Sir Thomas BEECHAM - Genialer Autodidakt

  • Liebe Taminoianer,


    Ich wurde erst vor einigen Jahren, anlässichlich eines Artikels in der englischen Klassik-Zeitschrieft "Grammophone" auf ihn wirklich bewusst aufmerksam. "Warum", dachte ich in meiner Jugend, "soll ich mir den Mozart eines Engländers anhören", wenn wir doch Karl Böhm, Josef Krips und Bruno Walter haben. Welche krasse Fehleinschätzung das war, bemerkte ich, sobald ich die ersen Takte seiner "Jupitersinfonie" gehört habe. Um es gleich vorweg zu sagen: Beecham spielt weder einen spritzig-aggressiven, noch einen leicht federnden Mozart, sondern einen eher romantischen, das aber sehr überzeugend.



    Beecham wäre meiner Meinung nach wesentlich bekannter, hätte er später gelebt, denn nur wenige seiner Einspielungen sind in Stereo erhältlich.


    Der 1879 geborene Beecham war Autodidakt, war seine Feinde immer wieder ins Feld zu führen wussten. Er selbst war aber gegen Anfeindungen dieser Art bestens gewappnet: Seine Familie gab iihm Reichtum auf den Weg und Gott eine überaus spitze Zunge, die so sagt man, sogar meine übertroffen haben soll (Diese Leute kennen mich nicht wirklich :D ) So war er frei von allen Imponderabilitäten des normalen Orchesterbetriebs, er gründete sich seine Orchester selbst und formte sie nach seinem Willen, das erste bereits 1899. 1906 folgte die Gründung des New Symphony Orchestra, 1909 das Beecham Symphony Orchestra,, später das London Symphony Orchestra, dann wieder 1946 das Royal Philharmonic Orchestra. Dazwischen nannte er noch eine eigene Operntruppe sein eigen.
    Er setzte sich für Mozart ein, dessen Opern er jedoch teilweise "umarrangierte" um sie "logischer " zu machen und ergänzte die letzten Takte der Jupitersinfonie um Bläserstimmen, des Effekte wegen (Auf CD dookumentiert) Was heute als Sakrileg anmutet war in vergangenen Jahrzehnten gang und gäbe. Man war der Meinung, diese "Verbesserungen" den alten Meistern quasi schuldig zu sein, sie wieder "anhörbar" zu machen , ähnlich wie man heute Opern "modern" inszeniert. Beechem war mir dem Komponisten Delius befreundet und versuchte dessen Werke bekannt zu machen.


    Bei uns ist Beecham ein Name, den man kennt, in England geniesst er noch heute einen legendären Ruf und ist sakrosankt.


    Seine Zauberflöte aus dem Jahre 1937/38 wurde bereits in zwei Threads dieses Forums "rezensiert", nämlich bei den Referenzaufnahmen der Zauberflöte und im Schellackbereich der Opernthread.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    .....und Gott eine überaus spitze Zunge, die so sagt man, sogar meine übertroffen haben soll (Diese Leute kennen mich nicht wirklich :D )


    Ich bin gespannt ob Du tatsächlich "zungenspitzenäßig" posthum an Beecham hernareichen wirst. Beechams Zitate und Ankedoten sind beispielsweise seit über 25 Jahren als Buchform erhältlich (es gab erweiterte Neuauflagen). Ich bin sicher, es finden sich hier einige Taminoianer, die sich schon ans "Sammeln" und editieren gemacht haben oder dazu bereit wären. :)


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Beechem war mir dem Komponisten Delius befreundet und versuchte dessen Werke bekannt zu machen.


    Schade das Du das nur in einem Satz abahndelst, da gäbe es bestimmt mehr zu sagen. Kennt jemand Beechams Delius-Aufnahmen?


    In Sachen Oper gelten (auch vom Gesangsaspekt) folgende Aufnahmen Beechams auch heute noch bei vielen als "Referenz":


    Bizet: Carmen (de los Angeles, Gedda, Micheau, Blanc) EMI 1958/9
    Puccini: La Bohème (de los Angeles, Björling, Amara, Merrill, Reardon, Tozzi) EMI 1956


    Gruß
    Karsten

  • Hallo Karsten,
    ich habe die Aufnahme diverser Orchesterwerke Delius' aus der EMI-Reihe "Great recordings of the century" und kann sie nur wärmstens empfehlen - gehört zu meinen Lieblings-CDs aus dieser Reihe. Auch die Klangqualität ist überraschend gut!
    Gruß
    Achim

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Hallo Allseits


    Schade, daß das Thema so langsam anläuft. Beecham ist einer meiner Lieblingsdirigenten.

