Siegfried Jerusalem

  • Beim Durchlesen einiger Themen (u.a. Parsifal), in denen SIEGFRIED JERUSALEM (geb. 1940) erwähnt wird, fiel mir die fast einmütige Ablehnung seiner Gesangsleistungen auf.



    Um es vorwegzunehmen: Ich besitze keine einzige Einspielung mit ihm.
    Dennoch würde mich interessieren, ob er wirklich so furchtbar singt oder ob das nur auf einige wenige Aufnahmen zutrifft.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich finde ihn als Loge sehr gut - kenne ich aber nur vom TV! Als Max habe ich ihn live an der Kölner Oper hören dürfen und auch da hat mir seine Kunst sehr zugesagt. Ich kann mich dem negativen Urteil nicht anschließen.


    LG,


    Christoph

  • Im Forum wurde auch ziemlich Negatives über seine Tätigkeit als Rektor der Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg geschrieben:


    Zitat

    Original von Armin Diedrich
    Wenn ich an den entsetzlichsten musikalischen Abend meines Lebens denke, so fällt mir ein Konzert im vorletzten Jahr ein, bei dem sich Siegfried Jerusalem nochmal am Siegmund vergriff. Alle Töne vom G aufwärts krachten ihm weg, passagenweise mußte er nach unten oktavieren, Phrasen abreißen lassen - es standen einem die Haare zu Berge! Zu seinem Glück waren zahlreiche prominente Sänger im Publikum, die ihm ein Buhkonzert ersparten, aber ihr Teil werden sie sich gedacht haben... Und so jemand leitet eine Musikhochschule (wobei er die inzwischen ja auch in den Ruin getrieben hat)!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Habe ihn live in den unterschiedlichsten Rollen gehört.
    Ja und das war sehr unterschiedlich, aber er hat sicher
    seine Verdienste, deswegen will ich nicht den Stab über
    ihn brechen.
    Nur eines war der Gipfel der Peinlichkeit Herr Prof. S.Jerusalem
    als Moderator des Schlußkonzert's vom Gesangswettbewerbs
    in der Komischen Oper Berlin. Im Dezember 06.
    Das war mega peinlich.
    Wie er als Rektor war und ist kann ich nicht beurteilen.
    X(

    mucaxel

  • Als Siegfried Jerusalem am Anfang seiner Karriere stand, fand ich ihn äußerst symphatisch und ich mochte auch seine Stimme sehr gern. Bekanntlich war er Oboist beim Stuttgarter Rundfunkorchester, als er erstmals für einen erkrankten Tenorkollegen einsprang. Ich glaube, ich habe so ziemlich alle Plattenaufnahmen von im im Schrank. Irgendwann später ließ das Interesse nach, irgendwie habe ich ihn auch aus den Augen verloren, sodaß ich zu dem, was Armin Dietrich über die Augsburger Musikschule schreibt, nichts sagen kann.


    Bei Kutsch-Riemes Sängerlexikon liest man folgendes:
    Jerusalem, Siegfried, Tenor, * 17.4.1940 Oberhausen; er studierte an den Essener Folkwangschulen Violin- und Klavierspiel sowie als Hauptfach Fagott. Seit 1961 Fagottist am Städtebundtheater Hof (Bayern), 1962-71 im Schwäbischen Sinfonieorchester Reutlingen, 1972-77 im Sinfonieorchester des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart. 1972 begann er mit der Ausbildung seiner Stimme bei Hertha Kalcher in Stuttgart. Bereits seit 1975 erschien er gelegentlich an der Stuttgarter Staatsoper (erste Rolle: Gefangener in Beethovens »Fidelio«). 1976 sang er an den Bühnen von Darmstadt und Aachen, bei den Zürcher Opernfestspielen und an der Staatsoper Hamburg den Lohengrin, eine seiner Glanzrollen. Er kam dann zu einer großen Karriere im Wagner-Fach bei den Festspielen von Bayreuth. Dort sang er 1977-80 den Froh im »Rheingold«, 1979-80, 1982 und 1987-88 den Parsifal, 1979-80 den Lohengrin, 1981-84 und 1986 den Walther von Stolzing in den »Meistersingern«, 1983-86 und 1988-92 den Siegfried im Nibelungenring, 1993 und 1995-96 den Tristan, 1994-96 den Loge im »Rheingold«. Nachdem er zunächst Gastspielverträge mit den Staatsopern von Stuttgart und München und mit der Deutschen Oper Berlin abgeschlossen hatte, gab er 1977 seine Tätigkeit als Fagottist auf und war 1977-80 Mitglied der Deutschen Oper Berlin. 1978 bei den Münchner Festspielen als Lohengrin, an der Hamburger Staatsoper als Max im »Freischütz« aufgetreten. ; 1978 gastierte er am Opernhaus von Bordeaux, seit 1978 für zwanzig Jahre regelmäßig an der Staatsoper Wien (vor allem als Hans in Smetanas »Verkaufter Braut«, als Parsifal und 1993-95 in den Aufführungen des Ring-Zyklus), 1983 an der Grand Opéra Paris (als Alfred in der »Fledermaus«), 1981 an der Oper von New Orleans (als Florestan im »Fidelio«). 1996 hörte man ihn am Teatro Colón Buenos Aires als Siegmund in der »Walküre«, 1997 an der Metropolitan Oper New York als Siegfried im Nibelungenring, an der Staatsoper Wien als Rienzi von R. Wagner, 1998 an der Münchner Staatsoper als Tristan. An diesem Haus übernahm er 1999 den Siegmund wie den Siegfried in Aufführungen des Ring-Zyklus. Bei den Festspielen von Salzburg wirkte er 1979 in Aufführungen von »The Lost Paradise« von K. Penderecki mit. 1980 wurde an die New Yorker Metropolitan Oper berufen (Antrittsrolle: Lohengrin). Hier trat er in seinen großen Wagner-Partien auf, u.a. 1989-90 als Loge im »Rheingold«, als Siegmund und als Siegfried und 1992 als Parsifal. In einem Tonfilm sang er den Barinkay im »Zigeunerbaron«. An der Oper von Genf 1984 als Titelheld in »Idomeneo« zu Gast, an der Covent Garden Oper London 1986 als Erik im »Fliegenden Holländer«, im gleichen Jahr an der English National Opera London und 1989 am Teatro Fenice Venedig als Parsifal, 1990 in Los Angeles als Titelheld in »Idomeneo« von Mozart. 1995-96 trat er in Chicago als Siegfried in den Opern des Nibelungenrings auf, 1994-95 auch an der Covent Garden Oper, 1996 an der Staatsoper Berlin. Bei den Maifestspielen von Wiesbaden übernahm er 1996 den Loge, den Siegmund wie den Siegfried im Nibelungenring. Erfolgreiche Bühnengastspiele und Konzerte in den europäischen und amerikanischen Musikzentren, wobei er sich auch als großer Lied-Interpret auszeichnete.


    Schallplatten: Eurodisc (Lyonel in vollständiger Oper »Martha«, Florestan in »Fidelio«, Siegmund in der »Walküre«), Decca (»Leonore« von Paër), HMV (»Hoffmanns Erzählungen«, »Tannhäuser«, »Lustige Witwe«, »Zauberflöte«, »Evangelimann« von Kienzl), Hungaroton (Assad in Goldmarks »Königin von Saba«), DGG (»Gurrelieder« von A. Schönberg), CBS (»Schwanda der Dudelsackpfeifer« von Weinberger, »Violanta« von Korngold, Mozart-Requiem), Philips (Froh im »Rheingold«), EMI (Siegfried im »Siegfried« wie in der »Götterdämmerung«), Teldec (»Parsifal«, »Tristan«), Erato (»Dichterliebe« und Liederkreis op. 39 von R, . Schumann, 9. Sinfonie von Beethoven), DGG (»Lohengrin«); Philips-Video (»Parsifal«), Teldec-Video (»Siegfried« und »Götterdämmerung«). DGG (Ägisth in »Elektra« von R. Strauss).

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Ich habe Siegfried Jerusalem nie live gehört. Auf Platte ist er aber weniger meine Sache. Ich kann nicht mal so genau sagen, woran das liegt - ich finde ihn einfach ziemlich öde, ohne Profil und in seiner Stimme ist etwas, daß mich fast immer an einen Nachmittag bei Herrentorte und Likör denken lässt... gemütlich, bisweilen auch ganz nett - aber eben doch irgendwie so unspannend, daß man es nicht unbedingt in den Abend hinausdehnen möchte. Wenn ich in "Martha" neben seinem Lyonel die Lucia Popp wäre, dann würde ich dem "Glanz und Schimmer" um seinetwillen jedenfalls nicht entsagen... Da weiss man beim hören schon, daß in dieser Ehe das Bett nach spätestens zwei Jahren nicht mehr quitschen würde...
    Ja, ich glaube, genau das ist es auch: ich finde die Stimme einfach unerotisch. Und unerotische Rollen gibt es in der Oper - besonders für Tenöre - einfach ziemlich selten... Vielleicht könnte er einen tollen Aegisth singen...?! :pfeif:


    Es gibt aber eine Ausnahme:


    Hier mag ich ihn erstaunlicher Weise recht gern. Ein zwar undramatischer, aber alles andere als unangenehmer Siegmund (neben der großartigen Sieglinde von Jessey Norman). Ich fand die Aufnahme gerade zum Einstieg als Wagner-Neuling toll, da man wirklich schon beim ersten hören kein Libretto mitlesen muss... =)

  • Hier ist eine von seinen frühen Recital-Platten:



    Einige Titel darauf sind durchaus hörenswert, so z. B. "Schau her, das ist ein Taler" aus "Tiefland" oder "O Freund, ich werde sie nicht mehr wiederseh'n" aus "Die tote Stadt" und Rienzis Gebet.


    Auf einer zweiten Recitalplatte (Sony) sind Ausschnitte aus "Schwanda, der Dudelsackpfeifer" (mit Popp und Prey) sowie "Violantha" von Korngold zu hören (z.Zt. vergriffen).


    Wagner-Srzenen und -Duette gibt es auf einer CD "Nacht der Liebe" mit Walltraud Meier unter Daniel Barenboim.


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Naja, ich war auch nie hin und weg von seinem Siegfried, Sigmund, Parsifal, etc., aber wer außer ihm hätte in den Neunziger Jahren diese Partien so konstant abdecken können? Da hatte er praktisch ein Monopol auf diese Tenorpartien (zumindest in Wien)....

  • Ich habe ihn einmal gehört, und das war in seiner heldentenoralen Nachspielzeit - als Siegmund 1999 an der WSO. Ich finde seine Stimme eher spröde, und mit dem Siegfried bzw. Tristan übernimmt er sich meiner Meinung nach einfach....

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  • Ich hörte ihn als "Lenski", wobei er eine trotz Indisposition respektable Leistung abgab.
    Seine Aufnahmen von "Der Evangelimann" und "Schwanda" sind hörenswert.


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Zitat

    Original von Felipe II.
    Beim Durchlesen einiger Themen (u.a. Parsifal), in denen SIEGFRIED JERUSALEM (geb. 1940) erwähnt wird, fiel mir die fast einmütige Ablehnung seiner Gesangsleistungen auf.


    Ausser einem TV-Film des "Zigeunerbarons", in dem Jerusalem damals noch unter (wenn ich mich nicht irre) Siegfried Salem als Barinkay mitwirkte, kenne ich ihn weniger von Studio-Aufnahmen als von Live-Auffuehrungen, angefangen vom Froh im Bayreuther Chéreau-Ring bis hin zu seinem Tristan. Mein Gesamteindruck : Jerusalem besass eine sehr angenehm timbrierte, im Grunde genommen lyrische Tenorstimme, die allerdings recht "kurz" war, d.h. er hatte keine gute, zuverlässige Höhe. Hinzu kam, dass er, obwohl dies z.B. in Bayreuth total unnötig war, stark forcierte, zuviel Stimme gab, so dass sich seine Tonproduktion bald heiser anhörte.


    Sehr gute Erinnerungen habe ich allerdings (wiederum in Bayreuth) an seinen Jung-Siegfried im Kupfer-Ring, und ich kann mir diesen besseren Eindruck (incl. besserer Höhenlage) eigentlich nicht erklären. Hatte er sich nun eine andere Technik erarbeitet oder die Angst vor der Höhe verloren, die ihm und dem Zuhörer bei so manchem Stolzing die Kehle zuschnuerte?


    Siegfried Jerusalem gehört fuer mich zu jenen Sängern, ueber die Josef Metternich einmal sagte, wenn die Opernwelt noch in Ordnung wäre, wuerde XYZ noch Tamino in Braunschweig singen. Ich hätte ihn sehr gerne einmal als Tamino und als Lensky gehört.


    Mikko

  • Da mein Beitrag zitiert wurde, noch kurz soviel zum Sachverhalt. Die Musikhoschulen in Nürnberg und Augsburg wurden vor einigen Jahren fusioniert, wobei Jerusalem Rektor wurde. Dies war Anfang 2003. Binnen dreier Jahre wirtschaftete Jerusalem den Augsburger Standort derart herunter, daß er zum Ende dieses Semesters geschlossen wurde. Dies könnte man durchaus als klassisches Beispiele für die Intelligenz von Tenören gelten lassen... Ein Bekannter berichtete mir auch von einer Veranstaltung der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, in deren Rahmen Jerusalem Wotans Abschied und Feuerzauber (sic!) zum besten gab, was allen Anwesenden die Haare zu Berge stehen ließ. Es kommt im künstlerischen Bereich außerordentlich selten vor, aber seit diesen Erlebnissen ist der Mann bei mir unten durch...

  • Original von Mikko

    Zitat

    Mein Gesamteindruck : Jerusalem besass eine sehr angenehm timbrierte, im Grunde genommen lyrische Tenorstimme, die allerdings recht "kurz" war, d.h. er hatte keine gute, zuverlässige Höhe. Hinzu kam, dass er, obwohl dies z.B. in Bayreuth total unnötig war, stark forcierte, zuviel Stimme gab, so dass sich seine Tonproduktion bald heiser anhörte.


    Diesem Urteil schließe ich mich gerne an. Ich habe Ihn Live in Berlin oft erlebt, und besitze auch viele Aufnahmen auf CD. Jerusalem war aus meiner Sicht ein genuin lyrischer Tenor mit einer gewissen Ausbaufähigkeit, mit reichem Timbre und einem gewissen musikalischem Instinkt für Phrasierung und Legato.


    Zitat

    ...Siegfried Jerusalem gehört fuer mich zu jenen Sängern, ueber die Josef Metternich einmal sagte, wenn die Opernwelt noch in Ordnung wäre, wuerde XYZ noch Tamino in Braunschweig singen. Ich hätte ihn sehr gerne einmal als Tamino und als Lensky gehört.


    Er ist als Tamino ja in einer Aufnahme aus seinen frühen Jahren unter Haitink auf Tonträger zu hören - da merkt man seine Qualitäten ganz deutlich, vor allem der Reiz der Stimme und das Gespür für Legato und Phrasierung - diese Aufnahme weist den Weg, den er hätte gehen sollen und müssen.


    Im Crashparcour dann aber über Siegmund, Siegfried und Tristan verlor die Stimme Ihren Schmelz, man hörte fast nur noch angestrengt, bresthafte Töne mit einem stark aufgerauhtem Timbre. Der frühere Glanz der Stimme und auch ein schönes Mezza voce sind mit der Stahlbürste weggeschrubbt worden und die Stimme wurde in der Höhe noch kürzer.


    Sehr schade eigentlich, da er auch auf der Bühne eine gewisse Präsenz als Darsteller besaß, gerade in den Kupferinszenierungen in Berlin.


    Gruß
    Sascha

  • Anschliessend an Mikko möchte ich ergänzen: Siegfried (Jeru)Salem sprang in dieser Fernsehproduktion vom "Zigeunerbaron" als Barinkay ein. Vorgesehen war, wenn ich mich richtig erinnere, Franco Bonisolli. Jerusalem war damals wohl noch hauptberuflich Fagottist beim Rundfunkorchester des SDR (so nebenbei: ich finde es immer schade, wenn einfach aus bekannten Lexika Texte umkopiert werden, ein wenig eigene Arbeit beim Erstellen von Beiträgen sollte schon drin sein, aber wenn man das schon tut, sollte man diese Texte eventuell auch lesen - Jerusalem spielte Fagott, keine Oboe).


    Dieser "Zigeunerbaron" begründete die Karriere des Tenors. In Darmstadt sang er beispielsweise Pinkerton und Alvaro.


    Ob er wirklich ein lyrischer Tenor war? Schwierig... Die Kraft war bei ihm jedenfalls das Ergebnis harter Arbeit, von Natur aus war er eigentlich kein Heldentenor.


    Dazu kommt, dass ich finde, dass seine Stimme auf Platte nicht wirklich gut wirkt. Lyonel, Hoffmann, Florestan... Besser sein Tamino oder der Babinsky ("Schwanda, der Dudelsackpfeifer"), aber auch der Siegmund geht.


    In Bayreuth habe ich ihn als Siegfried gehört - gar nicht schlecht, wenn auch an der Grenze seiner sängerischen Möglichkeiten - er war da eben auch ein guter Darsteller.


    Was gar nicht ging: Tristan und vor allem Stolzing: das tut allein schon beim Zuhören weh.

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  • Zitat

    Original von Antracis
    Er ist als Tamino ja in einer Aufnahme aus seinen frühen Jahren unter Haitink auf Tonträger zu hören - da merkt man seine Qualitäten ganz deutlich, vor allem der Reiz der Stimme und das Gespür für Legato und Phrasierung - diese Aufnahme weist den Weg, den er hätte gehen sollen und müssen.


    Im Crashparcour dann aber über Siegmund, Siegfried und Tristan verlor die Stimme Ihren Schmelz, man hörte fast nur noch angestrengt, bresthafte Töne mit einem stark aufgerauhtem Timbre. Der frühere Glanz der Stimme und auch ein schönes Mezza voce sind mit der Stahlbürste weggeschrubbt worden und die Stimme wurde in der Höhe noch kürzer.


    Hallo Sascha,


    treffender hätte ich es kaum beschreiben können ;) .


    Heute Nachmittag hörte ich rein unzufällig ;) Jerusalems "Dies Bildnis ist bezaubernd schön" aus der Haitink-Aufnahme. Er ist/war stimmlich natürlich kein Wunderlich oder Araiza, aber er sang die Arie sehr gefühlvoll und mit einigem "Schmelz in der Stimme".


    Zwangsläufig kam mir beim Hören der Arie in den Sinn: "Hätte er in diesem Fach nicht bleiben können?"

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • In den Stellungnahmen ist Siegfried Jerusalem mit seinen Stärken und Schwächen treffend kommentiert worden. Hatte man Glück konnte Jerusalem durchaus akzeptabel singen. Er war ein guter Darsteller und eine fabelhafte Bühnenerscheinung, was per se Pluspunkte bringt. Meines Erachtens hatte Jerusalem einfach zu wenig gelernt und dadurch keine sichere, stabile Gesangstechnik. Deshalb war ein Operabend mit ihm, besonders im heldischen Bereich, immer ein Ritt über den Bodensee oder ein Lotteriespiel.
    Ich kannte ihn ganz gut, da er in unserem Heilbronner Orchester häufig als fachlich geschätzter Fagottist mitwirkte. Während der Gesangsausbildung, die er neben der Orchesterttätigkeit absolvierte, brachte er seine ersten Operettenaufnahmen übrigens unter dem Pseudonym Salem heraus, damals mit gewinnendem lyrischen Ton einer noch nicht überforderten Stimme. Als Mensch und im Kollegenkreis konnte er sehr gewinnend und charmant sein. Leider reichen die aufgezeigten Qualitäten nicht für eine Sängerkarriere, die langfristig in guter Erinnerung bleibt.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich habe Siegfried Jerusalem Mitte bis Ende der Neunziger öfter als Loge, Siegmund, Lohengrin, Parsifal und Siegfried live erlebt und war jedesmal begeistert von seiner Darstellung, szenisch und meist auch musikalisch. Ich hatte immer das Gefühl, dass er auch seine Partner zu noch besseren Leistungen motivierte. Er war ein völlig überzeugender Darsteller mit einer sehr intensiven Bühnenpräsenz und präziser Intonation. Manchmal gab es Abende, an denen lediglich die Höhe sehr angestrengt klang, nie bei Siegfried und Loge, aber manchmal bei Lohengrin und Parsifal, ebenso bei Gurrelieder. In den Aufnahmen, die ich kenne, finde ich ihn ebenfalls recht gut: als Siegmund (Janowski), Siegfried (Bayreuther Ring unter Barenboim und Kupfer und im MET-Ring), und im Evangelimann. Seinen Bayreuther Parsifal (?) und Tristan habe ich noch nicht gehört.


    Privat habe ich ihn manchmal zufällig kurz bei seinen Wien-Besuchen als äußerst sympathischen, bescheidenen und gleichzeitig leutseligen Gentleman erlebt. Singt er denn noch?

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Ich finde ihn im "Evangelimann" recht gut und er hat ja auch gute Sänger an der Seite, vor allem Helen Donath und Ortrud Wenkel.



    habe ihn aber noch auf 3er LPs Gesamtaufnahme.


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Dafür das Siegfried Jerusalem so schlecht war, wie es hier größtenteils geschildert wird, hat er aber eine erstaunlich lange Sängerlaufbahn von 33 Jahren hinter sich gebracht. Er begann 1975 mit der Singerei und 2008 hat er, wie ich gelesen habe, in Hamburg noch den Herodes in"Salome"gesungen. Vielleicht wirft seine lange Karriere ein bezeichnendes Licht auf die heutige Situation deutscher "Heldentenöre". Unter Blinden ist der Einäugige König. Allerdings war Jerusalem nicht der einzige Einäugige.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Lieber Melot,


    ja und nein. So viel ich weiß, tritt er auf der Bühne nicht mehr auf. Ab und zu singt er zusammen mit von ihm geförderten jungen Solisten/Solistinnen noch Konzerte. Er ist oder war ja Rektor an der Musikhochschule Augsburg. Laut Aussage von dem in der Regel sehr gut informierten Armin Diedrich soll diese Hochschule in großen Schwierigkeiten stecken oder gar fusioniert und geschlossen sein.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von operus
    Lieber Melot,


    ja und nein. So viel ich weiß, tritt er auf der Bühne nicht mehr auf. Ab und zu singt er zusammen mit von ihm geförderten jungen Solisten/Solistinnen noch Konzerte. Er ist oder war ja Rektor an der Musikhochschule Augsburg. Laut Aussage von dem in der Regel sehr gut informierten Armin Diedrich soll diese Hochschule in großen Schwierigkeiten stecken oder gar fusioniert sein.
    Herzlichst
    Operus


    Die Augsburger Muisikhochschule ist inzwischen (wie man so schön sagt) "abgewickelt" ; es gibt da nur noch das Leopold-Mozart-Zentrum an der Universität. Es gibt nur noch die in Nürnberg, bei der Jerusalem weiterhin Rektor ist.
    http://www.hfm-n-a.de/aktuelles/aktuelles.htm

  • Erwähnen sollte man Siegfried Jerusalem auch in einer Aufnahme von Offenbachs "Hoffmann" aus den frühen Jahren seiner Karriere. Er ist in den höheren Lagen etwas angestrengt, kann aber im Ganzen überzeugen.
    Gesehen habe ich ihn in den frühen 80ern, wo er als Einspringer die Parsifal-Premiere in Hannover rettete, und das durchaus souverän. Auch sein Lohengrin aus dieser Zeit ist mir recht positiv in Erinnerung.


