BWV 180: Schmücke dich, o liebe Seele
Kantate zum 20. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 22. Oktober 1724)
Lesungen:
Epistel: Eph. 5,15-21 (Lasst euch vom Geist Gottes erfüllen; ermuntert einander mit Psalmen und Lobliedern)
Evangelium: Matth. 22,1-14 (Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl)
Sieben Sätze, Aufführungsdauer: ca. 28 Minuten
Textdichter: unbekannt, inspiriert aber vom titelgebenden Choral
Choral (Nr. 1, 3 und 7): Johann Franck (1653)
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Blockflöte I + II, Traversflöte, Oboe, Oboe da caccia, Violoncello piccolo, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Choral SATB, Blockflöte I + II, Oboe, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
Schmücke dich, o liebe Seele,
Lass’ die dunkle Sündenhöhle,
Komm ans helle Licht gegangen,
Fange herrlich an zu prangen;
Denn der Herr voll Heil und Gnaden
Lässt dich itzt zu Gaste laden.
Der den Himmel kann verwalten,
Will selbst Herberg’ in dir halten.
2. Aria Tenor, Traversflöte, Continuo
Ermunt’re dich: dein Heiland klopft,
Ach, öffne bald die Herzenspforte!
Ob du gleich in entzückter Lust
Nur halb gebroch’ne Freudenworte
Zu deinem Jesu sagen musst.
3. Recitativo + Choral Sopran, Violoncello piccolo, Streicher, Continuo
Wie teuer sind des heil’gen Mahles Gaben!
Sie finden ihresgleichen nicht.
Was sonst die Welt
Vor kostbar hält,
Sind Tand und Eitelkeiten;
Ein Gotteskind wünscht diesen Schatz zu haben
Und spricht:
Ach wie hungert mein Gemüte,
Menschenfreund, nach deiner Güte!
Ach, wie pfleg’ ich oft mit Tränen
Mich nach dieser Kost zu sehnen!
Ach, wie pfleget mich zu dürsten
Nach dem Trank des Lebensfürsten!
Wünsche stets, dass mein’ Gebeine
Mich durch Gott mit Gott vereine.
4. Recitativo Alt, Blockflöte I + II, Continuo
Mein Herz fühlt in sich Furcht und Freude;
Es wird die Furcht erregt,
Wenn es die Hoheit überlegt,
Wenn es sich nicht in das Geheimnis findet,
Noch durch Vernunft dies hohe Werk ergründet.
Nur Gottes Geist kann durch sein Wort uns lehren,
Wie sich allhier die Seelen nähren,
Die sich im Glauben zugeschickt.
Die Freude aber wird gestärket,
Wenn sie des Heilands Herz erblickt
Und seiner Liebe Größe merket.
5. Aria Sopran, Blockflöte I + II, Oboe, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
Lebens Sonne, Licht der Sinnen,
Herr, der du mein alles bist!
Du wirst meine Treue sehen
Und den Glauben nicht verschmähen,
Der noch schwach und furchtsam ist.
6. Recitativo Bass, Continuo
Herr, lass’ an mir dein treues Lieben,
So dich vom Himmel abgetrieben,
Ja nicht vergeblich sein!
Entzünde du in Liebe meinen Geist,
Dass er sich nur nach dem, was himmlisch heißt,
Im Glauben lenke
Und deiner Liebe stets gedenke.
7. Choral SATB, Blockflöte I + II, Oboe, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
Jesu, wahres Brot des Lebens,
Hilf, dass ich doch nicht vergebens
Oder mir vielleicht zum Schaden
Sei zu deinem Tisch geladen.
Lass’ mich durch dies’ Seelenessen
Deine Liebe recht ermessen,
Dass ich auch, wie itzt auf Erden,
Mög’ ein Gast im Himmel werden.
Während in der Kantate BWV 162 das Evangelium des heutigen Sonntags dem Dichter noch Anlass zu besorgten und bangen Gedanken gibt, so liegt in der hier besprochenen Kantate der Schwerpunkt eindeutig auf der freudigen Erwartung des großen und herrlichen Hochzeitsmahles, zu dem eingeladen wurde. Ein durchaus nachvollziehbarer Vergleich dieses „königlichen Hochzeitsmahls“ mit dem Heiligen Abendmahl (der Eucharistie) wird ebenfalls gezogen.
So überrascht es nicht, dass der „Motto-Choral“ dieser Choralkantate eigentlich ein Abendmahlslied ist – er passt trotzdem sehr gut in den Kontext des heutigen Sonntags.
Auch Bachs Musik ist – dem Text entsprechend – fröhlich bis festlich zu nennen und gerade die einleitende Choralbearbeitung mit ihrem Blockflöten- und Oboenpaar und dem charakteristischen 12/8-Takt hat einen ausgesprochen einladenden und heiteren Charakter. Wie meistens in solchen Choralbearbeitungen liegt die Choralmelodie in der Sopranstimme – die anderen Singstimmen füllen die Gesangsabschnitte harmonisch aus, das Orchester geht musikalisch abwechslungsreiche, eigenständige Wege.
Wie bereits mehrfach erwähnt, vermutet man, dass Bach im Herbst 1724 einen begabten Flötenspieler an der Hand hatte – wie unter anderem schon in den im selben Zeitraum entstandenen Kantaten BWV 99, BWV 114 oder BWV 96 - darf der Traversflötist auch in dieser Kantate in der Arie Nr. 2 wieder einmal sein ausgesprochen virtuoses Talent unter Beweis stellen!
Ich gehe davon aus, dass der erwähnte Flötist in den anderen Sätzen eine der beiden Blockflöten gespielt hat.
Es kann eigentlich kein Zufall sein, dass diese flötenbegleiteten Arien stets dem Solo-Tenor zugedacht sind: Entweder war zu der Zeit auch der Tenorist in Bachs Thomanertruppe besonders talentiert, bzw. gut auf das gemeinsame Musizieren mit dem Flötisten geschult, oder Bach verband mit dieser klanglichen Kombination eine besondere Aussage. Er hat beispielsweise ja auch den Solo-Bass gerne mit einer Trompete kombiniert und sich dabei sicher etwas gedacht...
Im 3. Satz beginnt der Sopran zunächst ein kurzes Rezitativ, bevor er die (verzierte) Choralmelodie intoniert und dabei von einem Violoncello piccolo begleitet und umspielt wird. Ein hübscher Satz mit „Überraschungseffekt“, der zeigt, dass Bach immer wieder neue Ideen hatte, um seine wöchentlichen Kantatenkompositionen nicht allzu gleichförmig im Aufbau daher kommen zu lassen, sondern sie stets neu und abwechslungsreich zu gestalten wusste.
Ausdrucksvoll ist auch das anschließende Rezitativ Nr. 4, in dem originellerweise die beiden Blockflöten mitspielen. Das Ganze mündet in die reich instrumentierte Arie Nr. 5, die dieselbe Orchesterbesetzung aufweist wie der Eingangschoral und dem Text entsprechend einen prächtigen Lobgesang darstellt.
Der Solo-Bass wird in dieser Kantate etwas ungerecht behandelt: Lediglich im folgenden kurzen Rezitativ Nr. 6 darf er sich kurz zu Wort melden.