Anton Bruckner: Sinfonie Nr 9 (komplettiert) CD-Neuerscheinung

  • Liebe Forianer


    Die schon seit einigen Monaten angekündigte Neuaufnahme von Bruckners Sinfonie Nr 9 mit dem rekonstruierten Finale (Samale - Philips - Cohrs - Mazzuca)
    ist seit ende Oktober im JPc-Katalog gelistet. Leider beträgt die Lieferzeit 1-2 Wochen.





    Es handelt sich um einen Mitschnitt eines Konzertes
    des


    Sinfonieorchesters Aachen unter Marcus Bosch


    der Labels Coviello Classics.


    Erstmals steht somit eine Vergleichsaufnahme zu der nicht mehr ganz am letzten Stand der Forschung befindlichen Aufnahme dieser komplettiereten Version unter Johannes Wildner (für Naxos) zur Verfügung, was interessante Einblicke ermöglichen könnte.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Erstmals steht somit eine Vergleichsaufnahme zu der nicht mehr ganz am letzten Stand der Forschung befindlichen Aufnahme dieser komplettiereten Version unter Johannes Wildner (für Naxos) zur Verfügung, was interessante Einblicke ermöglichen könnte.


    Die von Alfred genannte NAXOS-Aufnahme mit Johannes Wildner habe ich mir auch zugelegt, nachdem der ganze Wirbel um Marthe und Co. und seiner begeisterungswürdigen Bruckner-Fantasy, die er 4.Satz Reloaded nennt, vorbei war.


    Doch was Wildner bietet hat mich, genau wie bei Marthe in den ersten drei bekannten Sätzen, ziemlich kalt gelassen und der letzte rekonstruierte Satz ebenfalls.
    :hello: Damit möchte ich nichts gegen die hervorragenden Rekonstruktionsarbeiten von Samale-Chors-Mazzurca gesagt haben. Ich drücke hier nur aus, wie es bei mir als "stink normalem" Bruckner-Liebhaber ankommt.


    Wildner und sein Orchester bringen Bruckner´s Sinfonie Nr.9 nicht so rüber, wie ich ihn in meinen ungleich spannenderen Favoritenaufnahmen (Karajan und Solti) gerne höre.
    Da kann auch der rekonstruierte 4.Satz nichts mehr retten, der auf mich weniger ansprechend gewirkt hat als Marthe´s geistige Bruckner - Fantasien, die ich ohnehin als separates Werk (ohne die Sätze 1-3) ansehe und höre.


    :hello: Was denkt ihr zur Wildner-Aufnahme ?
    Wie findet ihr rein geschmacklich den rekonsturierten 4.Satz ?


    8)Bevor ich mit die Bosch-Aufnahme aus Aachen (auch noch LIVE) zulegen würde, müßte ich diese erst einmal hören - ?( ob es wirklich lohnt.
    Da bin ich doch sehr im Zweifel.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Johannes Wildner ist natürlich nicht Karajan oder Solti


    Hallo Ben: also ob dem Finale mit den von Dir benannten Herren wirklich
    Gerechtigkeit wiederfahren wäre, bezweifle ich, da ich BEIDE nicht für Bruckner-Exegeten von hohen Graden halte. Beim Erstgenannten stört mich das permanente Weihrauchfass-Geschwenke, das seinen Bruckner im wahrsten Sinne des Wortes "nebulös" macht und des Herrn Solti rhythmisches Gebaren geht mir einfach nur so als Solches auf den Keks.



    In guten Händen könnte ich mir die Komplettierung bei Harnoncourt aber auch bei Jansons vorstellen.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von helmutandres
    Am 15.11. wird die Aufnahme auf einer Pressekonferenz in Aachen offiziell vorgestellt. Bei jpc kann man sie vorbestellen.


