Die Verwendung des Cembalos in Bachs Kantaten

  • Ich nehme gerne die Anregung von Berhard im Thread über Bachs Bearbeitung von Pergolesis Stabat Mater auf (siehe hier), hier einmal die Verwendung des Cembalos in Bachs Kantaten (und vielleicht der Kirchemusik allgemein?) zu diskutieren.


    Im Fall von BC 25 Tilge, Höchster, meine Sünden gibt es ja überlieferte bezifferte Stimmen für Orgel und Cembalo, aber bisher ist mir keine Aufnahme des Werks mit Cembalo zu Ohren gekommen.
    Mir fällt ganz allgemein, dass die Verwendung eines Cembalos bei Kirchenkantaten eher selten ist, obwohl es nach den Forschungen von Laurence Dreyfus damals wohl häufiger als heute war.


    Mich würden die Meinungen der anderen Mitglieder zu diesem Thema sehr interessieren, ich werde in den nächsten Tagen die Stücke hier anführen, in den entsprechende Aufführungshinweise existieren, und Aufnahmen mit Cembalo aus meiner Sammlung.


    Es geht mir hier ausdrücklich nicht um Geschmacksfragen, sondern um aufführungspraktische Argumente und Quellen!

  • Guten Morgen


    Alfred Dürr schreibt in seinen 2-bändigen Buch über "Die Kantaten von Johann Sebastian Bach" im Kap. zur Aufführungspraxis, dass sich mit letzter Sicherheit die Frage nach der Mitwirkung eines Cembalo in Kirchenkantaten nicht beantworten liese. Die Fälle, in denen Cembalostimmen vorliegen, würden nicht reichen, um daraus eine allgemeingültige Regel zu machen.


    Wie sehen das andere Autoren ?
    Wie begründen die "Praktiker" Harnoncourt/Leonhardt, Herreweghe, Koopman, Suzuki -nur um mal paar Namen zu nenn- den Einsatz/Nichteinsatz eines Cembalo in ihren Kantateneinspielungen ?


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Ich habe einige Kantaten-Einspielungen unter der Leitung von Helmuth Rilling - und da spielt sehr häufig ein Cembalo mit (auch wenn dessen Teilnahme nirgends begründet wird - jedenfalls habe ich in keinem Booklet der Reihe bislang etwas dazu finden können).


    Der Einsatz des Cembalo scheint mir bei Rilling etwas wahllos, manchmal in Arien, ab und an auch in Rezitativen - die dadurch denn auch direkt sehr "weltlich" klingen, weil sie von Seccorezitativen in Barockopern klanglich nicht mehr zu unterscheiden sind.
    Mich würde interessieren, ob es da ein künstlerisches Konzept gab, das als Voraussetzung für den Einsatz des Cembalos diente (im Wechsel dazu erklingt ansonsten halt ein Orgelpositiv) - die Begründung würde mich interessieren, da sich bei mir - wie gesagt - der Eindruck einer gewissen Wahllosigkeit aufdrängt.
    Wahrscheinlich waren oft klangtechnische oder sonstige pragmatische Gründe Auslöser für den Einsatz eines der beiden Instrumente - die meisten der erwähnten Kantaten-Aufnahmen unter Rilling haben ja auch schon 25 bis 30 Jahre (oder mehr) auf dem Buckel...

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Ich habe Dürrs Bemerkung auch gelesen (habe die dtv-Ausgabe von 1985), er hat Dreyfus' Dissertation gelesen (Christoph Wolff war sein Doktorvater!), aber ich hätte eine etwas tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem Aspekt erwartet.
    Ähnlich ging es mir mit den Bänden von Wolff und Ton Koopman - da stand auch kaum etwas zu diesem Thema, wie Koopman überhaupt sehr Pauschales zur Aufführunsgpraxis geschrieben hat. Ich hätte mindestens eine so ausführliche Diskussion wie zur Frage nach der solistischen Besetzung des "Chores" erwartet.
    Zumindest früher haben sich die Gemüter oft erhitzt, wenn ein Cembalo mitspielte, da irgendein Autor (war das Spitta?) diese seltsame Polarisierung
    Kirche - Orgel / Kammer - Cembalo
    postuliert hat, die ich in keiner Quelle aus der Barockzeit so finden kann.
    Ich fand das seltsam, denn wenn bei Kirchenmusik von Händel oder Telemann ein Cembalo mitwirkte, hat kein Hahn danach gekräht. Andererseits hat mir auch ein Aufführunsgpraktiker aus Nordhessen erzählt, in seiner Jugendzeit wäre immer eines dabei gewesen.
    Ich verstehe einfach nicht, dass es pauschal weggelassen wird, wenn es konkrete Hinweise auf die Verwendung bei Bachs eigenen Aufführungen gibt, wie z.B. beim Psalm nach Pergolesi.
    Die Bearbeitung der Palestrina-Messe hat allerdings Hermann Max mit Cembalo eingespielt, der scheint es häufiger einzusetzen.