    Vor allem Schuberts 3. Sinfonie auf dieser Platte finde ich äusserst empfehlenswert und zeitlos gelungen. Beechams Phrasierungskunst ist wirklich "grotesk elegant" wie hier im Booklet zu lesen ist.
    Ich werde in den nächsten Tagen immer wieder mal einige Aufnahmen beechams hier würdigen. Seine Carmen und La Boheme werde ich allerdings nicht erneut hören - diese Aufnahmen gelten allgemein bekannt als Meisterwerke der Operneinspielung und ihr Ruhm bedarf keiner witeren Mehrung. Wer seine La Boheme allerdings noch nicht kennt hat was verpasst. (Beide bei EMI)
    Den Livemitschnitt des tristan aus london habe ich allerdings noch nicht. Kann sich aber nur noch um wenige Monate handeln, bei diesem mißstand.
    Gruß, markus

  • Hallo Alfred,


    neben vielen hier schon erwähnten Aufzeichnungen (Schubert, Mozart, Bizet, Puccini) sollte wohl auch erwähnt werden, dass er ein (für mich) hervorragender Dirigent der Musik Berlioz' gewesen ist. Unter anderem hat er eine schöne Sinfonie Fantatstique hinterlassen.



    Ausserdem ist mir noch das Brahms-Violinkonzert mit I. Stern bekannt, länger nicht gehört, das ich aber damals als durchaus schwungvoll in Erinnerung habe.


    Gruß
    Uwe

  • So, dann machen wir mal weiter hier, das Thema Beecham ist für mich noch lange nicht erschöpft.



    Haydn, Sinfonien 99 - 104, Royal Philharmonic, 1958/59


    Als ich die Doppel-CD vor wenigen Wochen kaufte, war meine Erwartung, daß Beecham sofort mein Haydn-Favorit wird. Die Erwartung wurde leider nicht erfüllt. Meine anderen beiden Zyklen der Londoner Sinfonien sind Bernstein (New York) und Harnoncourt (Amsterdam). Obwohl ich diese beiden anderen Zyklen nicht uneingeschränkt mag, kann sie Beecham nicht verdrängen, aber er gesellt sich gleichberechtigt zu ihnen. Lichtjahre besser als Karajans Digitalzyklus sind sie alle drei. (wobei ich unlängst Karajans 104te bei Decca mit den Wienern sehr lobte, diese Aufnahme aus 1959 hat das Lob auch verdient)
    Nun, man müsste sich jeden Satz einzeln besprechen. Manchmal kommt mir Beecham etwas zu behäbig. Beim Hören der Aufnahmen "kam in mir weniger Freude" auf, als ich das von anderen Beecham-Aufnahmen gewöhnt bin.
    In so einer Zehn-CD-Kiste habe ich noch Haydnsinfonien mit Beecham, die ca. 20 Jahre älter sind, die klingen viel typischer nach Beecham, elastisch etc. Leider mag ich CDs aus Billigkisten aus Prinzip nicht gerne hören, da meist schlechter als nötig "remastered". Dennoch sind diese Kisten, vor allem was Furtwängler betrifft für mich Pflicht. (Ihr kennt diese "Maestro blablablaoso"-Kisten)
    wundern tut mich nur, daß bei Sony auch Haydnsinfonien mit Beecham und Londoner Orchester angeboten werden. wie ist denn das zu erklären?
    Gruß, Markus

  • Zitat

    wundern tut mich nur, daß bei Sony auch Haydnsinfonien mit Beecham und Londoner Orchester angeboten werden. wie ist denn das zu erklären?


    Um es GENAU zu erklären müsste ich recherchieren.


    IN ETWA Kann ich es Dir auswendig sagen.


    EMI vertrieb noch in den 60er Jahren seine Schallplatten unter den Labeln ELECTROLA bzw COLUMBIA, es handelte sich also um die Deutsche Columbia -
    Die Vorgängerfirma von Sony (Sony hat übrigens Mit BMG fusioniert und entlässt massenhaft Leute !!) war CBS was die Abkürzung für:
    COLUMBIA Broadcasting Systems war......


    Alles in allem sollten wir nicht vergessen, daß sich die meisten Schallplattenfilmen aus einer entwickelt haben, viele Trennungen kamen durch die beiden Weltkriege zustanden, wo Filialen von Grammophongesellschaften (Grammophon war ursprünglich ein Markennahmen kein Gattungsbegriff) als Feindesgut konfisziert wurden....etc etc...


    Freundliche Grüße aus Wien


    und Gute Nacht


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sir Thomas Beecham (* 29. April 1879 in St Helens, damals Lancashire; † 8. März 1961 in London) war ein britischer Dirigent, der mehrere britische Symphonieorchester gründete.



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Wer mehr über Sir Thomas wissen möchte, dem kann ich diese Biographie empfehlen, leider bisher nicht übersetzt (und sehr zweifelhaft, ob es jemals dazu kommt :( ).


  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Bleiben wir am Ball: Das Ex-Mitglied Karsten schrieb in Beitrag 2 als Replik auf meine Erwähnung bezüglich der Freundschaft Beecham <->Delius folgendes:


    Zitat

    Schade das Du das nur in einem Satz abhandelst, da gäbe es bestimmt mehr zu sagen. Kennt jemand Beechams Delius-Aufnahmen?