    :hello:



    Hab ich schon :D :D :D


    Nun, Marthe kenne ich nicht, aber ich fand Wildners Aufnahme durchaus gelungen, insbesondere auch der vervollständigte vierte Satz, aber das ist zugegebenermaßen Geschmackssache. Man bekommt einen Eindruck wie das Werk vollständig geklungen haben könnte, was kein Ersatz für das Orginal von Bruckners Hand ist, aber das will die Vervollständigung ja auch gar nicht sein. Das das Orchester nicht die Berliner Philharmoniker sind ist klar, aber überzeugend finde ich sie in jedem Fall. Die Temporelationen passen, wie ich finde gut.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ich habe gerade mit Note 1 telephoniert - bei denen ist sie heute am Lager eingetroffen. Also müßten Eure Bestellungen auch demnächst rausgehen. Für uns hier habe ich sie auch direkt bestellt, bin schon sehr gespannt.


    :hello:Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...


  • Was hast du schon? Die CD schon? Oder vorbestellt? :D


    Naja, die paar Tage werde ich noch warten können. Die Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.


    :hello:


  • Wildners Einspielung ist für mich durchaus eine Bereicherung. Ich glaube zwar nicht, dass dies letztlich die ideale Aufführung des Werkes ist. Die Sinfonie könnte sicherlich noch aufwühlender dargeboten werden, gerade in den ersten drei Sätzen. Die Gesangsperiode im ersten Satz etwa ist m. E. deutlich zu flugs genommen. Aber missen möchte ich sie auch auf keinen Fall mehr. Jedenfalls, bis sich endlich mal ein wahrer Bruckner-Exeget mit einem großem Orchester daran versucht. Allerdings - wüsst ich im Moment kaum einen, der noch unter uns weilt. ;( Lorin Maazel wäre ganz nett, aber von dem kann man so was wohl kaum noch erwarten (macht er überhaupt noch Aufnahmen?).
    Eigentlich schade, dass Marthé diese Version nicht einspielt, optimalerweise dann aber außerhalb einer Kirche. Denn eigentlich gefallen mir jedenfalls zwei seiner Einspielungen durchaus - wenn der Klang nicht wäre...


    Was die neue CD angeht - da möchte ich erst mal ein, zwei Reaktionen hier abwarten. Vor allem was die Aufnahmequalität und den Klang angeht. Immerhin war die Aufnahme ja in einer Kirche.

  • Zitat

    Original von helmutandres


    Was hast du schon? Die CD schon? Oder vorbestellt? :D


    Naja, die paar Tage werde ich noch warten können. Die Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude.


    Sooo schnell schießen die Preußen auch wieder nicht :D :D :D - ich habe die CD nur vorbestellt. Aber wie es scheint werden wir ja nicht mehr lange warten müssen.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Helmut, vielen Dank für die interessante Information, daß die Pressekonferenz am 15. stattfindet. Um 17 Uhr übrigens.
    Ich hatte eigentlich mit dem Dramaturgen des Theaters, Kai Wessler, den 14. um 14 Uhr abgestimmt; er war ebenso überrascht wie ich, daß der Termin ohne Abstimmung mit mir verschoben wurde. Ich habe daher sowohl aus Termingründen (Verpflichtungen am 15. und 16.) wie auch grundsätzlichen Erwägungen meine Teilnahme an der Pressekonferenz abgesagt: Ohne Dein Posting wäre ich wahrscheinlich völlig umsonst am 14. in Aachen aufgeschlagen ...

  • Die Neugier hat gesiegt, ich habe mir gerade Boschs Aufnahme bestellt.


    Zu gegebener Zeit werde ich berichten...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo zusammen,


    ich habe mir Boschs Aufnahme inzwischen zweimal komplett angehört und bin in meiner Bewertung noch zu keinem schlußendlichen Ergebnis gekommen.


    Folgende Erkenntnisse würde ich gerne zur Diskussion stellen:


    Bosch ist unglaublich schnell im ersten und dritten Satz. Unter 20 Minuten habe ich beide Sätze bei keinem anderen Dirigenten hören können. Ich kenne andere Aufnahmen, die sich dem feierlich "gottgewandtem" Charakter der Sinfonie verschließen. Ich nenne einmal exemplarisch die Herren Schuricht, Klemperer oder Walter.


