Hector BERLIOZ: Roméo et Juliette - ein symphonisches Operatorium

  • Die erste Schwierigkeit bei der Einordnung dieses höchst ungewöhnlichen Stückes tat sich bereits bei der Frage auf, in welches Forum es eigentlich einzustellen ist. Berlioz selbst bezeichnete es als Symphonie. Dennoch ist es alles andere als ein rein instrumentales Werk, und wenn auch Beethoven, Mendelssohn und andere die Symphonie schon vorher für Vokalstimmen geöffnet hatten, so gibt es meines Wissens bis hin zu Gustav Mahlers LIED VON DER ERDE und Arnold Schönbergs GURRELIEDERN kein anderes symphonisches Werk, das sich auch nur annähernd so kühn der Möglichkeiten der Programmsymphonie, des Oratoriums und sogar der Oper bedient und dennoch den formalen Kriterien, die an eine Symphonie zu stellen sind, vollauf gerecht wird. Das erklärt hoffentlich den merkwürdigen TItel dieses Threads.


    Zunächst aber ein wenig zur Entstehungsgeschichte des Stückes: wie Berlioz in seinen Memoiren eindringlich schildert, war es ihm nur möglich, es in Ruhe zu schaffen, weil der legendäre Geiger Niccoló Paganini, nachdem er von einer Aufführung von Berlioz' SYMPHONIE FANTASTIQUE begeistert war, bei ihm ein Werk für Viola und Orchester in Auftrag gab. Berlioz lieferte dies auch ab. Es war seine zweite Programmsymphonie, HAROLD EN ITALIE. Da dieses Werk aber eher eine Symphonie mit obligater Viola war und Paganini keine hinreichende Gelegenheit bot, als Virtuose zu brillieren, führte dieser das Werk niemals auf, zahlte aber klaglos das versprochene Honorar, das es Berlioz ermöglichte, sich ohne fnanzielle Sorgen ganz diesem Wunschprojekt widmen zu können. Man kann also davon ausgehen, dass es in jeder Hinsicht seinen Vorstellungen davon entsprach, wie man diesem schon damals meistgeliebten Werk des von ihm noch vor Goethe am mesten verehrten Shakespeare musikalisch in optimaler Form gerecht werden könnte.


    Vielleicht war seine Entscheidung für eine dramatische Symphonie aber auch von dem Misserfolg seiner ersten Oper BENVENUTO CELLINI geprägt worden, der es Berlioz aussichtslos erschenen ließ, eine Oper nach dieser oft vertonten Vorlage mit seiner Musik jemals auf der Bühne zu sehen - ein Pessimismus, der, wie man aus dem Schicksal der fast en Jahrhundert lang verkannten TROJANER weiß, durchaus berechtigt war.


    So brach Berlioz, nicht unähnlich dem Verfahren, das er sechs Jahre später für LA DAMNATION DE FAUST wählte, radikal mit der Vorstellung, das vollständige Drama Shakeapeares umzusetzen und wählte eine Montage besonders inspirierender Sequenzen aus dem Stück als Grundlage seiner Symphonie. Dies setzt natürlich das Wissen des Hörers um die Zusammenhänge des Stückes voraus, damit man den vollen Gewinn aus den rein instrumentalen Teilen ziehen kann, welche die gesungenen Handlungsteile zu einem trotz aller Vielfalt stringenten Ganzen verbinden.


    Da ch davon ausgehe, dass die Teilnehmer dieses Threads das Stück kennen (lernen wollen), verzichte ich hier auf eine Inhaltsangabe des Programms dieser viersätzigen Symphonie mit ausgedehntem Finale. Es sei aber nicht verschwiegen, dass der Gewinn, den man aus dem Anhören dieser Symphonie ziehen kann, erheblich steigt, wenn man das Stück von Shakespeare und möglichst auch einige andere Werke Berlioz' kennt, vor allem die SYMPHONIE FANTASTIQUE, die besonders in der Ballszene immer wieder auf verblüffende Weise durchklingt, oder die dieser Symphonie unmittelbar vorangehende SYMPHONIE FUNÉBRE ET TRIOMPHALE, in der Berlioz seine damals besonders ausgeprägte Vorliebe für anhaltend monotone Stimmungsbilder auf die Spitze, wenn nicht sogar übertrieben hat. Kennern von BENVENUTO CELLINI wird zudem eine Parallele in der Stimmführung der Auftritte des Papstes und dem Prolog der Symphonie auffallen, wenn die Posaune die Deklamation des Herrschenden übernimmt. Aber ich greife der hoffentlich kommenden Detaildiskussion vor.


    Ein Wort noch zu den von mir empfohlenen Einspielungen: für mich war, wie bei fast allen Werken von Berlioz, die Enspielung von Colin Davis und dem LSO mit Patricia Kern, Robert Tear und John Shirley-Johns das lange unübertroffene Maß aller Dinge. Sie ist in dieser sehr empfehlenswerten Sammlung, für relativ mehr Geld aber auch noch einzeln zu erhalten


    51KTPN07WZL.jpg bzw., als Einzelstück,



    Für mich bleibt sie auch heute noch eine Referenz, zumal bei dem Preis der Sammlung, auch gegenüber Davis' eigener Neuaufnahme mit dem Bayerischen RSO, da die noch bessere Aufnahme unter John Gardiner mit dem Orchestre Revolutionnaire et Romantique unbegreiflicherweise schon wieder aus den Katalogen verschwunden ist. Diese vereinte nämlich die zupackende Art von Davis mit einer Durchhörbarkeit der Details, die ich bisher in keiner anderen Version gehört habe. Vorzügliche Interpretationen der rein instrumentalen Sätze (leider nur dieser) haben auch Giulini, Toscanni und, mit enigen leichten Abstrichen, Dutoit eingespielt. Leider sind sie wegen ihrer Unvollständigkeit hier nur bedingt heran zu ziehen.


    Grundsätzlich aber gilt: wer schon eine Aufnahme des vollständigen Werkes hat, muss sich nicht unbedingt gleich eine weitere zulegen. Mir sind zumindest keine bekannt, die dem Werk so wenig gerecht werden, dass von ihr abzuraten wäre. Ich kenne aber natürlich längst nicht alle, die zur Zeit angeboten werden, denn ich sammle bekanntlich weniger in die Tiefe als in die Breite.


    Nun aber erst einmal genug der Vorrede. Ich würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele von Euch nach diesen Worten Lust bekommen haben, sich das Stück zuzulegen und/oder (wieder einmal) anzuhören und dazu Stellung zu nehmen. Ich kann aus meiner subjektiven Warte nur garantieren, dass es (womöglich bei gelegentlichen Irritationen) jedem gefallen wird, der die SYMPHONIE FANTASTIQUE, LES HUGUENOTS, den späteren Verdi und Boito und ganz allgemein die Musik der Romantik mag, die Berlioz womöglich konsequenter als jeder andere verkörperte und voran brachte. Deshalb von zehn möglichen mein Prädikat: :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:


    Bis demnächst in diesem Thread


    :hello: Rideamus

  • Vielen Dank an Rideamus für die Threaderöffnung, die mich gleich schmerzlich daran erinnert, dass ich den Pflichten, die mir mein Avatar auferlegt, nur allzu selten nachkomme. :wacky:


    Außerdem bin ich gerade furchtbar in Eile, weil ich passend zum Thread kurz vor einem viertägigen Trip ausgerechnet nach Verona stehe (kein Witz :D).



    Deshalb nur ganz kurz zwei Anmerkungen:


    Die gattungssprengende Dynamik des Werkes, die Rideamus sehr schön im Threadtitel umschrieben hat, kommt ausschließlich in einer Gesamtaufnahme zur Geltung! Vielfach werden aber der Einfachheit halber nur die drei rein orchestralen Sätze herausgebrochen (also 1. Roméo seul – Tristesse – Concert et bal – Grande fête chez Capulet; 2. Scène d’amour; 3. La reine Mab ou la fée des songes). Die sind zwar auch allein sehr schön - aber ohne die Rahmenteile fehlt der dramaturgische und konzeptionelle Zusammenhang. Meine Vermutung geht dahin, dass viele die drei Stücke aus "Roméo" auf Tonträgern besitzen (sie eignen sich gut als Füllsel), das komplette Werk aber weit weniger verbreitet ist.


    Den diskographischen Empfehlungen von Rideamus kann ich mich vorbehaltlos anschließen: die alte Colin-Davis-Aufnahme hat den Maßstab gesetzt, der allenfalls von der Gardiner-Einspielung getoppt worden ist. Sehr gerne höre ich auch die Cambreling-Aufnahme mit dem SWR-Orchester, auch weil ich seinerzeit die Aufführung in Freiburg miterlebt habe.


    Soviel für jetzt - irgendwann kommt sicher noch mehr von mir. Ich wünsche dem Thread gutes Gedeihen!



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe mal ein bisschen im Tamino nach früheren Äußerungen zum Thema dieses Threads geforscht und bin auf diesen sehr lesenswerten Thread gestoßen, dessen Beiträge zur Diskographie des Stücks ich gerne unterschreibe: Shakespeare in der Musik


    Lest ihn mal nach, wenn Ihr wollt


    R.

  • Hallo Rideamus,


    Dein schöner Anfangsbeitrag zur Berlioz: Sinfonie Romeo und Julia in allen Ehren, aber ;) Dein Beitrag gefällt mir besser als das Werk.


    Romeo und Julia gehört zu den Berlioz-Werken, die ich am seltensten höre, weil mir das Werk ganz schlicht und einfach zu langweilig ist. :stumm:
    Ich finde zudem, dass es die belangloseste Fassung von Romeo und Julia in der gesamten Klassik ist, in der diese Story vertont wurde.
    Wenn ich an Prokofieff und Tschaikowsky denke, so finde ich diese ungleich interessanter und aufregender.


    Meine erste Aufnahme der gesamten Sinfonie Romeo und Julia war auf LP die RCA-Aufnahme mit Erich Leinsdorf/Boston SO, die bestimmt zu den besseren gehört. Die Platte habe ich aber nicht mehr, da mein Interesse für dieses Werk nie so hoch war.


    Es folgte auch die von Dir favorisierte Philips-Auffnahme mit Colin Davis im Rahmen der LP-GA aller Berlioz-Sinfonien.
    8) Im Gegensatz zu Dir kann ich auch diese C.Davis - Philips-GA nicht als einen Meilenstein in meiner Schallplattensammlung betrachten. Denn sämtliche darin enthalten sinfonischen Berlioz-Werke habe ich in weitaus besseren und vor allem feurigeren Interpretationen später auf LP und CD erstanden, die allesamt C.Davis in den Schatten stellten, sodaß auch diese Philips-LP-Kassette fortan ungehört bleiben wird.
    :D Wer will sie von mir kaufen ?


    Um Berlioz nun doch auf CD komplett zu haben, habe ich mir vor ein paar Jahren die Decca-CD mit der Sinfonie funebre et triomphale, gekoppelt mit Romeo und Julia mit Dutoit/Montreal SO zugelegt.


    Im Netz habe ich nur diese Kopplung gefunden:

    Montrel SO / Dutoit
    Decca, 1997, DDD


    Romeo und Julia wird mit Dutoit der 3sätzigen gesangslosen Fassung geboten; das kommt meinem Geschmack entgegen, da dann diese Längen schneller überwunden werden. Aber vor Begeistung falle ich auch dort "nicht vom Hocker".
    Ich habe bei der Gesamtaufnmahme von Romeo und Lulia von Berlioz beim Hören wirklich folgende Gedanken: "Wann ist das endlich zu Ende !"


    :hello: Damit möchte ich nichts gegen Deine Begeisterung für dieses Werk gesagt haben.
    Ich akzeptiere Deine Begeisterung voll, teile sie aber nicht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich muß das Stück erst noch einmal komplett hören (ich besitze Toscaninis Funkmitschnitt von 1947 (RCA) und Boulez rezente Einspielung (DG), sowie zweimal die orchestralen Ausschnitte), um etwas Substantielles beitragen zu können, aber ich bin schon jetzt etwas verwirrt:


    Wo soll es hier eine Viersätzigkeit geben?
    Boulez Booklet gibt eine Einteilung in 7 Sätze (movements), die mir schlüssig scheint
    1 Prolog, 2 Romeo seul etc., 3 Scene d'amour, 4 Reine Mab, 5 Convoi funebre, 6 Romeo au tombeau... 7 Finale


    und Toscaninis in 3 Teile (Partie), offensichtlich etwas grob:
    1. Prolog, dann 2. von "Romeo seul" bis zum Mab Scherzo und der 3. Teil ab Convoi funebre bis zum Schluß


    Die orchestralen Auszüge (Mitropoulos und Maazel) sind leicht unterschiedlich; Mitropoulos hat etwas mehr Material.
    Aber auch die habe ich nie als "Sinfonie" oder so etwas aufgefaßt, sondern eben als Ausschnitte wie bei einer Balletsuite, zumal ja die Liebesszene und das Mab Scherzo auch oft ganz einzeln zu finden sind.
    Die Liebesszene gilt nicht zu Unrecht als eines der besten Stücke von Berlioz, daher bin ich nicht unbedingt traurig, ihr auch mal isoliert zu begegnen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner

  • Hallo teleton,


    Tamino könnte nicht existieren, wenn es nicht völlig verschiedene Geschmäcker und Zugänge zu Musikwerken gäbe, denn als reines Akklamationsforum und als Platform verschiedenster Bestenlisten hätte das Forum schon längst sein Leben ausgehaucht. Deshalb achte und akzeptiere ich gerne Deine andere Meinung und danke Dir für den Respekt vor meinem Versuch, mehr Verständnis für das Werk zu wecken. Dass er nicht immer gelingen kann, erfahre ich an dem Umstand, dass es mir trotz der vielfachen und beredten Plädoyers für Wagner mit den meisten seiner Opern genauso geht wie Dir mit ROMÉO ET JULIETTE. :untertauch:


    Leider kann ich Dir nicht detaillierter entgegnen, weil Du außer ziemlich pauschalen Urteilen und Vergleichen keine Begründung für Deine Auffassung lieferst außer: das Stück gefällt Dir nicht. Das ist legitim, aber eine problematische Diskussionsgrundlage. Imj übrigen habe ich schon in meiner Einleitung warnend darauf hingewiesen, dass das Stück ein gewisses Potenzial an Irritationen beinhaltet, und die wahrlich nicht immer himmlischen Längen vor allem im letzten Teil sind da fraglos ein Faktor. Nur muss man da schon etwas tiefer einsteigen in die Frage, wie sie begründet sind.


    Zu Berlioz und Colin Davis habe ich mich schon in diesem Thread dahingehend geäußert, dass ich Deinem Urteil beipflichte, was jeweils einzelne Aufnahmen angeht, aber nicht in der Summe einer angemessenen Würdigung seiner Verdienste um Berlioz: Berlioz und Colin Davis


    @ Johannes
    Die Definition der Satzzahl finde ich auch etwas schwierig, weil sie sich dem Hörer nicht ohne Weiteres erschließt. Berlioz wollte wohl den Prolog und das Finale als separaten Teil des ersten bzw. letzten Satzes verstanden wissen. Ich fände aber auch eine Sprengung der traditionellen viersätzigen Symphonie nicht weiter schlimm, denn das ganze Stück ist ja geradezu darauf angelegt, alle Grenzen des Bisherigen zu sprengen.


    Gegen instrumentale Ausschnitte habe ich übrigens auch überhaupt nichts, WENN sie die orchestralen Teile vollständig wiedergeben. Deswegen verwies ich ja auf die Aiufnahmen von Toscanini und Giulini. Nur muss man eben, wie Bernd (Zwielicht) zu Recht schrieb, das Werk als Ganzes sehen um ihm im Guten wie im Schlechten gerecht zu werden.


    Vollkommen einverstanden bin ich mit dem Hinweis, dass die Liebesszene (und m. E. schon der vorangehende Ball) zu den besten Schöpfungen Berlioz' gehört. Ich würde mir aber wünschen, dass das auch ein wenig begründet wird, denn gerade diese Szene enthält ja einen erheblichen Teil instrumentierten Dialogs. die mit "absoluter" Musik kaum noch etwas zu tun hat und dennoch, obwohl Programmusik, von überwältigender Kraft und Eindringlichkeit ist. Dahinter bleiben die gesungenen Teile in der Tat merklich zurück, und ich würde jedem zustimmen, der diese Symphonie als uneinheitlich oder in der Qualität unausgeglichen bezeichnet.


    Die Frage ist allerdings, ob das nicht auch für die meisten hoch geachteten Werke gilt, zumal die Unebenheit sich hier auf einem sehr hohen Niveau abzeichnet.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Die erste Schwierigkeit bei der Einordnung dieses höchst ungewöhnlichen Stückes tat sich bereits bei der Frage auf, in welches Forum es eigentlich einzustellen ist. Berlioz selbst bezeichnete es als Symphonie. Dennoch ist es alles andere als ein rein instrumentales Werk, und wenn auch Beethoven, Mendelssohn und andere die Symphonie schon vorher für Vokalstimmen geöffnet hatten, so gibt es meines Wissens bis hin zu Gustav Mahlers LIED VON DER ERDE kein anderes symphonisches Werk, das sich auch nur annähernd so kühn der Möglichkeiten der Programmsymphonie, des Oratoriums und sogar der Oper bedient und dennoch den formalen Kriterien, die an eine Symphonie zu stellen sind, vollauf gerecht wird. Das erklärt hoffentlich den merkwürdigen TItel dieses Threads.


    Ich denke, Berlioz war sich selbst nicht ganz einig über die Bezeichnung seines Werkes.


    Im Vorwort des später gedruckten Klavierauszugs schreibt er: "Zweifellos wird man sich über die Gattung des Werkes nicht täuschen können. Ob schon hier oft Singstimmen verwendet werden, so handelt es sich weder um eine konkrete Oper noch um eine Kantate, sondern um eine Symphonie mit Chor."


    Das Finale hingegen beschreibt er: "Diese letzte Szene der Versöhnung beider Familien gehört allein in das Gebiet der Oper oder des Oratoriums."


    Im Autograph tendierte Berlioz noch zur Szenennummerierung der Oper (also sept movements), während der Erstdruck die Satzzählung einer Sinfonie aufweist (vier Teile plus Finale).


    Ich selbst besitze drei Aufnahmen von "Roméo et Juliette":



    -mein Favorit (auch wegen Leibowitz' Darstellung der "Symphonie fantastique"). Der greise 87-jährige Monteux ergeht sich nicht in schlichter Sentimentalität, sondern liefert ein sehr detailreiches und durchsichtiges Werk (antiphonale Violinenaufstellung) ab, in dem er sowohl die Schönheiten und die Sperrigkeit (Introduction) gleichsam mustergültig herausarbeitet.



    -"Munch" at his best: Furios, rasant und sehr elegant.



    -schöner Orchesterklang, temperamentvolle Aufführung, aber insgesamt "zu glatt".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Rideamus,


    gern würde ich dir berichten, dass dein Thread Anlass für mich gewesen ist, das Werk zu kaufen, zu hören und zu genießen – denn genau das hatte ich eigentlich vor.


    Die Wahrheit jedoch sieht anders aus: Das Werk sagte mir nichts. Als jedoch Norberts Beitrag erschien, stellte ich verblüfft fest, dass ich die eine der abgebildeten Aufnahmen bereits besitze. Konnte das sein? Ich überprüfte es anhand meiner CD-Liste und meine Verblüffung wuchs: Ich besitze sogar zwei Einspielungen:



    Wie konnte ich das vergessen? Die Antwort ergab die heutige Hörsitzung: Mir geht es wie teleton. Ich finde das Werk in doppelter Hinsicht lang: langatmig und langweilig. Sicher, es gibt viele schöne Momente, insbesondere Klangfarbenzaubereien der schönsten Art. Doch vermisse ich jegliche rote Linie. Ich höre zu, finde manches ganz schön, denke aber ständig: Wann kommt er denn mal zu Potte? Wenn das Werk nach meinem Gefühl zu Ende sein sollte, geht es immer noch weiter.


    Zudem empfinde ich das merkwürdige Gemenge von Symphonie, Chorwerk und Oper als sehr störend. Der mehrfache Wechsel der Gattungen verhindert, dass ich mich auf die Musik einlassen kann. Besonders unschön finde ich den für mein Empfinden unvorbereiteten Übergang zum Opernstil am Ende des Werkes.


    Du hast es beschrieben und ich habe es heute gelesen: Berlioz hat das Werk freiwillig und neu erarbeitet. Seltsam, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, Romeo und Juli wäre eine Auftragsarbeit, zu der Berlioz keine Lust gehabt hat, weshalb er diverse bereits fertige Fragmente genommen und zusammengemischt hat.


    Extra wegen Romeo und Julia habe ich die CDs damals übrigens nicht gekauft. Die EMI-CD kaufte ich wegen Nuits d'Ete und die andere war in der Box eben mit dabei.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Hallo Thomas,


    vorab eine Wiederholung: wie arm wäre unsere Musikwelt, wenn wir alle den gleichen Geschmack hätten. Über diesen aber lässt sich bekanntlich nicht wirklich streiten, nur mit sehr ungleichen Waffen fechten. Da mir jeglicher ernsthaft missionarischer Eifer abgeht, möchte ich aber auch davon absehen. Dennoch möchte ich einige Argumente ins Feld führen, die hoffentlich andere, die das Stück noch nicht kennen, daran hindern, sich ungeprüft Deiner Wertung und der von teleton anzuschließen.


    Da wäre zunächst der Hinweis darauf, dass Du ausgerechnet zwei dezidiert schwächere Aufnahmen des Werkes zu Rate gezogen hast, was gerade bei diesem nicht unproblematischen Stück, das eine zugleich einfühlsame und beherzte Interpretation benötigt, ein erheblicher Nachteil ist. Inbals Box ist auf relativ hohem, aber dennoch entscheidend schwächeren Niveau eher das Produkt der Repertoirepolitik eines Labels, das seinen Berlioz möglichst komplett und dennoch preisgünstig haben wollte. Als Leiter des Frankfurter RSO hat er Berlioz wohl eher aus programmatischem Interesse als aus wirklicher Begeisterung für diesen Komponisten eingespielt. Jedenfalls klingt das so. Mutis Aufnahme ist sicher achtbar, wurde von Norbert aber schon mit vollem Recht als "zu glatt" bezeichnet. Man höre sich nur einmal an, was Toscanini aus diesem Stück gemacht hat (und frage sich gleich danach, warum der sich wiederholt so sehr für dieses "langweilige" Stück stark gemacht hat. Immerhin sind die NUITS D' ÉTÉ von Barbirolli und Janet Baker allein schon die Anschaffung dieser Doppel-CD wert. =)


    Zugegeben: auch ich habe manchmal mit dem Finale, beginnend mit dem programmatisch ein-tönigen Trauerzug um Julia und der - vor allem in weniger inspirierten Aufführungen - schier endlosen Predigt des Pater Lorenzo erhebliche Schwierigkeiten, besonders dann, wenn ich das Stück eher nebenbei, also ohne volle Konzentration auf den Text höre. Daran ist zum Teil schon Shakespeare schuld, aber Berlioz Entscheidung, den gesamten tragischen Handlungsablauf zwischen dem "Reine Mab" - Scherzo und dem tödlichen Ende in eine einzige Erzählung zu verpacken, ohne die sein grandioser Schlusschor keinen Sinn machen würde, markiert sicher keine Sternstunde seines dramatischen Instinktes. Gerade dieser Teil lässt besonders bedauern, dass Berlioz keine Chance sah, das Srück als Oper auf die Bühne zu bekommen, weil er auch nicht ganz von dieser Vorstellung lassen konnte. So wirkt dieser Teil, der eigentlich die Apotheose des Ganzen sein sollte, eher wie ein Rückschritt - jedenfalls bis zu dem finalen Chor, der in der Tat eine echte Apotheose ist.


    Man bedenke aber, was bis dahin schon alles geboten wurde, und auf welchem Niveau dieser Rückschritt zu konstatieren ist. Zunächst der traumhafte Prolog, dessen orchestrale Einleitung allein schon hinreißend ist: zunächst der heftige orchestrale Auftakt, der die Vorgeschichte der ausgedehnten Blutrache zwischen Capulets und Montagues schildert, dann die von Berlioz mit einer Posaunenpredigt dargestellte Mahnung des Prinzen zum Innehalten, der Chor mit dem Ballmotiv, der perfekt illustriert, wie intensiv Amüsement und tödlicher Streit verflochten sind, und schließlich die zwischen bezaubernder Prosodie und nahezu ekstatischem Ausbruch schwankende Erzählung der Altstimme, die eigentlich eine radikale Fortführung der Kantaten HERMINIE und LA MORT DE CLÉOPATRE ist, mit denen sich Berlioz um den Prix de Rome beworben hatte. Diese Elemente stecken in aller Deutlichkeit die enorme emotionale Dimension des bevorstehenden "Teenagerdramas" ab, das Berlioz, im Gegensatz zu Tschaikowsky und Prokoffiew, die ich damit nicht gering schätze, auch in allen Facetten ausfüllen wollte.


    Danach die verbale Erzählung von der Traumkönigin Mab als Pendant zu der späteren orchestralen Traumerzählung, die zu den großartigsten Eingebungen von Berlioz gehört, und mit der er seinem befreundeten Rivalen Mendelssohn bewies, dass auch er das flirrende Scherzo meisterhaft beherrschte. Schon hier ist abzusehen, dass wir es hier mit einer bewundernswert komplexen, aber perfekt symmetrischen symphonischen Form zu tun haben, die mir ein wenig wie die russischen Puppen in einer Puppe vorkommt:


    Die äußere: Prolog - Symphonie - Epilog (Finale). Prolog und Epilog sind in sich jeweils dreiteilig.
    Darin die viersätzige Symphonie Scherzo - Symphonie - Scherzo - Lento.
    Mittendrin steht wiederum eine ganz eigenständige viersätzige Symphonie, die nicht von ungefähr gerne getrennt aufgeführt wird, wenn auch aus praktischen Gründen meist ohne die zauberhafte chorale Überleitung vom Fest zur Liebesszene. Sie hat die Sätze Roméo seul - Tristesse - Concert et bal/Grande fete chez les Capulets - Scene d'amour.


    Letztere gilt zu Recht als eine von Berlioz größten Eingebungen, weil sie mit rein musikalischen Mitteln ein berauschendes Nacherleben stürmischer, anscheinend grenzenloser Liebe ermöglicht ohne jemals izu den Mitteln von Lautmalerei zu greifen. Programmusik in Vollendung.


    Aber genug geschwärmt. Ich hoffe, dem unkundigen Leser ein wenig davon vermittelt zu haben, warum sich die intensivere Beschäftigung mit diesem, zugegeben nicht unproblematischen, aber weithin sehr eingängigen Stück allemal lohnt.


    :hello: Rideamus

  • Hallo Rideamus,


    du schreibst: "Immerhin sind die NUITS D' ÉTÉ von Barbirolli und Janet Baker allein schon die Anschaffung dieser Doppel-CD wert." Genau wegen dieser Aufnahme habe ich die CD auch gekauft. Wahrscheinlich habe ich Romeo und Julia damals nicht einmal gehört.


    Und jetzt gebe ich dir eine Steilvorlage:


    Gehört habe ich Romeo und Julia, ohne den Text oder die jeweils vertonte Handlung zu kennen - das Stück von Shakespeare ist mir selbstverständlich bekannt. Beide Booklets der von mir oben gezeigten CDs enthalten keine weiterführenden Angaben bzw. den Text nur in Französisch. Auch meine Konzertführer halfen mir nicht weiter, teils war das Werk nicht einmal enthalten.


    Schon höre ich dich sagen: "Thomas, wenn du dir Text und Handlung besorgst, wirst du erst in der Lage sein, die Schönheit der Musik..."


    Ja, vermutlich.


    Du bist übrigens der Erste, von dem ich Negatives über die Inbal-Box lese. Bislang wurde die Box allerorten gelobt.


    :hello:
    Thomas

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  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Schon höre ich dich sagen: "Thomas, wenn du dir Text und Handlung besorgst, wirst du erst in der Lage sein, die Schönheit der Musik..."


    Du bist übrigens der Erste, von dem ich Negatives über die Inbal-Box lese. Bislang wurde die Box allerorten gelobt.Thomas


    Hallo Thomas,


    ich wäre ein schlechter Anwalt für das Stück, wenn ich Deine Steilvorlage nicht nutzen würde, möchte dies aber dennoch differenziert tun. Ich habe ja hoffentlich schon deutlich gemacht, dass mindestens der letzte Teil der Symphonie auch mit Textkenntnis nicht zwangsläufig Begeisterungsstürme auslöst.


    In der Tat ist es eine problematische Folge der sich häufenden Billigangebote, dass man zwar sehr preiswert an Musik kommt, aber in der Regel auf jede weiterführende Hilfe oder Textbeilagen verzichten muss. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Einsteiger dann das eine oder andere Stück links liegen lassen, weil sie zu wenig darüber erfahren. So schön diese Entwicklung für das Portemonnaie der Kenner ist, so schwierig wird das für Einsteiger in Stücke jenseits des bekannten Repertoires. Kein Mensch dürfte widersprechen, wenn man sagt, dass einem beim Hören einer unbekannten Oper, deren Handlung man allenfalls in groben Zügen und deren Text man überhaupt nicht kennt, viel entgeht. Bei ROMÉO ET JULIETTE ist das nicht anders.


    Leider hilft das Internet da auch nicht immer viel weiter, aber für Leute mit Französischkenntnissen empfiehlt sich diese Seite: http://www.hberlioz.com/Libretti/Romeo.htm
    Auf der Hauptseite dieses Links gibt es auch ganz brauchbare Hinweise zu Berlioz und seinem Schaffen in englisch.


    Mehr Sinnvolles habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, aber genau für solche Zwecke ist dieser Thread ja auch gedacht. Erfreulicherweise tauchte er bei Google sofort auf, als ich zur Vermeidung der vielen Werbelinks "Romeó et Juliette" Berlioz UND Paganini eingab. :D


    Ein Letztes noch zu Inbal. Wenn der Eindruck entstanden ist, die Inbal-Aufnahmen seien SCHLECHT, dann habe ich offensichtlich übertrieben. Ich finde nur, dass gerade Berlioz einen leidenschaftlicheren und engagierteren Zugriff braucht als ich ihn bei Inbal höre. Beim Durchblättern des Net habe ich übrigens gesehen, dass es bei Jokers.de die Gesamtaufnahme des Werkes unter Toscanini für sagenhafte 2,99 gibt. Über die Tonqualität dieser alten Aufnahme kann ich nichts sagen, aber lohnen dürfte die sich für spezieller Interessierte allemal.


    :hello: Rideamus

  • Ich habe das Stück jetzt zweimal (Boulez und Toscanini) gehört, ebenso wie nochmal die orchestralen Ausschnitte. Ich muß zugeben, dass ich die Irritation einiger Diskutanten teilweise nachvollziehen kann. Auch ich bin mir alles andere als sicher, ob das Werk als ganzes funktioniert. Das liegt zwar nicht in erster Linie daran, dass es zwischen allen Stühlen hängt, teils aber schon. Eine "Sinfonie" wird da beim besten Willen nicht draus...
    Bei den meisten Szenen habe ich tatsächlich den Eindruck einer "Oper ohne Gesang" oder von Ballett- oder Zwischenaktmusiken (auch wenn sie hierfür eher zu aufwendig sind). Bei der Schlußszene mit dem Pater und den Chören sowieso. Gewiß, stellte man sich entsprechende Gesangsszenen zusätzlich vor, würde es vermutlich eine Oper von Ausmaßen wie Trojaner oder Götterdämmerung.
    Der Prolog (den ich ebenfalls sehr gelungen finden, jedenfalls den Anfang und das Altsolo) paßte wieder eher in eine Art Oratorium, da er ja Teile der Handlung referierend vorwegnimmt, jedenfalls die Chor/Solo-Stelle.


    Am schwächsten finde ich eigentlich das Finale. Das ist viel zu lang für den Rest und eine Liebestragödie mit dem Versöhnungsschwur der verfeindeten Clans zu beenden etwas spießig ;)


    ABER: Wenn man mal einklammert, dass es als Ganzes sehr schwer umzusetzen ist, muß man einräumen, dass es eine Menge großartiger Musik enthält. Insofern wundern mich die harschen Verdikte dann doch wieder ein wenig. Die Scene d'amour ist klar besser als der langsame Satz der Fantastique, den Ball bei Capulets würde ich der dortigen Ballszene mindestens gleichsetzen, persönlich sogar vorziehen. Auch der grüblerische Romeo vor der Ballszene, das Mab-Scherzo und die Gruftszene sind grandios.
    Auch diese Ausschnitte ergeben aber keine Sinfonie, sondern nur suitenartige Szenen. Trotzdem halte ich deren Qualität für nicht geringer als die der Fantastique oder Harolds; vermutlich fehlt ein wirklich effektives Finale, um die Ausschnitte als Suite ähnlich populär zu machen. (Beide meiner Aufnahmen der "Suite" (Mitropoulos und Maazel) haben übrigens als 4. Satz die Szene am Grab, also nicht nur Ball, Scherzo, Liebesszene)


    Ich weiß nicht, welche Klangqualität die Billigversion der Toscanini-Aufnahme besitzt, meine RCA Toscanini-Edition ist für das Alter (Funkaufnahmen 1947) ordentlich und gut anhörbar. Also für ein paar EUR lohnt sicher das Kennenlernen.
    Es dürfte sich um die mit einigem Abstand erste Gesamtaufnahme handeln. 1942 hatte AT die nordamerikanische Premiere des Gesamtwerks dirigiert.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Ich habe das Gesamtwerk jetzt auch noch zweimal durchgehört: die Aufnahmen mit Colin Davis (alt) und Cambreling, außerdem die dreisätzige "Suite" mit Dutoit (dass es das auch mit vier Sätzen gibt, wie von Johannes erwähnt, wusste ich gar nicht). Eigentlich war ich mir sicher, dass ich auch die Gardiner-Aufnahme besitze, kann sie aber im Chaos beim besten Willen nicht finden :O. Nach meiner Erinnerung hat Gardiner die ursprüngliche Fassung eingespielt, mit einem zusätzlichen Chorprolog vor dem Leichenzug für Julia (hier kann vielleicht Rideamus weiterhelfen?).


    Zur Gattungsfrage, die ich besonders wichtig finde: M. E. hat Berlioz genau gewusst, was er gemacht hat - nämlich ein Werk, dass sich allen Kategorisierungen entzieht. Carl Dahlhaus hat ja darauf hingewiesen, dass in Frankreich die Affinität der Musik zur Sprache viel stärker ausgeprägt war als in Deutschland, dass "Roméo et Juliette" zudem "einer Bildungsidee [entstammt], die sich nicht an der Metaphysik der absoluten Musik, sondern an der Vorstellung einer Durchdringung von Musikalischem und Literarischem orientierte" - was etwa im Prolog mit dem die Handlung erzählenden Chorrezitativ besonders deutlich wird. An dieser Stelle sei en passant auf "Lélio", den zweiten Teil der Symphonie fantastique, hingewiesen, der ja in ähnlich hybrider Weise das gesprochene Wort mit Musik kombiniert.


    Berlioz geht in "Roméo et Juliette" radikal zu Werke: er vermischt nicht nur Symphonie, Oper und Oratorium, sondern vertauscht gewissermaßen die Funktion der Gattungen. Die Hauptfiguren sind ausschließlich instrumental präsent, während sich die Rahmen- bzw. Nebenfiguren und -handlungen sowie die "Kommentatoren" vokal präsentieren dürfen. Das erinnert mich immer an die Aufspaltung in "äußere" und "innere" Handlung in Wagners Tristan - nur dass Berlioz ganz anders vorgeht: ein bewusstes Auseinanderdriften der Teile und die Verweigerung einer kohärenten Handlung (die der Hörer ja schon im Prolog erfährt) führen zu einem collageartigen Charakter, der nichts mit Wagners entgegengesetztem Weg zu tun hat. Zudem ist bei Berlioz ja - wie auch in seinem Vorwort angedeutet - eine Aufwertung des Instrumentalen gegenüber dem Vokalen impliziert: allerdings so, dass sich die Instrumente möglichst sprachähnlich verhalten (was besonders im Abschnitt "Roméo au tombeau" deutlich wird, aber natürlich auch in der Liebesszene).


    "Roméo et Juliette" ist also keine verhinderte Oper und auch keine aus dem Leim gegangene Symphonie. Es ist ein Werk eigenen Rechts. Wer hier "den roten Faden" vermisst, legt Maßstäbe an, denen dieses Werk nicht gehorchen will. Natürlich fehlen trotzdem nicht die gattungsgeschichtlichen Bezüge: die Betitelung des Werks als "Symphonie avec choeurs" nimmt explizit Bezug auf Beethovens Neunte (die seinerzeit in Frankreich so genannt wurde), das Versöhnungsfinale ist eben nicht nur opernhaft, sondern bezieht sich in der Überwindung des Zwists und der Apotheose auch auf das Chorfinale der Neunten. Dass es allerdings musikalisch etwas biederer ausfällt als sein Vorbild, bestreite auch ich nicht. ;)


    Mehr zur Musik später.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Nach meiner Erinnerung hat Gardiner die ursprüngliche Fassung eingespielt, mit einem zusätzlichen Chorprolog vor dem Leichenzug für Julia (hier kann vielleicht Rideamus weiterhelfen?).


    Kann er, und Dein Gedächtnis trügt nicht. Gardiner hat die Ursprungs- und damit vollständigste Fassung eingespielt, die ich auf Platten kenne. Ob er dem Werk damit allerdings einen Gefallen getan hat, wage ich zu bezweifeln, und Berlioz muss das ähnlich gesehen haben, als er diesen Chorprolog strich (wenn er es denn selbst war, was zu vermuten steht). Wie schon gesagt, gerade der letzte Teil erfüllt auch meiner Ansicht nach den Anspruch nicht, den man an ihn als Apotheose des gewaltigen Werkes stellen muss.


    Ansonsten warte ich sehr gespannt auf die Fortführung Deiner auch für mich sehr erhellenden Ausführungen und halte mich mindestens bis dahin mit weiteren Kommentaren zurück.


    :hello: Rideamus

  • Danke, Rideamus, für die Ergänzung! Du hast sicher recht - das Werk ist in der Urfassung nicht gerade kürzer :D. Bei den drei Aufführungen 1839 wurde diese Fassung gespielt, die Kürzung hat Berlioz für den Partiturdruck 1847 vorgenommen. Ich hab's nochmal nachgelesen (bei Schacher, Idee und Erscheinungsformen des Dramatischen bei Hector Berlioz): Der gestrichene Chorprolog berichtet ausführlich von dem Geschehen, das die Musik dann im Satz "Roméo au tombeau" schildert. Wenn man diesen Satz mit dem entsprechenden Text in der Hand hört, fällt auf, wie exakt Berlioz Zeile für Zeile das Geschehen vertont. Das ist eine von Berlioz vorgeführte Möglichkeit der "Durchdringung von Musikalischem und Literarischem": die Musik hat überhaupt keine "eigene" Form mehr, sondern sie folgt minutiös einem Text (wie dann später wohl erst wieder ansatzweise bei Richard Strauss). Dabei entstammt (wie ebenfalls Schacher kurz erläutert) ein Großteil des thematischen Materials in diesem Satz aus der "Scène d'amour", ist allerdings teilweise bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das ist ein Prinzip, das Liszt von Berlioz für seine Gattung der "symphonischen Dichtung" gelernt hat - auf diesem Umweg ist Berlioz dann doch nicht musikhistorisch so folgenlos geblieben, wie man manchmal meinen könnte.


    Dagegen folgen die Sätze 2. "Roméo seul – Tristesse – Concert et bal – Grande fête chez Capulet", 3. "Scène d’amour" und 4. "La reine Mab" durchaus Formmodellen, die sie als die ersten drei Sätze einer Symphonie qualifizieren könnten - auch wenn in (2) die Sonatensatzform und in (4) die Scherzoform mit Trio relativ frei gehandhabt werden. Hochinteressant ist der "Convoi funèbre" für Julia, weil hier - als Spiegelung des im Gesamtwerk angewandten Verfahrens - Orchester und Singstimmen die Rollen tauschen: Zunächst fugiert das Orchester und der Chor psalmodiert dazu auf einem Ton, dann übernimmt der Chor das Fugato und das Orchester "psalmodiert" - ein merkwürdiger Effekt, der zu einem für Berlioz typischen, sehr eindrucksvollen "verlöschenden" Schluss führt.


    Bis auf das leider so konventionelle "Finale" finde ich alle Teile bzw. Sätze dieses Werkes großartig - aber es gibt natürlich auch für mich besondere Höhepunkte, die ich mal ganz unsystematisch aufzähle:


    - das Larghetto espressivo im Satz "Roméo seul", kurz bevor das Fest losbricht: die wunderschöne Oboenmelodie (die wohl für das Erscheinen Julias steht), mit der dazugemischten Klangfarbe der Klarinetten "abgeschmeckt", und dazu: die "Musik aus der Ferne", der herangewehte Festlärm (Streichertremolo mit Tamburinrhythmen) - ein atemberaubender Effekt, der noch bei Mahler reiche Früchte tragen sollte. Großartig, wenn die zunächst so zarte Melodie dann später glanzvoll in den Blechbläsern mit dem Festthema gekoppelt wird.


    - die gesamte "Scène d'amour", deren Klanggespinste - davon bin ich überzeugt - unmittelbar auf den Orchestersatz im zweiten Tristan-Akt einwirkten, insb. bei den Brangänenrufen. Zwei Stellen möchte ich besonders hervorheben: die (wiederum für Julia stehende) Holzbläsermelodie im Zentrum des Satzes, berückend schön und typisch für Berlioz' Melodien: ganz unregelmäßig gebaut, ohne jede Symmetrie, ständig variiert (was ja schon Robert Schumann bei der "Fantastique" so bewundert hatte). Und dann eine Stelle gegen Ende des Satzes, die recht eindeutig sexuelle Assoziationen transportiert: ein ein immer mehr anschwellender Rhythmus in den Streichern und darüber Akkorde der Holzbläser und Hörner, auf raffinierteste Art und Weise immer wieder neu gegen den Takt gesetzt - Berlioz als Hauptvertreter der "Emanzipation des Rhythmus" im 19. Jahrhundert (Berlioz: "Sie wissen, mein Freund, dass Frankreich, ohne dass es in dieser Hinsicht so rückständig wäre wie Italien, noch immer der Herd des Widerstands gegen die Emanzipation des Rhythmus ist. Nachdem man im Conservatoire Weber und Beethoven gehört hat, beginnt erst heute ein sehr kleines, über Paris verstreutes Publikum zu vermuten, dass die beständige Verwendung eines einzigen Rhythmus zu Eintönigkeit und manchmal sogar zu ungeheuren Plattheiten führt. [...] Unsere französischen Bauern singen nur einstimmig. Sollten die rasenden Verehrer des einfachen Rhythmus, der achttaktigen Sätze und der immer nur auf den ersten Taktteil fallenden Schläge der großen Trommel es je dahin bringen, die Harmonie der Rhythmen zu fühlen und zu lieben, so wird das nicht früher geschehen, als die nämlichen Bauern imstande sein werden, sechsstimmig zu singen. Das heißt, sie werden nie soweit kommen." (zitiert nach Dömling, Hector Berlioz und seine Zeit, S. 169f.)


    - und, natürlich, das Scherzo "La reine Mab": Man nenne mir ein Orchesterstück aus dem 19. Jahrhundert, dass so atemberaubend instrumentiert wäre. Viele wird man jedenfalls nicht finden. Berlioz' Antwort auf Mendelssohn wird im Verlauf des kurzen Stücks immer irrealer, dämonischer - wenn dann nach dem Trio mit seinen irisierenden Flageoletts sich plötzlich Weber'sche Hörner mit deutscher Waldromantik einmischen (ähnlich auch in Fausts Verdammnis und bei der Jagdszene aus den Trojanern), wenn die Musik plötzlich explodiert und dann schließlich als klingendes und klirrendes Pandämonium irrlichtert - dann bin ich jedesmal von neuem begeistert.


    Zum Schluss noch ein Zitat von Richard Wagner. Dieser hat sich in "Oper und Drama" in gewohnt unsäglich herablassender Art über Berlioz geäußert, kam allerdings in der viel später diktierten Autobiographie "Mein Leben" zu einem anderen Urteil. Wagner hatte 1839 in Paris die dritte von drei Aufführungen von "Roméo et Juliette" gehört: "Die phantastische Kühnheit und scharfe Präzision, mit welcher hier die gewagtesten Kombinationen wie mit den Händen greifbar auf mich eindrangen, trieben mein eigenes musikalisch-poetisches Empfinden mit schonungslosem Ungestüm scheu in mein Inneres zurück. Ich war ganz nur Ohr für Dinge, von denen ich bisher keinen Begriff hatte und welche ich mir nun zu erklären suchen musste."



    Viele Grüße


    Bernd

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Wer hier "den roten Faden" vermisst, legt Maßstäbe an, denen dieses Werk nicht gehorchen will.


    Womit wir beim altbekannten Argument wären:


    Allgemein: Das Werk ist zwar schlecht, aber gewollt schlecht.


    Konkret: Es fehlt das der rote Faden, aber das soll so.


    Jedenfalls sind wir uns einig. Der rote Faden fehlt. Und ich bleibe dabei: Das stört mich (und zwar unabhängig davon, ob es gewollt ist).


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Jedenfalls sind wir uns einig. Der rote Faden fehlt. Und ich bleibe dabei: Das stört mich (und zwar unabhängig davon, ob es gewollt ist).


    Viele Grüße
    Thomas


    Einig sind wir uns sicher insofern, als der Zugang zur Musik mindestens so individuell ist wie bei jeder anderen Kunst. Information hilft da manchmal, aber nicht immer. Schon gar nicht, wenn man sie nur nach Bestätigungen für sein eigenes (Vor-)Urteil abklopft.


    Was den vermeintlich fehlenden roten Faden angeht, so sehe ich das etwas anders als Bernd (Zwielicht). Er selbst hat Beispiele dafür geliefert, wie zahlreich einzelne Motive und Motivbausteine in allen Sätzen des Werkes immer wieder aufgegriffen und variiert werden. Mehr roten Faden gibt es auch in klassischen Symphonien selten. Zudem wird die Unauffälligkeit des roten Fadens durch die Klammer des Shakespeare-Stückes, auf das sich alle Stücke selbst im instrumentalen Teil wörtlich beziehen, wie Bernd sehr einleuchtend demonstriert hat, m. E. mehr als kompensiert.


    Aber es geht ja (hoffentlich) nicht darum, Recht zu bekommen, sondern das Recht zu behalten, anderer Meinung zu sein, und das spricht Dir hier sicher niemand ab.


    Lieber Bernd,


    ich danke Dir für diese kenntnisreichen Erläuterungen, die auch mir manches von diesem Werk erhellt und verständlich gemacht haben, was ich bisher mehr gefühlt als bewusst verstanden habe. Mir war zwar schon vorher bekannt, dass Berlioz als der eigentliche Schöpfer der Programmmusik gelten kann, aber ich habe bisher mehr empfunden als formulieren können, was Du zur Umwandlung der Sprache in Musik ausführst. Tatsächlich sind weite Teile des Stückes, auch und gerade der rein instrumentalen Abschnitte, Musik gewordene (aber nicht nur imitierte) Dialoge.


    So wird auch deutlich, dass wirklich gute Programmmusik nicht nur Worte und Bilder mit musikalischen Mitteln illustriert oder gar nachäfft, sondern zu völlig eigenständiger Musik umformt, die etwa in dem Thread zur Lautmalerei nichts mehr zu suchen hätte. Mit der Kenntnis der zugrunde liegenden Worte werden diese Werke zwar noch leichter verständlich, für einen verständigen Nachvollzug der Musik bedarf es ihrer aber nicht mehr. Nicht zuletzt deshalb hat Berlioz später auch darauf verzichtet, das anfangs von ihm als Orientierungshilfe verteilte Programm zur SYMPHONIE FANTASTIQUE verfügbar zu halten. Bei ROMÉO ET JULIETTE ging das natürlich nicht mehr, denn das Shakespeare-Stück durfte und darf bis heute als allgemein bekannt voraus gesetzt werden. Jedenfalls bei denen, die schon mal was von Shakespeare gehört haben.


    Nun bleibt nur zu hoffen, dass möglichst viele Taminos und Gäste Deine Ausführungen mit offenen Augen lesen und dann das Stück (noch einmal) mit aller Aufmerksamkeit und Textkenntnis hören. Es würde mich überraschen, wenn dann nicht weitere positive Stimmen zu diesem Werk hier auflaufen. Nötig hat es das schon lange nicht mehr, aber verdient hätte es das allemal.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Nun bleibt nur zu hoffen, dass möglichst viele Taminos und Gäste Deine Ausführungen mit offenen Augen lesen und dann das Stück (noch einmal) mit aller Aufmerksamkeit und Textkenntnis hören. Es würde mich überraschen, wenn dann nicht weitere positive Stimmen zu diesem Werk hier auflaufen. Nötig hat es das schon lange nicht mehr, aber verdient hätte es das allemal.


    :hello: Rideamus


    Lieber Rideamus,
    wenn Du eine positive Stimme zu ROMÉO ET JULIETTE hören möchtest, so will ich Dir meine geben! Das Werk gehört neben den »Les Troyens«, »La damnation« und dem Requiem seit Jahren zu meinen absolten Favoriten - und zwar nicht allein im Kontext des Berlioz'schen Werks. Allein, meine Begeisterung hätte ich niemals nachvollziehbar auf so wunderbare Begriffe bringen können, wie Bernd es getan hat (darum habe ich mich in diesem Thread bisher auch vornehm in Schweigen gehüllt)!! Danke Bernd!!
    Jetzt kann ich aber ganz hemmungslos meiner höchstsubjektiven Begeisterung Ausdruck verleihen :D;) : der fulminante, fugierende Beginn ist mitreißend - eine atemberaubend athmosphärische Eröffnung, in der in knappster Form die gesamte Stimmung, das angespannte Verhältnis der Veroneser Familien evoziert wird; das folgende Chorrezitativ hat IMO ein absolutes Alleinstellungmerkmal in der Musik des 19. Jahrhunderts - WUNDERSCHÖN!!! Über die instrumentalen Sätze im Zentrum des Werks ist hier ja schon ausführliches geschrieben worden - sie markieren für mich einen Höhepunkt suggestiver Instrumentationskunst und thematisch-motivischer Arbeit (die hier niemals Selbstzweck ist, sondern stets dem Ausdruck, der Emphase gilt). Zugegeben gegen Ende schwindet ein wenig die Konzentration (die der Musik und oftmals leider auch die des Hörers) aber noch der »Convoi funèbre« berührt mich zutiefst.


    Noch ein kurzes Wort zur Frage des Genres, dem Berlioz' op. 17 zuzurechnen ist. Ich finde es weder »oratorienhaft« noch »operesque«. Die von Berlioz selbst gewählte Bezeichnung Symphonie dramatique trifft doch eigentlich den Kern der Sache sehr genau - und Bernds Ausführungen scheinen mir dies zu bestätigen...


    Ganz herzlich,
    Medard



  • Klar, das subjektive Werturteil über das Werk bleibt jedem selbst überlassen. Wenn man aber den Versuch macht, bis zu einem gewissen Grad zu objektivieren, dann gilt: Lege an ein Werk keine ästhetischen Maßstäbe an, denen es nicht genügen will, sondern messe es an seinen eigenen Vorgaben (wie von Sachs in den "Meistersingern" auf die Frage nach der Regel gesagt: "Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann!"). So kann man weder mittelalterlichen noch kubistischen Bildern im Ernst vorwerfen, dass sie die Zentralperspektive nicht anwenden. Oder, um ein entfernt verwandtes Beispiel aus der Musikgeschichte zu bringen: Den Bühnenmusiken von Purcell zu "King Arthur" oder "The Fairy Queen" lässt sich mit Fug und Recht anlasten, dass sie "keinen roten Faden" haben. Auf die Idee kommt aber keiner. Der Grund liegt hier natürlich auch in der damaligen Aufführungspraxis. Aber erstens gilt das für Berlioz auch (Dahlhaus weist irgendwo auf die französische Praxis der "gemischten Konzerte" hin, in denen auch rezitiert wurde) und zweitens genießen wir ja auch Purcells Bühnenmusiken oft genug ohne den Kontext der dazugehörigen Schauspiele. Ich will diesen etwas schiefen Vergleich nicht zu sehr ausreizen, aber die Tendenz sollte klar sein.



    Zitat

    Original von Rideamus
    Was den vermeintlich fehlenden roten Faden angeht, so sehe ich das etwas anders als Bernd (Zwielicht). Er selbst hat Beispiele dafür geliefert, wie zahlreich einzelne Motive und Motivbausteine in allen Sätzen des Werkes immer wieder aufgegriffen und variiert werden. Mehr roten Faden gibt es auch in klassischen Symphonien selten. Zudem wird die Unauffälligkeit des roten Fadens durch die Klammer des Shakespeare-Stückes, auf das sich alle Stücke selbst im instrumentalen Teil wörtlich beziehen, wie Bernd sehr einleuchtend demonstriert hat, m. E. mehr als kompensiert.



    Ich gebe Dir völlig recht, dass ich die collagierten Züge des Werks etwas zu stark betont habe (ich finde sie aber auch wirklich interessant). "Roméo et Juliette" ist in der Tat aber keine willkürliche Aneinanderreihung von einzelnen Sätzen, sondern zeigt durch motivische Querverbindungen und bestimmte "Themen" (das vokale und das instrumentale "Sprechen") auch Tendenzen zur Vereinheitlichung. Ganz besonders offensichtlich ist das bei der dramaturgischen Klammer des Werks: Sowohl ganz am Anfang (im Prolog) als auch am Ende (im Finale) geht es um die Überwindung des Streits zwischen den beiden verfeindeten Familien. Im Prolog wird das instrumental durchgeführt: auf das "Streitfugato" folgt in den Posaunen das Eingreifen des Fürsten, worauf sich die Streithähne murrend (auch musikalisch sehr beredt) verkrümeln. Diese instrumentale "Szene" ist gewissermaßen eine Präfiguration des Finales, bei dem die gleiche Handlung auf vokaler Ebene abläuft (die Familien geraten nach dem Tod der Liebenden aneinander, teilweise mit dem gleichen motivischen Material wie im Prolog), werden dann aber von Pater Lorenzo nicht nur zurechtgewiesen und beschwichtigt, sondern endgültig versöhnt. Auch hier also wieder die Parallelisierung zwischen instrumentalem und vokalem Sprechen. Der "politische" Aspekt des Dramas, zu dessen glücklicher Lösung eben das eigentliche Liebesdrama führt, war Berlioz offenbar sehr wichtig. Also kein Auseinandertreiben zwischen "guter" Innenwelt und "böser" äußerer Welt wie bei Wagner, sondern ein Versuch, beide produktiv miteinander in Beziehung zu bringen.


    Wenn das Finale musikalisch nur etwas origineller ausgefallen wäre... :wacky:



    Viele Grüße


    Bernd