Alle reden über Leos Janacek: Sinfonietta

  • Ich freue mich, heute den Gewinner der Auslosung aus dem Thread Alle sprechen über das selbe Musikwerk II präsentieren zu können: Leos Janacek - Sinfonietta



    Einleitend einige Anmerkungen zu
    Leben und Werk von Leos Janacek


    1854 in Hukvaldy (Hochwald) in Mähren als Sohn eines Oberlehrers und Organisten geboren.
    ab 1865 Stiftszögling im Augustinerkloster Brünn mit musikalischer Ausbildung, dort auch erste Erfahrungen als Chorleiter. Bis zu seinem Tod bleibt Brünn seine Heimatstadt. Er wird Chormeister, gründet eine Musikzeitung, wird 1882 zum Direktor der Brünner Orgelschule ernannt (dieser Stellung bleibt er bis 1919 treu), organisiert und dirigiert Konzerte, wird zu einer wichtigen Größe im kulturellen Leben der Stadt. Das kompositorische Schaffen, überwiegend Chormusik, bleibt im Hintergrund, trotz jeweils etwa einjährigem Studium an den Konservatorien in Leipzig und Wien.


    1882 beginnt Janacek, Volkslieder aus seiner mährischen Heimat zu sammeln, in Bearbeitungen herauszugeben und theoretische Schriften darüber zu verfassen. Spätestens ab 1891 geht er einen entscheidenden Schritt weiter. Er sammelt Sprechmelodien, kurze Floskeln aus der Umgangssprache, die er in nicht endender Fülle bis zu seinem Tod als musikalische Motive notiert und auf unzähligen Notizzetteln aufbewahrt. In der älteren Litaratur wird dieser von Janacek geprägte Terminus auch als Sprachmelodie übersetzt, was mißverständlich ist. Es geht um real gesprochene, situations- und personenbezogene Umgangssprache. Die sangliche Eigenart und rhythmische Prägnanz der tschechischen Sprache dürfte ein wesentlicher Anreiz für Janaceks Studien gewesen sein (meine persönliche Vermutung ist, daß auch Janaceks untypische Sprechweise eine gewisse Rolle spielte: er soll ziemlich unmelodiös, ja abgehackt gesprochen haben, wodurch sich sogar sein eigener Name (korrekt Janaatschek ausgesprochen) für seine Landsleute ungewohnt angehört haben muß. Um Mißverständnisse zu vermeiden, meldete er sich in späteren Jahren am Telefon mit „Mein Name ist Janatschek mit langem a“).


    Die Integration von folkloristischen Elementen und der Sprechmelodien in Janaceks Kompositionsstil findet während seiner Arbeit an der Oper Jenufa statt. Noch aus einem anderen Grund markiert diese Zeit eine Wende: die geliebte Tochter Olga stirbt, in der Folge Janaceks Ehe einer unaufhaltsamen Zerrüttung entgegen. Die Oper ist dem Gedenken an Olga gewidmet, und um der persönlichen Krise zu begegnen, wandelt sich Janacek zum berufenen Komponisten, der nun endlich die Mittel zu einem persönlichen und reifen Kompositionsstil gefunden hat.
    Jenufa wird ab 1904 in Brünn mehrfach aufgeführt, aber noch bleibt der Erfolg regional.
    Das ändert sich erst, als in Prag Max Brod auf den mährischen Außenseiter aufmerksam wird und begeistert für ihn Partei ergreift. Er überträgt die Operntexte zu „Jenufa“ und „Die Ausflüge des Herrn Broucek“ (in zwei Teilen 1908 und 1917 entstanden) ins Deutsche - keine leichte Aufgabe und logischerweise nur ein Notbehelf -, wodurch schließlich 1918 die Aufführung von Jenufa an der Wiener Hofoper ermöglicht wird. Quasi über Nacht wird Janacek als Vertreter der musikalischen Avantgarde erkannt und anerkannt. Gleichzeitig erlebt Janacek mit dem Ende des Krieges die ersehnte Entstehung des tschechischen Staates und die aufstrebende Entwicklung Brünns zur kulturell eigenständigen Metropole. Zu allem Überfluß verliebt er sich in die junge, wenn auch verheiratete Kamilla Stösslova, die bis zu seinem Lebensende seine Muse bleibt.


    Es bleibt ihm ein Jahrzehnt, um in schöpferischer Höchstform und international geschätzt ein Meisterwerk nach dem anderen zu schreiben: die Opern Katja Kabanowa (1921), Das schlaue Füchslein (1923), Die Sache Makropulos (1925), Aus einem Totenhaus (1928 ), die beiden Streichquartette (1923, 1928 ), das fröhlich-ausgelassene Bläsersextett Mladi (1924 anläßlich seines 70. Geburtstages komponiert und augenzwinkernd mit dem Titel „Jugend“ bedacht) u.a.
    1926 wird ein besonderes Jahr, denn hier entstehen die beiden außerhalb des Opernschaffens bedeutendsten Werke: Sinfonietta und die Glagolitische Messe.



    Ein paar Gedanken zum Kompositionsstil


    Harmonie und Klanglichkeit
    harmonisch geht Janacek nicht wesentlich über eine erweiterte Tonalität hinaus, wie sie viele nicht-atonal komponierende Zeitgenossen verwenden (Bartok, Debussy u.a.). In seiner Harmonielehre fordert Janacek, daß jeder Akkord mit jedem verbunden werden kann. Von Debussy übernimmt er die Ganztonleiter und die Pentatonik, die als Ergänzung zur Dur-Moll-Tonalität eingesetzt werden. Eine besondere Klanglichkeit erreicht Janacek durch eine Vorliebe für Tonarten mit vielen b's, häufig Des-Dur und besonders seine Lieblingstonart as-Moll. Letztere hat 7 b's, in manchen Partituren steht seitenweise vor jeder Note ein b, was das Spiel im Orchester nicht gerade erleichtert.
    Ein weiteres unverwechselbares Charakteristikum ist der „Spreizklang“ oder die „ausgesparte Mitte“: ein massives Baßfundament beispielsweise mit Akkorden in den Posaunen, darüber unter weitgehender Aussparung der Mittelstimmen sehr hohe Streicher oder Holzbläser, die oft sogar in schrille Regionen geführt werden. Dazwischen ist Platz für einsame Melodielinien und – in den Opern – für die Singstimmen, die auf diese Weise kaum Gefahr laufen, vom Orchester überdeckt zu werden (gleichwohl haben es schon immer wohlmeinende Dirigenten für nötig befunden, die vermeintlich fehlende Mitte zu ergänzen. Erst Mackerras hat sich für die Wiederinkraftsetzung der autographen Orchestrierungen stark gemacht).


    Rhythmus
    In der tschechischen Sprache wird jedes Wort auf der ersten Silbe betont, unabhängig von der Wortlänge und ob danach lange oder kurze Silben folgen (eine Eigenart, die in den anderen slawischen Sprachen nicht wiederzufinden ist, jedoch auch im Ungarischen). Bei Präpositionen geht sogar die Betonung des nachfolgenden Adjektivs bzw. Substantivs auf die Präposition über - diese Eigenart wurde von mir andernorts einmal bezeichnet als Strategie zur Vermeidung von Auftakten, was man in tschechischer Musik durchaus wiederfinden kann. Zusammen mit den häufig langen Endsilben und vielen langen vorletzten Silben ergibt sich aus der Betonungsregel eine ganz natürliche Synkopisierung der Sprache, die sich ganz besonders in Janaceks musikalischer Sprache wiederfindet.
    Rhythmische Spannungen entstehen zudem durch häufige Taktwechsel und fast ausschließlich unregelmäßige Periodenbildungen.
    Im Gegensatz dazu werden oft längere Spannungsbögen gebildet durch ostinatohaft wiederholte rhythmische und motivische Keimzellen oder Begleitfloskeln.