    Boschs Interpretationsansatz finde ich sehr faszinierend: Bosch sagt sich (nach meiner Interpretation): Ihr bekommt einen vollkommen neuen Bruckner zu hören, einen Bruckner, der nicht nach drei Sätzen zu Ende ist, sondern bei dem ich versucht habe, seiner ursprünglichen Intention so nahe wie möglich zu kommen.


    Und wenn man schon etwas "unerhörtes, neues" bietet, dann finde ich es imponierend, wenn man auch die Sätze 1 und 3 auf "den Prüfstein" stellt und traditionelle (=langsame) Hörgewohnheiten in Frage stellt. Bosch braucht für vier Sätze so lange wie Giulini in seiner Wiener Aufnahme für drei benötigte.


    Dann aber stellt sich die Frage, weswegen das Scherzo mit 10'46'' vom Tempo so sehr traditionell geriet. Eugen Jochum dirigierte den Satz eine Minute schneller, Christoph von Dohnanyi unterschritt ebenfalls die zehn Minuten Grenze; und Wilhelm Furtwängler (der eher durch langsame Tempi auffiel) ließ den Satz in dem für mich sehr bewegenden Live-Mitschnitt von 1944 in sagenhaften 09'29'' spielen.


    Bestätigen diejenigen, die die CD ebenfalls gekauft haben, meine Eindrücke? Wie bewertet ihr Boschs Interpretationsansatz?

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Norbert, zu den Tempi empfehle ich Dir, mal die Bruckner-Diskographie von John F. Berky zu konsultieren. (abruckner.com) Da steht auch immer das Timing der einzelnen Sätze. Du wirst finden, daß die frühesten Bruckner-Aufnahmen durchweg schneller sind als die seit Furtwängler...
    :D

  • ... allerdings: Marcus Bosch ist unangefochtener Sieger in den Wertungen "Gesamtspielzeit der ersten drei Sätze" und "Spieldauer des ersten Satzes". Er unterbot den bisherigen Spitzenreiter, Bruno Walter, um 31 Sekunden und legte mit 49:31 die bislang schnellste Einspielung der ersten drei Sätze aller Zeiten vor!


    ÜBERBLICK: DIE SCHNELLSTEN AUFNAHMEN DER NEUNTEN (SATZ I-III)


    • Walter, Bruno; Vienna Philharmonic: 20/8/53: AS Disc NAS 2402; 50:00 (21:04; 10:03;18:30)
    • Walter, Bruno; New York Philharmonic; 27/12/53; Archipel ARPCD 0144; 50:37 (20:33; 10:08; 19:40)
    • Knappertsbusch, Hans; Bavarian State Orchestra;10/2/58; Orfeo d'Or CD 578 021; 51:17 (20:40; 10:01; 20:04)
    • Walter, Bruno; New York Philharmonic; 17/3/46; Music and Arts CD 1110; 52:00 (21:38; 9:35; 19:42)
    • Horenstein, Jascha; Pro Musica Symphony Vienna: 1953; Vox Legends CDX25508; 52:28 (21:40; 9:52; 20:50)
    • Barbirolli, John; Halle Orchestra; 29/7/66; BBC Legends CD BBCL 40342; 53:00 (22:13; 9:52; 20:56)
    • Kabasta, Oswald; Munich Philharmonic; 1943; Music and Arts CD 969; 53:08 (21:49; 8:47; 22:32)
    • van Beinum, Eduard; Concertgebouw Orchestra; 16/1/41; Haydn House CD SDA 2005-022; 54:00 (23:04; 8:32; 21:51)
    • Abendroth, Hermann; Leipzig Radio Symphony Orchestra; 29/10/51; Arioso CD Set ARI 108; 54:00 (23:27; 8:59; 21:37)
    • Skrowaczewski, Stanislaw; Southwest German Radio Symphony Orchestra; 1970's; En Larmes 01-57; 54:15 (20:25; 9:30; 24:15)


    ZUM VERGLEICH
    Bosch, Marcus; Aachen Symphony Orchestra; 2007; Coviello Classics SACD; 49:31 (19:56; 10:46; 18:49)

  • Ich besitze keine Einspielung mit einem schnellen ersten Satz (welche sollte man denn da haben, sagen wir <22 min?). Aber Schuricht bleibt im adagio unter 21 min. und ich habe das nie als extrem schnell empfunden (obwohl ich auch Giulinis besitze, der eine knappe halbe Stunde benötigt)
    1 min sind bei einem zwanzigminütigen Stück 5% 2 min entsprechend 10%. das ist zwar nicht mehr im statistischen Rauschen, aber man findet bei deutlich kürzeren Beethovensätzen vergleichbare oder größere Tempo-Unterschiede
    (Eroica: Kopfsatz mit Wdh. von ca. 15 bis ca. 19 min, Trauermarsch von ca. 12 bis ca. 18, ähnlich oder noch extremer in den entsprechenden Sätzen der 9. Sinfonie)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Ben,


    aus neuerer Zeit zählen die Aufnahmen mit Kurt Masur von 1975 mit 54:10 (21:50 10:30 21:50) oder Heinz Rögner von 1986 mit 54:13 (22:31, 10:16, 21:26) zu den schnellsten.


    Ich bin nicht grundsätzlich gegen schnelle Tempi; der ersten Satz mit Kurt Masur gefällt mir sogar ausnehmend gut (leider kann er dann imo den hohen Standard bei den anderene beiden Sätzen nicht mehr halten).


    Auch habe ich nichts dagegen, alt hergebrachte Hörgewohnheiten zu verändern. Die einzigen Fragen, die ich mir stelle, sind: "Passen die Tempi zum Satzcharakter?" und "wirken sie stimmig?"


    Einige Passagen im ersten Satz klingen verhetzt und nicht "feierlich, misterioso" (bei Bosch heißt es "gemäßigt, misterioso").


    Im Scherzo wirkt insbesondere das Trio ("schnell") für mich in Relation zu den Tempi der anderen Sätze und auch zum Tempo des Scherzos zu langsam.


    Kurzum: Ich entdecke einige Fragezeichen, wenn ich Boschs Version höre.


    Gleichwohl regt mich Bosch (trotz der alles anderen als idealen Kirchenakustik) mehr zum Hinhören an als es seinerzeit Johannes Wildner vermochte. Bei Wildner klingen mir die ersten drei Sätze doch arg "hausbacken". Der Haupt-Augenmerk lag bei Wildner bei dem Finale, bei Bosch haben die ersten drei Sätze einen eigenen, "hinhörenswerten" Charakter.


    Ein großes positives Erstaunen rief bei mir die Spielkultur des Sinfonieorchesters Aaachen hervor. Ich kannte das Orchester vorher gar nicht und bin angetan von der hohen Qualität, die in der "musikalischen Provinz" (nicht abwertend gemeint) geboten wird.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich besitze keine Einspielung mit einem schnellen ersten Satz (welche sollte man denn da haben, sagen wir <22 min?). Aber Schuricht bleibt im adagio unter 21 min. und ich habe das nie als extrem schnell empfunden (obwohl ich auch Giulinis besitze, der eine knappe halbe Stunde benötigt)


    Hallo JR,


    ich empfehle Heinz Rögner:



    Seine Bruckner-Aufnahmen sind allesamt durch sehr schnelle Tempi gekennzeichnet (im Adagio der 5. ist er mir allerdings zu schnell). Er liefert imo einen klar durchstrukturierten, detailreichen Bruckner ab und gehört, nicht nur wegen der günstigen Preise, für mich zu den "Geheimtipps".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Norbert


    Ein großes positives Erstaunen rief bei mir die Spielkultur des Sinfonieorchesters Aaachen hervor. Ich kannte das Orchester vorher gar nicht und bin angetan von der hohen Qualität, die in der "musikalischen Provinz" (nicht abwertend gemeint) geboten wird.


