Berlioz' musikalischer Weihnachtsfilm: L'ENFANCE DU CHRIST

  • :hello: allerseits


    Die schönste Weihnachtsmusik? Die meisten werden wohl mit traditionellen Weihnachtsliedern oder Bachs Weihnachtsoratorium aufwarten. Ohne vor allem Bachs großem Werk zu nahe treten zu wollen: für mich ist es Hector Berlioz' "Heilige Trilogie" L'ENFANCE DU CHRIST.


    Geboren aus einem Scherz heraus, wurde sie vor 153 Jahren, am 10. Dezember 1854 uraufgeführt und sollte sein größter Erfolg beim Pariser Publikum werden - und bleiben. "Schuld" daran ist ein ungewöhnlicher Reichtum an zarten, poetischen Melodien und eine höchst zurückhaltende, aber ungemein feine, differenzierte Orchestrierung sowie ein zuweilen geradezu archaischer Duktus der Musik, wie sie Berlioz damals (zuweilen sogar heute noch) nur wenige zugetraut hätten. So groß war der Erfolg des Werkes, dass Berlioz nachgerade unwirsch darauf reagierte. In einem Brief an seinen Freund Heinrich Heine, der ihn zuvor als Komponisten monströser Werke kategorisiert hatte und ihn nach diesem Werk dafür um Verzeihung bat, verwies Berlioz zu Recht darauf, dass es einer Beleidigung seiner übrigen Werke gleichkomme, L'ENFANCE DU CHRIST als einen Sonderfall in seinem Schaffen zu betrachten.


    Natürlich hatte er Recht damit. Dennoch nimmt das Werk, das, ähnlich wie schon seine Dramatische Sinfonie ROMEO ET JULIETTE, auch als sinfonisch-dramatisches Oratorium bezeichnet werden könnte (s. Hector BERLIOZ: Roméo et Juliette - ein symphonisches Operatorium ) eine hörbare Sonderstellung ein, die allerdings keiner Neuentwicklung Berlioz' geschuldet ist, sondern dem Thema. Berlioz, der seine Bibel nicht weniger gut kannte als seinen Vergil, hatte sich nämlich dafür entschieden, drei in der Bibel kaum detaillierte Episoden um die Flucht nach Ägypten herum zu erzählen: den Traum und wahnsinnigen Befehl des Herodes zum Massenmord an allen Neugeborenen, die Flucht nach Ägypten selbst und die Ankunft im ägyptischen Sais, wo Maria und Joseph, diesmal mit einem Kleinkind, eine Wiederauflage ihrer Suche nach einer Herberge in Betlehem durchmachen müssen, bis sie von einem heidnischen Ismaeliten aufgenommen werden. Dabei sparte er ausgerechnet ein so dankbares Thema wie die drei Weisen aus dem Morgenland aus.


    Über all dem liegt - ist der erste Teil um Herodes' Wahnsinn, auf den Berlioz mit Recht besonders stolz war, einmal vorbei - ein friedlicher, beseelter Geist, der bei Berlioz zwar nicht wirklich überraschen sollte - man denke nur an den ausgiebigen Schluss des vierten Aktes der TROJANER -, in dieser Dominanz aber doch verblüfft. Noch verblüffender, in der Tat von ungeheurer Virtuosität, mit der Berlioz eine quasi-filmische Erzählstruktur bereits auf Anhieb beherrscht. Bedenkt man, dass der Film erst ein knappes halbes Jahrhundert später erfunden wurde und noch ein weiteres Vierteljahrhundert brauchte, bis er einen eigenen Erzählstil mehr als nur ahnen ließ, ist das geradezu unglaublich, zumal dieser Erzählstil in episodischen Bildern auch in der zeitgenössischen Literatur kaum ein Pendant findet. Noch heute anspruchsvoll ist die Aufbereitung der Geschichte, in der die Töne die Rolle der Kamera und des Schnitts übernehmen, welche die Protagonisten mit großem Mitgefühl beobachten. Auch dazu später mehr im Detail. Jedenfalls ist es ein ungemein starker Beweis für die Wirkungsmacht von Berlioz' Musik und seinen melodischen Enfällen, wenn das Publikum davon seinerzeit nicht nur überfordert, sondern sogar beheistert war.


    Zunächst einmal soll dies erst ein Teaser für einen saisongemäßen Thread und natürlich ein Hinweis für alle sein, die einmal eine andere Weihnachtsmusik hören möchten, ohne in ihren Qualitätsansprüchen nachlassen zu müssen.


    Wie inzwischen immer, bevor ich ins Detail gehe, würde mich natürlich auch interessieren, was Ihr schon von dem Werk kennt und habt, und wie Ihr dazu steht.


    Wenn jemand zur Vorbereitung der bevorstehenden Lektüre einen Plattentipp haben will, so kann ich der betrüblichen Nachricht, dass es eine meiner beiden Lieblingsaufnahmen, die von Jean Martinon mit Alain Vanzo, Jane Berbie und Roger Soyer m. W. nie auf cd gab, die gute hinzufügen, dass mein anderer Favorit, die vom Klang her noch viel bessere Erato-Aufnahme von John Eliot Gardiner, derzeit gerade besonders preisgünstig zu haben ist:



    Fairerweise sollte ich hinzufügen, dass ich weder die neueren Aufnahmen von Norrington und Herreweghe noch eine andere außer meiner Nummer drei, der Aufnahme von Charles Dutoit mit der wieder einmal wundervollen Susan Graham, die es aber auch schon nicht mehr gibt, und den beiden von Colin Davis kenne. Die ältere der beiden verfügt zwar über einen ganz besonderen Erzähler in Peter Pears, teilt aber mit der neueren den Nachteil, dass Davis für meinen Geschmack das Stück zu sehr als großes Oratorium auffasst und seine zarte Instrumentation mit zu großem Orchesterklang und leider kräftiger Unterstützung durch die Aufnahmetechnik mindestens gelegentlich erschlägt. Wer sie aber schon hat, muss keineswegs schleunigst nach einem Ersatz suchen. Das Werk ist so stark, dass es mindestens in allen mir bekannten Einspielungen überzeugt, und nach den Hörproben bei jpc zu schließen, darf man das auch mit zwangsläufigen Abstufungen für alle anderen Aufnahmen gelten lassen.


