Allerlei Zwischenwelten - Franz Schuberts Streichquartette allgemein

  • Wolfgang Gruhles „Streichquartett Lexikon“ (Triga, Gelnhausen, 3. Auflage 2005) führt bei Franz Schubert 18 Werke für Streichquartett an, darunter eine vor 1811 entstandene Ouvertüre D 8a, ein paar „Deutsche Tänze“ D 86 sowie D 89-91, den Streichquartettsatz c-Moll D 103 – und 15 mit offenbar von früherer Zählung übernommenen Nummern versehene Werke, wobei das Quartett Nr. 7 (D 94) chronologisch (da wahrscheinlich 1811 komponiert) zwischen 1 und 2 eingeordnet wird. Nr. 10 (D 87, 1813, lange Zeit mit 1824 datiert) hingegen nimmt die Position von Nr. 7 ein. Die Deutsch-Verzeichnisnummern stimmen durch neuere Forschungsergebnisse auch nicht durchgehend mit der Chronologie der Entstehung der Werke überein. Bei der Gesamtaufnahme des Stuttgarter Melos Quartetts (6 CDs, DGG Collectors Edition 463 151-2), die in neun verschiedenen Monaten von November 1971 bis März 1975 im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle entstand, fanden alle Werke außer D 8a, D 86 und D 89-91 Berücksichtigung. In der Folge finden die von Monika Lichtenfeld für die Erstveröffentlichung der Box auf LP im Jahr 1975 zusammengetragenen Daten, die auch in der Collectors Edition vermerkt sind, bei den Anmerkungen zu den einzelnen Werken Berücksichtigung. Wenn sie vollständig (erhalten) sind, umfassen Franz Schuberts Streichquartette vier Sätze, der zweite davon ist der langsame Satz, der dritte ein Menuett (selten Scherzo). (Nur in D 18 steht das Menuett an zweiter Stelle.)


    Hier meine subjektiven Höreindrücke beim Anhören der CDs aus dieser Box:


    Franz Schubert verwischt in seinem unerschöpflichen Themenreichtum oft die Grenzen zwischen den Abschnitten einzelner Sätze so musikalisch-musikantisch, dass man bald nicht mehr gewillt ist, die Strukturen herauszuhören. Man ergibt sich dem Fluss und den Überraschungen der Musik. Man hört sich in einer Zwischenwelt fest, die einen gleichzeitig ganz intensiv in ihren Bann zieht und die Gedanken nur allzu gern abschweifen lässt. Dann wird die Musik „selbstverständlich“, genauso wie sie „unbegreiflich“ bleibt, dann wirkt sie ins Unterbewusstsein, lässt aber immer wieder mit markanten Motiven, zwischen (vermeintlicher?) Biedermeier-Gemütlichkeit, Fugatokunst und völlig überraschenden harmonischen Wendungen aufhorchen. Es öffnen sich himmlische Ewigkeiten, bisweilen aber auch extrem gefährliche Klüfte. Schuberts Musik ist so „angenehm“ und im selben Augenblick so „schmerzerfüllt“ wie keine andere. Haydn, Mozart, Beethoven sind da, und doch kann die meiste Musik Schuberts nur von diesem komponiert, nein besser: gesungen worden sein. Die Psychologie der Melodie erschließt sich, öffnet sich, erschüttert den Hörer dann mit den Begleitmustern, die ihr beigefügt sind.


    Schuberts Jugendwerke, wie einhellig betont wird für Hausmusik ideal geeignete, technisch nicht zu anspruchsvolle Streichquartettliteratur, einige bis ins 20. Jahrhundert hinein völlig unbekannt, nach den Aufführungen im Schubertschen Familienkreis wie einige andere Werke von Schubert auch knapp am völligen Vergessenwerden (zum Teil verschollen geglaubter Sätze) vorbeigeschrammt, lassen eine nahezu unheimliche Reife der Komposition hören.


    Schon die innige Andante-Einleitung des ersten Quartetts, des 1810 oder 1811 komponierten Streichquartetts in verschiedenen Tonarten D 18 (Nr. 1), die in „Schicksalsschläge“ mündet, offenbart das Einmalige dieses Franz Schubert. Der Presto vivace-Satz in Moll verströmt eine ganz eigene Stimmung – das ist Schuberts Zwischenwelt. Es folgen ein „Biedermeier-Menuett“ und ein inniger Andante-Satz sowie als Ausklang ein Presto. Was für eine „Vorgabe“ eines jungen Genies!


    Das Streichquartett C-Dur D 32 (Nr. 2) entstand im September und Oktober 1812. Ein Wunder ist das nach dem eröffnenden Presto-Satz folgende 6/8-Andante in a-Moll mit seiner Siciliana-Melodie der Geige. Das Werk schließen ein Allegro-Menuett und ein Allegro con spirito ab.


    Das von 19.11.1812 bis 21.2.1813 komponierte Streichquartett B-Dur D 36 (Nr. 3) lässt in der Durchführung des ersten Satzes aufhorchen, mit einem Stimmungswechsel, einer „Stille aus dem Wirbel heraus“ – Schuberts Zwischenwelt, einmal mehr! Auch das anschließende Andante „hat sein Geheimnis“. Satz 3 ist wieder ein Menuett. Satz 4 ein Allegretto.


    Ein Geniestreich ist das von 3. bis 7.3.1813 komponierte Streichquartett C-Dur D 46 (Nr. 4) mit seiner düster-absteigenden Adagio-Einleitung, mit seinem heftigen Allegro con moto, seiner wunderbar ausgeweiteten „Wiegenlied“-Melodie des zweiten Satzes, seinem Menuett, das wie ein Scherzo von Beethoven daher kommt, dessen Trio aber unverkennbar schubertisch-musikantisch ist, und mit seinem heiter-spritzigen Finale.


    Sind die Mittelsätze des von 8. bis 16.6.1813 komponierten, am 18.8.1813 beendeten Streichquartetts B-Dur D 68 (Nr. 5) wirklich für immer verloren? Der erste Satz ist „klassischer“ Schubert, der zweite erhaltene „wie ein Haydn-Finale“.


    Der Musikfreund kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn er hört, was Franz Schubert zwischen 22.8. und September 1813 zum Namenstag seines Vaters am 4.10. komponiert hat: das Streichquartett D-Dur D 74 (Nr. 6) ist ganz, ganz wunderbare klassische Musik, alle vier Sätze (Allegro man non troppo, Andante, Allegro-Menuett und Allegro)!


    Das im November 1813 entstandene Streichquartett Es-Dur D 87 op. posth. 125 Nr. 1 (Nr. 10), lange Zeit als erst 1824 entstanden datiert (daher vielfach als Nr. 10 gezählt), bietet schöne weitläufige Schubert-Klassik, im zweiten Satz ein großes Adagio und ein spritziges Prestissimo-Scherzo sowie ein genauso spritziges Allegro-Finale.


    Das Streichquartett D-Dur D 94 (Nr. 7), man weiß nicht ob es 1811 oder 1812 entstanden ist, vermutet aber die Erstaufführung 1814 im Hause Schubert, erscheint ähnlich dem vorigen Werk von einmaliger, inniger, kunstvoller Schlichtheit durchzogen.


    Den Quartettsatz c-Moll D 103, ein von Alfred Orel ergänztes Fragment, hat Franz Schubert im April 1814 komponiert. Die übrigen Sätze sind wahrscheinlich verschollen. Grave, dann ein Allegro – auch hier gibt die Musik nicht ihr „Geheimnis“ preis. Nicht zum letzten Mal überraschen einige Zäsuren in Schuberts Werk.


    Reifer, vergeistigter (als die bisherigen vollständigen Streichquartette), von pastoralem Grundton getragen hört sich das Streichquartett B-Dur D 112 op. posth. 168 (Nr. 8 ) an, das Schubert zwischen 5. und 13.9.1814 aufschrieb. Der erste Satz ist ein Allegro man non troppo, der zweite ein Andante sostenuto, der dritte ein Allegro-Menuett und das Finale ein Presto-Satz.


    Ungewohnt „klassisch streng“ mutet das von 25.3. bis 1.4.1815 komponierte Streichquartett g-Moll D 173 (Nr. 9) an. Berührend schön – wieder einmal – erklingt hier etwa der melodische Einfall des zweiten Satzes, eines Andantino. Und wie Schubert diese Melodie weiterspinnt! Schubert ist ein einmalig innig komponierendes Genie. Immer wieder!
    1816 entstand das Streichquartett E-Dur D 353 op. posth. 125 Nr 2 (Nr. 11), wieder „Wiener Klassik“ von Franz Schubert.


    Und dann ist da der irgendwie unheimlich fließende Quartettsatz c-Moll D 703 (vielfach gezählt als Nr. 12) vom Dezember 1820. Ein Sprung von der Jugend, von der kompositorisch reifen Jugend zur noch geheimnisvolleren, unerklärlicheren, noch selbstverständlicheren und noch labyrinthisch nicht fassbareren Schubert-Zeit danach.


    Die drei großen Werke der allzu frühen späten Schubert-Jahre sind noch weiter gespannt als die bisherigen, sie dauern 37 („Rosamunde“) bis 50 Minuten („G-Dur“, mit Wiederholung der Exposition im ersten Satz).


    Von Februar bis Anfang März 1824 schuf Franz Schubert sein Streichquartett a-Moll D 804 op. 29 Nr. 1 (Nr. 13). Es wurde als einziges Streichquartett zu Lebzeiten Schuberts komplett in einem offiziellen Konzert aufgeführt, am 14.3.1824 im Saal „Zum Roten Igel“ im Musikverein Wien vom Schuppanzigh-Quartett. Der erste Satz ist ein „Geheimnis in a-Moll“, das ist Musik an der Grenze, der Hörer wird, lässt er sich ganz hineinfallen in diese Welt, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, es stellen sich „die letzten Fragen“. Das bekannte Thema des Andante-Satzes kennt der Schubert-Freund auch aus der Zwischenaktmusik Nr. 3 zu „Rosamunde. Fürstin von Cypern“ D 797 und als Variationsthema zum Impromptus für Klavier op. posth. 142 Nr. 3 D 935. Wieder dieses „Geheimnis“ – im Allegretto-Menuett. Im Allegro moderato-Finale darf es aber auch Zuversicht geben.


    Das im März 1824 komponierte Streichquartett d-Moll D 810 (Nr. 14) „Der Tod und das Mädchen“ hat bereits einen Thread (Stand 6.9.2007):
    Franz Schubert: Streichquartett d-moll D 810 - Der Tod und das Mädchen


    Genauso das Streichquartett G-Dur D 887 op. posth. 161 (Nr. 13):
    Franz Schubert: Streichquartett G-Dur D 887



    Die ersten Aufnahmen des wunderbar innig, impulsiv und musikantisch aufspielenden Melos Quartetts - eine wie ich finde ideale Aufnahme zum Kennenlernen der Werke, obwohl nicht alle Wiederholungen gespielt werden! - aus dem Jahr 1971 (D 18, 32, 36) vermitteln fast noch ein Mono-Klangbild. Erst danach werden die vier Instrumente im Stereosound weiter aufgefächert.


    Vielleicht kann dieser neue Thread (der erste, den ich mich zu eröffnen getraue) dazu animieren, über weitere Gesamtaufnahmen der Schubert-Quartette zu schreiben, oder auch über Einzelaufnahmen einiger Werke, für die noch kein Einzelthread vorhanden ist, oder über die Werke allgemein, über ihre Eigenheiten und Zwischenwelten.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Hallo, Alexander!


    Vielen Dank für diesen thread, den ich mir in einem früheren Leben schonmal gewünscht hatte, aber damals nicht zustande kam. Inzwischen habe ich zu Schuberts früheren Streichquartetten auch eigene Hörerfahrung sammeln können, da ich mir diese beiden CDs gekauft hatte:



    Mit dem Kauf bin ich sehr zufrieden. Das Kodaly Quartet spielt sehr schön und passend, und einige der Werke sind sehr lohnende Entdeckungen. Insgesamt kann man sowohl das Anlehnen an die berühmten Wiener Klassiker als Vorbilder als auch das Entwickeln des eigenständigen Komponisten Schubert beobachten.


    Hervorheben möchte ich dabei das Quartett Nr. 6 (die Nummern erscheinen mir aber überflüssig) D-dur D74.
    Ich halte es für sensationell gut, und eigentlich unglaublich für einen Fünfzehnjährigen. Arriaga und Mendelssohn mit siebzehn Jahren, die kennt man ja. Aber dieser Schubert – ohne Worte...! :jubel:
    Im Beitrag oben steht ja schon:


    Zitat

    Der Musikfreund kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn er hört, was Franz Schubert zwischen 22.8. und September 1813 zum Namenstag seines Vaters am 4.10. komponiert hat: das Streichquartett D-Dur D 74 (Nr. 6) ist ganz, ganz wunderbare klassische Musik, alle vier Sätze


    Das kann ich, wie gesagt, unterschreiben und halte es gar für untertrieben.


    Ich hoffe, ich habe mal die Zeit, mich zum einen oder anderen Werk näher zu äußern.
    D 46 ist auf meinen beiden CDs leider nicht drauf - leider, weil


    Zitat

    Ein Geniestreich ist das von 3. bis 7.3.1813 komponierte Streichquartett C-Dur D 46


    das ebenfalls nach einem ganz besonderem Frühwerk klingt. Hälst Du D 46 oder D 74 für den genialeren Wurf? Eigentlich kann ich kaum glauben, daß das D-dur-Quartett noch übertreffbar ist (durch spätere Werke natürlich schon).


    Übrigens möchte ich noch auf folgenden thread zum c-moll-Quartettsatz hinweisen, der Dir wohl entgangen ist:


    D 703 - der Wendepunkt in Schuberts Schaffen?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Pius,


    vielen Dank vor allem für den ergänzenden Link zu D 703, den ich wirklich übersehen habe.


    Es fällt mir schwer, zwei für mich so wunderbare Werke wie D 46 und D 74 "gegeneinander" zu werten. Ich lasse sie lieber nebeneinander als große, unbegreifliche Kunstwerke eines jungen genialen Mannes gelten.


    Die Einleitung zu D 46 führt in eine unheimliche Welt, das Geschehen entlädt sich dann im Hauptsatz umso heftiger. (Großartig, wie das Melos Quartett in der mir vorliegenden Aufnahme die Steigerungen intensiviert, "das geht durch Mark und Bein".) Den zweiten Satz empfinde ich als Wiegenlied, mit lebendigerem Mittelteil ausgebaut. Dritter und vierter Satz erscheinen mir "konventioneller", wobei der einfache Musikfreund und Klavierspieler in mir auch nur den Funken einer Idee von Schubert haben möchte, so wenig passt hier das Wort "konventionell".


    Apropos Funken einer Idee: Unglaublich, was Schubert mit D 74 einfiel. Dieser Anfang ist einfach unfassbar, das muss einem Komponisten erst mal einfallen! Die Stimmung, die er damit entwirft, dieses markante "Klopfen", das den ersten Satz bestimmt - es ist "positivere" Musik als bei D 74, aber immer schwingt auch diese für Schubert so typische Unbestimmtheit mit, die mich ganz besonders fasziniert. Und dann der zweite Satz: wieder unglaublich, in welche Welten Schubert den Hörer eintauchen läßt, dabei beginnt der Satz "eher harmlos". Und habe ich dann so wie gestern den 3. und 4. Satz auch noch staunend und diese Musik liebend gehört, gebe ich mich geschlagen. D 74 "siegt" mit knappem Vorsprung, aber im Riesenlaster auf die einsame Insel kommen bitte beide mit...


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Eine Schubert-CD des Hagen Quartetts, teilweise verglichen mit Aufnahmen des Melos Quartetts und des Alban Berg Quartetts



    Im September 1985 nahm das Hagen Quartett, damals noch mit Annette Bik an der 2. Violine, in der Aula der Salzburger Universität eine CD mit Streichquartetten von Franz Schubert auf (DGG 419 171-2). Das Hauptwerk ist das „Rosamunde“ Quartett a-Moll D 804 (op. 29). Man hört diese Musik hier ganz rein im Klang, zart und präzise – wodurch die gelegentlichen dynamischen Verdichtungen umso intensiver kommen. Wehmut und Trost sind gut durchhörbar, obwohl der Ansatz bewusst nicht zu romantisch-dramatisch gesetzt erscheint. Diese bewundernswert exakte Präzision erweckt aber doch den Eindruck einer gewissen Distanz, der der Vorzug gegeben wird gegenüber musikantisch-spontanem Impetus. Da wirkt auch nicht die winzigste Nuance aus dem Augenblick heraus, ganz im Gegenteil scheint jeder Moment mit unglaublicher Akribie geprobt und bis in kleinste Detail durchdacht zu sein. Zu groß ist die grundsätzliche Musikalität der vier Mitglieder des Quartetts, nicht „trotzdem“ (oder gerade deswegen) mit ihrem Spiel zu überzeugen. Beim Streichquartett Es-Dur D 87 (op. 125 Nr. 1) spielt das Hagen Quartett leider nicht die Wiederholungen im ersten und vierten Satz. Dieses Werk liegt in der „jungen“ Interpretation von damals etwa der dem Schreiber bekannten herzlichen Aufnahme des Melos Quartetts vom April 1973 (siehe Box weiter oben) aus dem Mozartsaal der Liederhalle in Stuttgart (das übrigens hier sehr wohl die Wiederholungen spielt!) näher als dem vielfach noch viel bewusster „kühleren“ Hagen Quartett der Jahrtausendwende, das 1985 hier auffallend „behutsam“ unterwegs war. Rein, zart und präzise erklingt dieses Werk. Die Tontechnik hat etwas viel Hall hinzugefügt (oder zuwenig genommen). „Zu Hause“ ist der Schreiber dann im direkten Vergleich mit der Liveaufnahme des Alban Berg Quartetts aus dem Jahr 1997, zu hören in der Klassik-Edition von „Die Zeit“. Inkonsequenz hier: Diese Formation wiederholt zwar die Exposition im ersten Satz, verzichtet aber auf die vom vierten. Ansonsten verströmt der Mitschnitt Leidenschaft und Innigkeit, vielfach „wienerisch tröstlich“.
    Zu D 703 folgen kurze Anmerkungen im Thread zum Werk.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Hallo,


    inzwischen sind ein paar neue Einzelwerkthreads zu den Streichquartetten entstanden, die ich hier nennen möchte:



    Etwas betagter sind schon:



    In Zukunft möchte ich insbesondere bei den "Jugendwerken" noch einiges entdecken.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Einerseits möchte ich die von Exmitglied "Ulli" erwähnten Threads auf ihre Gegenwartstauglichkeit überprüfen und gegebenenfalls fortsetzen - oder durch neue ersetzen, andrerseits mächte ich diesen Thread hier vorsichtig wiederbeleben - allerdings nur sehr oberflächlich, denn die Zukunft gehört den Spezialthreads - von denen in den nächsten Wochen auch der eine oder andere neue das Licht des Tamino-Klassikforums erblicken wird...
    Aber für generelle kurze Hinweise auf Neuaufnahmen - eventuell mit kurzen Pauschal-Bewertungen durch Mitglieder, die sich dazu schon eine Meinung gebildet haben - ist dieser Thread IMO ausgezeichnet geeignet.
    Seit dem Letzten Beitrag dieses Threads sind ja einige Neuerscheinungen und Wiederauflagen zu vermelden.




    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meines Wissens ist die Einspielung mit dem Leipziger Streichquartett hyperkomplett, d.h. sie enthält etliche Fragmente (sowie das Quintett, das Streichtrio D 581 und Triofragmente (als Box inzwischen erstaunlich preiswert, während MDG-Einzel-CDs anscheinend kaum je billiger angeboten werden...)
    Auryn/cpo enthält ebenfalls etliche Fragmente (das Quintett mit dem Ensemble gäbe es bei TACET). Ich bin mit der soweit zufrieden und mein Interesse an den frühen Quartetten reicht nicht weit genug, um systematisch Alternativen anzuschaffen (ich habe als "Füller" ein paar weitere Aufnahmen mit frühen Quartetten, wobei hier aus irgendwelchen Gründen das Es-Dur-Quartett D 87 dominiert, ich glaube, davon habe ich noch 3 Einzelaufnahmen).


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich besitze die von Johannes gezeigte GA mit den Leipzigern (Beitrag 7) und natürlich unzählige Aufnahmen der großen Werke. Für die frühen Quartette und Fragmente reicht mir diese eine übrigens hervorragende Aufnahme, deshalb habe ich auch die verlockend günstige Box mit dem Verdi Quartett (Beitrag 6) wieder von der Bestellliste gestrichen.

  • An Gesamtaufnahmen gibt es meines Wissens sieben:


    Wiener Konzerthaus Quartett (historische Aufnahme aus den 1950ern?)


    Taneyev Quartett (1960er-70, nur als mp3)


    Melos Quartett (DG)


    Kodaly Quartett (Naxos), nur die ist einzeln erhältlich, Bilder/links s.o. wie auch für den Rest
    Auryn Quartett (cpo)
    Leipziger Streichquartett (MDG)
    Verdi Quartett (Hänssler)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo zusammen,


    Franz Schubert (1797-1828)
    Sämtliche Streichquartette
    Nr. 1 B-Dur D. 18; Nr. 2 C-Dur D. 32; Nr. 3 B-Dur D. 36; Nr. 4 C-Dur D. 46; Nr. 5 B-Dur D. 68; Nr. 6 D-Dur D. 74; Nr. 7 D-Dur D. 94; Nr. 8 B-Dur D. 112; Nr. 9 g-moll D. 173; Nr. 10 Es-Dur D. 87; Nr. 11 E-Dur D. 353; Nr. 12 c-moll D. 703; Nr. 13 a-moll D. 804; Nr. 14 d-moll D. 810 "Der Tod und das Mädchen";Nr. 15 G-Dur D. 887, Quartettsatz D. 103

    Melos Quartett
    6 CDs 
    DGG, ADD, 1971-1975


    Ich hörte mich jüngst durch diese Gesamtaufnahme, sicher ein Klassiker des Katalogs und zuletzt im Rahmen der DG-Schubert-Edition verwurstet. Die Einspielungen haben zwar grundsätzlich gefallen, dennoch kann ich mich des Gefühls einer gewissen Patina nicht erwehren. In meinen Ohren klingt hier manches etwas brav und eng (was der Tontechnik geschuldet sein mag). Beim leisen Hören dachte ich manchmal sogar an Mono-Aufnahmen. Ein etwas beherzterer Dreh am Lautstärkeregler ist meiner Ansicht nach unerlässlich, wenn jemand den Drive und die Qualität der Schubert'schen Quartette in diesen Interpretationen erfahren will. An ein paar wenigen Stellen meine ich auch spieltechnische Unsauberkeiten zu hören, die evtl. der analogen Ära geschuldet sind und heutzutage korrigiert werden würden. Ich will die Deutung wirklich nicht schlecht machen, sie hat eine lange Kataloghistorie, wird bei Amazon bestens besprochen und ist zu einem günstigen Preis zu haben. Dennoch werde ich mal die GA mit dem Leipziger Streichquartett gegenhören und evtl. die neue Brilliant Classics-Edition mit dem Diogenes Q. erwerben. Das Auryn Q. könnte ich auch mal wieder konsultieren...


    Viele Grüße
    Frank

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Alexander_Kinski hat in Beitrag 1 beschrieben, was auch mich an Schuberts Streichquartetten fasziniert.


    "Franz Schubert verwischt in seinem unerschöpflichen Themenreichtum oft die Grenzen zwischen den Abschnitten einzelner Sätze so musikalisch-musikantisch, dass man bald nicht mehr gewillt ist, die Strukturen herauszuhören. Man ergibt sich dem Fluss und den Überraschungen der Musik. Man hört sich in einer Zwischenwelt fest, die einen gleichzeitig ganz intensiv in ihren Bann zieht und die Gedanken nur allzu gern abschweifen lässt. Dann wird die Musik „selbstverständlich“, genauso wie sie „unbegreiflich“ bleibt, dann wirkt sie ins Unterbewusstsein, lässt aber immer wieder mit markanten Motiven, zwischen (vermeintlicher?) Biedermeier-Gemütlichkeit, Fugatokunst und völlig überraschenden harmonischen Wendungen aufhorchen. Es öffnen sich himmlische Ewigkeiten, bisweilen aber auch extrem gefährliche Klüfte. Schuberts Musik ist so „angenehm“ und im selben Augenblick so „schmerzerfüllt“ wie keine andere. Haydn, Mozart, Beethoven sind da, und doch kann die meiste Musik Schuberts nur von diesem komponiert, nein besser: gesungen worden sein. Die Psychologie der Melodie erschließt sich, öffnet sich, erschüttert den Hörer dann mit den Begleitmustern, die ihr beigefügt sind."


    Ich bin süchtig nach diesen schubertschen Streichquartetten. Beethoven berührt mich nicht in dieser Weise, obwohl was er geschaffen hatte, ebenfalls zum Grössten gehört, was in der Musikgeschichte je komponiert wurde. Mozart hat mit den Anforderungen gekämpft, die ein Streichquartett verlangt. Das scheint bei Schubert nicht der Fall gewesen zu sein. Es ist ein Geheimnis hinter diesen Noten, das nicht zu erklären ist.


    Weil hier schon einige Aufnahmen erwähnt wurden, füge ich eine neuere, preislich günstige Gesamtaufnahme bei. Sie stammt vom deutschen Diogenes Quartett und ist beim Label Brilliant erschienen. In Beitrag 6 wurden Einzelaufnahmen erwähnt. Hervorzuheben ist die sehr gute Aufnahmequalität dieser Eigenproduktion des niederländischen Billiglabels. Der englische Booklet-Text wurde vom Produzenten Christian Starke verfasst. Die deutsche Übersetzung steht unter http://www.brilliantclassics.com zum Download bereit. Für die PDF Datei die Box im Onine-Katalog suchen und auf "Download booklet" unter dem Cover klicken.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928





  • LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Diese GA-Aufnahme verdient es doppelt gesetzt zu werden.


    LG moderato


    ;)

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • SCHUBERT's Streichquartette waren von ihm als Vorstufe zu seinen Symphonien gedacht, die er aus der großen Bewunderung für BEETHOVEN's sinfonisches Schaffen seinerseits komponieren wollte. Waren diese zunächst für den Familien- und Freundeskreis gedacht und auch in diesem Rahmen gespielt, so wandte er sich mit seinen Quartetten ab 1824 bereits an ein breiteres öffentliches Publikum. Bereits als Meisterwerk erwies sich dabei das im Febr./März 1824 komponierte a-moll Quartett Nr. 13 D 804, das bereits am 14.03.1824 vom SCHUPPANZIGH QUARTETT in Wien uraufgeführt wurde. Die Aufführung seiner übrigen Streichquartette erlebte er nicht mehr. Dieses Werk erschien auch als op. 29/1 im Druck. Gleich im Anschluß, d. h. noch im März 1824, komponierte er sein berühmt gewordenes Quartett Nr. 14, d-moll, D 810 "Der Tod und das Mädchen" , in dem er sein schon 1817 unter dem gleichen Namen komponiertes Lied im langsamen Satz in düsterer Weise variierte.


    Sein im Juni 1826 entstandenes Quartett G-dur D 887 bricht bereits mit früheren Konventionen und erinnert in seiner schon fast orchestral angelegten Form und Ausdrucksweise bereits an BEETHOVEN's späte Streichquartette.


    Auch seine früheren Quartett-Kompositionen, vor allem das wohl 1817 komponierte Streichquartett in Es-dur Nr. 10, D 87, sind durchaus schon beachtens- und hörenswert, stehen aber gewiß noch unter MOZART's Einfluß. Ein bereits von Schmerz und Sorgen überlagertes Werk ist sein schon 1820 komponiertes Streichquartett c-moll Nr. 12 op. posth, D 703.


    Imponieren mir an HAYDN's Streichquartetten die trotz oft genialer kontrastreicher Einfälle und amüsanter musikalischen Streiche HAYDN's stets auf Harmonie ausgelegte Melodik - kaum eine andere Musik erscheint mir so fast handgreiflich als reine, pure Musik von hoher Ästhetik - und höre ich auch sehr gerne MOZART's Streichquartette, vor allem KV 428, 458 und 465 mit ihrem besonderen mozartschem Zauber und ihrer kompositorischen Genialität - von BEETHOVEN's Streichquartetten finde ich gerade sein Frühwerk op. 18 Nr. 2 besonders anziehend, zumal in der Interpretation durch das BUDAPEST QUARTETT - während man sich an die späten ab op. 130 erst einmal konzentriert hineinhören muß, - bin ich von jedem Werk SchUBERTs dieser Gattung immer wieder fast magnetisch angezogen. Bei keinem anderen Komponisten stelle ich so hohe Sensibilität, Menschlichkeit, handgreifliche abrupte Stimmungswechsel - von größter Harmonie, Friedlichkeit, Glückseligkeit bis hin zu tiefstem Schmerz, Verzweiflung, Verbittertheit, Ausweglosigkeit - fest, um am Ende doch wieder zu einem versöhnlichen, erlösenden Schluß zu finden, wie gerade in SCHUBERT's Streichquartetten. Insofern spiegeln diese Schöpfungen die Höhen und Tiefen eines Menschen in all seinen Schattierungen und Auswüchsen stellenweise erschütternd wider, und bringen uns den Menschen FRANZ SCHUBERT bei fast jedem erklingenden Ton ganz nahe. Ohne seine extremen materiellen Sorgen und seine frühen gesundheitlichen Leiden hätten wir wohl niemals eine Musik von solchen Höhen und Tiefen geschenkt bekommen.. Auch in seinen Liedern, seinen Klaviersonaten und seinen Sinfonien kann man ja eine ähnliche hohe Sensibilität des Ausdrucks und jähe Stimmungsumschwünge und Kontraste feststellen, doch gehen diese seltsamerweise bei den Streichquartetten besonders nahe.


    Besonders lieb geworden sind mir das c-moll-Quartett Nr. 12. D 703, und das d-moll-Quartett Nr. 14, D 810, mit dem ENDRES-QUARTETT. Diese Musik verlangt nicht nach großen Streicher-Virtuosen, sondern nach hoher Sensibilität, Homogenität und hohem Verständnis beim Zusammenspiel der 4 Instrumentalisten, und dies ist bei den Herren dieses Quartetts, HEINZ ENDRES (früher oft auch als Solist wirkend), JOSEF ROTTENFUSSER, FRITZ RUF, und ADOLF SCHMID in beeindruckender Weise gegeben. Meines Wissens war es auch eben das ENDRES-QUARTETT, das SCHUBERT's Streichquartette als erste komplett einspielten.


    Für die Quartette in Es-Dur Nr 10, D 87, und in a-moll Nr 13, D 804 ist die Einspielung durch das vortreffliche QUARTETTO ITALIANO in der Besetzung PAOLO BORCIANI, ELISA PEGREFFI, PIERO FARULLI und FRANCO ROSSI die mir am meisten zusagende Interpretation.




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    wok


    Streichquartette A-moll Es-dur (Vinyl, LP) Plattencover


    Schubert*, Endres Quartet* ‎– Streichquartett Nr. 14 D-moll "Der Tod Und Das Mädchen" • Quartettsatz Nr. 12

    Label:
    Orbis (2) ‎– CX 11 150
    Format:
    Vinyl, LP, Album, Mono



    Complete String Quartets Vol. I [3x Vinyl LP]