Beniamino Gigli - Der vergessene Caruso-Nachfolger (?)

  • Bisher gibt es keinen eigenen Thread über BENIAMINO GIGLI (1890-1957).



    Gigli mit der Callas, 1954


    Sein Operndebüt gab er 1914, der Durchbruch gelang 1918, als er unter Toscanini an der Mailänder Scala sang. Der Höhepunkt seiner Karriere war unter dem Regime Mussolinis, der ihn auch persönlich sehr schätzte. Nach einem vorübergehenden Rückzug von der Bühne während des II. Weltkriegs, trat er ab 1945 wieder häufiger auf, ehe er sich 1955 gänzlich zurückzog. Gestorben ist er 1957 an einer Lungenentzündung. Nach seinem Tod erhielt er das größte Begräbnis, das je einem italienischen Sänger bereitet wurde.


    Ich persönlich habe leider nur eine Aufnahme des "Nessun dorma" von ihm, aber finde ich seine Stimme sehr, sehr schön! :jubel:


    Wer kennt andere empfehlenswerte Aufnahmen von Gigli?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    ganz so vergessen ist er nicht. Ich habe vor einigen Wochen, wo weiß ich leider nicht mehr, einen TV-Beitrag gesehen mit dem Titel "die wahren 3 Tenöre". Der Beitrag widmete sich Caruso, Gigli und Björling.


    Bei Gigli liegt m.E. das Problem darin, dass er sich nach seinem Ausscheiden bei der MET wohl fast nur noch Konzerte gab und in Filmen (Deutschland, Drittes Reich) mitwirkte.


    Ich habe hierzu einen Artikel im Spiegel anlässlich seines Todes 1957 gefunden.
    Hoffentlich klappt das jetzt mit dem Link


    homepage.univie.ac.at/gottfried.fliedl/musica/musica_glossar/gigli.html - 7k -


    Herzliche Grüße :hello:


    Emotione

  • Hallo zusammen,


    die Bewertung von Giglis Kunst ist aus meiner Sicht zutiefst zwiespältig. Er verfügte ohne Zweifel über ein großartiges lyrisches Stimmmaterial. Das Timbre verfügt über eine derartige Süße, dass es mir beim Anhören immer wieder spontan ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Einmalig! Aber an Süßem kann man sich bekanntlich schnell überfressen, und so gestehe ich, dass ich immer mal wieder eine Fastenkur brauche, bis ich mir wieder die vollen Kalorien dieses außergewöhnlich schön timbrierten Organes geben kann.


    Nun, dass sind freilich wie immer subjektive Erwägungen.
    Objektiver lässt sich feststellen, dass die Stimme sehr natürlich und in vielen Aspekten technisch gut geführt wurde. Überragend - und deshalb auch am berühmtesten - der Einsatz der halben Stimme. Gigli verfügte über ein großartig klingendes, virtuos beherrschtes Mezza Voce, das vor allem viele seiner frühen Aufnahmen auszeichnet. Wird die Stimme in der Mittellage sehr entspannt geführt, und ist die Tonemission wunderbar natürlich, lässt keine Anstrengung spüren, hält die Vollhöhe diese Versprechen nicht: Die Stimme ist hier eher kurz und klingt schnell eng und verspannt, was vor allem durch den starken Kontrast zur Mittellage schnell stören kann. Dennoch, Gigli hat nicht nur Timbre zu bieten, sondern auch der Sänger kann viel geben. Oft aber auch zuviel, denn:


    Gänzlich problematisch sehe ich den "Stilisten" Gigli. Bereits in den frühen Aufnahmen ist eine deutliche Neigung hin zum gesamten Schauerkabinett des Verismo zu spüren, wird so manche wunderbar gesungene Arie mit Schluchzern und Seufzern verunstaltet. Ist diese Marotte in seinen jungen Jahren noch erträglich, nimmt sie in der späteren Karriere groteske Ausmaße an, scheint alles nur noch auf den billigen Effekt angelegt.
    Insofern werden von vielen Autoren die frühen Aufnahmen empfohlen, und ich schließe mich diesem Urteil gerne an.


    Volume 1 der Naxos-Edition der Einzelaufnahmen beispielsweise



    zeigt die Vorzüge des jungen Gigli - trotz vergleichsweise schlechter Aufnahmetechnik - in einer schönen Zusammenstellung.