    Nun seid erst einmal Ihr dran. Ich freue mich ganz besonders darauf, diese exquisite Weihnachtsmusik mit Euch zu diskutieren und hoffe sehr, dass ich bzw. wir noch die/den eine/n oder andere/n dazu motivieren können, sich dieses heinreißende Werk noch rechtzeitig für das diesjährige Fest zu besorgen.


    :hello: Rideamus


    PS: ich bitte alle, die auf die Fortsetzung meines Textes zu Chabries L'ETOILE warten, um Verständnis dafür, dass ich den Anforderungen des Kalenders folge und dieses Werk dazwischen schiebe, das Eure Aufmerksamkeit keinesfalls weniger verdient. Rechtzeitig vor Sylvester wird es sicher mit Chabrier weitergehen, denn LE ROI MALGRE LUI ist als das rauschende Fest, das es auch ist, ein nachgerade perfektes Werk für diesen späteren Anlass.

  • Lieber Rideamus,
    das nenne ich nun wirklich turbo!!


    Danke für diese schnelle und instruktive Eröffnung eines Threads zu diesem wundervollen und wichtigen Werk. Was Weihnachtsmusik anbetrifft, kann IMO neben Berlioz' "L'Enfance du Christ" eigentlich nur das Weihnachtsoratorium bestehen - allerdings meine ich nun das von Saint-Saens :D .


    Die Musik zu "L'Enfance du Christ" finde ich für Berlioz doch recht untypisch, da insgesamt eher verhalten und zurückgenommen. Weniger explizit expressiv als lyrisch und introvertiert ("Hiezu nächstens mehr" [Robert Walser]).


    Meine favorisierte Einspielung ist diese:



    mit: Susan Graham, Francois Le Roux, John Mark Ainsley, Philip Cokorinos, Andrew Wentzel, Gordon Getz, Marc Belleau, Choer de l'Orchestre Symphonique de Montréal, Orchestre Symphonique de Montréal, Leitung: Charles Dutoit


    Charles Dutoit dirigiert für meinen Geschmack (nicht nur hier) mitten ins Herz der Berlioz'schen Musik. Gerade in der "Kindheit Jesu" bringt er die Nuancen der Musik detailreich und luzide zum klingen. Ihm steht ein herausragendes Ensemble zur Verfügung mit der unglaublichen Susan Graham als Maria und dem kongenialen Francois Le Roux als Joseph. Aber über allem schwebt John Mark Ainsley mit einer atemberaubenden Gestaltung des Evangelisten (Le Récitant). Einfach hinreissend.


    Die Herreweghe Einspielung besitze ich als alter HIP-Fan ntürlich auch, aber der ganz unHIPe Dutoit ist hier Meilen voraus (mit Davis kann ich auch hier so gar nix anfangen...).


    Wie gesagt: nächstens mehr...


    Herzliche Grüße,
    Medard

  • Hallo Rideamus,


    vielen Dank für diesen "saisonalen" Beitrag. Ich habe das Werk vor ein paar Jahren eher zufällig in einem Konzert mit mdr-Orchester und -Chor in Leipzig kennen gelernt und seit dem gehört es bei mir - neben dem WO von Bach - zu Weihnachten.


    Vom damaligen Konzert gibt es auch eine CD mit Fabio Luisi:


  • Lieber Rideamus,


    dem Dank von Klawirr kann ich mich nur anschließen!


    Ich habe dieses schöne Werk neulich erst in dieser Aufnahme entdeckt:


    Hector Berlioz (1803-1869)
    L'Enfance du Christ

    Gens, Agnew, Lalouette, Naouri, Caton, La Chapelle
    Royale, Collegium Vocale, Orchestre des Champs
    Elysees, Herreweghe
    Label: HMF , DDD, 1996




    Für mich ganz neue Musik - aber ich bin begeistert!


    LG, Elisabeth


    PS Danke, Davidoff, für das schönere Cover

  • Nach einer unvermeidlichen Unterbrechung, in der ich zwei mir weniger vertraute (Dutoit) bw. für mich neue Einspielungen (Herreweghe) besser kennen lernen wollte, nun weiter im Text.


    Berlioz schrieb dieses Werk keineswegs in einem Zug. Er hatte es nicht einmal geplant, bevor etwa ein Drittel des Materials aus den verschiedensten Gründen entstanden war. Deshalb war der erste und für Berlioz typischste Teil, auf den er besonders stolz war, der letzte, der eigens für das nunmehr als Trilogie geplante Werk komponiert wurde.


    Die erste Komposition war der Chor der Hirten aus dem Zweiten Teil, den Berlioz nach einer eigenen Anekdote, die im Nachhinein sicher pointierter wurde, als er sich einmal bei einer Einladung langweilte, in einem stillen Winkel zunächst als ein vierteiliges Orgelandantino für Orgel schrieb. Befragt, was er da schriebe, behauptete er, aus dem Gedächtnis ein Stück eines Zeitgenossen Rameaus, des unbekannten - natürlich nie existierenden - Pierre Ducre aufgeschrieben zu haben, zu dem er rasch einen Text erfand. Der Erfolg dieses Stückes, das in Paris lange Zeit ernsthaft für ein barockes Original gehalten wurde, das, so eine begeisterte Dame der Gesellschaft, Berlioz selbst niemals hätte zustande bringen können, veranlasste ihn, immer wieder darüber nachzudenken, wie es sich in einem größeren Zuammenhang verwenden ließe.


    Zunächst dachte er an eine Komposition über Jeanne d'Arc und ihr Hirtenleben, schrieb schließlich aber eine mehrteilige Episode über die Flucht Jesu mit seinen Eltern nach Ägypten, die er mit großem Erfolg in ganz Europa aufführte. Erst dieser Erfolg drängte ihm den Gedanken auf, die Trilogie in ihrer heutigen Form zu verfassen und den nur wenig veränderten Mittelteil in deren Zentrum zu stellen, das allerdings wie ein Flügelaltar von zwei nicht minder starken, sogar farbkräftigeren Abschnitten eingerahmt, fast ein wenig dominiert wurde, weil Berlioz' kompositorisches Vermögen beständig zunahm. Dies erklärt, neben der Wucht des Themas, den stark kontrastierenden Ersten Teil, den Berlioz nur mit dem Rest zusammenbringen konnte, indem er ihm, wie einst schon ROMEO ET JULIETTE, den Prolog eines Erzählers voranschickte, der hier in allen drei Teilen auftaucht und längere Zeitspannen zwischen den ausgeführten Episoden erklärend verbindet. Beachtlich auch hier, wie treu Berlioz seinen Vorbildern Gluck und Beethoven geblieben ist, für die der Inhalt die Musik bestimmt und nicht etwa umgekehrt, wie es die Akademiker unter seinen Lehrern stets verlangt hatten.


    Ich hatte zu Beginn darauf verwiesen, wie "filmisch" Berlioz sein Werk gestaltet hat, und das mit höchst modernen Mitteln. Da wimmelt es nachgerade von sogenannten "jump cuts", überraschenden Schnitten von einer Sequenz zur nächsten also, deren Lücke der Zuschauer mit seiner Fantasie oder Bibelkenntnis ausfüllen muss. Das führt nicht nur zu einer Konzentration auf das Wesentliche, sondern auch zu einer hintergründigen Spannung, die den Zuhörer selbst dann nicht aus seiner Konzentration entlässt, wenn zwei ähnliche Passagen aufeinander folgen.


    Hinzu kommt ein beständiger Wechsel aus der Totalen über die Halbnahe zur Großaufnahme. Das ist besonders auffällig im ersten Teil, der von einem weiten Überblick dem Herodes immer näher an die gequälte Seele rückt, bis der Zuhörer sich nachgerade mit dessen Wahnsinn identifizieren muss.


    Ich möchte im Folgenden ein Portrait der einzelnen Abschnitte skizzieren und dabei auch eine Kurzcharakteristik der drei Aufnahmen geben, die mir heute, nachdem ich auch die Einspielungen von Dutoit und Herreweghe besser kennen gelernt habe, neben der von John Eliot Gardiner unter den mir bekannten die erstrebenswertesten zu sein scheinen, wobei ich die vorbildliche von Jean Martinon weitgehend außen vor lasse, weil sie mindestens derzeit nicht mehr greifbar ist.


    Herodes' Traum


    1. Prolog


    Zunächst gibt der Erzähler einen Eindruck von dem Hintergrund des Geschehens, für den sich Berlioz auf den Text des Matthäus-Evangeliums bezieht um aber gleich seine eigene Interpretation davon mitzuliefern. In meiner freien Übersetzung:


    "Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus geboren wurde.
    Noch kein Zeichen des Himmels hatte ihn bekannt gemacht.
    Doch schon zitterten die Mächtigen,
    Schon hofften die Schwachen,
    Alle Welt wartete...
    Nun vernehmt, Ihr Christen, welch grässliches Verbrechen
    in seiner Angst der König der Juden ersann,
    Und welch himmlischen Rat
    Der Herr den Eltern Jesu gab."


    Geschildert wird das in einer klaren, dennoch nur schwer greifbaren Melodie, die sich fast über den gesamten Text erstreckt. Trotz ihres archaischen Gestus klingt sie unverkennbar nach Berlioz und wäre gerade in den TROYENS, die in eine noch fernere Vergangenheit von gleich archaischer Strenge und abstrakter Schönheit weist, nicht verfehlt. Es ist bewundernswert, wieviel straffer und effektiver, und ohne dabei an Wirkung zu verlieren, Berlioz dieses Verfahren hier einsetzt, als noch in seiner dramatischen Symphonie über Romeo und Julia.


    Die drei Aufnahmen, die alle englischsprachige Erzähler aufweisen, geben sich da wenig nach. Am wenigsten gefällt mir noch Paul Agnew bei Herreweghe, weil er zu Beginn fast wie ein Altus klingt und - ganz im Gegensatz zu seiner bewundernswerten PLATÉE - hörbar mit dem Französischen zu kämpfen hat, zumal Herreweghe schon hier eine Dramatik herbei forciert, die dem Duktus der Musik zuwider läuft. Wie schon von Klawirr geschrieben, scheint auch mir die klare Stimme von John Mark Ainsley bei Dutoit dem Ideal, das für mich Alain Vanzo bei Martinon prägte, am nächsten, denn er singt perfekt ohne sich auf etwas anderes als die Musik zu verlassen. Stärkere gestalterische Aufgaben wird er später noch genug erhalten.