    Wenn ich Zeit habe, werde ich hier nach Dreyfus die Werke auflisten, für die bezifferte Continuo-Stimmen, teilweise von Bachs Hand, existieren, dann könnte man seine Sammlung durchsehen, ob es Aufnahmen dieser Werke mit Cembalo gibt.

  • Ab und an wurde wohl eines benutzt (überliefert bspw. bei Trauerode). Vielleicht wurde es ja von Fall zu Fall entschieden, ob es eingesetzt wird. Ich bin der Meinung es bereichert die Sache. Ob es nun historisch korrekt ist (sofern das überhaupt zu erruieren ist), oder nicht, ist mir eigentlich relativ gleich. Ich bevorzuge Aufnahmen mit Cembalo im Continuo. Glücklicherweise gibt es Gesamtaufnahmen, bei denen es präsent ist und wiederum Gesamtaufnahmen, die gänzlich bis großteils ein Cembalo vermissen lassen. Insofern kann hier jeder das auswählen, was ihm gefällt.


    Abgesehen davon ist es vielleicht auch eine Frage der Akkustik. Ich habe Kantaten in der Thomaskirche mit Cembalo gehört. Dass das Cembalo "dabei war", merkte ich allerdings erst, als ich es sah.


    Angesichts der modernen Aufnahmetechnik spricht in meinen Ohren nichts dagegen, es mit einzubringen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Masetto
    Ab und an wurde wohl eines benutzt (überliefert bspw. bei Trauerode).


    Iin der Einspielung der "Trauerode BWV 198" durch G. Leonhardt -im Rahmen der Gesamteinspielungen der Bachkantaten durch N. Harnoncourt und G. Leonhardt- setzt G. Leonhardt, der in dieser Einspielung mit seinem Leonhardt-Consort, dem Knabenchor Hannover und den Collegium Vocale musiziert, ein Cembalo ein.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Die Trauerode ist einer der Fälle, wo die Mitwirkung eines Cembalos - von Bach selbst gespielt - durch eine Beschreibung der Tauerfeier gesichert ist. Das Werk ist insofern ein Sonderfall, als es auch zwei "Liuto" benannte Stimmen gibt; Andrew Parrott, dessen Aufnahme ich habe, interpretiert sie als "Calichons", eine damals beliebte Art von Baßlaute, deren Verwendung einen Anklang an die höfische Kammermusik der Fürstin (deshalb auch zwei Gamben, die Bach ebenfalls selten einsetzte) darstellen sollen. Die Calichons und ein Cembalo würden sich klanglich allerdings etwas ins Gehege kommen ..... Parrott spekuliert, das Cembalo sei nicht durchgängig gespielt worden und lässt John Toll abwechselnd die Orgel traktieren.
    Bei der halligen Akustik von St. Jude-on-the-hill in London kann man aber kaum einzelne gezupfte Klänge auseinanderhören.
    Das ist auch so ein Punkt: Diese Kirche wird oft für Aufnahmen gemietet wegen ihrer "stunning acoustics", aber eine leere Kirche klingt anders als eine besetzte - strenggenommen müsste man wenigstens Stoffpuppen auf die Bänke setzen. Der Hall wird durch die vielen Körper doch deutlich reduziert und in seinen Klangeigenschaften verändert, wie ich bei einer Aufführung im halligen Frankfurter Hof in Mainz, wo Probe und Konzert mitgeschnitten wurden, selbst erleben konnte. So sehr ich für Authtizität auch bezüglich der Räumlichkeiten bin: zur Wiedergabe auf Tonträger in kleiner Besetzung wäre ein kleinerer, trockenerer Raum wohl günstiger. Viel von der farbigen Instrumentierung der Trauerode geht in der Raumakustik unter. Der Verschmelzungsklang ist auch schön, aber die Feinheiten würde ich doch gerne besser hören können. Nur in einem bis zwei Teilen konnte ich das Cembalo definitiv erkennen.


    Setzt Leonhardt es denn durchgängig ein?

  • Guten Abend




    Zitat

    Original von miguel54


    Setzt Leonhardt es denn durchgängig ein?


    In der Altarie "Wie starb die Heldin so vergnügt" -übrigens hier von Rene Jacobs gesungen- und der Tenorarie "Der Ewigkeit saphirnes Herz" schweigt das Cembalo.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Gibt es hinsichtlich der Entscheidung für oder "gegen" Cembalo bei den Kantaten überhaupt eine musikhistorisch korrekte Vorgehensweise, oder war es damals genauso "spontan" ob man ein Cembalo zum Einsatz brachte, oder nicht?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Salü,


    ich kann wenig Sinnvolles dazu beitragen: Mir persönlich sind orgelbegleitete Rezitative zuwider... es gibt seltene Ausnahmen, wo ich das wirklich mag.


    Von mir aus kann die Orgel in Kirchenwerken komplett entfallen, außer sie spielt solistisch. Alles andere gibt für mich so einen verschwommenen pseudoheiligen Effekt.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    ich kann wenig Sinnvolles dazu beitragen: Mir persönlich sind orgelbegleitete Rezitative zuwider... es gibt seltene Ausnahmen, wo ich das wirklich mag.


    Von mir aus kann die Orgel in Kirchenwerken komplett entfallen, außer sie spielt solistisch. Alles andere gibt für mich so einen verschwommenen pseudoheiligen Effekt.


    Mögen oder nicht mögen, ist das hier die Frage? :stumm:


    Was fast immer aus Bequemlichkeit geschieht ist die Verwendung piepsiger Truhenorgeln, bestenfalls vor sich hin tutender Positive.
    Dabei gehört die große Orgel zur Continuo-Gruppe. Es ist schier unbegreiflich, warum alle angeblichen HIPler sich wider besseres Wissen gegen diese klare Sachlage entscheiden und Kleinorgeln einsetzen.
    Lässt man das vorhandene immobile Großaerophon walten, sieht die Sache mit dem zusätzlichen Cembalo schon gleich anders aus.
    Und da scheint es ja – unter anderem seit den Arbeiten des erwähnten Dreyfus – mehr oder weniger aufs Doppelaccompagnement hinauszulaufen – auch wenn das in Berlin gar nicht gern gesehen wird. :D


  • Dann hör mal hier rein:


    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Sorry, schon wieder offtopic: Zunächst mag ich jetzt keine Passion hören, zweitens ist Herrweghe für mich bereits erledigt.


    Kann wegen mir auch wieder gelöscht werden.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Guten Abend


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    Dabei gehört die große Orgel zur Continuo-Gruppe. Es ist schier unbegreiflich, warum alle angeblichen HIPler sich wider besseres Wissen gegen diese klare Sachlage entscheiden und Kleinorgeln einsetzen.


    Alle kann man nicht sagen.


    In dieser



    und dieser



    Einspielung von Bachkantaten wird die Orgel des Aufnahmeortes und zwar die Silbermannorgel zu Ponitz



    bespielt.



    Und Paul McChreesh läßt bei dieser



    Einspielung des Magnificats und des Osteroratoriums und dieser



    Einspielung der Kantaten BWV 65 + 180



    diese



    Oehmeorgel in Brand-Erbisdorf schlagen.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Verfügen denn auch alle Modelle über eine Dehmutspfeife? Ohne die geht es nämlich gar nicht.


    Hat ein Cembalo eine Dehmutstaste(nkombination)? Alt+Strg+Entf.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Guten Abend


    Zur Thematik ein Auszug eines Aufsatzes von Gustav Leonhardt aus dem Buch "Die Gegenwart der musikalischen Vergangenheit"; Kap. "Schon wieder eine Matthäuspassion", von G. Leonhardt:



    "[...]
    Daß der Clavierist in Bachs Kirchenmusik immer der festangestellte Organist war, darf jedenfalls als sicher gelten. Hiermit ist die Sache aber nicht erledigt. Es gibt genügend Hinweise, daß das Cembalo nicht grundsätzlich, etwa als nicht-kirchlich neben der Orgel, auszuschließen ist. Zwar sind konkrete Fälle relativ selten und können Ausnahmen praktischer Art darstellen. Indirekte Hinweise (Atteste für Schüler oder Reparaturen von Cembali für kirchliche Zwecke) geben jedoch zu denken und lassen uns etwa zu einer Formulierung gelangen, welche sogar die Möglichkeit nicht ausschließt, daß Bach selber vom Cembalo aus die Leipziger Aufführungen geleitet hat ( wie angeblich 1727 in der Universitätskirche, allerdings eine Situation, die weiterhin durch nichts Konkretes gestützt wird), welche jedoch der gelegendlichen cembalistischen Schülerbeteiligung einen größeren Platz einräumt als bisher. Gerade unter den Aufführungsmaterial der Matthäus-Passion finden wir für eine Wiederaufführung in oder um 1742 eine separate Cempalostimme für den zweiten Chor, wo sie die Orgelpartie aus unbekannten Gründen ersetzen mußte. Man sieht also, daß bei dem Ausnahmefall (?) , als in der Passion ein Cembalo mitwirkte, Bach immer noch die Rezitative von der Orgel begleiten lassen wollte.
    [...]"


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Masetto
    Verfügen denn auch alle Modelle über eine Dehmutspfeife? Ohne die geht es nämlich gar nicht.


    Hat ein Cembalo eine Dehmutstaste(nkombination)? Alt+Strg+Entf.


    Und was soll das?

  • Zitat

    Daß der Clavierist in Bachs Kirchenmusik immer der festangestellte Organist war, darf jedenfalls als sicher gelten


    Genau, und zu Bachs Zeiten als Thomaskantor hieß dieser "Clavirist" Johann Gottlieb Görner, bekanntermaßen mit Bach im Dauerclinch ! :D


    Und der wird alles andre gemacht haben, als Bachs ev. Sonderwünschen continuomäßig nachzukommen. Ausnahmen davon gab es wohl nur dann, wenn Bachs Freunde aus Dresden, wie der Lautenist L.S. Weiss oder der Kontrabassist J.D. Zelenka zu Besuch in Leipzig weilten, da konnte auch ein Görner nichts machen, denn Hofmusiker galten städtischen bzw. kirchlichen Musikern immer als übergeordnet....


    PS: sollte die an anderere Stelle erwähnte "Dehmuts-Pfeife", (man beachte allein die erlesene Schreibweise dieses ominösen Gegenstandes, dazu dienen, in diesem Beitrag die Spreu vom echten Weizen zu trennen, wäre ihr Einsatz geradezu zwingend zu begrüssen ! *trööööööööööööööööööööööt*

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)


  • Mein Gott, wie peinlich, die hab ich sogar. :O
    Möglicherweise hat mich ein bestimmter Name auf der Besetzungsliste abgeschreckt. :D

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Genau, und zu Bachs Zeiten als Thomaskantor hieß dieser "Clavirist" Johann Gottlieb Görner, bekanntermaßen mit Bach im Dauerclinch ! :D


    Und der wird alles andre gemacht haben, als Bachs ev. Sonderwünschen continuomäßig nachzukommen. Ausnahmen davon gab es wohl nur dann, wenn Bachs Freunde aus Dresden, wie der Lautenist L.S. Weiss oder der Kontrabassist J.D. Zelenka zu Besuch in Leipzig weilten, da konnte auch ein Görner nichts machen, denn Hofmusiker galten städtischen bzw. kirchlichen Musikern immer als übergeordnet....


    Wie kommst Du nur immer auf den "Dauerclinch"?