    Ich kenne sie nicht, aber die meisten sind leider von der Tontechnik her als "historisch zu bezeichnen. Immerhin verschaffen uns diese Aufnahmen einen Überblick. Naxos hat 5 Cds veröffentlicht, die dankenswerter Weise einzeln erhältlich sind. Die Aufnahmedaten bewegen sich zwischen 1927 und 1952



    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Die Aufnahmen auf dieser CD sind in prallem Stereo, und sie klingen ganz wunderbar. :) Die CDs von Naxos, die Alfred eingestellt hat, kenne ich auch allesamt nicht. Das Label hat mich aber nie enttäuscht bei der Herausgabe anderer historischer Titel, vor allem im vokalen Bereich. Deshalb würde ich mich nicht scheuen, zuzugreifen. Beecham ist nach meinem Eindruck der ideale Sachwalter für Delius. Er betont den französischen Einfluss. Es schwebt. Manchmal erinnert mich diese Musik auch an Debussy. Das soll aber nicht heißen, dass Delius nicht seinen eigenen Stil entwickelt hätte.

    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nun, da alles verramscht wird, macht man offensichtlich auch vor Sir Thomas BEECHAM nicht halt. Warner verkauft unter dem Titel "Sir Thomas Beecham - The later Tradition " eine 8 CD umfassende EMI-Box um nur 8.99 Euro (zumindest ist das der heutige Tagespreis bei jpc)
    Diesmal hat man sich scheinbar - verständlicherweise - nicht mal die Mühe gemacht, die CDs umzuverpacken und das eigene Warner-Logo anzubringen


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Am gleichen Tag wie Hector Berlioz, an dem ich in einem anderen Thread erinnert habe, starb auch Sir Thomas Beecham, nur 92. Jahre später. Deshalb möchte ich die Erinnerung mit einem Werk von Berlioz verknüpfen, das Beecham dirigiert hat:



    Heute ist Beechams 54. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich möchte auch an seinen heutigen Geburtstag erinnern. Er wurde am 29. April 1879 geboren.


    Heute ist die 136. Wiederkehr seines Geburtstages.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Beinahe auf den Tag genau vor 13 Jahren wurde dieser Thread eröffnet. Lediglich 15 Beiträge umfasst er bis heute. Dies besagt vielleicht auch einiges über den heutigen Stellenwert des Baronet in Österreich und Deutschland. Wie Alfred im Einführungsbeitrag zurecht anmerkt, sieht das in England noch heute ganz anders aus. Beecham gilt dort selbstverständlich als einer der größten Dirigenten aller Zeiten.


    Die spitze Zunge Beechams wurde ja schon erwähnt. Tatsächlich scheint er in Proben zwar einerseits fordernd, aber auch ungemein witzig gewesen zu sein. Dies kann man auf dieser CD nachvollziehen, wo u. a. Probenausschnitte der berühmten Einspielung der "Entführung aus dem Serail" enthalten sind:



    Tatsächlich wurde Beecham vieles bereits in die Wiege gelegt, aber er hatte unbestreitbar auch ein ungemeines Talent, um nicht zu sagen: er war ein Genie. Obwohl Sohn des Baronet Sir Joseph Beecham (1848–1916) und somit gleichsam als erblicher Sir prädestiniert (das ist ein Baronet ja im Grunde), brachte Thomas Beecham das Kunststück zustande, bereits im Zuge der New Year Honours Anfang 1916 den gewöhnlichen (also nicht erblichen) Ritterschlag aufgrund seiner Verdienste um die Musik zu erhalten. Im selben Jahr folgte er seinem am 23. Oktober verstorbenen Vater dann auch noch als 2nd Baronet nach und durfte seither das Kürzel "Bart." bzw. "Bt." hinter seinem Namen führen. 1957 wurde er in den auf auf maximal 65 Mitgliedern beschränkten Order of the Companions of Honour aufgenommen und durfte danach auch das Kürzel "C.H." tragen. Auf LPs und frühen CD-Ausgaben nahm man dies noch genau. Heutzutage ist dergleichen scheinbar nicht mehr en vogue oder den Grafikern gar nicht mehr bekannt.


    Die Beecham Baronetcy gilt seit dem Tode des 3rd Baronet Sir Adrian Welles Beecham (1904–1982), des Sohnes von Sir Thomas, übrigens als ruhend. Das bedeutet, der Titel ist zwar nicht ausgestorben, aber seither auch nicht offiziell anerkannt. Ein Robert Adrian Beecham (geb. 1942) versucht offenbar, wie bereits sein Vater vor ihm, die Anerkennung zu erreichen. Weitere Informationen hier.


    Zurück zum Dirigenten.


    Zwischen 1957 und 1959 spielte Sir Thomas Beecham die Londoner Symphonien von Haydn für EMI ein. Während Nr. 93-98 leider nur in Mono festgehalten wurde, liegen Nr. 99-104 glücklicherweise bereits in Stereo vor. Kurioserweise wechselte man ständig zwischen dem Pariser Salle Wagram und dem Londoner Abbey Road Studio No. 1 hin und her, wie die Aufnahmedaten belegen.


    Man findet die Aufnahmen sowohl in der Box "The Classical Tradition" als auch als Einzelveröffentlichungen.



    Beecham war ganz und gar ein Mann des späten 19. Jahrhunderts. Er verwendete bei Haydn zeitlebens überholte Partituren. Die neuesten Erkenntnisse der Forschung waren ihm einerlei. Musikwissenschaftler nannte er "Leute, die Musik lesen, nicht aber hören können ... Ich kümmere mich nicht um Puristen, sie sind eine Züchtung der jüngsten Zeit."


    Lyndon Jenkins schreibt Beechams Haydn im Booklet eine "spielerische Eleganz" zu, geprägt von "lebendige[n] Rythmen, klare[n] Texturen und lineare[r] Kontinuität".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Als eine wichtige Zeitzeiugin in Sachen Beecham gilt Berta Geissmar (1883 - 1949). Als Wilhelm Furtwänglers Privatsekretärin war die promovierte Musikwissenschaftlerin weit mehr das. Sie war Verftraute und enge künstlerische und organisatorische Mitarbeiterin. Dennoch trennte sich der Dirigent - angeblich auf Druck der Nationalsozialisten - wegen ihren jüdischen Herkunft von ihr. Sie musste Deutschland verlassen und ging 1936 nach London, wo sie von Thomas Beecham quasi in selbiger Position übernommen wurde. Beecham verhalf ihr auch zur britischen Staasbürgerschaft. In ihren Erinnerungen schildet sich auch diese enge Zusammenarbeit mit vielen putzigen Details.


    Ein bewegendes Dokument, das ich immer mal wieder zur Hand nehme.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Bei uns ist Beecham ein Name, den man kennt, in England geniesst er noch heute einen legendären Ruf und ist sakrosankt.

    Das schrieb Alfred Schmidt im Jahr 2005 in seinem Eingangs-Thread.


    Genau so ist es! Als am Nachmittag des 8. März 1961 die Schlagzeilen der Londoner Zeitungen Beechams Tod meldeten, rief ein Betrunkener auf der Hampstead High Street spontan: "What, Tommy Beecham dead? And I'm still alive?" Er drückte damit aus, was viele Engländer fühlten: daß es eine Anmaßung des Schicksals war, daß ein so einzigartiger Künstler, gleich wie alt er auch war, sterben sollte. Für die Inselbewohner war Beecham auf seinem Gebiet, der Musik, ein Mann vom Format Churchills geworden, eine lebende Legende.
    Dabei hat dieser schrullige Engländer, der dank eines geerbten großen Vermögens sich manche Extravaganzen leisten konnte, manche bissige Kritik nicht nur über Kollegen und Politiker, sondern auch über sein Land ausgesprochen. Für ihn ungünstige Änderungen im britischen Steuerrecht veranlaßten ihn, maximal 70 Tage im Jahr, wie das Gesetz vorschrieb, in England zu verbringen, "in einem Land, wo man wegen des Wetters nicht leben kann, und wo keiner es sich leisten kann zu sterben", wie er es in seinem unnachahmlichen Humor treffend ausdrückte. Seine späten Jahre verbrachte er überwiegend an der Cote d'Azur, in seinem geliebten Frankreich.


    Ich habe Beecham mehr zufällig kennengelernt. In den frühen 1960er Jahren wurde das im 2jährigen Rhythmus stattfindende Bonner Beethovenfest stets mit einem feierlichen Pontifikalamt im Bonner Münster eröffnet, das traditionell der Apostolische Nuntius in Deutschland zelebrierte, damals noch in aller Pracht und Herrlichkeit des alten Tridentinischen Ritus. Und regelmäßig erklang dazu Beethovens Messe C-Dur op. 80, gesungen vom Bonner Münsterchor und "begleitet" vom Beethovenorchester der Stadt Bonn. Es war jedes Mal eine erhebende Feier, zu der man spätestens eine Stunde vor Beginn vor Ort sein mußte, um noch einen Platz zu ergattern. (Der Eintritt war frei, was damals keine geringe Rolle spielte, denn die Veranstaltungen in der Beethovenhalle, meist mit internationalen Künstlern, waren nicht für jeden erschwinglich).


    Beethovens C-Dur-Messe war längst nicht so populär wie seine Missa Solemnis op. 123, aber wegen ihrer geringeren Länge bestens geeignet für einen Gottesdienst. Und ich war immer wieder begeistert von dem Werk, das damals in Deutschland auf LP gar nicht erhältlich war ..... bis ich zufällig in einem Prospekt des Auslandsdienstes der ELECTROLA Köln folgendes Angebot vorfand:

    Eine 30 cm-LP mit eben dieser Messe, in einer Aufnahme mit Sir Thomas Beecham, dem Royal Philharmonic Orchestra und The Beecham Choral Society. Die kostete damals stolze 25 DM, aber ich habe sie sofort bestellt und besitze sie noch heute. Es ist eine Stereo-Aufnahme von 1958, in sehr guter Klangqualität. Viel später habe ich sie dann noch einmal als CD angeschafft, in diesem 2 CD-Album:

    Da sind noch die Sinfonien Nr. 2 & 7 sowie die Musik zu "Die Ruinen von Athen" dabei.


    Seit dieser meiner ersten Begegnung mit Beecham habe ich meine Sammlung ständig mit seinen Aufnahmen vervollständigt, und jede ist für mich ein kleines Juwel. Hier eine Auswahl:

    und natürlich dürfen auch seine großen Opernaufnahmen nicht fehlen:

    und schließlich, nicht zu vergessen, seine legendäre ZAUBERFLÖTE aus dem Jahr 1937, aufgenommen in Berlin, mit den Berliner Philharmonikern und einem tollen Ensemble:



    Tiana Lemnitz (Pamina) Erna Berger (Königin), Gerhard Hüsch (Papageno), Irma Beilke (Papagena), Heinrich Tessmer (Monostatos) u.a.
    Mit dieser Aufnahme, die erstmals auf 19 (!) 30 cm-Schellackplatten erschien, haben Beecham und der Produzent, Walter Legge, Plattengeschichte geschrieben. Vorbereitung und Aufnahme waren, der Zeit entsprechend, abenteuerlich. Als Tamino war ursprünglich Richard Tauber vorgesehen, und den Sarastro sollte der großartige Alexander Kipnis singen, doch auf Nachfrage bei den deutschen Behörden wurde bedeutet, daß man für die Sicherheit dieser jüdischen Künstler, die bereits im Exil lebten, nicht garantieren könnte! Schier unglaublich, aber dieser Wahnsinn hatte damals seine traurige Methode. Die beiden Künstler wurden dann schließlich durch Helge Rosvaenge und Wilhelm Strienz ersetzt, aber es war, zumindest was den letzteren betrifft, sicher ein Ersatz (was nicht gegen Strienz, sondern mehr für Kipnis spricht). Noch eine Kuriosität: Erna Berger, die die Königin der Nacht sang, war bei den Aufnahmen im November 1937 zeitweise verhindert, so daß ihre beiden großen Arien im März 1938 noch aufgezeichnet werden mußten. Da war Beecham aber längst wieder in Old England, und so begleitete die beiden Stücke Bruno Seidler-Winkler mit der Staatskapelle Berlin. Das wird meist in den beiliegenden Booklets verschwiegen.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Beecham wäre meiner Meinung nach wesentlich bekannter, hätte er später gelebt, denn nur wenige seiner Einspielungen sind in Stereo erhältlich.


    Dieser Satz ist mir erst nachträglich aufgefallen. Deshalb mein Hinweis, daß die meisten von mir genannten CDs Stereoaufnahmen sind, mit Ausnahme von:
    LA BOHEME, ZAUBERFLÖTE und Tschaikowskys 4. Sinfonie + Nußknacker-Suite (der Walzer aus "Eugen Onegin" ist jedoch in Stereo).


    Übrigens, Beecham konnte mit der neuen Stereotechnik nichts anfangen, er fand sie schlicht neumodisch - und damit überflüssig. Als er seine erste Stereoplatte in Händen hielt, mit dem Vermerk "stereophonic", sagte er prompt: "Aha, stereokomisch!"


    Schönen Abend allerseits,
    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Deshalb mein Hinweis, daß die meisten von mir genannten CDs Stereoaufnahmen sind, mit Ausnahme von:
    LA BOHEME, ZAUBERFLÖTE und Tschaikowskys 4. Sinfonie (die ebenfalls auf der CD enthaltene Nußknacker-Suite sowie der Walzer aus "Eugen Onegin" sind jedoch in Stereo).


    Ist nicht zumindest der 1. Satz der Tschaikowski Vierten in Stereo? Zumindest in dieser Edition ist dem so:



    Wie bei den Haydn-Symphonien unter seinem Dirigat eine kurios anmutende französisch-britische Doppelproduktion mit zwei Aufnahmestätten: Salle Wagram, Paris, 8. Oktober & 3. November 1957; Kingsway Hall, London, 16. April 1958 (1. Satz/STEREO).


    Übrigens, Beecham konnte mit der neuen Stereotechnik nichts anfangen, er fand sie schlicht neumodisch - und damit überflüssig. Als er seine erste Stereoplatte in Händen hielt, mit dem Vermerk "stereophonic", sagte er prompt: "Aha, stereokomisch!"


    Da kann man nur von Glück reden, dass er sich nicht weigerte, trotzdem weiterhin Aufnahmen einzuspielen. Gerade läuft bei mir seine "Jupiter-Symphonie" von 1957, eine der frühen EMI-Stereoproduktionen, und was ginge da doch in Mono verloren (so schmerzlich nachzuvollziehen, wenn man Beechams ältere Mozart-Aufnahmen anhört).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Beecham wäre meiner Meinung nach wesentlich bekannter, hätte er später gelebt, denn nur wenige seiner Einspielungen sind in Stereo erhältlich.


    Gilt das auch für Caruso ?(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ist nicht zumindest der 1. Satz der Tschaikowski Vierten in Stereo?



    Guten Abend Joseph II.


    im Booklet ist die ganze Sinfonie als Mono-Aufnahme bezeichnet, die Aufnahmedaten sind wohl mit Deiner Ausgabe identisch: 8.10. & 3.11.1957 (Salle Wagram, Paris) und 16.4.1958 (Kingsway Hall, London). Ich habe eben kurz reingehört, es scheint tatsächlich auch der 1. Satz mono zu sein, zumindest klingt er so. Vielleicht um die Einheitlichkeit des Klanges nicht zu beeinträchtigen?)

    Was die Nußknacker-Suite betrifft, so muß ich mich korrigieren: sie ist ebenfalls eine Mono-Produktion, aufgezeichnet 12/1953 und 12/1954 (Walthamstow Assembly Hall).
    Nur der Onegin-Walzer ist in Stereo (5.10. und 19.11.1959, No. 1 Abbey Road Studio, London).
    Ich habe das in meinem Eintrag 20 noch berichtigen können.


    Beecham war dafür bekannt, daß er gerne nachträglich diverse Korrekturen in seinen Aufnahmen vorzunehmen pflegte, da war es ihm auch egal, wenn da ein Jahr dazwischenlag und er zwischenzeitlich von Paris nach London gereist war. Wie Du richtig feststellst, ist das auch bei den Haydn-Sinfonien mit dem RPO zu beobachten. Allerdings sind da die Sinfonien Nr. 93 bis 98 alle in Mono produziert (1957 und 1958 in Paris und London), zumindest heißt es so im Booklet, während die Sinfonien Nr. 99 bis 104 sämtlich Stereoaufnahmen sind, von 1958 und 1959, wieder wechselweise (ohne präzise Angaben im Booklet) in Paris und London eingespielt.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber nemorino,


    danke für die rasche Aufklärung. Zwischenzeitlich habe ich herausgefunden, dass dieser einzige Stereo-Satz wohl in der Ausgabe der "Great Conductors of the 20th Century" seine Erstveröffentlichung erfuhr. Tatsächlich scheinen die Satzzeiten im Vergleich zur Monoausführung minimal voneinander abzuweichen (Mono 18:22, Stereo 18:13). Wieso nicht auch die restlichen drei Sätze neu aufgezeichnet wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.


    Gerade bei EMI ist die Einführung der Stereophonie offensichtlich ganz sukzessive erfolgt. Um bei Beecham zu bleiben: Die Konzertouvertüre "Im Herbst" von Grieg wurde bereits im November 1955 in (sehr gut klingendem) Stereo eingespielt, während die von Dir genannten Haydn-Symphonien Nr. 93-98 teils noch im April 1958 (!) in Mono aufgenommen wurden. Paul Kletzkis Einspielung der 2. Symphonie von Sibelius entstand sogar schon im Juli 1955 in Stereo. Rudolf Kempes "Meistersinger" hat man dann im Juni 1956 wieder nur in Mono festgehalten. Das verstehe mal einer.


    Beste Grüße

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das verstehe mal einer.


    Lieber Joseph II.,


    das war mir auch viele Jahre rätselhaft, bis ich im Booklet zu dieser CD die Aufklärung fand:

    Ich erlaube mir zu zitieren: "EMI begann mit ihren Londoner Stereo-Experimenten Anfang 1955. Diese fanden in einem von den monophonen Hauptproduktionen getrennten Raum statt. Ob ein Werk in Stereo aufgenommen wurde oder nicht, war deshalb reiner Zufall: Wenn das Stereo-Aufnahmegerät gerade nicht verfügbar oder nicht funktionsbereit war, war das nicht weiter schlimm - die Mono-Aufnahme ging dessen ungeachtet weiter. Deshalb entstanden zwischen 1955 und 1957 in den Londoner EMI-Studios nur einige Stereo-Einspielungen. 1958 wurde dann die Reproduktionstechnik des Zweikanalklangs auf LP perfektioniert, und die Stereophonie wurde zur Norm".
    Im übrigen ist bekannt, daß der berühmte EMI-Produzent Walter Legge ein Stereo-Skeptiker war und blieb. So wurde z.B. der legendäre Karajan-Rosenkavalier von 1956 offiziell von Legge in Mono produziert, während ohne sein Wissen in einem Nebenraum sein Toningenieur Christopher Parker heimlich ein Stereo-Experiment durchführte. Das ist z.B. auch bei Klemperers Aufnahme der 7. Beethoven-Sinfonie von 1955 der Fall. Die Aufnahme wurde jahrzehntelang nur in Mono produziert, erst nach Einführung der CD erschien sie erstmals 1988 in Stereo. Im ersten Karajan-Beethoven-Zyklus von 1951-1955 gibt es einen ähnlichen Fall: alle Sinfonien wurden mono eingespielt, bei den ersten gab es ja auch noch gar kein Stereo, aber die Achte hat Parker wiederum heimlich in Stereo mitgeschnitten, und so wurde sie in der ersten CD-Ausgabe der GA zum ersten Mal als einzige in Stereo angeboten.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Beecham und Richard Strauss
    Eine langjährige musikalische Beziehung verband Thomas Beecham mit Richard Strauss. Beecham leitete im Februar 1910 die britische Erstaufführung von Straussens Elektra, im Dezember des gleichen Jahres die Erstaufführung von Salome, die dritte Auffühung des Rosenkavaliers im Februar 1913 und präsentierte im May 1913 auch die erste Version der Ariadne auf Naxos in London. Ariadne war auch die letzte Strauss-Oper, die Beecham dirigierte (1950 Edinburgh Festival).