    (Fortsetzung folgt)


    :hello: Rideamus

  • Ja, das passende Thema zu Weihnachten! Ich schätze L'enfance du Christ auch sehr, habe allerdings nur eine Aufnahme. Die aber finde ich toll. Hier die Besetzung und ein paar Infos:


    Maria – Janet Baker
    Joseph – Thomas Allen
    Erzähler – Eric Tappy
    Herodes – Jules Bastin
    Hausherr – Joseph Rouleau
    Zenturio – Philip Langridge
    Polydorus – Raimund Herincx


    Flöten – Richard Taylor, Francis Nolan
    Harfe – Renata Scheffel-Stein


    Chor – John Alldis Choir
    Orchester – London Symphony Orchestra


    Gesamtleitung – Colin Davis


    Philips 5-LP-Kassette 6768002


    Wenn man etwas gegen die Einspielung einwenden will, dann vielleicht, dass Colin Davis (im Aufnahmejahr 1977 noch ohne "Sir") auf ein groß besetztes Orchester setzt. Er weiß diesen riesigen Orchesterklang des LSO sehr delikat zu formen, aber Abschnitte wie die Szene im Stall, wo die Musik ja doch bewusst "einfach" gehalten ist, die klängen mit einem Kammerorchester wohl überzeugender. Wobei ich gar nicht weiß, was Berlioz nun in der Partitur gefordert hat.


    Die Sänger der Aufnahme sind ausnahmslos großartig.


    Ich finde den Hinweis auf die "filmische" Werkanlage sehr interessant. So habe ich das nie betrachtet. Aber vor allem für den ersten Teil passt das gut. Da wird die Gefahr wird aufgebaut und über mehrere "Szenen" immer konkreter. Andererseits werden hier im ersten Teil eine ganze Reihe an Personen eingeführt, Herodes eingeschlossen, die während des Stücks dann aber nie wieder auftauchen. Das würde einem guten Drehbuchautoren vermutlich nicht passieren...


    Freundliche Grüße und schöne Feiertage


    Heinz

  • Zitat

    Original von heinz.gelking


    Die Sänger der Aufnahme sind ausnahmslos großartig.


    Ich finde den Hinweis auf die "filmische" Werkanlage sehr interessant. So habe ich das nie betrachtet. Aber vor allem für den ersten Teil passt das gut. Da wird die Gefahr wird aufgebaut und über mehrere "Szenen" immer konkreter. Andererseits werden hier im ersten Teil eine ganze Reihe an Personen eingeführt, Herodes eingeschlossen, die während des Stücks dann aber nie wieder auftauchen. Das würde einem guten Drehbuchautoren vermutlich nicht passieren...


    Nein, gegen Davis' Solisten - in seinen beiden Aufnahmen - ist wirklich nichts einzuwenden, aber leider einiges gegen seine Anlage des Werkes als großes Oratorium in der Art seiner "Grande Messe des morts", die m. E. so gar nicht zu diesem (nach dem ersten Teil) eher leisen Werk passt.


    Und zu dem Drehbuchautor: vergessen wir nicht, dass der eigentliche Held dieses "Drehbuches" Jesus ist, auch wenn er selbst noch nicht das Wort ergreifen kann. Er wird eben durch das charakterisiert, was er schon als Säugling bei anderen bewirkt, und sobald das ins Zentrum rückt, haben die entsprechenden Personen in "seinem" Stück ihre Existenzberechtigung verloren.


    Nun also zum eigentlichen Ersten Teil, in dem es richtig dramatisch wird und mehr als einmal die noch archaischere Welt der Trojaner anklingt. Wie schon gesagt, war Berlioz darauf besonders stolz. Er heißt HERODES' TRAUM und bringt ein weiteres Beispiel für Berlioz' filmische Technik der indirekten Einführung, diesmal die des Herodes. Es beginnt mit einer von Berlioz' typischen Monotonien, die er hier besonders brillant einsetzt um den stupiden Marsch der nächtlichen Wache zu charakterisieren. Polydorus, ein römischer Wachsoldat, und ein Centurio kommentieren - weitgehend im Secco-Rezitativ, das zwischen den größeren Orchesterteilen befremdend sachlich wirkt, die Last, einen vor Angst fast wahnsinnigen jüdischen König zu bewachen, der überall Verräter wittert und deshalb den verschiedensten Einflüsterungen erliegt. Immer wieder überrascht Berlioz damit, welche Stellen er zur Komposition auswählt, als ob er sch gelegentlich die Herausforderung gestellt hätte, gerade das Unerwartete zu komponieren.


    Hier hat Davis, der seine Trojaner aus dem "FF" kennt, seine stärksten Momente, während Gardiner, der eher auf die Einheitlichkeit des Ganzen achtet, fast etwas zu lyrisch daher kommt. Martinon dagegen beweist, dass man beides sehr wohl vereinbaren kann. Dann blendet die musikalische "Kamera" direkt auf den schlaflosen Herodes, der gerade aus seinem widerkehrenden Alptraum aufgeschreckt ist, wie die nunmehr höchst unruhige, wilde Orchestereinleitung deutlich macht. Wir treffen einen König am Rande des schlaflosen Wahnsinns, der vergeblich um einen Augenblick der inneren Ruhe fleht und das Leid der Könige beklagt:


    Oh Unglück der Könige.
    Regieren müssen und nicht leben können.
    Den Menschen die Gesetze geben zu müssen
    Und sich nur heimlich danach sehnen zu können,
    mit einer Ziegenherde durch die Felder zu streifen.