    Abschließend würde ich sagen: Gigli ist für mich als Sänger kein Hauptgang, keine vollwertige Mahlzeit, kein komplettes Gericht. Dafür ist der Interpret doch zu beschränkt und hat zu viele Marotten. Insofern auch kein Nachfolger Carusos. Er ist Caruso lediglich in einem Teilrepertoire, dem lyrischen nämlich, nachgefolgt - hat aber nicht an Carusos überragenden Leistungen anknüpfen können, vor allem als Interpret.
    Aber zumindest der junge Gigli ist eine wunderbare, sehr süße Nachspeise. Eine Praline, die ich immer wieder mal gerne esse, obwohl ich sie dann manchmal auch monatelang nicht mehr sehen will.


    Gruß
    Sascha

  • Beniamino Gigli ist für mich Nostalgie. Zu seiner Stimme passt das Knacken alter Platten an dunklen Novembertagen. Dann lässt sein sentimentaler, manchmal überzuckerter Gesang eine längst vergangene Operntradition wiederauferstehen.


    Giglis Tenor war von außerordentlicher Qualität. Eine helle, eher weiche Stimme mit der von Antracis erwähnten fabelhaften Mezza Voce, wobei die Stimme aber dennoch über viel Kraft und Durchschlagskraft verfügte. Giglis Timbre war süß und unmittelbar einschmeichelnd. Ein Vergleich mit Buttertrüffeln ist durchaus nicht fernliegend.


    An heutigen Aufführungsgewohnheiten gemessen, kommt Giglis Stil aber wohl etwas affektiert daher. Die schönsten Arien garniert er mit effekthascherischen Schluchzern, die für viele Ohren heute bestenfalls ungewohnt, im schlimmeren (und leider nicht selteneren) Fall peinlich wirken.


    Giglis Aufnahmen höre ich trotzdem immer wieder gern. Das sind einfach schöne altmodische Interpretationen – ein bisschen wie verstaubte alte Bücher mit dickem Einband und vergilbten Seiten, die mit der Zeit immer wertvoller werden und die man deshalb mit einer gewissen Ehrfurcht zur Hand nimmt. Man darf nicht vergessen, dass diese Aufnahmen, zeitgenössische Interpretationen sind, die in den meisten Fällen gerade einmal 30-40 Jahre nach der Uraufführung der jeweiligen Werke entstanden. Ich würde deshalb nicht zu hart mit Gigli ins Gericht gehen. Seinen Stil möchte heute wohl kaum jemand wiederbeleben, er ist überholt. Dennoch sind seine Aufnahmen als Zeitdokumente von hohem dokumentarischen Wert. Ich hoffe also, dass das Lächeln von Antracis nicht spöttisch, sondern doch eher milde ausfällt. ;)


    Von den Gesamtaufnahmen mit Gigli, die ich kenne, gefallen mir Tosca (1938 ) und Andrea Chenier (1941) am besten. Die Aufnahmen sind durch die Bank sehr gut besetzt. Hier ist Gigli glücklicherweise in zwei seiner erfolgreichsten Rollen konserviert.


    Weitere Klassiker sind die Aufnahmen von Leoncavallos Pagliacci (1934) und von Cavalleria Rusticana (1940). Die letzte Aufnahme wird von Mascagni selbst dirigiert, wenn auch reichlich schläfrig. Wer die Ausgabe von Naxos kauft, erhält zur Einleitung eine ziemlich skurrile Ansprache des Komponisten, mit der dieser in weihevollem Tonfall in das Werk einführt.


    In seiner Aufnahme von Verdis Ballo in Maschera (1943) ist Gigli mit 53 Jahren noch erstaunlich frisch zu erleben. Im ersten Akt hat Gigli den notwendigen Silberglanz des Herrschers, im zweiten kann er im Liebesduett die Süße seiner Stimme sehr schön zur Geltung bringen. Im dritten Akt kommen dann leider wieder etwas zu sehr seine Manierismen durch. Trotzdem ist das von Giglis Seite eine hörenswerte Aufnahme. Die Einspielung leidet allerdings sehr unter Maria Caniglia als Amelia. Sie hat derart massive Intonationsprobleme, dass man es auf einer heutigen Operngesamtaufnahme nicht mehr zulassen würde.


    In diesem Sinne: viel Spaß in der Vergangenheit!

  • Honig, das ist meine erste Assoziation bei Gigli. Meine zweite: Schluchzen.


    Und dann fällt mir ein, dass er beteiligt war an einer der schönsten Gesangsaufnahmen, die ich kenne:


    1927 sangen Gigli, Galli-Curci, Homer, Bada, de Luca und Pinza ein dermaßen großartiges "Chi mi frena" (das Sextett aus Lucia di Lammermoor), dass ich am liebsten sofort zum CD-Schrank laufen würde, um es aufzulegen und es wieder und wieder zu hören.