    Ja, in der Tat! Auch, dass der Klang trotz Aufnahme in einer Kirche und dann noch live und sicherlich ohne High-End-Technik so gut erfasst wird, ist schon bermerkenswert.


    Ich muss dazu sagen, dass ich mir die Neunte (noch?) nicht gekauft habe, sondern mal mit der Fünften begonnen habe. Diese Aufnahme ist technisch wirklich prima, der Dynamik-Umfang ist sehr! groß.
    Die Tempi sind in dieser Sinfonie übrigens deutlich gemäßigter im Vergleich zur Neunten: 19:34, 16:02, 13:11, 22:21. Also schon eher etwas zügig, aber jedenfalls nicht aus der "Norm".


    Der Hall macht sich nur an ganz wenigen Stellen wirklich bemerkbar, und stören tut er jedenfalls mich eigentlich nicht.

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    die Bruckner-Diskographie von John F. Berky zu konsultieren. (abruckner.com) Da steht auch immer das Timing der einzelnen Sätze. Du wirst finden, daß die frühesten Bruckner-Aufnahmen durchweg schneller sind als die seit Furtwängler...
    :D


    Wobei man dann m. E. noch erwähnen solllte, dass Bruckner dieser Tage weitaus mehr im Zentrum steht als vor 50 Jahren. Daraus kann man dann auch seine Schlüsse ziehen... ;)
    Es gibt halt bei Bruckner schon gute Gründe, die Sache langsamer anzugehen, um letztlich ein organisches Resultat zu erhalten.


    Aber es ist natürlich auch Geschmackssache. Ich persönlich hab's am liebsten: So langsam wie möglich und so schnell wie nötig. Wenn jemand die Musik mit einer gegenteiligen Empfindung hört, kommt er halt zu völlig anderen Ergebnissen. Und das ist gut so.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Schade, daß die Diskussion über diese Aufnahme (noch?) nicht so richtig in Gang gekommen ist.


    Bestimmt haben noch ein paar "Taminoraner/innen" diese Aufnahme gekauft.


    Wie sind bei Euch die Höreindrücke? Verstören Euch die schnellen Tempi oder gefallen sie Euch?


    Es muß ja kein "hochwissenschaftlicher Aufsatz" sein, ein paar Anmerkungen (so wie meine) reichen ja auch...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Noch einmal: Tempi sind (oder sollten es zumindest nicht sein) keine Frage des persönlichen Geschmacks – ein Tempo ist vielmehr aus verschiedenen Determinanten bestimmbar, die zu tun haben mit den Umständen der individuellen Aufführung und der Informiertheit der beteiligten MusikerInnen ebenso wie den Erfordernissen und Gegebenheiten des Werkes. Ich finde diese verengte Diskussion auf "zu schnell/zu langsam" allmählich wirklich öde, weil sie immer wieder auf eben dies zurückfällt. Könnte sich mal bitte jemand ERNSTHAFT mit Tempo-Fragen auseinandersetzen?


    Dazu einige Anregungen:


    Wie war der Aufnahme-/Aufführungs-Ort beschaffen?
    Wie groß war das Orchester besetzt?
    Was für Instrumente wurden verwendet?
    Hat der Dirigent Tempo-Relationen berücksichtigt?
    Wenn ja, wie?
    Was für Konsequenzen hat dies auf die Darstellung des Werkes?


  • Tschuldigung, wenn ich da einhake -


    nach meinem Verständnis sind diese Parameter nicht zu berücksichtigen. Vielmehr muß die Fragestellung anders aufgebaut werden, zum Beispiel


      Welcher Aufnahme-/Aufführungsort wird dem Werk [Tempo] gerecht?
      Hat das Orchester die "richtige" Besetzungsgröße? Oder: Welche Größe ist zu wählen, um dem Werk gerecht zu werden?
      Wurden die "richtigen" Instrumente verwendet? Oder: Welche Instrumente werden dem Werk gerecht?