    Weitere besondere Kennzeichen
    höchste Verdichtung des musikalischen Ausdrucks, die Musik ist quasi immer auf 180, Ruhepausen und überhaupt ein richtig langsames Tempo gibt es kaum. Eine Satzdauer über 5 Minuten ist schon ausgesprochen lang, ein Opernakt ist nach durchschnittlich 30 Minuten zu Ende (und die Mitwirkenden haben sich wahrlich eine Pause verdient).
    Immer geht es unmittelbar zur Sache, und wer von Janaceks Musik in den Bann gezogen wird, der spürt das in der Regel ebenso unmittelbar.




    Sinfonietta


    1. Allegretto (2:25)
    2. Andante (6:10)
    3. Moderato (5:23)
    4. Allegretto (3:02)
    5. Andante con moto (7:14)


    (Dauern nach Mackerras / Wiener Philharmoniker)


    Der erste Satz enstand als Auftragskomposition für einen Turnverein, dessen Mitglied Janacek war. Er komponierte eine Fanfare für Militärkapelle, bestehend aus 9 Trompeten, 2 Tenortuben, 2 Baßtrompeten und Pauken.
    Kurze Zeit später hat Janacek die anderen Sätze hinzukomponiert und wollte das ganze Werk als Huldigung an seine Stadt Brünn verstanden wissen:
    Der Strahl der Freiheit wurde über die Stadt gezaubert, der Strahl der Wiedergeburt, am 28. Oktober 1918! Ich sah mich in ihr, ich gehörte ihr. Und das Geschmetter der siegreichen Trompeten, die heilige Ruhe des entlegenen Königinklosters, die nächtlichen Schatten und der Atem der grünen Berge, die Vision eines sicheren Aufschwungs und der Grösse der Stadt erwuchs aus dieser Erkenntnis in meiner Sinfonietta, aus meiner Stadt - Brünn!


    1. Satz
    Es spielt nur die oben erwähnte Militärkapelle (heutzutage aus zusätzlichen Orchestermusikern rekrutiert), das „normale“ Orchester schweigt. Aus einfachen rhythmischen und motivischen Keimzellen, die satztechnisch genial verwoben werden, entwickelt sich in zwei Steigerungswellen eine prächtige Blechbläser-Klangfläche, die am Ende eine Weile in Des-Dur badet, um relativ abrupt abzubrechen. Der allgegenwärtige Rhythmus tatataa taatata taucht mehr oder weniger deutlich erkennbar in den nachfolgenden Sätzen wieder auf.


    2. Satz
    Der zweite Satz ist zwar „Andante“ überschrieben, der Hauptteil steht aber ebenfalls im Allegretto, er bringt eine leichtfüßige Melodie in Achtelbewegung und, etwas langsamer, eine kantilenenartige Melodie in (überwiegend) Vierteln, beide abwechselnd von Holzbläsern und Streichern vorgetragen.
    Auf dem Höhepunkt (Maestoso) erscheinen erstmals die Trompeten (des „normalen“ Orchesters) mit einer angedeuteten Fanfare, die aus Keimzellen des 1. Satzes gebildet ist.


    3. Satz
    Der dritte Satz bringt wieder eine andere Besetzung ins Spiel: die arpeggierte Begleitfigur der Harfe und das später hinzutretende Englischhorn verleihen dem leicht melancholischen Hauptthema eine besondere Klangfarbe. Achtung, dieses Thema klingt für uns zwar auftaktig, ist es aber nicht: es beginnt mitten im Takt, der Schwerpunkt ist erst auf dem vierten Ton, nicht dem zweiten, also: ---tataaata taaa...
    Ein weiteres Verständnisproblem besteht für das kurze Zwischenspiel, in dem die Posaunen den synkopischen Rhythmus tataa tataa tataa einführen, der später noch eine prominente Rolle spielen soll (er ist übrigens schon aus der Einleitung des zweiten Satzes bekannt, und wir werden ihm auch im Kehraus-Schluß des vierten Satzes begegnen).
    Allerdings taucht im mittleren Abschnitt tatsächlich eine der seltenen auftaktigen Themen auf, ein bäuerisch klingender Walzer, der zunächst von der Posaune intoniert und von tiefen Streichern plump begleitet wird. Dieser Abschnitt führt nach einer massiven Steigerung zu einem aberwitzigen Prestissimo-Höhepunkt, in dem die Trompeten fanfarenartig den besagten synkopischen Rhythmus schmettern, und sich Flöte und Pikkoloflöte in dem Versuch, ihr Zwischenspiel in der vorgegebenen Zeit hinzubekommen, schier überschlagen (sie haben 32stel zu spielen, und das in der nicht gerade alltäglichen Tonart des-Moll). Ebenso schwer scheint es zu sein, dafür zu sorgen daß der Fanfarenrhythmus tataa tataa tataa tataa tataa nicht zum auftaktigen tataa tataa... umkippt, eine Kunst, die merkwürdigerweise tschechischen Orchestern im allgemeinen besser gelingt. Nichtsdestrotrotz verfehlt diese mitreißende Stelle ihre Wirkung eher selten.


    4. Satz
    Im vierten Satz haben die drei Trompeten des Orchesters von vorneherein das Hauptthema, das beinahe durchgehend ostinatohaft wiederholt wird (zum rhythmischen Verständnis: tatatata tatataa taatata - der zweite bis dritte Takt zitiert den bekannten Rhythmus aus dem ersten Satz).


    5. Satz
    Im Finale wartet Janacek mit einem besonderen Clou auf. Nach einem zunächst lyrischen Anfang mit Flöten- und anderen Holzbläserklängen tritt eine allmähliche dramatische Steigerung ein, während der der Orchesterklang quasi aufgespreizt wird. Die Holzbläser werden in teils schrille Regionen geführt, unten massieren sich die Posaunen. Es ist als würde ein Vorhang aufgehen für das was nun kommt: die Militärkapelle tritt, nachdem sie dreieinhalb Sätze lang pausiert hat, wieder in Erscheinung und wiederholt wörtlich den ganzen ersten Satz. Das Orchester begleitet zunächst in Trillerketten, die sich allmählich zu einem neuen strahlenden Motiv verdichten. Dem Ende des zitierten ersten Satzes wird noch eine kurze typisch Janaceksche Akkordfolge angehängt (die stark dem Schluß von „Taras Bulba“ ähnelt) und damit dem Feuerwerk mit 12 Trompeten ein atemberaubender Schlußpunkt gesetzt.



    :hello:Khampan



    weiterführende Links:
    wewewe.leos-janacek.org/lex/1s2.htm
    ein Lexikon in progress zu allen möglichen Stichwörtern rund um Janacek, bringt zur Sinfonietta interessante Details, u.a. Notenbeispiele zum 1. Satz und eine komplette Diskographie.


    erste Partiturseite:
    wewewe.universaledition.com/truman/en_templates/view.php3?f_id=279


    aktuelle Aufführungen aller bei Universal Edition verlegten Werke Janaceks:
    wewewe.universaledition.com/truman/en_templates/konz_akt.php3?komp_uid=2012


    sowie bisheriges, beileibe nicht unwesentliches aus dem Taminoforum:
    Janacek - Versuch eines Zugangs (seit Jan 06 verwaist, enthält auch einige wichtige Anmerkungen zur Sinfonietta. Ich war ergriffen zu sehen, wie viele Janacek-Süchtige dieses Forum vor mir bereits beherbergt hat)


    Janáceks "Taras Bulba"

  • Lieber Khampan,


    danke für diesen tollen Beitrag, den ich bestimmt noch öfter lesen werde, weil er mir in kompakter Form mehr über Janacek mitteilt als mir aus man längeren Quellen bekannt war.


    Nur: was bleibt einem da noch zur Sinfonietta zu sagen? Mir nichts.


    Höchstens eine Frage: wie erklärt sich der leicht verniedlichende Titel des Werkes?


    Jetzt bin ich aber erst recht gespannt darauf, was die anderen da zu ergänzen haben.


    :hello: Rideamus

  • Hallo, Khampan!


    Vorsicht, ich schreibe noch nichts sachlich Relevantes! (Fällt mir überdies viel leichter als das Gegenteil!)


    Herzlichen Dank für Deine höchst professionelle Einführung, bei der noch nicht einmal statistische Literaturangaben fehlen!


    :jubel:


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Khampman,


    was soll man zu Deinem Beitrag noch sagen, als :jubel: :jubel: :jubel:


    Was könnte ich mit meinem mehr als bescheidenen Wissen noch dazu beitragen, wenn selbst Rideamus -wenigstens momentan noch- die Worte fehlen. Jedenfalls hast Du durch die Links für weiteren Lesestoff gesorgt und die Sinfonietta werde ich vermutlich jetzt ganz anders wahrnehmen.


    Vielen Dank


    Emotione

  • Hallo Khampan,


    vielen Dank für Deinen ausführlichen Beitrag.


    Deine Wahl und natürlich die Auslosung Deines Vorschlages freuen mich wirklich sehr, denn dadurch habe ich die Musik eines m.E. nach sehr interessanten Komponisten kennengelernt.


    Zitat

    Immer geht es unmittelbar zur Sache, und wer von Janaceks Musik in den Bann gezogen wird, der spürt das in der Regel ebenso unmittelbar.


    Das möchte ich unterstreichen.


    Mich hat der "Trometenhagel" zu Beginn des ersten Satzes nicht nur überrascht, sondern auch sofort in den Bann gezogen. Was für ein Beginn? Weghören geht überhaupt nicht. Die dann zum Teil abrupten Wechsel der Instrumente bringen eine vibrierende Spannung in das ganze Werk.


    Der kurze melodisch, tänzerische Teil des 3. Satzes läßt kaum Zeit für das Gefühl von Feinheit und Sinnlichkeit.


    Atemberaubend ist nicht nur wie Khampan richtig schrieb der Schluss der Sinfonietta. Ich denke das ganze Werk hat dieses Prädikat verdient.


    Ich bin gespannt auf Eure Beiträge


    LG


    Maggie

  • Hallo, miteinander!


    Vor wenigen Jahren hatte ich mal am Gymnasium einen Wahlkurs "Kreatives Schreiben" zu betreuen. Ich hatte die Idee, zu einer Reihe kurzer, prägnanter Musikstücke assoziative Texte (Szenen, Gedichte, Geschichten, Drehbücher u.a.) entwerfen zu lassen. Bekanntlich sind viele 15- bis 18-Jährige bezüglich Kunstmusik sehr offen - und das meine ich jetzt gar nicht so positiv, denn aufgrund ihres fehlenden Vorwissens sind die Assoziationen doch äußerst beliebig. Namentlich vorgestellt habe ich die Ausschnitte erst hinterher.

    Beliebig - so ging es mir mit Mozart KV 467/2 (wie einfallsreich von mir ... :beatnik: ), mit Jazz von Jerry Mulligan, mit der Musik zu der TV-Kultserie "Irgendwie und sowieso" von Haindling, mit Vivaldi, selbst mit dem Faun von Debussy. Nicht so bei der Janacek-Fanfare. Unabhängig voneinander vermittelte mir ein halbes Dutzend Schüler ganz ähnliche Bildbereiche: eine Ritterburg, auf der sich wichtige Staatsmänner treffen, eine Kaiserkrönung, die Eröffnung der Gladiatorenkämpfe ...


    :)


    Beste Grüße, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo Khampan,


    nach dieser großartigen Einführung freue ich mich auf meine bestellte CD, die ich dann mit sehr offenen und neugierigen Ohren hören werde!


    :jubel::hello:


    Elisabeth

  • Angeregt durch den Wahlthread habe ich mir die CD aus der Zeit-Edition mit Rattle bestellt, allein schon, weil ich (bewußt) vorher nichts von Janacek gehört hatte.


    Als ich den ersten Satz hörte, mußte ich spontan an Veranstaltungen a la "Musikparade der Nationen" denken (man sehe mir das bitte nach).
    Nachdem ich Deine Ausführungen (hierfür :jubel: :jubel: :jubel: )
    gelesen habe, lag ich mit meinen spontanen Assoziationen (Militärkapelle) nun doch nicht sooo weit weg vom Thema.


    So, nun auf zum CD-Player, Sinfonietta einlegen, Deine Ausführungen studieren und geniessen......

  • Nachdem Khampan schon soviel Wichtiges zu den kompositorischen Sachverhalten gesagt hat, erst mal ein paar verstreute Gedanken zu anderen Aspekten der Sinfonietta: sie ist schon durch den Anlass der Komposition als ein "öffentliches" Werk charakterisiert - in gewisser Weise ein profanes Gegenstück zur "Glagolitischen Messe". Sehr interessant finde ich die gesellschaftliche Perspektive des Werkes, das aus der "volksmusikalischen" Sphäre einer Blas- bzw. Militärkapelle entsteht, sich dann im normalen Orchester "kunstmusikalisch" weiterentwickelt und dann im Schlussatz beide Sphären triumphal vereint. Janacek will sowohl auf der Ebene der Komposition wie auf der Ebene der Aufführung gleichzeitig "populär" und "komplex" sein - Dieter Schnebel erkennt gerade in der Sinfonietta den Wunsch "nach einer ursprünglichen Einheit des Menschen mit der Natur, der Gesellschaft und der Kultur, aus der dann auch die Kraft erwächst in eine sei's auch noch so utopische Zukunft voranzuschreiten."


    Janacek war kein Komponist "absoluter Musik". Die Sinfonietta ist - wie fast alle anderen Instrumentalwerke Janaceks - Programmusik (im weitesten Sinne). Khampan hat schon darauf hingewiesen, dass es um eine Huldigung an die geliebte Stadt Brünn geht - und zwar im historischen Kontext der nationalen Unabhängigkeit der Tschechoslowakei 1918. In einem seiner vielen Feuilletons gab Janacek den einzelnen Sätzen Titel: 1. Fanfaren, 2. Burg, 3. Das Königin-Kloster, 4. Straße, 5. Rathaus. "Und da gewahrte ich die Stadt in wunderbarer Verwandlung. In mir schwand die Abneigung gegen das düstere Rathaus, der Haß gegen den Berg, in dessen Eingeweiden soviel Schmerz gebrüllt hat, die Abneigung gegen die Straße, und was auf ihr wimmelte" (es folgt der von Khampan zitierte Passus). Das Werk wurde von Janacek auch "Militär-Sinfonietta" genannt und sollte ursprünglich der "tschechoslowakischen Wehrmacht" gewidmet werden.


    Das programmatische Konzept ist im Gegensatz zum eher traditionell erzählenden "Taras Bulba" durchaus originell - die Überschriften der Sätze "haben etwas Archetypisches, sprechen eine Grundschicht des Lebens überhaupt an" (Dieter Schnebel). Dadurch entgeht Janacek einer eher illustrativen Variante der Programmusik (wie in "Taras Bulba", in Dvoraks symphonischen Dichtungen oder in Smetanas "Ma vlast"). Den Topos der Überwindung (analog zur Überwindung der österreichischen Frendherrschaft) kann man zumindest im zweiten und fünften Satz feststellen - im "Burg"-Satz wird Unruhe und Hektik von der angedeuteten Trompetenfanfare abgelöst, im "Rathaus"-Satz gibt es die von Khampan beschriebene dramatische Zuspitzung vor dem Wiedererscheinen der Fanfare. Der zyklische Gedanke (der Schluss des Werkes kehrt zum Anfang zurück) verbindet die Sinfonietta noch stärker mit der "Glagolitischen Messe", an deren Schluss die einleitende, der Sinfonietta-Fanfare nicht unähnliche Intrada ebenfalls wiederkehrt.


    Um Missverständnisse zu vermeiden: ich will die programmusikalische Dimension der Sinfonietta nicht überbetonen, halte sie aber trotzdem für wichtig (interessant fand ich, was WolfgangZ über die Assoziationen der Schüler erzählt hat). Man kann das Werk natürlich auch in der Geschichte der Sinfonie als Gattung verorten: wenn man die Einleitungsfanfare beiseite lässt, entsprechen die Sätze 2-5 ansatzweise einer "normalen" viersätzigen Sinfonie - allerdings in einer sehr kompakten und konzentrierten Ausprägung.


    Ich liebe die Sinfonietta - wie die meisten Werke Janaceks - schon seit langer Zeit. Die drei Male, die ich sie im Konzert gehört habe, waren jedesmal ein großes Erlebnis. Wenn ich aus der Einheit des Werks zwei Lieblingssätze hervorheben darf: Die sogartige Lyrik des dritten Satzes, unterbrochen von der für Janacek so typischen durchdrehenden, die Instrumentalisten bis zum Äußersten fordernden grotesken Episode. Und der Finalsatz mit dem von Khampan beschriebenen Auseinanderspreizen des Orchesterklangs vor dem Wiederauftauchen der Fanfare, und mit der "Coda", die so wundervoll triumphal und doch nicht triumphalistisch wirkt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hi!


    Für mich ist die Sinfonietta noch eher gewöhnungsbedürftig (aber weit weniger schlimm als "Le sacre du printemps" auf der gleichen CD). Ich werde sie aber gleich nochmal mit den vielen tollen Infos hier ( :jubel: ) im Hinterkopf hören. Möglicherweise braucht es aber noch ein bisschen mit dem Verständnis...



    Gruß,
    Spradow.

  • Dank des hervorragenden und ausführlichen Einleitungsbeitrages von Khampan gibt es kaum noch etwas zu Janaceks Sinfonietta zu schreiben, außer über die verfügbaren CD-Aufnahmen zu schreiben.


    Aber auch in dieser Hinsicht ist durch Khampan´s Hinweise auf die Links der beiden Janacec-Thread´s schon einiges geschrieben worden. Wenn man dort nachschaut finden sich alle wichigen Aufnahmen.


    Die Mackerass-Aufnahme mit den Wiener PH (Decca), die Khampan auch als Beispiel für die Satzlängen heranzieht, fand bereits positive Erwähnung in diesen Threads.
    Mackerass scheint ohnehin ein Liebhaber der Sinfonietta zu sein. Auf Supraphon hat er mit der Tschechischen PH eine offenbar qualitativ vergleichbare Aufnahme gemacht (ich kenne diese allerdings nicht).


    :yes: Meine erste Aufnahme dieses spritzigen Werkes möchte ich aber auch nicht unerwähnt lassen:
    Es war eine CBS-LP mit Szell / Cleveland Orchestra.
    IMO genau die richtige Aufnahme um die Sinfonietta kennzulernen und mit dem Werk gleich "warm" zu werden.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Janacekfreunde,


    Der Einführungsbeitrag von Khampan ist natürlich phantastisch aber teleton kann ich nicht zu 100 Prozentern beipflichten.


    Zitat

    Original von teleton
    Dank des hervorragenden und ausführlichen Einleitungsbeitrages von Khampan gibt es kaum noch etwas zu Janaceks Sinfonietta zu schreiben, außer über die verfügbaren CD-Aufnahmen zu schreiben.


    Neben verschiedenen Aufnahmen läßt sich vielleicht doch noch das eine oder ander darüber schreiben, wie der einzelne das Werk wahrnimmt, erste Eindrücke, Vergleiche...


    Ich muss vorallem im zweiten Satz ständig an Strawinsky und Bruckner denken. Vielleicht geht das dem einen oder anderen ähnlich und findet sogar eine Erklärung dafür.


    Liebe Grüße
    GalloNero
    :hello:

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Vielen Dank für eure zahlreichen lobenden Worte.
    Das war aber nicht meine Absicht, daß sich jetzt so wenige aus der Deckung wagen...
    Wie z.B. GalloNero richtig schreibt, ist es sehr wohl von allgemeinem Interesse, wie jeder einzelne das Werk wahrnimmt. Bei wem war es (wie in meinem Fall) "Liebe auf den ersten Blick", bei wem hat es länger gedauert bzw. wem gefällt Janacek gar nicht und warum...


    Sehr schön fand ich Maggies "Weghören geht überhaupt nicht", das ist wunderbar auf den Punkt gebracht. Aber geht es allen so? - Mir auf jeden Fall, denn obwohl mir genau wie Bernd die Sätze 3 und 5 am besten gefallen, kann ich nicht anders als alle 5 Sätze hintereinander anhören, die innere Dramatik vom Anfang zum Ende ist einfach zu stringend (die einzige Ähnlichkeit zu Bruckner, die ich finden kann).


    Um auf die Frage von Rideamus einzugehen - den "verniedlichenden" Titel Sinfonietta (auch Symfonietta) verstehe ich in erste Linie als Hinweis auf die kurze Spielzeit, eventuell noch als Ausdruck von Bescheidenheit (ähnlich Brahms, der das 2. Klavierkonzert als "kitzekleines Klavierkonzert" ankündigte). Nicht zu vergessen, die tschechische Sprache ist voll von diminutiven Endsilben, worüber sich die Polen übrigens kaputt lachen, es klingt für sie wie eine Kindersprache. Jedenfalls ist der Titel praktisch, jeder versteht was gemeint ist, wenn man über DIE Sinfonietta spricht.


    Sehr wichtig finde ich Bernds Hinweis auf die Verwandtschaft mit der Glagolitischen Messe, die ich als mindestens ebenbürtig ansehe. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß der Zugang zu ihr nicht ganz so einfach ist wie bei der Sinfonietta. Reicht es aus, wenn man den Text verfolgt (der ja meist mehrsprachig im Booklet abgedruckt ist), oder gehört mehr Überwindung dazu? Wie bekannt ist die Glagolitische Messe überhaupt?


    Ich freue mich auf rege Beteiligung,
    Khampan

  • Auch ich fand Bernds Hinweis auf die glagolitische Messe sehr hilfreich, denn er verband etwas, was mir zwar bewusst, aber noch nicht Thema geworden war. Vorab sei zugegeben, dass ich mich mit Janaceks Werk und insbesondere seinen Opern lange Zeit sehr schwer tat und sie mir auch heute noch lange nicht so liegen wie etwa Verdi (pace, Philhellene). Ob es an der verhaltenen Überzeugungskraft von Janaceks Sprachmelodie und meiner Unkenntnis der tschechischen Sprache liegt (was andere nicht zu stören scheint), weiß ich nicht. Es ist einfach so.


    Zwei Werke Janaceks gibt es allerdings, die mich mit ihren starken Motiven und deren Verarbeitung auf Anhieb begeisterten, und das waren/sind die Sinfonietta und die Glagolitische Messe, deren Aufnahme unter Kubelik ich mir nach dem überzeugenden Erlebnis von Szells Sinfonietta besorgt und sehr oft gehört habe. Taras Bulba empfand ich dagegen vor allem als lärmend, was zwar dem Thema angemessen war, aber ... war wohl nicht mein Thema.


    Es wäre in der Tat interessant, einmal intensiver nachzuforschen, warum ich gerade diese beiden Stücke so mag, denn auch ich kann mich mit Maggies Satz identifizieren, dass man bei der Sinfonietta einfach nicht weghören kann. Das bedeutet aber auch, dass man sie nicht im Hintergrund einer anderen Tätigkeit hören kann, von woher sich viele meiner Lieblingswerke eingenistet haben. Das gilt zwar grundsätzlich bei allen ernst zu nehmenden Musikwerken, aber - mea culpa - so ist es nun einmal. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden, und nicht wenige davon gingen und gehen immer noch auf konzentrierte Arbeit und Schlaf drauf.


    Aus diesem Grunde kann ich diesem Thema leider auch jetzt nicht nachgehen, denn andere Themen fordern Priorität und erhalten sie auch bereitwilliger als Janacek. Ob es mir passt oder nicht, der ist für mich immer noch mehr hochinteressante Arbeit als reines Vergnügen.


    Ich sage das mit vollem Bewusstsein, dass ich mich mit diesem Bekenntnis in den Augen gar nicht so weniger hier diskreditiert habe, aber ich bekenne mich dazu, im Laufe der Jahre bequemer geworden zu sein.


    Das heißt nicht, dass ich dieser Diskussion nicht weiterhin mit gro0ßem Interesse folgen und mich darin auch gerne zurück melden werde, wenn ich meine, etwas dazu beitragen zu können.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Zitat GalloNero
    Ich muss vorallem im zweiten Satz ständig an Strawinsky und Bruckner denken.


    Zitat

    Zitat Khampan
    die einzige Ähnlichkeit zu Bruckner, die ich finden kann


    Beides ist meiner Meinung nach richtig. Bruckner und Janácek teilen vier stilistische Facetten.
    1) Blockhafter Satz mit meist übergangslos aneinandergefügten Abschnitten bzw. Übergängen, die als solche kenntlich gemacht sind.
    2) Ostinati, die in sich kreisen oder/und mit Quarten/Quinten als charakteristisches Intervall gestaltet sind.
    3) Plötzliches Ausdünnen des Satzes, wobei nur das Ostinato übrigbleibt und zum nächsten Abschnitt führt.
    4) Instrumentierung in deutlich erkennbaren Schichten.


    Wenn nun Janáceks Ostinati etwa über einem Blechsatz liegen, dann ist das durchaus eine Parallele zu Bruckner, der solche Klanglichkeiten ebenfalls als zentrale Ereignisse inszeniert.


    Hört man aber genauer hin oder/und liest die Partitur, merkt man, daß die Parallelen zwar vorhanden sind, aber nur, wenn man die klanglichen Ereignisse isoliert. Sobald der Zusammenhang hergestellt ist und man auch die Instrumentierung genau ansieht, merkt man, daß es doch zwei sehr unterschiedliche stilistische Sphären sind. Aber ich muß gestehen, daß sich bei Janáceks Musik der Gedanke, "das klingt doch jetzt nach Bruckner" auch bei mir öfters eingestellt hat.


    :hello:

    ...

  • Hallo Gallo Nero,


    "kaum noch etwas" heißt ja nicht, dass man sonst nichts mehr schreiben kann.
    Ich wollte mit meinem Satz ja nur meiner Begeistung zu Khampans Einführungsbeitrag Ausdruck verleihen.


    Es stimmt, die Sinfonietta hält einen beim Hören gefangen, wie ein spannender Krimi. Man muß einfach weiterhören und sich diesen frischen Klängen hingeben, bis der rauschende Schlußsatz das Werk beendet.


    Interessant auch die stilistischen Facetten von Bruckner und Strawinsky zu erkennen.
    Ich hatte bisher gerade bei der Sinfonietta den Eindruck eines sehr eigenständigen Werkes mit 100%-Wiedererkennungswert für Janacek.


    Nicht weniger interessant als die Sinfonietta ist für mich auch die sinfonische Dichtung Taras Bulba.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von Khampan
    Harmonie und Klanglichkeit
    harmonisch geht Janacek nicht wesentlich über eine erweiterte Tonalität hinaus, wie sie viele nicht-atonal komponierende Zeitgenossen verwenden (Bartok, Debussy u.a.). In seiner Harmonielehre fordert Janacek, daß jeder Akkord mit jedem verbunden werden kann. Von Debussy übernimmt er die Ganztonleiter und die Pentatonik, die als Ergänzung zur Dur-Moll-Tonalität eingesetzt werden. Eine besondere Klanglichkeit erreicht Janacek durch eine Vorliebe für Tonarten mit vielen b's, häufig Des-Dur und besonders seine Lieblingstonart as-Moll. Letztere hat 7 b's, in manchen Partituren steht seitenweise vor jeder Note ein b, was das Spiel im Orchester nicht gerade erleichtert.
    Ein weiteres unverwechselbares Charakteristikum ist [...]


    Pardon, aber damit keine Mißverständnisse entstehen: Alles vor dem Satz "ein weiteres unverwechselbares Charakteristikum" ist NICHT ein unverwechselbares Charakteristikum, sondern eher das Gegenteil: das machten so ziemlich alle, die modern waren oder sein wollten, sofern sie die Tonalität nicht über Bord warfen.


    Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das Werk zum ersten Mal gehört habe. Ich kannte bereits Strawinskys Sacre, ein Lieblingsstück seit früher Jugend bei mir, und lernte auf der neuen CD Bartoks wunderbaren Mandarin und Janaceks Sinfonietta kennen - soweit ich mir einbilde mich erinnern zu können, haben beide Stücke sofort eingeschlagen. Dass man mit Janaceks Musik Probleme haben könnte (langatmig?) kommt mir erst in letzter Zeit in den Sinn, bei der Sinfonietta wäre ich nie auf den Gedanken gekommen. Ähnlich wie die Sinfonietta, aber (angenehmerweise) etwas spröder sind die beiden wunderbar kuriosen Werke für Klavier und merkwürdige kleinbesetzte Instrumentalensembles, die ich in den letzten Jahren der eventuell etwas zu oft gehörten Sinfonietta vorgezogen habe. Das Herausstellen und dem-Hörer-Einbläuen einfachster Elemente findet dort für mein Empfinden noch vehementer und unmittelbarer weil quasi kunstloser statt, sodass ich kein Bedürfnis nach der "staatstragenden" Sinfonietta hatte. Aber jetzt werde ich mir das "populäre Einstiegswerk" wieder mal zu Gemüte führen.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Janacek war kein Komponist "absoluter Musik". Die Sinfonietta ist - wie fast alle anderen Instrumentalwerke Janaceks - Programmusik (im weitesten Sinne).


    Wobei das Programm manchmal nicht gar so klar ist. Das "verwehte Blatt" auf dem verwachsenen Pfade war vor der Drucklegung mal ein "Liebeslied". Man sollte sich wohl nicht allzuviel konkretes vorstellen (vor allem bei einer Huldigung an das Militär ...)
    :wacky: :D :hello:

  • Hallo allerseits!


    Ein mehr als gelungener Thread :yes:
    Allein beim Lesen der kleinen Werkanalyse und gleichzeitigem Hören der Sinfonietta hat man schon wieder ganz neue und andere Fassetten der Komposition wahrnehmen können! Bzw. hat man einiges mit anderen Ohren hören können.


    Also auch von mir ein Lob für diese tollen Ausführungen.


    Auch bei mir war es irgendwie Liebe beim ersten Hören - jedenfalls setzte sich sofort weitere Neugier und eine gewisse Sucht nach dem Werk ein...meine Freundin kann ein Lied davon singen: "Schon wieder diese CD?" " :] :] :] Ja..."
    Allein diese Trompetenklänge faszinieren mich und ziehen mich in ihren Bann - wahrscheinlich war das auch als erstes der Grund dafür, dass ich die Ohren nicht mehr davon lassen konnte. Diese Klangwelt gerade auch im ersten Satz mit seinen Steigerung unter den Bläsern und mit der Pauke an der Seite ist genau mein Ding.
    Der Einsatz des 2.Satzes im Gegensatz dazu total anders, hat etwas mystisches...im weiteren Verlauf lässt mich die Faszination nicht mehr los, sondern zieht mich immer weiter hinein.
    Und immer wieder kommen für mich als Laien - der nun nicht so viel Ahnung von den kompositionstechnischen Hintergünden versteht, diese aber mit großem Interesse gelesen hat und versucht herauszuhören - herrliche Passagen, ob nun im 3., 4. oder 5.Satz. Es ist einfach ein Werk, dass sich schnell ins Ohr festsetzt und zu begeistern weiß.



    Auch was GalloNero geschriebenhat kann ich bestätigen - jedenfalls in Bezug auf Bruckner. Klangmassen gerade im Blech die sehr breit und teils getragen sind erinnern mich an diesen. Speziell eigentlich im 1.Satz - folglich die Wiederholung im 5.Satz.




    Mit Sir Charles Mackerras und dem Tschechisch Philharmonischem Orchester liegt mir eine mir persönlich sehr gefällige Aufnahme vor - fraglich ob da eine Alternative her muss, aber zum Vergleich gehe ich sicherlich einer Empfehlung aus diesem Thread nach.
    Im Vergleich zu den Wienern hat er an Tempo noch etwas nachgelegt:


    Zitat

    1. Allegretto (2:25)
    2. Andante (6:10)
    3. Moderato (5:23)
    4. Allegretto (3:02)
    5. Andante con moto (7:14)


    (Dauern nach Mackerras / Wiener Philharmoniker)


    1. Allegretto (2:11)
    2. Andante (5:48 )
    3. Moderato (5:20)
    4. Allegretto (2:57)
    5. Andante con moto (7:29)


    Mackerras mit den Tschechen.



    Jo, das soll es erst einmal sein.
    Hoffe doch sehr, dass hier noch manch Informatives und Anregendes entsteht.


    Lieben Gruß, Maik :hello:

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Zitat teleton
    Interessant auch die stilistischen Facetten von Bruckner und Strawinsky zu erkennen. Ich hatte bisher gerade bei der Sinfonietta den Eindruck eines sehr eigenständigen Werkes mit 100%-Wiedererkennungswert für Janacek.


    Es ist auch ein eigenständiges Werk mit 100% Wiedererkennungswert für Janácek. Wenn einem bei einer Stelle Bruckner einfällt oder Strawinski, dann in dem Ausmaß, in dem einem bei Strawinskis C-Dur-Sinfonie Haydn einfällt oder bei Bruckner Schubert. Ich halte das eher für Assoziationen des Zuhörers, die man zu erklären versuchen kann, nicht für echte stilistische Parallelen, die zu einer verwechslung führen könnten.
    :hello:

    ...

  • Hallo, Edwin und die anderen!


    Nein, verwechseln kann man die "Sinfonietta" mit nichts; mir ist aber vor kurzem eine kleine Parallele aufgefallen, die man mir ausreden möge (oder auch nicht) und die wohl nur Zufall ist - dennoch:


    Hört Euch mal die letzten drei Minuten der - in ihrer Eigenwilligkeit wohl vergleichbaren - 5. Sinfonie von Carl Nielsen an! 8o :D


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Es ist auch ein eigenständiges Werk mit 100% Wiedererkennungswert für Janácek. Wenn einem bei einer Stelle Bruckner einfällt oder Strawinski, dann in dem Ausmaß, in dem einem bei Strawinskis C-Dur-Sinfonie Haydn einfällt oder bei Bruckner Schubert. Ich halte das eher für Assoziationen des Zuhörers, die man zu erklären versuchen kann, nicht für echte stilistische Parallelen, die zu einer verwechslung führen könnten.
    :hello:


    Besser wie Edwin hätte ich es nicht formulieren können :D. Im Ernst, ich habe eben gestern noch einmal ganz bewußt hingehört. Die Eigenständigkeit des Werkes kann und will ich diesem nicht absprechen. Und das ist vielleicht das interessante. Es kommt mir alles irgendwie bekannt vor, aber das in einem unverwechselbaren Mix. Ob so Janacek klingt weiß ich nicht, weil ich nur die Sinfonietta kenne aber es klingt verdammt gut und (jetzt) unverwechselbar!


    Ich habe mich NICHT in Werk und Leben eingelesen (das lese ich lieber hier in herrlich komprimierter Form :P ;)) So war es mir (aber) möglich, die Musik völlig unvoreingenommen warnehmen zu können.


    Um meine Assoziationen des Zuhörers etwas greifbarer zu machen. Es ist z.B. der Beginn des 2ten Satzes, dessen schnelle, rythmische Klarinettenläufe sofort Assotiationen mit Strawinskys Sacre in mir wecken. Und die zweite Hälfte des selben zweiten Satzes läßt mich unweigerlich an Bruckner denken. Die Betonung liegt auf "an Bruckner denken" und hat nichts mit billiger Kopie oder Verwechslung zu tun. Hört mal rein. Bei Rattle (Die Zeit) ist es konkret min 2:53 wo ich begann Parallelen zu Bruckner zu ziehen. Hört Euch da rein und behauptet bitte das Gegentei, falls Ihr da so überhaupt kein Donerl hören könnt.


    Wie gesagt, nur Eindrücke von einem, der mit dem Herzen hört...


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Die Sinfonietta war vermutlich das erste Stück von Janacek, was ich je hörte. Im Radio. Zumindest vom Anfang war ich auch sehr schnell fasziniert. Einige Zeit später habe ich mir dann eine CD gekauft (Mackerras/Wiener); bis heute meine einzige Aufnahme. Ich muß allerdings zugeben, dass ich früher bei den wenigen ruhigeren Teilen leicht abgeschweift bin.
    Beim Wiederhören fiel mir indes auf, wie kurz diese lyrischen Passagen sind. Es handelt sich um die erste Hälfte des 3. Satzes (bevor dann die erwähnten piccolo-Explosionen kommen) und den Beginn des Finales. Die sind als Kontrast aber sehr wichtig (und sehr schön). Irgendwo las ich, dass jeder Satz des Werks eine eigene Instrumentation und Klangfarbe besitzt. Trotz der Wiederkehr der Fanfare im Finale und einiger anderer Anklänge ist das sicher richtig.
    Wenn man, was nicht ganz leicht fällt, Parallelen zur klassischen Sinfonie ziehen sollte, so müßte man wohl den 3. Satz als langsamen und den 4. als Scherzo einordnen. Die Knappheit aller Einzelsätze, die seltsamerweise nicht im Widerspruch zu der klanglichen Weiträumigkeit steht - das Werk wirkt eigentlich überhaupt nicht kurz- könnte ein Grund für die Verkleinerungsform der Bezeichnung sein.


    Da einige der Anmerkungen im thread vielleicht etwas "abschreckend" wirken könnten: Ich finde die Sinfonietta ein sehr zugängliches Werk, m.E. eingängiger als irgendeine Sinfonie von Bruckner oder Mahler und fast alle Werke von Debussy, Bartok oder Strawinsky. Berührungsängste sind hier verfehlt. Man sollte allerdings Spaß an durchaus lauter (und mitunter lärmiger) farbenreicher Orchestermusik mitbringen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Da einige der Anmerkungen im thread vielleicht etwas "abschreckend" wirken könnten: Ich finde die Sinfonietta ein sehr zugängliches Werk, m.E. eingängiger als irgendeine Sinfonie von Bruckner oder Mahler und fast alle Werke von Debussy, Bartok oder Strawinsky. Berührungsängste sind hier verfehlt. Man sollte allerdings Spaß an durchaus lauter (und mitunter lärmiger) farbenreicher Orchestermusik mitbringen.


    ABSOLUT EINVERSTANDEN !!! :jubel:


    :hello: Rideamus

  • Liebe Leute,


    die rege Beteiligung an diesem Thread freut mich sehr. Vielen Dank dir, Khampan, für die sehr schöne Eröffnung. Der Fortgang des Threads zeigt, dass das oft zu hörende Argument, ein zu umfangreicher, gehaltvoller Einstiegsbeitrag verhindere einen weitere Diskussion, lasse kein Gespräch aufkommen, nicht immer zutrifft.


    Der „Konzertführer Romantik“ von Konold enthält verschiedene Zitate Janaceks, die den Hintergrund der Sinfonietta beleuchten und die ich hier wiedergeben möchte:


    „Ich habe den Eindruck, als sei mir in meinem letzten Werk, der Sinfonietta, am besten gelungen, mich so dicht wie möglich dem Gemüt des schlichten Menschen anzuschmiegen… Meine letzte schöpferische Periode – die ist so ein neuer Ausbruch einer Seele, die mit der übrigen Welt fertig ist und dem schlichten tschechischen Menschen so nahe wie nur möglich sein will.“


    „[Mit der Sinfonietta als ganzer wollte Janacek] den freien tschechischen Menschen von heute zum Ausdruck bringen, in seiner Schönheit und Freudigkeit, seiner Kraft und seinem Mut, durch Kampf zum Sieg zu schreiten.“

    „Und eines Tages erblickte ich diese Stadt wie durch ein Wunder verwandelt. Verschwunden war mein Widerwille… Der Glanz der Freiheit, der Wiedergeburt des 28. Oktober 1918 verklärte meine Stadt! Nun blickte ich zu ihr empor, gehörte ihr. Und das Schmettern der Siegestrompeten, die weihevolle Stille über dem Hohlweg des Klosters der Königin, nächtliche Schatten und der Hauch des grünenden Berges, und die Vision des sicheren Aufstiegs und der Größe der Stadt – sie kam in meiner Sinfonietta aus diesem Erkennen zur Welt, aus meiner Stadt Brünn.“


    Soweit so gut, jetzt aber zu meinen persönlichen Eindrücken.


    Vorausschicken möchte ich, dass dieser Beitrag für mich zu früh kommt. Ich bin mit meinen Gedanken über die Sinfonietta noch nicht fertig, bin noch zu keinem Schluss gekommen, bin in Teilen meiner Ausführungen sicher auch ungerecht bzw. liege falsch. Aber da es jetzt an der Zeit ist, will ich versuchen, einiges zu Papier zu bringen. Wer weiß, vielleicht verhilft mir das Schreiben zu einem allmählichen Verfertigen meiner Gedanken?


    Mit der Sinfonietta habe ich mich vor der Wahl bei „Alles spricht…“ nicht näher beschäftigt. Zwar besitze ich die CD von Rattle schon seit vielen Jahren und habe ich sie auch einige Male gehört. Nur gefesselt hat sie mich nie.


    Damit, das war für mich zunächst eine verblüffende Erkenntnis, steht meine Erfahrung im Widerspruch zu der anderer Taminos, die von einer sogartigen Wirkung, von „hat mich sofort gefesselt“ berichten. Auch auf mich hat die Sinfonietta schließlich ihren Reiz ausgeübt. Auch ich habe sie als hörenswertes Musikstück erkannt. Warum aber brauchte ich dafür deutlich länger als viele andere? Ich will versuchen, eine Antwort zu skizzieren:


    Im ersten Satz höre ich eine fanfarenartige Blechbläsereröffnung. Der geballte Klang ist eindrucksvoll. Trotzdem stört mich etwas, das ich zunächst nicht benenne konnte. Jetzt meine ich: Mir passiert zu wenig. Das Thema bzw. die satztragenden Motive sind sehr kurz. Sie entwickeln sich nicht, sondern werden nur wiederholt. Wenn ich intensiv zuhöre, bin ich gewohnt, mich auf die motivische Arbeit zu konzentrieren, habe ich Spaß am Variieren, am Fortentwickeln des Themas. Das aber findet im ersten Satz nicht statt.


    Der zweite Satz beginnt mit einer von den Holzbläsern vorgetragenen pulsierenden Klangfläche. Ich assoziiere mit dieser nicht Bruckner, sondern die minimalistischen Klangteppiche von P. Glass oder J. Adams. Gibt es hier im zweiten Satz motivische Arbeit? Nein, nicht wirklich. Zwar wird die Klangfläche abgelöst von einer schnellen, tänzerischen Weise, die im Folgenden einer gewissen Veränderung unterworfen wird. Diese Veränderung scheint mir jedoch unwesentlich zu sein. Eine echte Entwicklung, eine Auseinandersetzung verschiedener Themen gar kommt nicht vor oder bleibt zumindest im Hintergrund. Im Vordergrund steht der jeweilige Klang als solcher. Holzbläser, Streicher und zuletzt auch das Blech bestimmen abschnittweise den Höreindruck. Gerade im Vergleich zum dritten Satz hat der zweite aber noch immer etwas steril-abstraktes.


    Der dritte Satz beginnt warm und schwermütig. Auch hier aber keine Entwicklung, sondern nur ständige Wiederkehr der immergleichen Themen. Plötzlich beginnt mit den Posaunen eine neue Episode. Wunderbar, es passiert etwas, atme ich auf. Aber selbst dieser Abschnitt, der von groteskem Zuschnitt ist, erreicht im Höhepunkt nicht mehr als eine Klangfläche.


    Im vierten Satz? Richtig, abermals Wiederholungen immer desselben Themas, mit einer Tendenz zum Kuddelmuddel.


    Deutlich am interessantesten finde ich den fünften Satz. Khampan hat das dortige Geschehen mit dem Auseinander- bzw. Aufreißen des Orchesters sehr schön beschrieben. Hier werde ich auch beim intensiven Zuhören nicht enttäuscht. geschieht in meinen Ohren etwas.


    Dann wird der Anfang wiederholt. Zu meiner Verwunderung höre ich an dieser Stelle den Anfang gern. Es ist, als würde etwas zum Abschluss gebracht. Durch den Kunstgriff der Wiederholung des Anfangs erhält die Sinfonietta einen derart starken zyklischen Charakter, dass ein Auseinanderreißen der Sätze auch meiner Meinung nach ein Frevel wäre.


    Merkwürdigerweise habe ich in diesem Moment Lust, das Stück noch einmal zu hören, und zwar ganz. Warum, frage ich mich. Habe ich nicht die ganze Zeit über Kritik geäußert?


    Genau dieses „Warum?“ ist der Punkt, an dem es bei mir noch hakt. Denn weiterhin bemerke ich die Motiventwicklungsarmut. Doch stört sie mich immer weniger. Ich mache einen Test. Ich versuche, nicht auf die Motive zu achten und mich nur dem Klang hinzugeben – ganz schön schwer.


    Ergebnis: Die Sinfonietta gefällt mir sehr viel besser als vorher. Ich meine sogar, Anflüge von rauschhaftem Erleben wahrzunehmen. Vielleicht, dieser Gedanke kommt mir soeben, sollte ich eine Flasche Rotwein konsumieren und anschließen noch einmal die Sinfonietta in doppelter Lautstärke hören. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie mir dann am besten gefallen würde.


    Aber warum?


    Meine These lautet: Die Sinfonietta wirkt nicht über den Verstand, sondern über den Bauch, nicht kognitiv, sondern vegetativ.


    Und es scheint mir, dass Janacek die Sinfonietta bewusst so eingerichtet hat.


    Ich erinnere an das erste der oben genannten Zitate: „Ich habe den Eindruck, als sei mir in meinem letzten Werk, der Sinfonietta, am besten gelungen, mich so dicht wie möglich dem Gemüt des schlichten Menschen anzuschmiegen.“


    Der schlichte Mensch kann nichts mit motivischer Arbeit anfangen. Wohl aber ist er empfänglich für durch Veränderung der Klangfarben hergestellte Gefühle.


    Tja, soweit bis hier.


    Und jetzt frage ich mich, frage ich euch: Hatten einige von euch schon ähnliche Gedanken? Oder ist das alles Blödsinn, was ich hier schreibe?


    Thomas

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    original Thomas
    Meine These lautet: Die Sinfonietta wirkt nicht über den Verstand, sondern über den Bauch, nicht kognitiv, sondern vegetativ.


    Das ist durchaus möglich und würde eventuell erklären, warum mir der Zugang zu dem Werk so leicht fiel.


    Wie die meisten von Euch wissen, beschäftige ich mich erst seit sehr kurzer Zeit mit der klassischen Musik und kann daher durchaus in die Kategorie "schlichter Menschen" einreiht werden.
    Es ist mir nicht möglich, eine Sinfonie zu hören, gleichzeitig jede Note zu analysieren und obendrein noch auf die Interpretation zu achten. Ich höre die Musik einfach und entweder sie gefällt mir oder sie tut es nicht.
    Ich denke, dass ich durch Euch bereits gelernt habe, intensiver auf Details zu hören, auf bestimmte Einzelheiten zu achten, verschiedenes zu vergleichen usw. Nichtsdestotrotz erlebe ich sicher ein Werk das ich zum ersten Mal höre anders als jemand, der sich bereits über viele Jahre hinweg intensiv mit klassischer Musik beschäftigt.


    Die Sinfonietta hat mich wie schon geschrieben sofort in ihren Bann gezogen. Ja, möglicherweise weil sie ungewöhnlich ist, weil sie wie Johannes schreibt, laut und lärmend ist, oder aber auch, weil sie einfach mitreissend ist.


    LG


    Maggie

  • Die Sinfonietta wirkt über den Bauch? Das ist gewiss eine Frage der persönlichen Disposition, ich selbst höre Musik fast nur "über den Bauch".


    Auch ich empfinde das Werk als faszinierend. Meine besondere Liebe gilt dem 5. Satz, und der zeigt, wie empfindlich sich die Wirkung des grandiosen Schlusses stören lässt, wenn schlampig interpretiert wird. Oder sagen wir: die Betonungen (aus meiner Sicht) falsch gesetzt werden. Das ist mir aufgefallen, als ich beim Ereöffnungskonzert der diesjährigen Musiktriennale meinen ganz speziellen Freund X( Jukka-Pekka Saraste mit der Sinfonietta hörte. Daß man darauf nicht anspringt, will ich wohl glauben.


    Wenn ein Komponist Stimmen formuliert, dann sollten sie auch zu hören sein. Wenn aber die Streicher-Girlanden am Schluß des letzten Satzes von den Fanfaren zugekleistert werden, dann wirkt das Stück nur noch lärmend. Bei den Platteneinspielungen in meiner Sammlung schafft das noch Seji Ozawa.


    Ein anderer Aspekt ist das Tempo, mit dem der Satz gespielt wird. Zu Saraste kann ich nichts sagen, ich hab's nicht gestoppt. Bei den LP-Einspielungen (Rattle und Ozawa) sind leider keine Zeiten vermerkt, empunden ist hier Ozawa schneller unterwegs als Rattle, der aber lässt die Londoner so aufspielen, daß all die feinen Verästelungen des Schlusses der Sinfonietta schön durchzuhören sind.


    Nun aber zu den extremen Tempo-Unterschieden. Mackaras ist hier erwähnt worden. Ich kenne die Supraphon-Einspielung mit einem Schlußsatz, der 7:29 min dauert. Damit hat er sein Tempo im Vergleich zur früheren Einspielung mit den Wienen leicht verlangsamt. Bretislav Bakala, Assistent und Vorkämpfer Janaceks, kommt 1950 in 7:01 min durch den letzten Satz.


    Jascha Horenstein gehörte zu den Dirigenten, die Janacek persönlich gekannt hatten. Zwei Einspielungen der Sinfonietta unter seinem Dirigat sind erhalten, und zwar aus den frühen 1950er Jahren. Und Horenstein, sonst überhaupt nicht des langsamen Zerdehnens verdächtig, reißt fast die 9-min-Marke für den letzten Satz. Fast 2 min. Unterschied bei einem 7-min-Stück. Das ist heftig. Das ist hörbar. Und es nützt dem Stück. All das, was in Deutungen wie durch Saraste mit Tempo und Lautstärke zugedeckt wird, gleichsam unhörbar bleibt, all das wird hier offengelegt.


    Unter den bislang genannten Einspielungen habe ich eigentlcih keine besondere Präferenz (wenngleich ich zumeist zur Horenstein-CD greife). Rattle und Mackarras wurden hier auch schon genannt. Zwischen den beiden kann ich mich schlecht entscheiden, sie begegnen sich auf Augenhöhe. Aufnahmetechnisch ist die Einspielung von Mackarras besser, was dann auch für mich zuweilen den Ausschlag gibt, eine bestimmte Einspielung zu hören.


    Vielleicht sammeln wir hier auch Einspielungspräferenzen ein?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Thomas,
    Du merkst mit unverholener Skepsis an, Janácek würde sehr viel wiederholen und sehr wenig entwickeln.


    Das ist es, was mich verblüffte, als ich die Partitur aufschlug (ich hatte die Partitur, bevor ich eine Aufnahme hatte). Ein ganz seltsames Notenbild: Sehr wenige Zeilen, oft nur sechs oder sieben; immer wieder Wiederholungszeichen; immer wieder Ostinati.


    Die Wiederholungen hat Janácek, der sich aus seinen slawophilen Gefühlen stark nach Rußland ausrichtete, meiner Meinung nach von der slawischen Musik. Auch bei Mussorgski und Rimski-Korsakow - und auch in der Volksmusik - findet man diese entwicklungslosen Wiederholungen, die meist durch Addition von Begleitfiguren gesteigert werden, deren Variation aber kaum der Rede wert ist. Nur treibt es Janácek zum Exzeß, da es sich um sehr kleinräumige Partikel handelt, die kaum als Strophe gelten können. Er verzahnt auch Wiederholungsabschnitte, ohne daraus eine großformale Anlage zu machen. Die Form definiert sich durch sich selbst.


    Gerade dadurch erhält Janáceks Musik diesen eigentümlichen Charakter. Ich habe einmal einen test gemacht und die Partitur ohne Wiederholungen vor meinem geistigen Ohr durchgehört. Es stimmte nichts mehr, vor allem war die Energie, die durch dieses Insistieren entsteht, stark herabgesetzt, die Musik stammte immer noch ganz klar von Janácek, aber es war eben verkrüppelter Janácek.


    ---------------------------


    Übrigens gibt es im fünften Satz der Sinfonietta eine Stelle, die von den meisten Dirigenten falsch gespielt wird: Der Beckenschlag. Nahezu alle Dirigenten lassen ihn auf 1 in dem Takt spielen, in dem die in diesem Satz bis dahin ausgesparten Trompeten ihr Terzthema es-ges-es beginnen. Auch in der gedruckten Partitur steht es so. Janáceks handschrift notiert den Beckenschlag aber einen Takt früher, also erst Beckenschlag, dann Trompeten - was einen grandiosen Effekt macht, weil es eine Aufeinanderfolge von Überraschungen ist statt zwei Überraschungen gleichzeitig zu bieten. Der einzige Dirigent, der es meines Wissens nach so spielt, ist Mackerras. Das Ergebnis ist absolut überwältigend!


    :hello:

    ...

  • ich finde es hochinteressant, was ThomasNorderstedt über seine "Schwierigkeiten" mit der Sinfonietta schreibt. Absolut kein Blödsinn.


    - motivische Arbeit wird vermißt
    und die sollte man bei Janacek auch nicht erwarten. Zumindest nicht in der Ausprägung wie wir sie von Beethoven bis Mahler kennen. Es werden überwiegend scheinbar zusammenhanglose Abschnitte hintereinander gesetzt. Darin ähnelt Janacek am ehesten Debussy (v.a. in "Jeux") oder Strawinsky. Wenn man genauer hinschaut, gibt es schon zusammenhangstiftende Elemente, aber die drängen sich nicht auf und sind, wenn überhaupt, eher fühl- als hörbar.


    - irgendwie packt es einen doch
    "Vielleicht, dieser Gedanke kommt mir soeben, sollte ich eine Flasche Rotwein konsumieren und anschließen noch einmal die Sinfonietta in doppelter Lautstärke hören. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie mir dann am besten gefallen würde." (Thomas N.)
    Genau, am besten in Konzertlautstärke! Leise hören funktioniert bei mir auch nicht, ich ertappe mich sogar häufig dabei, daß ich beim Ende nochmal noch oben korrigieren muß. Rideamus stellt zu Recht fest, "dass man sie nicht im Hintergrund einer anderen Tätigkeit hören kann".
    Daß man den Kopf getrost abschalten kann, bemerke ich auch daran wie meine Familie reagiert. Während bei Bruckner, Mahler, Debussy, Messiaen schon mal leise protestiert wird (ein echtes Mitspracherecht wird nicht eingeräumt, wo kämen wir da hin...), merke ich wie bei der Sinfonietta alle unabhängig vom Alter "mitgehen" (zur Zeit unsere bevorzugte Weckmusik!)


    Gruß,
    Khampan


    (habe ich in der letzten Klammer etwa einen neuen Threadtitel erfunden...?)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose