Il Conte d'Almaviva - nie restlos überzeugend gesungen?

  • Liebe Taminos,


    in letzter Zeit treibt mich die Figur des Grafen Almaviva um, die ich noch nie wirklich begeisternd gesungen gehört habe. Im Nozze-Thread haben wir das Thema schon kurz verhandelt, aber auch die dortigen Tipps haben mich eher enttäuscht (Raimondi, Brownlee, Krause). Darüber hinaus habe ich gestöbert und folgende Versionen gehört (häufig nur die Rache-Arie): Urbano, Pasero, Fischer-Dieskau, Prey, Hynninen, London, Schöffler, Keenlyside, Quasthoff, Skovhus, Gambill, Trekel, Allen (ich hoffe, das sind alle). Insgesamt am meisten überzeugt hat mich Hynninen, auch wenn Brownlee von der Stimmcharakteristik mE am besten paßt. In meiner Aufnahme unter Panizza leistet er sich allerdings grobe Schnitzer. Insbesondere die Koloraturen am Schluß der Arie "Vedro mentr'io sospiro" meistert niemand wirklich überzeugend (Raimondi, Urbano, Allen und Brownlee versuchen sie immerhin, FiDi und Prey scheitern kläglich, Keenlyside hat mich positiv überrascht, Hynninen singt am "sängerischsten").


    Wer kann mir da weiterhelfen. Welche Referenzaufnahmen existieren noch, die ich verpaßt habe? Hinweise nimmt Ihr Inquisitor gern entgegen.


    LG,
    Christian

  • Hallo,


    schon Håkan Hagegård oder Ingvar Wixell getestet?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!


    Mich überzeugt DiFiDi am meisten, da seine Stimme, so finde ich, etwas herrisches und auch verlogen lüsternes hat. Seine Darstellung im Ponnelle-Film (vor allem da) fand ich großartig. Er WAR der Graf.


    Prey fand ich immer zu nett, seine Stimme war zu warmherzig um wirklich ein richtiges A****loch zu sein, denn nichts anderes ist der Graf. Bei der Suitner-Aufnahme von 1966 habe ich beinahe Mitleid mit ihm, was mir sonst beim Grafen nie passiert.


    Die Partie des Grafen besteht nicht nur aus der Arie im 3.Akt, ich finde, du bewertest diese Arie etwas über. Klar ist sie das Paradestück des Grafen, aber aus ihr eine allgemeine Wertung zu erstellen, halte ich für stark verfälschend.


    Wenn Prey diese Arie singt, kratzt sie mich nicht, was nichts daran ändert, dass Prey ein hervorragender Graf war.


    Schöffler in der Böhm-Aufnahme will ich nicht bewerten, da mir Schöfflers Timbre, seine Art zu singen absolut nicht zusagen. Wenn ich hier urteilen würde, täte ich ihm sicherlich unrecht.[Die Kritik wäre vernichtend]


    Trekel (Berlin 2002) spielt die Arie überdramatisch, singt sie aber solide, doch nichts einzigartiges ist dabei.


    Claesens hat mir gut gefallen, wenn auch zu wenig lüstern.


    Die de-Billy-Aufnahme ist mein absoluter Geheimtipp. Eine perfekt ausgewogene Aufnahme, die als ganzes besticht. Ein Urteil über den Grafen traue ich mich jetzt nicht abzugeben.


    Keenlyside mag ich weniger, komme mit seinem Timbre nicht klar.


    Hampson ist ein ausgezeichneter Graf, der die Arie wundervoll singt und die Koloraturen, soweit ich mich erinnere, meistert.



    Das sind die Aufnahmen, die mir am besten im Gedächtnis geblieben sind. Fischer-Dieskau ist mein absoluter Favorit, Hampson und Prey knapp dahinter.


    Mit Schöffler, Trekel und Keenlyside kann ich wenig anfangen.


    LG joschi


    PS: Hier die CD-Aufnahmen, auf die ich mich beziehe:
    Sigismund Kuijken La Petite Bande Choeur de Chambre de Namur
    Huub Claessens, Patrizia Biccire, Werner van Mechelen, Christiane Oelze, Monica Groop, Beatrix Cramoix, Harry van der Kamp, Yves Saelens, Philip Defranq



    Otmar Suitner Staatskapelle Dresden Chor der Staatsoper Dresden
    Hermann Prey, Hilde Güden, Anneliese Rothenberger, Walter Berry, Edith Mathis, Annelies Burmeister, Fritz Ollendorff, Peter Schreier, Jürgen Förster, Siegfried Vogel, Rosemarie Rönisch, Hermi Ambros, Frederike Apelt
    Karl Böhm Wiener Philharmoniker Chor der Wiener Staatsoper
    Walter Berry, Paul Schöffler, Sena Jurinac, Rita Streich, Ira Malaniuk, Christa Ludwig, Erich Majkut, Murray Dickie, Oskar Czerenka, Karl Dönch, Rosl Schwaiger

    Bertrand de Billy Wiener RSO Orchester Chorus sine nomine
    Jochen Schmeckenbecker, Regina Schörg, Birgid Steinberger, Kwangchoul Youn, Ruxandra Donose, Heidi Brunner, Jeffrey Francis, Maurizio Mauraro, Boaz Daniel, Dietmar Kerschbaum, Ileana Tonca

    Rene Jacobs Concerto Köln Collegium Vocale Gent
    Simon Keenlyside, Veronique Gens, Patrizia Ciofi, Lorenzo Regazzo, Angelika Kirschschlager, Marie McLaughlin, Kobie van Rensburg, Antonio Abete, Nuria Rial



    James Levine The Metropolitan Opera Orchestra The Metropolitan Opera Chorus Thomas Hampson, Kiri Te Kanawa, Dawn Upshaw, Ferruccio Furlanetto, Anne Sofie von Otter, Tatiana Troyanos, Paul Plushka, Anthony Laciura, Michael Forest, Renato Capecchi, Heidi Grant, Joyce Guyer, Stella Zambalsi

  • Il Conte Almaviva ist für mich (sehr subjektie Aussage !) weniger von Mozart als von Rossini in Note gesetzt worden. Und da ist langjährig gesehen (nicht aktuelle Sänger, die ihre Dauerhaftigkeit erst unter Beweis stellen müssen) der (zumindest annähernd) ideale Interpret Luigi Alva.


    Michael 2

  • Hallo Brunello!


    Die Almavivas von Mozart und den von Rossini (und auch Paisiello), den wir nicht vergessen sollten, kann man kaum miteinander vergleichen.


    Der "Barbier"-Almaviva ist ein jugendlicher, lebenslustiger und auch abenteuerlustiger Mann.


    Der "Figaro"-Almaviva ist ein Herr mittleren Alters, der zwar immer noch abenteuerlustig ist, aber diesmal eher amourösen Abenteuern zuneigt, der aber doch nicht mehr so unbeschwert in den Tag hineinleben kann, wie noch einige Jahre zuvor in der "Barbier"-Geschichte. Er wirkt etwas frustriert und die Eheprobleme belasten ihn sicherlich auch (ein wenig), da er ja seine Frau immer noch liebt, denn sonst würde er nie um "Perdono" bitten.


    Beide Almaviva-Charakteristika haben etwas reizvolles und anziehendes. Rossinis und Paisiellos Almaviva liegt mir mehr, da er eben Leichtigkeit und Spontaneität haben muss, die [Spontaneität] bei einem Mozart-Almaviva eben fehlen muss, da er genau überlegen muss, was als nächstes zu tun ist, wenn er nicht in dem Geflecht von Intrigen der Verlierer sein will.


    Das sollen die Sänger auch rüberbringen.
    Alva gab den Almaviva zwar häufig, aber ideal ist er sicherlich nicht dafür, da die Koloraturen in seinen Aufnahmen (3 kenne ich) immer gleich klingen und daher nichts von Spontaneität haben. Der "Affetto", den Rossini immer als sehr wichtig erachtete, wird damit außer Acht gelassen.
    Ich mag Alva nicht, da er nicht immer sauber singt, und manchmal (ich erwähnte es schon im de Lucia-Thread) heult wie ein einsamer, deprimierter Wolf. Als das krasse Gegenteil von einem lebenslustigen Grafen.


    Du hast aber vollkommen recht, dass sich aktuelle Sänger erst in dieser Rolle beweisen müssen und alleine, dass Alva lange Zeit ein sehr gefragter Almaviva war, zeigt dass er die Rolle doch einigermaßen gut gab. Aber er ist, meines Erachtens nach, weit weg von einem annähernd idealen Grafen.


    :hello:
    LG joschi

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  • Wixell habe ich wohl bislang übersehen, obwohl ich ihn sehr schätze; werde ich mal "probieren"; HH kenne ich nicht einmal, wieder eine Bildungslücke.


    Hampson habe ich aber entgegen meinem Ur-Post gehört und fand ihn wenig geeignet, eben alle Anforderungen gut zu bestreiten (Koloratur!). Sängerisch gesehen, ist die große Arie eben doch der zentrale Parameter für die Bewertung des Grafen. Das gestische Singen, das von ihm in den anderen Szenen verlangt wird, ist natürlich ebenso wichtig, aber Geschmackssache. Da gefällt mir etwa George London gut, wohingegen er in der Arie enttäuscht.


    Da mein ursprünglicher Ansatz ja auch war, einen Grafen zu finden, der alle Anforderungen überzeugend oder gar begeisternd erfüllt hat, bestehe ich auch auf hervorragender Meisterung der diffizilen Rache-Arie.


    FiDi und Prey kratzen mich da schon in ihrer gestolperten Interpretation und ihrer sängerischen Überforderung.


    LG,


    Christian

  • Hallo Christian!


    Die gestolperte Interpretation im Allgemeinen oder in der Rache-Arie?


    Sängerisch überfordert-dem kann ich nicht zustimmen, da DiFiDi und Prey andere, weitaus schwierigere Partien wunderbar gemeinstert haben. DiFiDi ist meiner Meinung nach der, der die Rolle am besten darstellt, sei es schauspielerisch aber auch gesanglich. Die Grafen-Darstellung Ponelle-Film, den ich als Paradebeispiel heranziehen möchte, ist einfach perfekt angelegt. Die Arie extrem herrisch und agressiv, andererseits, das Duett Graf-Susanna wunderbar (geheuchelt) einfühlsam und verliebt.
    DiFiDi ist in der Lage den Grafen mit all seinen Empfindungen und Gefühlsregungen annähernd perfekt (glaubwürdig) zu gestalten.


    LG joschi

  • Lieber Christian,


    Da sieht man wieder, daß der Geschmack sehr individuell ist.
    Denn ich bin völlig mit Joschi einverstanden. Ich gehe sogar weiter: vielleicht ist gerade diese Almaviva-Rolle FiDis größte Operleistung.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitor
    Wixell habe ich wohl bislang übersehen, obwohl ich ihn sehr schätze; werde ich mal "probieren"; HH kenne ich nicht einmal, wieder eine Bildungslücke.


    Ich müßte beide in der Tat auch nochmals "vergleichshören" [eine Untätigkeit, die ich hasse!], um eine Aussage machen zu können.


    Wixell ist hier zu finden:



    und Hagegård singt bei Östman mit [ich glaube, der hat mir imponiert]. JPC führt die Einspielung bedauerlicher Weise nicht. Der Östman-Figaro ist bombastisch... wie der amazon-Preis:



    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Fi-Di habe ich in der Partie erlebt :jubel: :jubel:
    Er brachte die innere Zerrissenheit zwischen gezwungener Etikette und Standesgebahren gegenüber dem weiblichen Geschlecht voll zur Geltung.
    Mein absoluter Favorit in dieser Partie: John Brownlee.


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

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  • Zuerst eine kleine Rüge: Der Titel ist unklar


    Ich weiß nicht warum - aber ich dachte automatisch immaer an Rossinis Conte Almaviva.
    Vielleicht deshalb weil ich mein Lieblingwerk, den "Barbiere" noch nie hundertprozentig interpretiert gesehen habe, Mozarts "Figaro" hingegen schon. Das liegt wahrscheinlich nicht an Werk und Interpret, sondern an mir persönlich, bzw an der Irrealität des Wunsches - manche Werke lassen sich PRINZIPIELL nur näherungsweise ideal realisieren.


    Aber an sich möchte ich Fischer Dieskaus Grafen schon als hervorragend bezeichnen - insbesondere, nachdem ich ihn auf Video gesehen habe.
    Er stellt den Grafen als Pharisäer dar, selbstgefällig und siegesgewiss, dabei scheinheilig und vordergründig tolerant. Er hat SCHEINBAR noch alle Fäden in der Hand - und glaubt das bis zuletzt selbst, wobei man ihn lange Zeit weitgehend in diesem Glauben lässt.


    Stimmlich kann ich FIDI nicht beurteilen - ich mag seine Stimme über alles.


    Das ist EINE Möglichkeit diese Rolle anzulegen, eine andere sah ich in der Pariser Inszenierung vor einigen Jahren als Fernsehübertragung, wo der Graf eigentlich ein hilfloser Tölpel war, der in jede Falle seiner Frau und seiner Bediensteten tappte und nur mit Mühe die vordergründige gräfliche Autorität wahren konnte, euphemistisch gesprochen. Ich habe den Sänger namentlich nicht in Erinnerung - er ist jedochsoweit mir erinnerlich nicht mit jenem auf der zeitnah gemachten CD unter ebenfalls Rene Jacobs identisch, die Darstellung jedoch hat mich beeindruckt


    Generell kann aber gesagt werden, daß in der Pariser Inzenierung mehr das eigentliche Schauspiel von Beaumarchais zum Zuge kam, als die "große Oper" was die Schwierigkeit einer sachlichen Beurteilung erschwert.


    Was hiesse denn: "Restlos überzeugend gesungen "????


    Optimales stimmliches Auskosten der Arien (wie einst gefordert) oder optimale Darstellung der Rolle - Es handelt sich hier um Parameter die IMO einander ausschließen.




    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ich finde Tom Krause unter Karajan (1978) nicht übel.
    Die Aufnahme mit Fischer-Dieskau kenne ich bisher leider nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Alfred,


    ich hätte den Werkbezug tatsächlich präziser formulieren sollen, sorry.


    Mit "gesungen" war jedoch genau das gemeint, was es wörtlich aussagt: ungeachtet der darstellerisch womöglich überzeugenden Rollenanlage (derer auch ich einige kenne) die gesangliche Bewältigung der Partie. Hier krankt es bei so gut wie allen Interpreten an der Umsetzung des Koloraturschlusses der Arie "Vedro ..." Wenn etwa eine Sopranistin in der Konstanze-Arie schlecht aussieht, so wird ihr dies angekreidet und ihre Rollendarstellung verworfen, bei Baritonen scheint die Problematik anders gelagert.


    Meine Einschätzung ist genau die andere: Während einige Rossini-Almavivas existieren, die sängerisch gelungen wirken (F. de Lucia, E. Clément, jetzt etwa Lawrence Brownlee), kenne ich noch keinen stimmlich ganz geglückten Mozart-Conte.


    Ich habe meine Reihe mittlerweile um Hotter (unter Krauss, ist mit den schnellen Läufen überfordert), Valdengo (unter Reiner, interessant bis zum heiklen Schluß, da schlampig), Henderson (da ist die Fioritura ziemlich gut gemeistert, dafür ist vor allem die Diktion eine Katastrophe), Wixell (unter Davis, leider blaß und ungenau) und Hampson im Recital unter Harnoncourt (mit unsäglich eigenen (?) Kadenzen) erweitert. Referenz war beim Querhören nur die große Arie. Bleibt nur noch weitere Suche!


    LG,


    Christian