    Man kann wirklich Mitleid mit diesem armen Menschen bekommen, auch wenn er sich noch so sehr selbst belügt, und man spürt, dass Berlioz das genau so empfindet. Inniger kann ein Klagegesang am Rande der Verzweiflung nicht ausfallen. Auch wenn diese kurze, aber eindrucksvolle Arie des Herodes seinen späteren Entschluss nicht akzeptabler macht, er wird doch so verständlich wie irgend möglich. und das trotz der absurden Logik, die dahinter steckt. Herodes erkauft sich nämlich den Erhalt seiner Macht, die ihn doch so unglücklich macht, mit einem Massenmord. Eingegeben wird ihm dieser Entschluss durch eine Gruppe von Wahrsagern, die er nach der Relevanz seines wiederkehrenden Traumes befragt, in dem ihm eine tiefe Stimme verkündet, dass ein Kind geboren worden sei, das seiner Herrschaft ein Ende setzen werde. Sie raten ihm, alle Neugeborenen zu töten, und Herodes erlässt bekanntlich genau diesen schrecklichen Befehl, dessen Ausführung Berlioz sich verweigert, was bei diesem effektsicheren Komponisten etwas erstaunt. Um so beachtlicher seine Konzentration auf die Friedensbotschaft dieser Geschichte, von der Berlioz danach nicht mehr abweichen wird.


    Hier einen Sänger des Herodes vor den anderen hervor zu heben, fällt mir schwer. Es ist wirklich schade, dass die Aufnahme Jean Martinons nicht mehr verfügbar ist, denn Roger Soyer ist ein angenehm unpathetischer und dennoch berührender Herodes, der von Martinon optimal unterstützt wird. Müsste ich mich zwischen den übrigen entscheiden, würde die Wahl wohl auf Jose van Dam bei Gardiner oder Jules Bastin in Colin Davis' zweiter Aufnahme fallen, denn Laurent Naouri, sonst ein guter Stimmdarsteller, scheint von Herreweghes HIP-Ansatz etwas eingeengt worden zu sein.


    Die folgende Szene bringt eine der liebevollen Genreszenen, mit denen Berlioz immer wieder scheinbar zusammenhanglos aufwartet, und die den Dramatiker Berlioz so ungewöhnlich modern erscheinen lassen. Sie haben, gemessen an der Zeit, die sie in Anspruch nehmen, allenfalls marginal mit der Haupthandlung zu tun, die darüber manchmal fast zu kurz zu kommen scheint (dies aber nie wirklich tut), tragen aber ungeheuer viel dazu bei, diese auch emotional nachvollziehbar zu machen. Man denke an den Tanz der Irrlichter aus FAUSTS VERDAMMNIS, des REINE MAB-Scherzo aus ROMEO ET JULIETTE, das Lied des einsamen Ausgucks Hylas in den TROYENS oder das traumhaft schöne Notturno zweier Nebenfiguren in BÉATRICE ET BENEDICT.


    Hier fordert Maria ihren dazu noch gar nicht fähigen Jungen auf, den Lämmern, die sich um ihn drängen, frisches Gras zu geben. In der innigen Melodie dieser Aufforderung, die sich danach zu einem bezaubernden Duett mit Josef weiter entwickelt, das vorübergehend und völlig überraschend einen fast lautmalerischen, heiteren Ton anschlägt, der das Stolpern der Lämmer und die Unbeholfenheit des Babys schildert, stellt sich den Sängerinnen der Maria die erste Nagelprobe. Sie müssen nämlich aufpassen, die Darstellung nicht süßlich zu machen und dennoch ihrer schlichten Innigkeit gerecht zu werden. Nicht zuletzt wegen dieses Duetts liebe ich die Gardiner-Aufnahme mit der rollendeckenden Anne Sofie von Otter, die mich hier sogar noch vor den gleichfalls wunderbaren Susan Graham und Janet Baker bei Davis beeindruckt. Auch Veronique Gens singt das bei Herreweghe sehr schön, gestaltet für meinen Geschmack aber etwas zu opernhaft, während im totalen Gegensatz dazu Jane Berbie bei Martinon einfach nur farblos bleibt.


    Diese anrührende Genreszene sollte jedem vorhalten, der die dümmliche Behauptung wiederholt, Berlioz hätte keine Melodien schreiben können. Danach erscheinen, eingeleitet von einer typisch berliozschen Akkordfolge, die, bis hin zu dem überraschenden Erklingen von Orgeltönen, einer musikalischen Überblendung gleichkommt, die Engel und fordern Maria und Josef auf, sich unverzüglich auf die beschwerliche Flucht nach Ägypten zu machen und keine Spuren zu hinterlassen. Maria und Josef folgen fraglos und bitten nur um himmlischen Schutz. Mit einem Hosanna der Engel endet der erste Teil, der von Berlioz bewundernswert straff erzählt wird, bedenkt man die Vielzahl der ausführlichen und sehr liebevoll detaillierten, musikalischen Genrebilder, die dem folgen werden. Auch ihm war offensichtlich sehr daran gelegen, die einzelnen Teile dieses Tableaus nicht zu sehr auseinanderklaffen zu lassen.


    :hello: Rideamus

  • Die Flucht nach Ägypten


    Zu dem zweiten Teil des Werkes, die Keimzelle, deren Erfolg das Oratorium erst möglich machte, gibt es in der Bibel kaum eine Referenz. Kein Wunder also, dass Berlioz, wie schon zahllose Maler vor ihm, hier seiner Fantasie freien Lauf ließ. Er besteht aus drei Stücken. Gardiner sieht in der orchestralen Ouvertüre ein pastoral und unverkennbar französisches Stück, das in direkter Linie von Rameaus "Musettes en rondeau" abstamme und dennoch nie mit einem Barockstück verwechselt werden könne. Dennoch haben die Pariser Zeitgenossen mit dem nachfolgenden Chor, mit dem die Hirten die scheidende Familie verabschieden, genau das getan, denn dieser Chor, den Berlioz einst aus Langeweile notierte, war die Keimzelle des ganzen Werkes, die seinen Stil prägte.