    "Offenbar sind Görner und er [JSB] auf Dauer gut miteinander zurechtgekommen, andernfalls hätte Bach 1729 Görners Ernennung zum Thomas-Organisten wohl kaum unterstützt. Immerhin arbeiteten die beiden von 1723 bis 1750, bis zu Bachs Tod also, jede Woche zusammen. Und bei der Regelung des Bachschen Nachlasses wurde Görner als Freund der Familie und "Universitäts-Verwandter" zum Vormund der Kinder Johann Christoph Friedrich, Johann Christian, Johanna Carolina und Regina Susanna Bach bestellt." Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach, S. 337


    Und in einer Fußnote dazu schreibt Wolff noch: "Die traditionelle (seit Spitta II, 210ff.) Schilderung Görners als erbitterter und inkompetenter Rivale Bachs ist aus der Luft gegriffen."


    Steht noch etwas der Verwendung Görners und seines Instruments im Wege?

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  • Bach hinterliess kein Testament und ob Görner nun wirklich der Wunschkandidat als Vormund seiner unmündigen Kinder war, darf bezweifelt werden, aber seis drum: mir persönlich ist es egal, ob Du für Deinen Continuo-Part simultan Orgel, Cembalo, Harfe oder Laute spielen willst, wenn ich das Ergebnis überzeugend finde, bittesehr.Solange Du nur die Funktion der "Dehmutspfeife" berücksichtigst kann da eigentlich garnichts mehr schiefgehen !


    Meine grundsätzliche Überlegung bleibt aber diese: Warum bitte sollte Bach unter erheblichem Aufwand ein Continuoinstrument an den Aufführungsort verbringen, wenn daselbst in Form einer Orgel schon ein solches vorhanden ist ??

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear

    Meine grundsätzliche Überlegung bleibt aber diese: Warum bitte sollte Bach unter erheblichem Aufwand ein Continuoinstrument an den Aufführungsort verbringen, wenn daselbst in Form einer Orgel schon ein solches vorhanden ist ??


    Ohne das ich die Quellenlage wirklich hinreichend kenne, erscheint mir dieses Argument das zielführendste zu sein - dem stimme ich zu :yes:


    Zumal Bach zumindest im Kantatenalltag sehr genau mit dem zu betreibenden Aufwand haushalten mußte ( und konnte)


    Ich glaube jedoch keinesfalls, daß es seinerseits künstlerische Einwände gegen einen parallelen Einsatz eines Cembalos gegeben hätte - Bach war da wohl kein Ideologe sondern Pragmatiker!


    Aber wenn schon Orgel, dann sollte es öfter ein tüchtig Orgelwerk, ein schönes " Großaerophon" sein...( gell, lieber Hildebrandt :yes: )


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Zitat

    Original von Masetto
    Verfügen denn auch alle Modelle über eine Dehmutspfeife? Ohne die geht es nämlich gar nicht.


    Hat ein Cembalo eine Dehmutstaste(nkombination)? Alt+Strg+Entf.

    :hahahaha:

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Bach hinterliess kein Testament und ob Görner nun wirklich der Wunschkandidat als Vormund seiner unmündigen Kinder war, darf bezweifelt werden, aber seis drum: mir persönlich ist es egal, ob Du für Deinen Continuo-Part simultan Orgel, Cembalo, Harfe oder Laute spielen willst, wenn ich das Ergebnis überzeugend finde, bittesehr.Solange Du nur die Funktion der "Dehmutspfeife" berücksichtigst kann da eigentlich garnichts mehr schiefgehen !


    Meine grundsätzliche Überlegung bleibt aber diese: Warum bitte sollte Bach unter erheblichem Aufwand ein Continuoinstrument an den Aufführungsort verbringen, wenn daselbst in Form einer Orgel schon ein solches vorhanden ist ??


    Ich wusste gar nicht, dass Bären so gelenkig und wendig sein können. :D :D :D


    Ichsachjetzmalso: Da kann einer das Cembalo als Kantatencontinuo auf den Tod nicht ausstehen und nutzt jeden Winkelzug zur Verdammung des missliebigen Spielgeräts. :untertauch:
    Man könnte ja auf solche Ideen kommen. :D


    Bist Du vielleicht Rechtsanwalt von Beruf? :D :O :untertauch:


    Nix füt ungut und mal wieder im Ernst: Wolff arbeitet seriös.
    Und der Grundriss der Himmelsburg samt eingezeichneten Instrumenten zeigt zweifelsfrei Cembalo und Spinett.
    Der Rekonstruktionsversuch der Sitzordnung bei Kantatenaufführungen in der Thomaskirche zeigt ein Cembalo links vor dem Rückpositiv der Orgel.

  • Zitat

    Ich wusste gar nicht, dass Bären so gelenkig und wendig sein können.


    hast Du ne Ahnung.... :D



    Zitat

    Ichsachjetzmalso: Da kann einer das Cembalo als Kantatencontinuo auf den Tod nicht ausstehen und nutzt jeden Winkelzug zur Verdammung des missliebigen Spielgeräts


    JJeiin: Im Raum "verteilt"mag es ja noch angehen; spätestens auf der CD nervt es, wenn es "vergisst", daß es von der Sach her nur Stütze für das chorische/solistische Geschehen sein soll und ich kenne nur wenig Grässlicheres, als Einspielungen, in denen der B.C. penetrant dominiert....


    Zitat

    Bist Du vielleicht Rechtsanwalt von Beruf?


    Also ich finds schön, wenn andere eine Begabung bei mir entdecken, die mir selber bislang entgangen ist. Die Sache ist eine Überlegung wert ! 8)


    Daß Wolff seriös arbeitet, weiss ich, keine Frage, aber mein Argument, warum Bach zum mühelos abrufbaren VORHANDENEN Instrumentarium in Form von Orgeln noch Zusätzliches hätte herbeischaffen sollen, konntest Du nicht entkräften. Die Inventarlisten zumindest der Thomaskirche beinihalten KEINE
    "mobilen" Instrumente, wie es an den anderen Hauptkirchen diesbezüglich aussah, solte zu klären sein...


    PS: Ich sollte vor Jahren einmal BWV 106 continuieren und zwar auf dem Cembalo ! Das war zu Zeiten akuten Geldmangels bei mir:
    Was meinst Du, für welche der 3 aufgelisteten Möglichkiten ich mich wohl entschieden habe.


    1. Ich hab die Zähne zusmamengebissen und gemacht, was man von mir verlangte.


    2. Ich hab dem durchaus renomierten Ensemble-Leiter einen Vogel gezeigt.


    3. Ich hab das Cembalo aus dem Jahr 1959 mit 2 gezielten Axtschlägen ins
    Jenseits befördert.


    :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Daß Wolff seriös arbeitet, weiss ich, keine Frage, aber mein Argument, warum Bach zum mühelos abrufbaren VORHANDENEN Instrumentarium in Form von Orgeln noch Zusätzliches hätte herbeischaffen sollen, konntest Du nicht entkräften. Die Inventarlisten zumindest der Thomaskirche beinihalten KEINE
    "mobilen" Instrumente, wie es an den anderen Hauptkirchen diesbezüglich aussah, solte zu klären sein...


    Mal sehn, was die Literatur noch so hergibt, aber im Moment muss ich erst noch ein paar Brötchen verdienen.



    Den Ensemble-Leiter mit zwei gezielten Axtschlägen ins Jenseits befördert? :D


    Am schönsten wäre 3, am verständlichsten 1. Vermutlich also 2. :beatnik:

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Daß Wolff seriös arbeitet, weiss ich, keine Frage, aber mein Argument, warum Bach zum mühelos abrufbaren VORHANDENEN Instrumentarium in Form von Orgeln noch Zusätzliches hätte herbeischaffen sollen, konntest Du nicht entkräften. Die Inventarlisten zumindest der Thomaskirche beinhalten KEINE
    "mobilen" Instrumente, wie es an den anderen Hauptkirchen diesbezüglich aussah, solte zu klären sein...


    Bei Dreyfus steht auf S. 23 (Übersetzung von mir):


    Zitat

    Schon während der Amtszeit von Johann Kuhnau als Thomaskantor (1701-1722) wurden in beiden Hauptkirchen Cembali angeschafft und gespielt.


    Das Instrument der Thomaskirche hatte schon Knüpfer vor seinem Tod 1677 angeschafft. Das in der Nikolaikirche muß vor 1709 angeschafft worden sein, den in diesem Jahr regt Kuhnau die Einrichtung eines jährlichen Fonds von 300 Thalern an, um sie vor jeder Kantatenaufführung neu stimmen lassen und instandhalten zu können.
    Dreyfus fand einige Hinweise in den Quellen, aber eine Tendenz vor allem bei Autoren im 19. Jhdt. die heute noch abgeschrieben werden, diese Hinweise zu ignorieren oder umzudeuten, z.B. vierteljährliche Zahlungen für die Clavierstimmer, Zeugnisse von Schülern mit ausdrücklicher Erwähnung der Continuobegleitung auf dem Cembalo als Unterrichtsinhalt mit praktischer Bewährung in der Kirche usw.
    Man sollte dieses Buch wirklich lesen. Dreyfus selbst vertritt durchaus eine gemäßigte Haltung und plädiert nicht für einen ständigen Einsatz des Cembalos - aber es war häufiger dabei als es heutzutage praktiziert wird.
    "Dominieren" kann es nur, wenn eine der oft schwachbrüstigen Truhenorgeln mitwirkt, was ja eine Erfindung des 20. Jhdts. ist. Beide Instrumente ergänzen sich - das Cembalo gibt eine rhythmische Kontur, die die Orgel entbehrt: nicht umsonst gab es ein Instrument namens "Claviorganum", das eben beide Vorzüge, den präzisen Anschlag und den harmonisch tragfähigeren stehenden Ton, verbindet - genau das soll das Doppelaccompagnement leisten. Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder!


    Vielen Dank für die vielen interessanten Beiträge bisher - es geht mir wie gesagt nicht um Geschmacksfragen; doch genau die scheinen die bisherige Praxis wesentlich mitzubestimmen. Ich habe u.a. die h-moll Messe mit beiden Instrumenten gehört (Michael Schneider und La Stagione in der Dreikönigskirche Frankfurt) und das Continuo noch nie so tragfähig empfunden. Dominiert hat das Cembalo - und das war ein kräftiges Instrument - nie.

  • Hallo Miguel,


    Knüpfer, der übrigens schon 1676 verstarb,dürfte kaum aus dem Jenseits die Anschaffung neuer Instrumente für die Hauptkirchen veranlasst haben, aber sei es drum: es spricht absolut NICHTS dagegen, auch andere als die jeweils vor Ort vorhandenen Instrumente zum Einsatz kommen zu lassen: ausschlaggebend ist dabei lediglich das Ergebnis !


    Schad, daß die Inventarlisten entweder nicht mehr vorhanden oder unvollständig sind, doch würden auch sie letztendlich keine verbindliche Auskunft darüber geben können, WIE denn nun Bach genau vorgegnagen wäre. Pragmatiker, der er wohl war, hat er das sicher von Fall zu Fall ganz individuell entschieden.


    Ich selber lass mich am ehesten durch ein klingendes Ergebnis überzeugen, besonders dann, wenn theoretisches Erörtern nicht zur Klärung beitragen kann.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Re: Knüpfer - Dreyfus schreibt 1677, 1676 ist richtig, bin nicht auf die Idee gekommen, dass er sich da vertun könnte ... :rolleyes:


    Re: Anschaffungsdaten - laut Dreyfus hat Knüpfer das Cembalo für die Thomaskirche 1672 angeschafft, das Anschaffungsdatum für die Nikolaikirche ist nicht bekannt, aber 1709 muss es wegen Kuhnaus Eingabe vorhanden gewesen sein. Dreyfus hat diese Angaben von Schering, Johann Sebastian Bachs Leipziger Kirchenmusik, 1936.
    Ich habe es bei meiner Wiedergabe der Anmerkung aus Dreyfus Buch etwas mißverständlich/unvollständig formuliert. :(


    Alles das beantwortet zwar meine Frage, warum es manche benutzen (z.B. wegen der rhythmischen Stützfunktion), aber nicht, warum es manche nicht tun oder nicht wollen ..... ?(


    Was Bach als Pragmatiker angeht - kann ich mir gut so vorstellen, aber was ich nicht verstehe, ist die Weglassung des Cembalos bei vorhandenem Stimmenmaterial für das Instrument!

    Einmal editiert, zuletzt von miguel54 ()

  • Zitat

    aber was ich nicht verstehe, ist die Weglassung des Cembalos bei vorhandenem Stimmenmaterial für das Instrument!


    Also wenn es sich bei dem Stimmenmaterial um welches von Bachs Hand handelt, dann versteh ich das auch nicht. Könnten es nicht doch eher Kopistenabschriften sein ?

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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