    Im Oktober 1947 reiste der 83-jährige Strauss nach Großbritannien, um an einem Festival ihm zu Ehren teilzunehmen, das von Beecham organisiert wurde.
    Am 24. und am 26. Oktober dirigierte Beecham bei der BBC zwei konzertante Elektra-Aufführungen mit Solisten der Wiener Oper im Beisein von Strauss. Am Ende der ersten Aufführung rief Strauss laut "Bravo", umarmte den Dirigenten und war mit der Aufführung hochzufrieden. Die Aufnahmen auf dieser CD entstanden dann im Studio vom 27. bis 29. Oktober. Aus Kostengründen wurde jedoch nur das Finale aufgenommen. Erna Schlüer singt die Elektra, Paul Schöffler den Orest, Ljuba Welitsch die Chrysothemis.


    Ariadne auf Naxos wurde wiederum im Beisein des Komponisten am 12. Oktober 1947 szenisch aufgeführt (in einer verkürzten Version: nach der Ouvertüre gab es eine gekürzte Version des Finales der Oper). Zur Erinnerung an das Ereignis fand am 13. und 14. Oktober eine Aufnahme statt. Beecham war jedoch mi dem Ergebnis der Aufnahme aus musikalischer Sicht nicht zufrieden und widersprach der Veröffentlichung. Erst 1979 erfolge die Veröffentlichung aus Anlass des 100. Geburtstages von Beecham. Neben Maria Cebotari als Ariadne und Karl Friedrich als Bacchus singen vor allem britische Sänger als Damentrio sowie Margaret Field-Hyde als Zerbinetta.

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Eine besonders schöne Beecham-Ausgabe möchte ich hier noch gerne vorstellen. Sie liegt mir allerdings nur in der originalen LP-Edition vor:

    Es sind Mono-Aufnahmen von 1953, in guter Klangqualität. Hier zeigt sich Beecham wieder von seiner besten Seite. Besonders die PASTORALE ist feinsinnig und liebevoll interpretiert.

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).



  • Eine Aufnahme, die ich zwar theoretisch seit Jahren kenne, aber mit der ich mich bisher aus eigentlich unverständlichen Gründen nicht näher beschäftigte, ist die Stereoeinspielung der Symphonie fantastique von Hector Berlioz, die zwischen 30. November und 2. Dezember 1959 mit dem Orchestre National de la Radiodiffusion Française im Salle Wagram in Paris entstanden ist. Es handelt sich tatsächlich um die zweite Einspielung des Werkes durch Sir Thomas Beecham, denn gerade zwei Jahre zuvor nahm er es mit demselben Orchester bereits in Mono auf. Wie ich mittlerweile herausgefunden habe, hat EMI als letztes großes Label endgültig auf Stereo umgestellt und das Pariser Aufnahmestudio kam als letztes in den Genuss dieser Aufwertung, die irgendwann 1958 oder 1959 erfolgt sein muss. Die Monoaufnahme hat es dann m. W. auch nie auf CD geschafft, was angesichts des nicht mehr konkurrenzfähigen Klanges verschmerzbar ist. Es ist zugleich eine der allerletzten Einspielungen von Beecham (die letzte war nach meinen Informationen jene von Faurés Pavane, die am 4. Dezember 1959 entstand).


    Beecham führte die Symphonie fantastique bereits 1915 zum ersten Mal auf, doch wurde sie erst ab den 30er Jahren fester Bestandteil seines Repertoires. Erst im hohen Alter gelangte er zu der Überzeugung, dass einzig ein französisches Orchester den optimalen Tonfall erzeugen könnte. Tatsächlich ist die Aufnahme durch und durch im besten Sinne französisch und reiht sich ebenbürtig neben meine anderen Favoriten ein, die ebenfalls mit Orchestern aus Frankreich entstanden sind: Igor Markevitch mit dem Orchestre Lamoureux (DG, 1961) und André Cluytens mit dem Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire (EMI, 1964). Ist es ein Zufall, dass gerade die Aufnahmen mit französischen Orchestern überzeugen? Wohl kaum.


    Die Spielzeiten bei Beecham sind wie folgt: 12:44 - 6:45 - 16:57 - 5:18 - 10:44


    Gegenüber der kurz zuvor entstandenen Monoaufnahme ist seine Deutung opulenter geraten und hat allein in der Scène aux champs eine um gut drei Minuten längere Spielzeit. Trotz des hohen Alters des Dirigenten (er war bereits 80) ist die intensive Gluthitze, die er zu erzeugen weiß, geradezu verblüffend. Der spezifische französische Klang mit den eigenwilligen Blechbläsern tut sein Übriges. Die Aufnahme ist in zig Ausführungen erschienen, darunter in der Reihe "Great Recordings of the Century" und auch in der Box "French Music" enthalten. Die weiteren Berlioz-Beigaben (Ouvertüre "Le Corsaire" und Auszüge aus "Les Troyens"), zwischen 1957 und 1959 eingespielt mit dem Royal Philharmonic Orchestra, sind von derselben hohen künstlerischen Qualität.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo, Taminos!


    Vorgestern schrieb ich in dem neuen Thread zur "Messias"-Einspielung von Sir Thomas Beecham (1959) eine Geschichte über die Entstehung dieser legendären Aufnahme mit zusätzlichen Informationen über die "Carmen"-Einspielung von 1958/1959. Ich glaube, dass mein Beitrag hier wohl besser aufgehoben ist. Die Überschrift könnte lauten: "Auch große Menschen können klein sein!"


    Ursprünglich sollte Lisa Della Casa den Sopranpart singen. Sie gab Mr. Beecham - den man durchaus auch als 'Primadonna' bezeichnen kann - aber einen Korb mit dem Hinweis, ihr Englisch sei nicht gut genug, dabei sprach sie es perfekt, sang sie doch jedes Jahr seit 1954 mehrere Monate in den USA. Der Hintergrund war, dass Beecham die Schweizerin, die ihm 1950 für die Rolle der Antonia in dem berühmten "Hoffmanns Erzählungen"- Film von Michael Powell vorgesungen hatte, ablehnte, weil ihm ihr Englisch nicht gut genug war. (An ihrem Aussehen wird er wohl nichts zu mäkeln gefunden haben.) Dasselbe passierte auch Rudolf Schock, der in diesem Film die Titelrolle singen sollte. Ein Deutscher, der Englisch singt? Never! Dabei sang Schock bekanntlich drei Jahre an Londons Covent Garden seine Rollen (Tamino, Alfredo, Rodolfo, Pinkerton und Hector in "The Olympians") alle in englisch, wie es damals dort üblich war, und kein Londoner Kritiker hat sich über seine Aussprache beschwert! Leider bekam Rudolf Schock keine Möglichkeit zu einer Retourkutsche, wie es Lisa Della Casa möglich war.


    Als '2. Wahl' wurde dann Joan Sutherland - gerade durch ihre "Lucia di Lammermoor" in London zum Superstar geworden - für den "Messias" engagiert. Sir Thomas, der ähnlich wie Otto Klemperer für weibliche Reize sehr empfänglich war, fand die Australierin wohl nicht nach seinem Geschmack und quälte sie mit derart langsamen Tempi, dass ihr fast die Luft ausging. Und wir alle wissen, wie lange die Sutherland ihre Töne halten konnte. Nachdem sie den Dirigenten um ein normales Zeitmaß gebeten hatte und bei ihm auf taube Ohren stieß, bat sie um die Auflösung ihres Vertrages. Jennifer Vyvyan, die dann schließlich den Sopranpart in diesem "Messias" sang, hatte nicht den längeren Atem, aber wohl die besseren Nerven - und Beecham hatte endlich eingelenkt.


    Übrigens hatte Sir Thomas, der auch für seine anzüglichen Reden bekannt war, sich ein Jahr vor dieser Aufnahme mit Victoria de los Angeles angelegt und sie ebenfalls mit seinem 'Schneckentempo' anlässlich der Aufnahme von Bizets "Carmen" vergrault. Und das nur aus Verärgerung, weil eine 'gewisse Madam Callas' (Originalton Beecham) - die ursprünglich als Carmen vorgesehen war - kurzfristig abgesagt hatte. Dabei hatte er schon seit Jahren viel mit der Spanierin zusammen gearbeitet. Er feuerte bei den Proben zu dieser "Carmen" auch den Kinderchor der Pariser Oper, weil sie ihm zu 'affig' waren und ersetzte ihn durch - wahrscheinlich wohlerzogenere - Kinder aus Versailles. Schließlich konnte Senora de los Angeles 15 Monate später zur Fortsetzung der Aufnahme überredet werden und Beecham machte auch keine Schwierigkeiten mehr. Inzwischen war aber die Sängerin der Mercedes von 1958 (Marcelle Croisier) verstorben, weshalb in den Unterlagen zu dieser Aufnahme zwei Sängerinnen in dieser Rolle genannt werden.


    Bis heute wird auch gerätselt, wer die Sängerin des 'Blondchen' in "Die Entführung aus dem Serail" (Aufnahme von 1956) war, die von Beecham gefeuert und durch Ilse Hollweg ersetzt wurde.


    Nichts für ungut!


    Carlo