    Zusammen mit der einleitenden und für die Proportionen des Werkes recht ausgedehnten, fugierten Ouvertüre und der nachfolgend von dem Erzähler geschilderten Rast der Familie in einer Oase, die mit ihrem ruhigen 6/8-Takt fast wie ein Wiegenlied wirkt, ist dieser sehr kurze, zentrale Block des Tableaus eines der friedlichsten, beseeltesten und dennoch völlig unkitschigen Musikstücke, die ich kenne, allenfalls noch erreicht von Faures Requiem, das eine ganz andere, aber ähnlich tröstende Aussage anstrebt. Bessere, schönere und zugleich weniger kitschige Weihnachtsmusik als diesen zentralen Teil von Berlioz' Oratorium kann ich mir nicht vorstellen.


    In ihr muss sich vor allem der Dirigent bewähren, denn es ist nicht leicht, dieses Tableau nicht ins statisch Getragene entgleiten zu lassen wie bei Davis. Sogar Gardiner macht das für meinen Geschmack etwas zu getragen, während Dutoit die Elemente, unterstützt von dem hier besten Erzähler hervorragend ausbalanciert und sehr zügig voran bringt ohne zu hetzen. Auch Herreweghes Tempi sind hier sehr angemessen. Allerdings stört mich immer wieder seine Herausstellung der Einzelinstrumente, die zuweilen sogar den Erzähler überstimmen. Von seinem Vortrag aber hängt der Erfolg dieses Stückes ganz wesentlich ab, in dem nichts anderes geschieht als dass sich die Heilige Familie in einer Oase ausruht, im Schatten dreier Palmen ihren Esel füttert und das Kind schläft, während die Engel ihm ein Halleluja singen. Sicherheitshalber sei aber betont: wirklich schlecht ist hier keine Aufnahme, und manches ist wohl auch Geschmacks oder sogar nur Gewohnheitssache.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Eine weitere Station aus Herodes' Leben kennen wir ja aus der SALOME, die hier überhaupt nichts zu suchen hat, und sein Ende als ein jämmerliches Bündel schwärender Verwesung hat bislang und mit gutem Grund noch niemand dramatisieren wollen.


    Cher Cousin,


    da in diesem Werk offensichtlich der biblische Herodes des betlehemitischen Kindermordes gemeint ist, handelt es sich hier um den mit der historisch nicht belegten Bluttat allgemein assoziierten Herodes den Großen.
    Man muss mit der verwirrenden herodianischen Dynastie etwas aufpassen, denn da gibt es gleich mehrere Rüpel.
    Der von Strauss vertonte Urteilsvollstrecker an Jochanaan wird gleichgesetzt mit Herodes des Großen Sohn aus vierter Ehe, Herodes Antipas (Name nicht biblisch, von späteren Redaktionen geändert).
    H. Antipas hatte den ganzen verkopften Ärger mit dem Täufer, weil dieser seine Ehe mit Herodias kritisierte.
    Die war nämlich vorher mit Herodes des Großen Sohn aus dritter Ehe, Herodes Boethos (oder auch H. Philippos) verheiratet. Dieser Verbindung entstammte denn auch Salome, nach Ehebruch und Neuverheiratung H. Antipas' Stieftochter und Ballettlehrerin.



    Gruß,



    audiamus

  • Audio!


    Vielen Dank, lieber Cousin, für diese notwendige Richtigstellung, die auch mein oberflächliches Wissen um biblische Zusammenhänge füglich entlarvt. Ich hatte mir zwar überlegt, ob die Chronologie stimmen könnte, kam aber nicht darauf, dass Jochanaan Jesus ja als Erwachsenen getauft haben soll, folglich also später dran war als der - wahrscheinlich von Gerüchten und am konkretesten von dem Evangelisten Matthäus, auf dessen Evangelium Berlioz' Text hauptsächlich fußt, verleumdete - "Kindsmörder" Herodes. Wäre Derartiges nämlich wirklich in dem von der Bibel suggerierten Ausmaß geschehen, die römischen Geschichtsbücher und mindestens der Chronist Josephus, der ansonsten viele Scheußlichkeiten aufgezeichnet hatte, die diesem Herodes zugeschrieben wurden, hätten wahrscheinlich mehr Notiz davon genommen. Auffällig ist ja auch, dass Herodes der Große bereits im Jahr 4 vor Christi Geburt gestorben ist, indem er buchstäblich bei lebendigem Leib verfault ein soll. Das ginge also auch nur, wenn Jesus tatsächlich im Jahr 7 oder 6 vor seiner kalendarischen Geburt, als nämlch tatsächlich die Volkszählung stattfand, auf die Lukas die Geburt Jesu datiert, zur Welt gekommen wäre.


    Wie auch immer: ich habe die inkriminierte Passage aus dem Text zur "Enfance" entfernt, wo sie ohnehin nur ein unnötiger Einschub in einem alles andere als historisch relevanten Text war. Es reicht, wenn Du den Teil dort zitierst, wo Du ihn korrigierst.


    Danke für Deine Wachsamkeit.


    :hello: Rideamus

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  • Die Ankunft in Sais


    Zum dritten Teil dieses Tableaus fehlt praktisch jeder Hinweis in der Bibel, auch bei Matthäus, der sich darauf beschränkt zu berichten, dass sich die Familie bis nach dem Tode des Herodes in Ägypten aufgehalten habe.


    Der Librettist und verfrühte Drehbuchschreiber Berlioz füllt diese Lücke mit einem Trick, den man nachgerade genial nennen muss: er baut ein Remake der Herbergssuche des Lukasevangeliums in seine ägyptische Geschichte ein. Kaum jemand hat sich deshalb an diesem Fortgang seiner Erzähung gestört, denn die Herbergssuche ist ein derart integraler Bestandteil des Allgemeinwissens um die Weihnachtsgeschichte, dass man sie nachgerade vermisst hätte, würde sie hier nicht vorkommen. Berlioz verlegt sie also - in Anbetracht der historischen Gegebenheiten sogar mit sehr realem Grund - auf die Ankunft der Familie im ägyptischen Sais.


    Vorher aber lässt er den Erzähler - erneut auf der Basis eines Themas, das er fugiert, was Berlioz in diesem Werk so häufig macht wie nirgendwo sonst - von den Mühen der Flucht berichten, die selbst den treuen Esel bereits Tage vor ihrer Ankunft das Leben gekostet hatten. Diese Erzählung leitet den zweiten hochdramatischen Teil des Werks ein, das durchaus seine symmetrischen Elemente hat.


    Zu Tode erschöpft, bitten Maria und Joseph die abweisenden Bürger der ägyptischen Stadt Sais um eine Herberge, werden aber überall abgewiesen. Diese flehentlichen Duette sind in ihrer intensiven Wiederholung des Dreiklangs über dem "O par pitie, secourez-nous / Oh habt Erbarmen, helft uns doch!" nicht nur melodisch so eindringlich wie wenig anderes in Berlioz emotional ohnehin schon sehr reichen Werk. Entsprechend schroff, und leider bis heute nur zu vertraut, wirkt die Zurückweisung des "Judenpacks" durch die Ägypter.


    Schließlich aber erbarmt sich doch ein Ismaelit, der aus dem heutigen Libanon nach Ägypten eingewandert war, des elenden Zustandes der Familie und weist seine Diener an, ihre Wunden zu pflegen und dem Kind ein weiches Lager zu bereiten. Nach einem Dialog, in dem sich die Gäste vorstellen und der Ismaelit der Familie versichert, dass sie bei ihm bleiben und "Jesus bei ihnen heranwachsen" sehen könne, geschieht etwas Erstaunliches. Drei Ismaeliten geben für Jesus ein pastorales Konzert für zwei Flöten und Harfe, das zu den bezauberndsten Kammermusikstücken gehört, die ich kenne, in seiner Länge aber völlig aus dem Rahmen fällt, jedoch ohne dass man sich ernsthaft daran stören kann, trägt es doch zu der friedlich - versöhnlichen Stimmung bei, welche die Essenz einer echten Weihnachtsgeschichte sein sollte. Proportionen waren für Berlioz eben auch hier eine Sache der dramatischen Vorgabe.


    Gerührt ob dieser unerwarteten Großzügigkeit, bricht Maria in Tränen aus, und es folgt ein Danksagungsterzett mit Chor von ergreifender Schlichtheit - oder so scheint es, wenn man sich nicht vor Augen führt, wie schwierig es ist, eine derart ausgreifende, großartige Melodie dermaßen "einfach" wirken zu lassen. Hier ist auch große Dirigier- und Gesangskunst gefragt, denn das Ganze verleitet zum Schleppen, wenn man ihm nicht die gebührende Feierlichkeit nehmen will. Erneut würde ich hier Dutoit knapp vor Gardiner und Martinon den Lorbeer zuerkennen.


    Danach schließt der Erzähler, wie schon zu Beginn, indem er wieder in die Totale wechselt und einen Ausblick gibt:


    Und so geschah es, dass der Erretter
    Durch einen Ungläubigen gerettet wurde.
    Zehn Jahre lang sahen Maria und Joseph,
    wie die unendliche Sanftheit, Zärtlichkeit
    und Weisheit des Kindes sich entwickelten,
    Bevor sie in ihre Heimat zurück kehrten...


    Jetzt hätte eigentlich alles seinen runden Abschluss gefunden, aber Berlioz fügt dem noch einen absoluten Höhepunkt in Form eines in mehrfacher Hinsicht wahrhaft himmlischen Schlusschores hinzu.

    Oh meine Seele, was bleibt Dir zu tun
    Außer Dich vor diesem großen Mysterium in Demut zu beugen?
    O mein Herz, ergib Dich dieser hehren, großen Liebe,
    Die uns allein die ewige Seligkeit erschließt.


    Dieser innige, im besten Sinne fromme A-cappella - Chor, dem sich auch der Erzähler anschließt, gehört mindestens zu den schwierigeren Aufgaben der Chorliteraur, denn neben perfektem Schöngesang ohne jegliche instrumentale Unterstützung wird hier auch eine differenzierte Lautstärke erwartet, die sehr schwer zu kontrollieren ist. Hier hat die Aufnahme Herreweghes ihre größte Stärke, aber auch die Chöre der anderen Einspielungen ziehen sich erheblich besser als nur mit Anstand aus der Affäre.


    Mit einem fast gehauchten, zweifachen Amen schließt Berlioz sein melodisch reichstes Stück ab.


    Ich hoffe, Ihr habt ebenso viel Freude daran, wie mir das mehrfache Durchhören dieser glorreichen Weihnachtsmusik gemacht hat.


    :hello: Rideamus

  • Nachdem wieder die Zeit heran rückt, in dem man wieder nach einem zur Saison passenden musikalischen Geschenk sucht, möchte ich einer Eingebung folgen, die mir anlässlich eines aktuellen Beitrags im Thread zu Berlioz' TROYENS kam und noch einmal auf dieses Stück und damit diesen Thread hinweisen, den ich dafür noch einmal durchgesehen und leicht aktualisiert habe. In aller Eitelkeit denke ich, dass es sich lohnt, das mal wieder nachzulesen und ggf.über den überfälligen Erwerb dieses Werkes nachzudenken, das in Kürze jedem Haushalt auf der Suche nach einer guten Weihnachtsmusik zustatten kommen wird.


    Die mehrfach angesprochene Aufnahme unter Jean Martinon habe ich zwischenzeitlich übrigens bei OperaShare gefunden. Wer also Verbindung zu einem Mitglied hat, der kann sich vielleicht die Links dazu geben lassen, die ich leider nicht veröffentlichen darf.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Hallo,


    das Werk "L'Enface du Christ" von BERLIOZ verdient wirklich mehr Beachtung.
    Ich habe das Werk vor einigen Jahren kennengelernt, als ich es im Chor unter der Leitung von R. Frühbeck de Burgos gesungen habe. Der Chor hat ja in diesem Werk nicht sehr viel zu singen, dennoch habe ich es bei den Konzerten sehr genossen, das ganze Werk mehrfach zu hören. Schon die Ouverture ist ein herrliches Meisterwerk! Übrigends ist der letzte Nummer (O mon ame) für den Chor "höllisch schwer", da er hier ohne Orchsterbegleitung in langen Linien singen muss, dabei die Intonation zu halten ist sehr anspruchsvoll.
    Einmal mit dem Werk in Kontakt gekommen folgte die weitere Beschäftigung via CD, deshalb kann ich hier die Aufnahme mit R. Norrington als sehr gelungen empfehlen.



    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Bei meinen Recherchen über den Dirigenten Hans Müller-Kray zu dessen 100. Geburtstag bin ich auf eine Aufnahme des „L’Enfance du Christ“ gestoßen bzw. wurde von einem befreundeten Sammler darauf aufmerksam gemacht. Das Besondere an dieser Aufnahme ist die Sprache: DEUTSCH! :untertauch:
    Als einer der letzten Verfechter der deutschen Sprache muss ich diese Einspielung natürlich hier vorstellen:


    „Des Heilands Kindheit“
    (L’Enfance du Christ)

    Bearbeitung: Peter Cornelius & Felix von Weingartner


    Maria – Hanni Mack-Cosack
    Joseph – Arthur Loosli
    Herodes – Otto von Rohr
    Polidor – August Messthaler
    Erzähler: Georg Jelden
    Centurio – Hans-Ulrich Mielsch
    Hausvater – Friedhelm Hessenbruch


    Südfunkchor Stuttgart
    Radio-Symphonie-Orchester Stuttgart
    Dirigent: Hans Müller-Kray
    Aufgenommen am 3. Januar 1961 in Stuttgart


    Eine wirklich interessante Einspielung!


    LG


    :hello:



    (herzlichen Dank an M.K. für die Überlassung der Aufnahme!)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Seit fast zehn Jahren liegt dieses Thema brach! Harald ist tot. Den kann ich nicht mehr um diese deutsch gesungene Aufnahme in der Bearbeitung und Übersetzung von Peter Cornelius und Felix von Weingartner bitten. Und bei dem Sammler, auf den er sich am Schluss bezieht, handelt es sich offenkundig um jemanden, dessen Tod mir erst dieser Tage bekannt wurde. Wer weiß, was mit mit seinen gewaltigen Beständen geschieht.


    Kennt jemand diese Einspielung unter der Leitung von Hans Müller-Kray?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Inzwischen ist die Rundfunkproduktion von "Des Heilands Kindheit" (L'Enfance du Christ") in deutscher Sprache, auf die noch Harald Kral aufmerksam machte, auch zu meiner Verfügung. Die Übersetzung stammt von Peter Cornelius, mit dessen Liedern sich Helmut Hofmann beschäftigt. Sie ist in diesen Klavierauszug eingetragen:



    Cornelius hat sich sehr verdient gemacht um Berlioz und übersetzte auch andere Werke ins Deutsche. Beide kannten sich aus Weimar. Diese Arbeiten sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Der einstige Südfunk Stuttgart und namentlich der dort wirkende Dirigent Hans Müller-Kray hatten versucht, auf dieser Grundlage zentrale Vokalwerke von Berlioz schon in den fünfziger und sechziger Jahren in Deutschland bekannt zu machen. Die Renaissance setzt aber erst sehr viel später ein - und dann gleich in der Originalsprache. Gerade bei einem so wortreichen und komplizierten Stück wie des "Heilands Kindheit" kann es für Menschen, die des Französischen nicht perfekt mächtig sind, nicht verkehrt sein, eine deutsche Fassung auf sich wirken zu lassen. Cornelius hat sehr poetisch gearbeitet. Die Aufnahme aus Stuttgart ist betörend schön, sinnlich und zu Herzen gehend. Über Weihnachten habe ich sie wieder mit großem Gewinn gehört. Sie wird vornehmlich durch den Erzähler Georg Jelden geprägt, den ich auch bei Bach oder den Liedern von Schubert sehr schätze.


    Schließlich war ich wieder erstaunt, was es doch im Laufe der Jahre für gute Beträge gegeben hat im Forum, die allerdings in dessen Tiefen versunken sind. Wir sollten sie hin und wieder heben.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger......


    Zitat von Rheingold1876

    Gerade bei einem so wortreichen und komplizierten Stück wie des "Heilands Kindheit" kann es für Menschen, die des Französischen nicht perfekt mächtig sind, nicht verkehrt sein, eine deutsche Fassung auf sich wirken zu lassen.

    .....das zündet allerdings nicht bei mir, ich kann und will mich nicht mehr mit Übersetzungen abgeben das bringt mir nichts. Auch wenn ich ebenfalls nicht viel franz.verstehe, es gibt doch HEUTE wunderbare Übersetzungen die man nachlesen kann, für mich blieb/bleibt bei diesen Übersetzungen immer ein fahler Beigeschmack zurück.

    Wenn ein Werk in der Sprache komponiert in der es auch geschrieben wurde ist das für mich unabänderlich und die Musik passt nur so zum Text.

    Aber zu dem Werk kann ich nur sagen, ich liebe es wie alle Kinder des von mir außerordentlich geliebten Berlioz.


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)