    Enthalten ist das Sextett u. a. auf dieser sehr schönen CD


    ,


    die bei JPC z.Zt. für den Spottpreis von 3,99 zu haben ist.


    Wenn Süße, dann gleich richtig. Wer legt die Schokolade schon nach dem ersten Bissen wieder aus der Hand?


    Also eine weitere Empfehlung (nicht von mir, sondern von J. Kesting in einem Zeitschriftenartikel, der ich gern gefolgt bin):



    "Was soll man zu Gigli noch schreiben? Jeder der sich für ihn interessiert, ist ein Opernfan. Jeder Opernfan kennt Gigli.


    Gleichwohl: Einen Gesangsstil wie Gigli ihn pflegte, findet man heute nicht mehr. Es will wohl auch keiner mehr hören. Er singt (vor allem in den späteren Aufnahmen) mit soviel Inbrunst, Schluchzen und Schmalz, dass die Gesangslinie von seinem Stil oftmals geradezu erdrückt wird. Trotz dieses Stils bin ich von der Pracht seines Stimmklangs immer wieder aufs Neue zutiefst beeindruckt: was für eine Stimme!!!


    In der vorliegenden Aufnahme der Lieder (die auch vom Kritikerpapst Kesting empfohlen wird) stört der beschriebene Stil überhaupt nicht, er passt. "O sole mio" muss so gesungen werden, sonst klingt es anämisch (gleiches gilt übrigens für die ebenfalls empfehlenswerte Cavalleria Rusticana bei Naxos, anders bei Tosca und Ballo).


    Wenn man also an einem Sommerabend bei einem Glas Rotwein in Italien-Stimmung ist, dann ist diese Platte perfekt (sonst kann man immer noch Alte Musik auflegen, z.B. die wunderbaren neuen Alben von Florez oder Genaux).


    Ein Wort noch zum Klang: Er ist historisch. Das bedeutet, es knackt und rauscht unentwegt. Das sollte vom Kauf aber nicht abhalten. Denn schon beim zweiten, spätestens beim dritten Hören stört das überhaupt nicht mehr, so sehr nimmt die Musik gefangen.


    Fazit: Jeder Opernfreund sollte diese CD haben", habe ich anderswo mal über diese Platte geschrieben.


    Bei Naxos-historical sind aber auch einige empfehlenswerte Opern-Gesamtaufnahmen erschienen. Diese beiden haben mir bereits viel Freude bereitet:



    Viele Grüße
    Thomas

  • In den diskographischen Anmerkungen im Anhang der rororo-Opernbücher sind die Autoren wohl i.d.R. recht streng: So ca. 70% aller jeweils erhältlichen GA`s werden da i.A. mit "durchgefallen" bewertet.....
    Im "Bajazzo" / "Cavalleria" - Band ist der Autor (das Buch besitze ich nicht - ich kann mich aber aus der Bibliothek gut daran erinnern) von Gilgis Leistung recht angetan: Unter allen Turiddu-Darstellern auf Platte liegt er da "zumindest am Ende des oberen Tabellendrittels" (sozusagen ;))
    Als "Mamma Lucia" ist hier übrigens Giulietta Simionato zu hören, die später wohl ab und an mit der Callas auf der Bühne war: Kurioserweise ist also die Mamma 25 Jahre jünger als der figlio :D (aber auf Konserve stört`s mich kaum, eigentlich gar nicht...)


    Danke an Antracis für den Hinweis augf die Naxos-Edition: Diesen Teil I. werd`ich mir wohl zulegen !!
    Ich gehe mal von aus, dass diese Ausschnitte teiweise identisch sind mit Aufnahmen, die ich mal auf LP hatte: Neben 2 Arien aus Boitos "Mefistofele" gäbe es dann noch ein langes Duett aus Mascagnis "Freund Fritz" - wer kennt das schon.............


    CIAO !!
    piet

  • Hallo pieter.grimes!


    Ich weiß ja nicht, wie dieses "Wer kennt das schon..." zu verstehen ist, können die vielen Punkte doch entweder dafür stehen, dass das Stück derart herrlich ist, dass alle es kennen sollten, oder dafür, dass es derart abseitig ist, dass es nun wirklich niemand kennt.


    Für mich gilt die erste Möglichkeit. Ich kenne das Kirschenduett von Gigli mit Favero aus 1937 (ist auf der oben abgebildeten EMI-Arien-CD enthalten; ich weiß nicht, ob er das Duett früher schon mal aufgenommen hat). Und das ist so himmlisch schön, dass ich es immer wieder hören möchte. Die Aufnahmen des Duettes von Pavarotti/Freni und Gheorghiu/Alagna, die ich ebenfalls besitze, können an Gigli/Favero nicht einmal klingeln.


    Gruß
    Thomas

  • Da wir hier im Schellackforum sind, traue ich mich, hier auch meinen Favorit des wunderschönen Kirschenduetts zu nennen: Magda Olivero und Ferruccio Tagliavini, 1939.


    Tagliavini ist ohnehin ein bemerkenswerter Sänger, der mit Gigli viel gemeinsam hatte, insbesondere den süßlichen Ton, wobei bei Tagliavini für meinen Geschmack etwas weniger Glanz vorhanden ist, aber noch eine Spur mehr Melancholie mitschwingt.


    Allen Freunden von Beniamino Gigli kann ich nur empfehlen, diesen unterschätzten Tenor kennenzulernen. Ich habe meiner Begeisterung schon an anderer Stelle Raum gegeben:


    Mehr als ein Epigone Giglis - Ferruccio Tagliavini

  • 1) Dochdoch - 1 Duett aus "Freund Fritz" (ich nehme mal an, dass es dies "Kirschenduett" ist !) hat Gilgi bereits vor seinem Wechsel an die MET (der war wohl zum Jahreswechsel 1919/20 ?) einmal aufgenommen !


    2) Über die (künstlerische) Qualität dieser Aufnahme (und dieses Duetts überhaupt) kann ich ( nach reichlich 20 Jahren) nix mehr sagen - ich weiss nur, dass ich die LP seinerzeit wohl fast kaputtgespielt habe...


    3) Diese frühe Duo-Aufnahme hielt ich bis hier und heute für ein ziemliches Unikat.....................
    Offenbar `ne happige Bildungslücke für mich alten Italo-Freak :O :O


    :hello:
    piet

  • Zitat

    Original von Zauberton
    Ich hoffe also, dass das Lächeln von Antracis nicht spöttisch, sondern doch eher milde ausfällt. ;)


    Hallo Zauberton,


    es ist eher ein glückseliges Lächeln. War manchem Tenor die "Träne" in die Stimme gelegt, so war es bei Gigli definitiv ein Lächeln. Und das steckt bekanntlich an. :D Ironisch wird mein Lächeln dann nur bei den beschriebenen Verismo-Eskapaden, denn da trifft eine extreme Ausprägung seinerseits auf eine denkbar starke Abneigung meinerseits.
    Dennoch auf jeden Fall ein Sänger, den man kennen muss. Und vor allem eine Stimme, die man gehört haben sollte.


    Thomas Norderstedt:


    Danke für den mundwässrig machenden Hinweis aus die "Songs-CD". ;)


    Gruß
    Sascha

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  • Beginnen wir beim Threadtitel:


    Vergessen ist Benjamino Gigli mit Sicherheit ebensowenig wie Caruso.
    Warum man ihm allerdings immer wieder mit ihm verglichen hat ist mir nicht ganz nachvollziehbar: Timbre und Ausdruck der beiden Sänger waren grundverschieden.


    Naxos hat - es wurde schon an anderer Stelle erwähnt - Gigli sogar eine eigene "Gigli-Edition" gewidmet, welche 15 !!! CDs umfasst.
    Sie dokumentiert Giglis Stimme von den Anfängen bis zum traurigen Niedergang (Livemitschnitt von 1955!!!)


    Di ersten Folgen sind noch mit Trichter aufgenopmmen - haben als allenfalls als historische Tondokumente Bedeutung - Erst ab 1925 - mit Einführung der elektischen Aufnahme - war die Stimme eingermaßen klangfarbentreu reproduzierbar.


    -
    -


    Gigli war - wie viele Künstler seiner Zeit - nicht besonders wählerisch mit seiner Auswahl - er sang de facto alles: Belcanto, Verismo, Neapolitanische Lieder, Schubert und Mozart, und sogar Schlager.
    Mit der italienischen Version von "Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere" trat er sogar mit Peter Alexander in Wettstreit, der sich seinerseits rächte in dem er (auf Schallplatte) den Pappacoda und den Papageno (nur eine Arie) sang....


    Die vielgerühmte Weichheit der Stimme kann einen gelegentlich auch nerven, nämlich dann wenn sie ins "weinerliche" umschlägt - aber das mag ein sehr subjektiver Eindruck sein.


    TROTZDEM: Alles in allem - einer der bedeutendsten Tenöre des 20. Jahrhunderts....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein schöner thread über einen Sänger, der in den ersten Jahrzehnten nach Carusos Tod wohl der bekannteste italienische Tenor war, der aber wohl zu Recht in der Kritik sehr zwiespältig beurteilt wird.


    Meine Erinnerungen an Giglis Singen gehen zurück in die 60er Jahre: Meine Großmutter war sehr musikbegeistert, allerdings auch kein Connaisseur. Gigli war einer ihrer Lieblingssänger, und die Lieder und Canzonen, die wohl auch auf der von Thomas angesprochenen EMI-CD enthalten sind, habe ich daher oft gehört.


    Ich mochte die Stimme und auch das Singen sehr gern – bis ich 10 Jahre später Jussi Björling entdeckte und mit der ganzen Arroganz meiner 15 Jahre über den „ Heultenor“ Gigli lästerte, der die LeHavre-Szene der "Manon Lescaut" oder die berühmte Bajazzo-Arie mit naturalistischen Schluchzern durchsetzte, die meiner Meinung nach in der Musik nichts verloren hatten.


    Ich kann auch heute noch derartigen Allüren nichts abgewinnen: Wenn schon Schluchzer oder Schreie, dann in die musikalische Linie eingebettete und gesungene!
    (Anna Lisa Björling bezeichnete übrigens in der von ihr und Andrew Farkas herausgegebenen Biografie „Jussi“ Gigli als ihren Lieblingssänger, für den sie wohl seit ihrer Mädchenzeit geschwärmt hat!)


    Vor etwa 10 Jahren hörte ich dann einige frühe Aufnahmen Giglis, die mich wiederum begeisterten:
    Kein anderer Sänger, den ich bisher gehört habe, hat meiner Meinung nach das „Salut demeure chaste et pure“ aus Gounods „Faust“ so gestisch gesungen: Mit seiner unverkennbaren, „lächelnden“ Stimme bringt er das Erstaunen über die einfache und doch so geschmackvoll eingerichtete Wohnung ungemein lyrisch zum Ausdruck — natürlich mit seiner wunderbaren mezzavoce, die er leider später immer seltener einsetzte, und ohne das C am Ende so herauszustellen, wie es viele Sänger (leider auch Björling!) immer wieder gemacht haben. Wirklich lyrisch und mit mezzavoce auch Enzos „Cielo e mar“ aus der Gioconda.


    Und dann gibt es noch diese Erinnerungen an ein kleines, sehr üppig und ein wenig „plüschig“, aber gekonnt eingerichtetes Lokal mit alten Möbeln und etwas „Chichi“, dazu wunderbares Essen, trockenen Roten — und die Canzonen, die knackend und rauschend aus dem Lautsprecher kamen und hundertprozentig zu der Stimmung passten!
    Der Inhaber liebte Italien, Oper und Gigli, und er ließ seine Gäste auch daran teilhaben.
    Und da kann ich Thomas nur zustimmen:

    Zitat

    Zitat: Wenn man also an einem Sommerabend bei einem Glas Rotwein in Italien-Stimmung ist, dann ist diese Platte perfekt (sonst kann man immer noch Alte Musik auflegen, z.B. die wunderbaren neuen Alben von Florez oder Genaux).



    @ piet


    Zitat

    Zitat: Neben 2 Arien aus Boitos "Mefistofele" gäbe es dann noch ein langes Duett aus Mascagnis "Freund Fritz" - wer kennt das schon.............


    ... ich kenne es nicht nur, ich höre es auch immer wieder gern:
    am liebsten mit Mafalda Favero und meinem tenoralen „Lieblingsitaliener“ Tito Schipa; dann kommen bei mir aber auch schon die Aufnahmen mit Olivero/Tagliavini und Favero/Gigli.



    :hello: Petra


  • nicht zu vergessen die vortreffliche Version mit dem jungen(!) Rudolf Schock und Joan Hammond!

  • Die Aufnahme mit Schock und Hammond kenne ich noch nicht; klingt aber interessant, denn ich höre Schocks frühe Aufnahmen in der Regel gern!

  • Zitat

    Original von petra
    (...) der die LeHavre-Szene der "Manon Lescaut" oder die berühmte Bajazzo-Arie mit naturalistischen Schluchzern durchsetzte, die meiner Meinung nach in der Musik nichts verloren hatten.


    Das ist eine meiner frühesten Begegnungen mit Beniamino Gigli: das Ende des 3. Aktes der "Manon Lescaut" von Puccini.


    Gestalterisch fand ich das grausam, aber irgendwo auch mutig, das jemand so outriert.


    Lange Zeit besass ich dann nur den "Andrea Chenier" und die "Pagliacci" - Gigli war nicht so mein Ding.


    Erst viel später - und nach Kenntnis vieler anderer Sänger - geriet Gigli wieder in mein Blickfeld. Und da war dann auch der Moment, wo ich dieses sehr schöne Timbre und seine Qualitäten zu schätzen lernte. Die Unarten fand ich allerdings immer noch grauslich, aber bei vielem, was hier zu lesen ist, kann ich nur zustimmen.


    Mittlerweile besitze ich fast alle Gesamtaufnahmen, die Gigli gemacht hat ("Traviata" fehlt mir z. B. noch) und eine, die ich mal herausgreifen möchte, wäre die "Boheme" aus dem Jahr 1938 - das ist einfach eine schöne Aufnahme mit einem stimmlich bestens aufgelegten Gigli an der Seite einer mädchenhaften Licia Albanese.

  • Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass Benjamino Gigli in Dutzenden (teilweise unsäglich schmalzigen) deutschen und italienischen Spielfilmen aufgetreten ist.


    Ab und zu kann man die Sonntags Nachmittags im Fernsehen wiedersehen, "Mutterlied" - "Der singende Tor" - "Ave Maria" - "Du bist mein Glück" - "Vergiß mein nicht" - Stimme des Herzens" und so weiter.


    Ich kann mich erinnern, die teilweise als Kind schon gesehen zu haben und werde nie vergessen, wenn er so seine kleinen dicken Patschhändchen ringt ... schauspielerisch mehr eine Lachnummer - und dann diese unsäglichen Liedchen - "Mamma..."

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Seine Aufnahmen von "Tosca"/"La Bohème"/L´Elisir d´amore" möchte ich nicht missen.
    Natürlich gibt es bei ihm Schluchzer in Überzahl, die stören, aber dafür andererseits überirdische Töne, die sein perfektes mezza voce zeigen.
    Im übrigen ließ ihn seine Technik auf Mikrofone verzichten, er war auf jedem Platz zu hören (mein Vater hörte ihn 1954 in Berlin).
    Der Wermutstropfen seiner Karriere war sein Eintreten für den Faschismus in Italien und Deutschland, sodass er erst nach 1945 wieder auftrat (er war nicht der einzige italienische Sänger, der dem Faschismus Zugeständnisse machte).
    Hörenswert sind seine Aufnahmen aus Covent Garden 1939 ("Traviata"/"Aida) und Duettaufnahmen mit seiner Tochter Rina.


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Eine große Überraschung für mich ist Giglis Chénier-Interpretation unter de Fabritiis mit Caniglia, Bechi (Nov.1941) in der er so ganz gegen seine Gewohnheit richtiggehend strahlend und männlich auftrumpfend agiert. Dazu den wunderbaren Bechi und die etwas nervende Caniglia, die aber auch ihre Qualitäten in der Arie und im Schlußduett demonstriert.


    Die oben angesprochene schon sehr peinliche Live-Aufnahme von 1955 aus der Carnegie Hall erinnert mich daran, dass ich als junger Bub Giglis Abschiedskonzert in meiner Heimatstadt Graz gehört habe. Leider fehlt mir dazu so gut wie jede Erinnerung.


    Was war der Unterschied zwischen Gigli und Caruso?
    Wenn Gigli den Canio sang, weinte er. Wenn Caruso den Canio sang, weinte das Publikum.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Hallo Milletre,


    willkommen bei Tamino! Diese lakonische Gegenüberstellung


    Zitat

    Original von Milletre:Was war der Unterschied zwischen Gigli und Caruso?
    Wenn Gigli den Canio sang, weinte er. Wenn Caruso den Canio sang, weinte das Publikum.


    finde ich sehr treffend :jubel:.


    Vielleicht war es ja wirklich der Zeitgeschmack, aber mich stören übertrieben naturalistische Schluchzer in einer Oper ebenfalls, und eine Konzentration auf die Musik mit entsprechenden Stilmitteln und Nuancen im Singen ist auch meiner Meinung nach viel ergreifender als jeder "Drücker".


    Bei einem Tenor wie Gigli, der ja eine wunderbare Stimme hatte und dessen mezzavoce und "lächelndes" Singen wirklich bezaubern konnten, ist es besonders schade, zumal für viele seine späteren Marotten meist länger im Gedächtnis bleiben als seine stilvollen Aufnahmen.


    :hello: Petra

  • Gigli hatte eine der allerschönsten Tenorstimmen, die ich je gehört habe, auch seine Technik war beeindruckend. Stilistisch kann man über ihn streiten. Der italienische Kritiker Rodolfo Celletti sagte über ihn: "Cantante: si. Artista... no." Überspitzt kann man das schon so stehen lassen.
    Die frühen bis mittleren Aufnahmen von Gigli aber (alles bis etwa Mitte/Ende zwanziger Jahre) sind aber fast alle umwerfend.
    Allen voran etwa das Perlenfischer Duett mit De Luca, das mir jetzt spontan einfällt. Auch die komplette Boheme und der Chenier sind noch sehr gut. Bei den Liedern fällt mir ein großartig gesungenes "Rondine al Nido" (De Crescenzo) ein.
    Über Mascagnis langsame tempi sagte er einmal: "Der Mann bringt mich damit noch ins Grab..." :D
    An der Met hat er nach Carusos Tod statt ihm die Partie des Chenier übernommen - (mit Claudia Muzio, glaube ich) muß großartig gewesen sein. :jubel:
    Das bereits angesprochene "Manon Lescaut" Finale der Deportations-Szene gibt es soviel ich weiß in zwei Versionen (Anfang 40er Jahre Studio und 50er Jahre live?) wo er sich bei seinem schluchzenden Abgang auf das Schiff ein C (B?) einlegt.


    http://www.youtube.com/watch?v=_9Z9MHkX23k


    Lauri Volpi, der späte Björling, Pertile und Tucker sind dafür auch gute Kandidaten.
    Stilistisch anfechtbar, aber wer es einmal gehört hat dem schallt es bei jeder anderen Aufnahme im Ohr.
    Ich hab einmal gelesen, daß es von Gigli kein einziges Foto gibt, auf dem er lächelt. Hab tatsächlich noch keines gefunden...
    Fakt ist auch, daß fast jeder Tenorkollege - ob aktuell oder historisch - sich was Stimmschönheit, Gesangstechnik und stimmliche Langlebigkeit betrifft bewundernd über ihn äußert.

    Einmal editiert, zuletzt von La Gioconda ()

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  • In der preiswerten "Icon" -Serie der EMI ist in diesen Tagen auch eine 7-CD-Box mit den schönsten Liedern und Arien von Beniamino Gigli erschienen, neu gemastert und frisch aufpoliert - für den Sammler:



    Beniamino Gigli - The Tenor Legend (Icon Series)
    Arien & Lieder von Verdi, Puccini, Rossini, Donizetti, Mascagni,
    Leoncavallo, Gounod, Bizet, Boito, Giordano, Ponchielli,
    Meyerbeer, Flotow, Thomas, Händel, Cilea, Lalo, Halevy,
    Capua, Curtis, Cardillo, Chopin, Gomes, Wagner


    Beniamino Gigli, Amelita Galli-Curci, Titta Ruffo, Iva Pacetti, Licia Albanese, Giuseppe Taddei,
    La Scala Orchestra, Metropolitan Opera Orchestra,
    Giulio Setti, Rosario Bourdon, Eugene Goossens, Franco Ghione, Oliviero de Fabritiis u. a.
    Label: EMI , ADD/m, 1918-1955 - 7 CDs für ca. 18 €
    Erscheinungstermin: 26.2.2010


    +++++++++++++++++++++++++++++++++++++


    Wer den historischen Klang mehr schätzt und noch mehr Aufnahmen fürs Geld will, für den gibt es diese Membran-Box mit 10 CDs:



    Beniamino Gigli
    Lieder & Arien von Mascagni, Leoncavallo, Verdi,
    Puccini, Giordano, Ponchielli, Donizetti, Thomas, Gounod,
    Meyerbeer, Flotow, Rimsky-Korssakoff, Bizet, Rossini,
    Cilea, Massenet, Lalo, Pietri, Alfano, De Curtis, Di Capua,
    Cottrau, Denza, Nardella, Tosti, Ciolfi, Bixio,
    Millöcker, Schubert, Nunzi, Bach / Gounod u. a.


    Künstler: Beniamino Gigli, Maria Caniglia, Giulietta Simionato, Licia Albanese, Mario Basiola, Ebe Stignani, Fedora Barbieri,
    La Scala Orchestra, Opernorchester Rom,
    Franco Ghione, Tulio Serafin u. a.
    Label: Doc , ADD/m, 1926-1950
    10 CDs für 10 Euro!
    Erscheinungstermin: 29.1.2010


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ähnlich wie beim Fußball, wo es heißt, knapp drüber ist auch vorbei, so ist's mit den Namen: Gigli heißt Beniamino - auch Rosvaenge wird nicht immer richtig wiedergegeben.


    Bittte nicht bös sein, aber meine philologische Ader pulsiert auch bei Kleinigkeiten recht heftig ...

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • ...finden sich u.a. auf dieser Aufnahme:



    Was für eine luxuriöse Besetzung! Und Giglis "Ingemisco" und "Hostias" dürften unwiederholbar sein.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon


  • Stimmt. Jedoch halte ich das italienische Idiom Giglis in einer lateinischen Messe nicht aus. Wenn er aus "Ingemisco" ein oberitalienisches "Inschemisco" verbricht - nur eines von vielen peinlichen Beispielen -, ist bei mir leider der Ofen aus.


    PS: Zwar wissen wir nicht, wie die Lateiner ihre Aussprache tatsächlich praktizierten, es wäre auch möglich gewesen, dass sie z.B. "Cicero" als "Kikero" aussprachen, jedoch hat sich eine klassische Form des Lateinischen durch die Jahrhunderte durchgesetzt, an die wir uns - und damit auch Sänger - tunlichst halten sollten.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • @ Milletre


    Ich habe das Ingemisco nun noch mal abgespielt, und, ehrlich gesagt, außer daß das Wort Ingemisco bei "ge" ein bißchen verwischt klingt, fand ich's jetzt nicht so schlimm. Nun waren die 30er Jahre in Italien mglw. nicht so puristisch, was lateinische Aussprache angeht: auf der ganzen Aufnahme hört man durchgehend eine italienisierte Aussprache, auch die anderen Solisten scheinen das für ganz natürlich zu halten. Es wäre am Dirigenten gewesen, es zu korrigieren.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Liebe Honoria,


    es gibt keine Aufnahme des Verdi-Requiems, in der nicht "Italolatain" gesungen wird. Es können höchstens ein oder zwei Enspielungen aus Deutschland existieren, bei denen das harte "Medizinerlatein" verwendet wird.


    :hello: Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Lieber Herbert Henn,


    mich stört's ja nicht... Medizinerlatein (schöner Ausdruck!) wäre den Beteiligten und vor allem Gigli wohl auch kaum so süß über die Lippen gekommen.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • H.H.s Analyse stimmt ja. Das heisst aber nicht, dass es auch richtig ist. Zumal in letzter Zeit zwei (immerhin!) "richtige" Produktionen zustande kamen - allerdings in Live-Konzerten, und zwar


    T.Iveri, Y.Naef, P.Beczala, A.Vinogradov
    Chor und SO des BR - M.Jansons (Luzern, 7.4.2006)


    V.Urmana, O.Borodina, R.Vargas, F.Furlanetto
    Chor des Teatro Regio Torino, WDR-Chor - S.Bychkov (Köln, 10.11.2007)


    Giglis "Süße", die ich als Sirupsoße im "Inschemisco" empfinde, ist ein flehentlich-bitterernstes Gebet, in dem der Interpret die Hoffnung äußert, dereinst zur Rechten des Herrn thronen zu können.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Vielleicht sollten wir die Frage, inwieweit die Musik dieses 2 Seiten-Teiles den zitierten Bitterernst tatsächlich suggeriert, an einer anderen Stelle diskutieren. Gigli jedenfalls --konnte-- diese Stelle wahrscheinlich gar nicht anders singen (böse Zungen werden meinen, weil er eh immer alles schluchzte und "süß" sang), jedenfalls traf er so mit Sicherheit den Requiem-Geschmack der damaligen Zeit. Daß es auch nüchterner geht, beweist Björling (nicht ganz zur selben Zeit, aber immerhin zeitlich nahe dran an Gigli.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Es gibt schon einen Thread darüber, wie Latein gesprochen werden soll.
    Leider weiß das keiner. Die erste Aufnahme mit Björling ist übrigens aus dem selben Jahr wie die mit Gigli. Der Dirigent war Toscanini, der sicher wußte, in welcher Sprache Verdi sein Requiem gesungen haben wollte.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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