mahler gepostet.


    Hier geht es nun um die Lieder von Wagner "Im Treibhaus, Träume" (Teile der Wesendonklieder) und "Isoldes Liebestod" - ebenfalls von Gottwald für vier 4-stimmig gem. Chöre transkribiert.


    Ich vergleiche nun "Im Treibhaus, Träume" mit einer Aufnahme mit J. Norman/I. Gage, Klavier (bei YouTube). Diese Lieder haben für mich einen so intimen, privaten Charakter, dass sie in der Chor-Transkription zwar "wunderschön" klingen (Der Chor des Bay. Rundfunks singt hervorragend - die Bässe darf ich als "zweiterbass" besonders hervorheben), aber ihrem Charakter nicht mehr gerecht werden; ich finde dabei auch keinen irgendwie gearteten Vorteil gegenüber dem Original (abgesehen von "wunderschön").


    Zu Isoldes Liebestod gilt noch mehr was ich zuvor gepostet habe - wer sich auf Wikipedia über Gottwald etwas informiert hat, kennt Gottwalds Antrieb zu seinen Chor-Transkriptionen - das passt in diesem Fall einfach nicht zusammen, so "wunderschön" es auch klingen mag.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich kann diesen Transscriptionen wenig abgewinnen. Das hat sich jetzt auch bei meinem Vokalensemble bestätigt. Samuel Barber hat von seinem berühmten Adagio für Streichorchester eine Chorversion hergestellt; der Text lautet hier, nach dem letzten Teil der Messe, "Agnus Dei". Die Textunterlegung ist natürlich reichlich willkürlich. Es handelt sich hier um eine doppelte Bearbeitung, denn schon das originale Streicherstück ist ja eine Art Bearbeitung. Das Stück ist durchaus wirkungsvoll, aber ich meine, die Grundidee der Streicher, lange Zeiten zu spielen über viele Takte hinweg, wobei darüber eine Stimme liegt, die dann die bewegte Melodie hat, ist auf die Chormusik nicht gut übertragbar. Das Stück ist nicht schwer, aber wir hatten ziemliche Probleme mit der Zählerei. In der Chormusik gibt es so etwas auch sehr selten. Beispiele finden sich bei Tallis (Lamentationes Jeremiae), Beethoven (4. Satz der 9.), Arvo Pärt (Salve Regina) und manchmal bei Brahms. Aber meist ist nur eine Stimme betroffen und das nur für kurze Zeit, sodass man das als sparsames kompositorisches Mittel durchaus akzeptieren kann. Bei Barber habe ich auch den Verdacht, dass er sich an ein eigenes Erfolgsstück dranhängt, denn sein Adagio ist ja sehr berühmt, und ich muss auch sagen, zu Recht sehr berühmt. Da singe ich doch lieber ein originales Chorstück von Tallis selbst.
    Zum Schluss: jetzt warte ich noch darauf, dass jemand aus Original und Bearbeitungen ein Klavierstück macht.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das Stück ist durchaus wirkungsvoll, aber ich meine, die Grundidee der Streicher, lange Zeiten zu spielen über viele Takte hinweg, wobei darüber eine Stimme liegt, die dann die bewegte Melodie hat, ist auf die Chormusik nicht gut übertragbar. Das Stück ist nicht schwer, aber wir hatten ziemliche Probleme mit der Zählerei.


    Hier möchte ich widersprechen - zumindest teilweise. Ich gebe Dir recht: eine in derart lange Bögen gesetzte Musik ist für einen Chor eine sehr schwere Aufgabe. Hier gilt es nicht den vertrackten Rhythmus zu bezwingen, die Fuge mit vielen Kolleraturen zusammenzuhalten oder schwierige Töne zu erarbeiten. Das Problem sind die Phrasen die unseren Hör und vor allem Singgewohnheiten überhaupt nicht entsprechen. Man mag nun einwenden dass sich die typische Phrase in der Chormusik mehr oder weniger vom Atem des Sängers ableiten lässt - aber den Einwurf lasse ich nicht gelten. Ein guter Chor vermag es durchs chorische Atmen einen unablässigen Klangstrom zu produzieren - der dann aber auch noch mit Leben gefüllt werden muss. Und genau das ist die größte Hürde solcher Werke, insbesondere wenn an einer innigen oder dramatischen Stelle ein forte oder lauter gefordert ist (wie beim Barber beim Höhepunkt im letzten Drittel).


    Ich kann derartigen Werken - vorgetragen von einem hervorragenden Chor - sehr viel abgewinnen. Und es gibt in der Musikgeschichte auch nicht wenige Werke, die sich dieser Methoden bedienen. Bspw. die Chorwerke von Strauss ("Der Abend"), oder der sehr bekannten Adaption von "Komm süßer Tod" von Knut Nystedt. Bei Transkriptionen ist das Phänomen meist per se inkludiert weil Orchestrale Musik meist mit längeren Bögen arbeitet als es in der (unbegleiteten) Chormusik üblich ist.


    Übrigens: das Phänomen, dass der Chor ins straucheln kommt wenn viele extrem lang zu haltende Noten musiziert werden müssen ist weit verbreitet und wohl allen Chorsängern bekannt. Bei vielen Cantus-firmus-Messen von Josquin des Prez singt eine Stimme den Cantus firmus - und nicht selten extrem gedehnt so dass Töne viele Takte lang gehalten werden müssen während die anderen Stimmen kunstfertig ornamentieren. Es hilft nichts, man muss sich dieser Anforderung stellen - und wird dann mit einer wundervollen Musik belohnt die sich von vielen anderen Chorwerken abhebt.