    Bei den übrigen drei Punkten stimme ich Dir gerne zu. Alles andere sind m. E. nur Ausreden. Ein Werk kann nicht "gerecht" interpretiert werden, wenn die äußeren Umstände nicht stimmig sind. Ein zu langsames ( :D ) Tempo wegen zu großem Hall akzeptiere ich nicht: In dem Fall ist der Ort einfach falsch gewählt.


    Anregung: Vielleicht sollten wir dazu einen separaten Thread eröffen, denn solche Fragen betreffen sicherlich nicht nur Bruckners 9. Sinfonie. :]


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ben,


    Furtwängler hat sich zu dem Thema in einem - sogar akustisch erhaltenen - Interview geäußert. Meiner Erinnerung nach entwickelte er am Beispiel der "Eroica" das Tempo von der schnellsten Stelle zurück, indem er deren Tempo festlegte und von dort aus das Tempo des gesamten Satzes abeleitete. Furtwängler bezog das auch auf die Spielbarkeit eines Tempos durch bestimmte Instrumentengruppen.


    Daran musste ich denken, als ich vor Jahren - muß 1988 gewesen sein - Riccardo Chailly in Florenz während des Maggio Musicale in Florenz mit Bruckners 3. Sinfonie hörte. Die Gesamtanlage zwar angenehm zügig, für die abfallende Streicherfigur zu Beginn des ersten Satzes aber zu zügig: es klang sehr unsauber.


    Ganz anders Bychkov mit der 8. im Kölner Dom. Der spielte das Werk unter Berücksichtigeung der spezifischen Akustik im Dom (das Orchester war im linken Langhausschiff positioiniert), was wegen des Halls besonders die Pausen verlängerte. Für die Live-Zuhörer absolut gewinnbringend, zur Wiedergabe via Tonträger wohl kaum geeignet.


    Was übrigens auch für Celibidache gilt. Der musizierte auch unter Einbeziehung der Raumakustik (in den mir bekannten Fällen der Kölner Philharmomie), und das macht aus meiner Sicht die ganzen EMI-Aufnahmen unbrauchbar (besonders im Vergleich zu den diversen Celi-Bootlegs aus Italien mit Aufnahmen aus seiner Stuttgarter Zeit), da die Komponente "Raum" schlichtweg im von Celibidache gemeinten Sinne wegfällt. Was bleibt übrig? Mit Blick auf das "Te Deum" etwa das kalte Grausen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ein Werk kann nicht "gerecht" interpretiert werden, wenn die äußeren Umstände nicht stimmig sind. Ein zu langsames ( :D ) Tempo wegen zu großem Hall akzeptiere ich nicht: In dem Fall ist der Ort einfach falsch gewählt.


    Anregung: Vielleicht sollten wir dazu einen separaten Thread eröffen, denn solche Fragen betreffen sicherlich nicht nur Bruckners 9. Sinfonie. :]


    Viele Grüße
    Ulli


    Hallo Ulli,


    ich würde hier schon unterscheiden, ob die Aufführung für eine Aufzeichnung oder für ein live-Konzert bestimmt ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Hallo Ulli,


    ich würde hier schon unterscheiden, ob die Aufführung für eine Aufzeichnung oder für ein live-Konzert bestimmt ist.


    Nein. Warum müßen z.B. Streichquartette oder Klaviersonaten [...] in einer Kirche aufgeführt werden? Ich empfinde dies als völlig deplatziert - ganz abgesehen von dem fürchterlichen Hall, der ja zumindest bei der Komposition von Sakralwerken dem Komponisten bewußt ist/war.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Uff, klar, da stimme ich zu. An solchen Unsinn habe ich freilich nicht gedacht. Deine Anmerkung konsequent zuende gedacht müssen wir uns allerdings anschicken, neue Aufführungsräume zu bauen. In Sälen wie der Kölner Phil sind dergleichen auch nicht glücklich aufgehoben. An eine Zuhörerschaft von gleichzeitig 2000 Menschen hat von den älteren Komponisten wohl niemand gedacht.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Noch einmal: Tempi sind (oder sollten es zumindest nicht sein) keine Frage des persönlichen Geschmacks – ein Tempo ist vielmehr aus verschiedenen Determinanten bestimmbar, die zu tun haben mit den Umständen der individuellen Aufführung und der Informiertheit der beteiligten MusikerInnen ebenso wie den Erfordernissen und Gegebenheiten des Werkes. Ich finde diese verengte Diskussion auf "zu schnell/zu langsam" allmählich wirklich öde, weil sie immer wieder auf eben dies zurückfällt. Könnte sich mal bitte jemand ERNSTHAFT mit Tempo-Fragen auseinandersetzen?