    Schwer enttäuschend war allerdings sein Tristan, den ich ca. 1999 in Köln gesehen habe, da war er nur noch angestrengt und bemüht. Er hätte da längst aufgehört haben müssen.

  • Ich hatte ihn mal als ganz passablen Lenski in Stuttgart gesehen, darauf dann etliche Jahre später Lohengrin- Karten mit ihm erstanden. Diese Aufführung klappte ...bis zur Gralserzählung, da brach er ein und konnte nur noch markieren. Tribut an den 3. Akt, zahlreiche offene Vokale, damit war die Freude hin.


    Operus hat mit seiner Einschätzung recht, mit einer solideren Gesangsausbildung wäre ihm das nicht passiert.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Ich konnte ihn relativ häufig in Hamburg erleben: Katja Kabanova, Lohengrin, Parsifal, Götterdämmerung. Von den drei damaligen deutschen Wagner-Tenören war er mir der liebste. Ich mochte sein Timbre und seine Ausstrahlung auf der Bühne, die mich stimmliche Schwächen vergessen ließen. Das galt v.a. auch für seinen Siegfried 1993 in Wien neben der ebenfalls stimmlich problematischen Hildegard Behrens. Was aber beide aufgrund ihrer Persönlichkeit darstellten, wird mir unvergessen bleiben.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von Gustav
    Von den drei damaligen deutschen Wagner-Tenören war er mir der liebste.


    Hallo Gustav,


    wer sind die anderen beiden?


    Ich dachte erst an Peter Hofmann, aber der sang ja in den 90ern keine Oper mehr.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Lieber Joseph II.!
    An den und an René Kollo dachte ich schon. Die drei gaben sich in Hamburg nicht unbedingt die Klinke in die Hand, in den 80igern waren sie aber für Lohengrin und Parsifal immer die besondere Besetzung.


    Die schweren Heldentenorpartien übernahm Jerusalem dann ja erst, als Hofmann schon eher als Phantom herumspukte. Wenn ich mich recht erinnere, hatte Jerusalem übrigens als Lohengrin und auch in der Katja noch arge Höhenprobleme. Dies änderte sich, als er sein Fach erweiterte.


    :hello: Gustav

  • Hallo,


    ich habe mit Jerusalem
    Martha, Fidelio, Hoffmanns Erzählungen,
    Zauberflöte, Evangelimann, Die Jahreszeiten,
    und den Ring unter Boulez sowie Land des
    Lächelns und Lustige Witwe.


    Erst beim Lohengrin unter Abbado 94 sind
    mit große Erschleißerscheinungen aufgefallen,
    die zu Anfang seiner Kariere insbesondere
    bei seinen Retital-Platten (später CD) nicht
    da waren. Der Wechsel zum Lyrischen zum Helden
    ist nicht frei von Gefahren.


    Wie bei Kollo. Wenn dieser heute ein Operettenlied
    anstimmt, muss ich lachen und denke an bessere Zeiten.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Übermorgen, am 17. April, wird der 1940 geboren Tenor 70 Jahre alt.
    Schon heute gibt es zu Ehren des Sängers eine Sendung im Radio - NDR Kultur:


    15. April 2010 - 20:00 Opernkonzert NDR Kultur


    Ein Traumprinz wird 70 - Siegfried Jerusalem
    Von Marek Kalina



    Ich weiß, hier im Forum ist er nicht besonders gelitten, trotzdem mein Hinweis auf die Sendung heute abend!


    LG


    :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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