Wie versprochen, möchte ich nunmehr mit dem hier überfälligen Thread über einen der faszinierendsten und dennoch höchstens mit ein, zwei Werken breiter bekannten Komponisten beginnen. Nicht unähnlich dem vor ihm geborenen Edouard Lalo, bildet Chabrier eine Brücke von Wagner, dessen Werk ihn stets faszinierte, jedoch nur wenige seiner eigenen Werke erkennbar prägte, zu Debussy, dem er mit seiner starken Affinität zum Impressionismus den Weg ebnete. Er war mit den meisten der großen französischen Künstlern seiner Zeit befreundet, darunter Baudelaire und vor allem Paul Verlaine, der ihm zwei Operettenlibretti schrieb, die Chabrier jedoch nur unvollständig vertonen konnte, und mehreren großen Malern, darunter Edouard Manet, der sogar das bekannteste Portrait von ihm malte.
Chabrier, der zwar auch eine formelle Musikausbildung erhielt, das meiste (auch Klavierspielen) jedoch von seiner sehr musikalischen Mutter lernte und als Autodidakt weiter entwickelte, studierte getreu der Familientradition Jura und verdiente, nicht unähnlich dem gut 30 Jahre jüngeren und in seiner Musik noch radikaleren Versicherungsmakler Charles Ives, lange Zeit sein Geld als Anwalt und Angestellter der französischen Regierung, bis er diese Stellung nach 20 Jahren aufgab um sich ganz der Musik zu widmen. Dies ermöglichte es ihm, trotz beständig mangelnden Erfolges mit großer Könnerschaft und eigensinniger Originalität seinen eigenen Weg zu verfolgen. Noch Gustav Mahler erkannte in seinem populärsten Werk, der Rhapsodie ESPANA "die Wurzel aller modernen Musik", und Maurice Ravel bekannte, von keinem anderen Komponisten so sehr beeinflusst worden zu sein wie von Chabrier.
Ist Chabrier deshalb ein früher "Neutöner"? Mitnichten. Er entzog sich lediglich allen gängigen Konventionen zugunsten eines virtuosen Einsatzes der Klangfarben, mit denen er ähnlich umging wie seine malenden Freunde mit den richtigen. Das wurde auch von den meisten seiner komponierenden Zeitgenossen neidlos anerkannt. Sie konnten es sich leisten, weil sie bei diesem heiteren musikalischen van Gogh nie in Gefahr waren, nach den Maßstäben des Publikumserfolges von ihm überschattet zu werden. Anders als die impressionistischen Maler, ist aber der Klangimpressionist Chabrier bis heute unpopulär geblieben und steht tief im Schatten seines - eigentlich viel "schwierigeren" - Nachfolgers Debussy, der jedem sofort einfällt, wenn von musikalischem Impressionismus die Rede ist.
Vermutlich hätte sich das auch nicht geändert, wenn seine letzten Jahre nicht durch eine fortschreitende Lähmung, die ihm große Schmerzen bereitete und, bereits drei Jahre vor seinem frühen Tod in einer Heilanstalt, die Vollendung seiner letzten Oper BRISEIS verhinderte. Dennoch gibt es wenige Komponisten, die - nicht nur in Anbetracht seiner Lebensumstände - das Prädikat eines fröhlichen "Optimisten" so uneingeschränkt verdient hätten wie er, und wie es seine Werke bis heute glücklicherweise zum Ausdruck bringen, ohne das man ihnen jemals den Vorwurf der populistischen Plattheit machen könnte.
Ich beginne nicht ganz chronologisch mit seinen nichtdramatischen Werken für Orchester, von denen einige, etwa der JOYEUSE MARCHE, von ihm selbst orchestrierte Klavierkompositionen sind. Sein gesamtes Oeuvre in dem Bereich passt, einschließlich diverser Auszüge aus seinen Opern, gerade mal auf zwei cd, die von Michel Plasson und dem Orchestre du Capitole de Toulouse vorbildlich eingespielt wurden:
Noch besser und mit allen Höhepunkten von Chabriers orchestralem Schaffen bestückt ist diese Aufnahme von John Eliot Gardiner und den Wiener Philharmonikern:
Wer also nicht so viel Wert auf Vollständigkeit legt, ist damit bestens bedient, geht allerdings das nicht unerhebliche Risiko ein, dass er irgendwann auf die fehlenden Werke hören möchte, die es kaum sonst gibt.
Soviel für's Erste. Bevor ich dann auf die Werke selbst eingehe, darunter natürlich seine großartigen Operetten und Opern, würde mich aber interessieren, was Ihr von Chabrier kennt (auch an Aufnahmen) und wie Ihr zu ihm steht.
Bis demnächst also in diesem Thread
Rideamus