    Ich hatte nicht vor, eine "zu schnell-zu langsam" Diskussion führen zu wollen. Ich wollte lediglich dazu aufrufen, ein paar Höreindrücke zu schildern und diejenigen, die nicht jede Sekunde mit der Partitur in der Hand nach "richtig" oder "falsch" suchen, animieren, ihren Beitrag zu leisten.


    Natürlich gibt es "wissenschaftlich korrekte" Tempi, es gibt aber auch "erlaubt ist was gefällt".


    Ich lese sehr häufig, daß etliche "Taminoraer/innen" sich nicht trauen, an einer Diskussion aktiv teilzuhaben, weil sie fürchten, ihre Meinung sei nicht "objektiv" oder "fundiert" genug. Diese Hemmschwelle wollte ich nehmen.


    Angesichts des obigen "Mühlsteins" kann ich meinen Appell zwar wohl vergessen, aber immerhin hat es ein paar neue Beiträge gegeben. So habe ich wenigstens ein Ziel erreicht...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Uli, ich schrieb ja ausdruecklich “Anregungen”, und Du hast voellig recht!!!
    :D


    Lieber Norbert – sorry, aber fuer einen ernsthaften Musiker ist “erlaubt ist, was gefaellt” UEBERHAUPT keine Option!!!
    :untertauch:


    Und Celi und der Gasteig? Was hat er geflucht darueber! Zur Inauguration der Halle machte er Bruckners Fuenfte und die ‘Musicalischen Exequien’ von Schuetz. Warum?


    “Gasteig ist toterrr Rraum. Brraucht Raequiem zur Aeroeffnung...” sagte er.
    :hahahaha:

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    fuer einen ernsthaften Musiker ist “erlaubt ist, was gefaellt” UEBERHAUPT keine Option!!!


    Was die "Moderne Musik" angeht, drängt sich dieser Eindruck in der Tat auf. :angel:


    Ansonsten scheint mir schon, dass du momentan ein wenig den Musikwissenschaftler raushängen lässt. Als solcher ist es vermutlich richtig, dass das "richtige" Tempo jedenfalls vieler Stücke mehr oder weniger eindeutig anhand der von dir genannten Aufführungsbedingungen usw. festgemacht werden kann. Jedoch wird Musik nicht nur für Wissenschaftler aufgeführt.
    Der Ansatz von Furtwängler ist letztlich ziemlich genau meine Sicht. Und dass auf dieser Grundlage verschiedene Dirigenten zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Tempi kommen, ist letztlich gernauso unvermeidlich wie wünschenswert. :yes:


    Gardiner mag in Sachen Beethoven in deinem Sinne viel näher am "wahren" Beethoven zu sein. Dennoch haben Dirigenten wie Furtwängler, Giulini mindestens mir genauso viel zu dem Thema zu sagen. Um das vielleicht mal auf die Malerei zu projizieren: Da werden in Kulturmagazinen bestimmt auch häufig Dinge in Werke hineininterpretiert, die dem Maler jetzt zumindest nicht bewusst waren. Aber das tut seinem Kunstwerk ja keinen Abbruch - ganz im Gegenteil.


    Um wenigstens wieder den Bezug zu Bruckner zu bekommen:
    Ist denn eigentlich überliefert wie der Meister selbst (und vielleicht auch Beethoven) zu diesen Fragen stand? Konkret: Hat Bruckner jemals nach einer Aufführung durchblicken lassen, dass der Dirigent beim Tempo daneben gegriffen hätte - sei es zu langsam oder zu schnell?

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner