Eggert & Schlingensief in Bonn: ein zukunftsweisendes Konzept?

  • Ich lese gerade im Spiegel, dass der Komponist Moritz Eggert und Christoph Schlingensief sich nicht so ganz einig sind über die Gestaltung der zur Uraufführung anstehenden Oper "Freax" des Ersteren durch den Letzteren.


    Die Lösung: erst gibt es die Oper konzertant und musikalisch vollständig, danach einen "Epilog" in dem die Musik schauschpielerischer Aktion unterworfen und nur bruchstückhaft aufgeführt wird.


    Quasi ein zwei-Phasen-Modell - möglicherweise ja DIE Lösung für den Konflikt der Regie-Schulen?


    :D


    Ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber ich sehe es als ein wertvolles Experiment...


    :hello:
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Im Werkverzeichnis des Komponisten Moritz Eggert (Jahrgang 1965) finden sich u.a. ein „Fussballoratorium“ mit dem Titel „ Die Tiefe des Raumes“ (2005) oder das Stück „Ballack, Du geile Schnitte“ für Sopran und Akkordeon aus dem Jahr 2002.


    Das klingt interessant – und es hätte vielleicht tatsächlich ein spannender Opernabend werden können, wenn es denn eine szenische Uraufführung gegeben hätte.


    Text und Musik alleine offenbaren leider eine Dürftigkeit, die mich zu der vorläufigen Einschätzung gelangen lässt, dass das die überflüssigste Oper ist, die ich seit langem gehört habe.


    Doch der Reihe nach:


    Als Regisseur dieser Uraufführung in Bonn war Christoph Schlingensief vorgesehen, es gab Probleme zwischen dem Komponisten und seinem Regisseur im Vorfeld der Produktion., Eggert wollte sein Werk dann lieber nur konzertant gespielt sehen, als in der Version von Schlingensief.


    Letzterer steuerte am gestrigen Sonntag nur einen etwa halbstündigen Kommentar in Form einer kleinen Szene, eines produzierten Filmes und Ausschnitten aus den Proben als Videofilm - gezeigt während der Pause - bei, Titel: „Fremdverstümmelung 2007 – Freax“.


    Zum Inhalt: „Freax“ lehnt sich an einen Spielfilm aus den Dreissigerjahren unter dem gleichen Titel an.


    Das Stück handelt von missgebildeten Menschen – u. a. zwei Kleinwüchsigen, einem siamesischen Zwillingspaar und einem Hermaphroditen - , die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie sich als „Freax“ einem zahlenden Publikum präsentieren.


    Franz, einer der Kleinwüchsigen, verliebt sich in Isabella, eine nicht missgebildete Sängerin, die wiederum den Showmoderator Hilbert liebt. Isabella will Franz heiraten, allerdings nicht aus Liebe, sondern um an sein Vermögen zu kommen – sie erklärt Hilbert, dass sie Franz, so schnell es geht, nach der Hochzeit umbringen will.


    Beim Hochzeitsritual schafft es Isabella nicht, symbolisch ein „Freax“ zu werden: die Freax haben alle in einen Kelch gespuckt, den Isabella nicht leeren kann – sie beschimpft Franz und die missgebildeten Menschen, was Franz zusammenbrechen lässt.


    Bei einem mysteriöse Bühnenunfall – Isabella tritt als „zersägte Jungfrau“ auf – werden ihr tatsächlich die Beine abgesägt, sie ist nun auch ein „Freax“ und unternimmt einen Versuch, bei Franz bleiben zu dürfen, der sie aber wegschickt.


    Auch Lea, ebenfalls kleinwüchsig und in Franz verliebt, kann ihn nicht für sich gewinnen, Monster dürfen nicht lieben, erklärt ihr Franz und tötet sie, worauf er wahnsinnig wird. Nur die Show, die muss irgendwie weitergehen…


    Das kolportagehafte des Plots würde es jetzt erforderlich machen, dass die Musik dem etwas entgegensetzt. Dass die Figuren vom Klischee weg durch die Musik Tiefe und Charakter bekommen, dass etwas über das Gesicht hinter der Maske der handelnden Personen mitgeteilt wird.


    Nichts von all dem leistet diese oberflächliche und banale Musik von Moritz Eggert. Es hat den Anschein, dass der Komponist sich für seine Figuren absolut nicht interessiert.


    Die Freax der Oper werden so zu einem rein dekorativen Moment degradiert, austauschbar und beliebig – was reichlich peinlich ist.


    Möglicherweise ist das einer der Punkte, warum Schlingensief mit dem Werk nicht zurechtkam. Er arbeitet seit Jahren mit geistig und körperlich behinderten Menschen zusammen, man darf unterstellen, dass er diese gut kennt und das ihm deshalb die Art, wie Moritz Eggert Freax darstellt, befremdet haben dürfte.


    Die Musik selbst kann man als „eklektizistisch“ bezeichnen: Beethoven, Puccini, Strauss, Wagner, aber vor allem immer wieder so eine Art Kurt-Weill-Stil ist da zu hören, durchsetzt mit Tanzmusik der 30er, bunt gemischt – und, als wäre das noch nicht genug, schüttet der Komponist Eggert auch noch derartig viel Kitsch über das ganze Machwerk, dass einem der Gehörgang verklebt: das ist keine „grosse Oper“, wie die Werkbezeichnung lautet, das ist Musical der billigsten Sorte, anbiedernd und substanzlos.


    Ganz schlimm: ein Lied, dass der Hermaphrodit Dominik-Dominique singt: es erzählt von der Sehnsucht nach Nähe und davon, dass ihn/sie alle nur aus der Distanz heraus anschauen möchten. Da gleitet Eggert endgültig ins Schmierentheater ab. Ich kenne überhaupt nur zwei Künstler/innen, die aufgrund ihres Charismas in der Lage wären, einen solchen Song (der Text ist abgrundtief schlecht) glaubhaft zu präsentieren: Georgette Dee und Tim Fischer.


    Noch ein Beispiel: „Freude schöner Körperformen“ als Beethovenparodie (während der Chor sich abmüht, feuern zwei Sänger/innen ununterbrochen „Freude, Freude, Freude“ dazwischen, Gütiger...).


    Aber auch die Revolution wird ausgerufen (und die Verdammten dieser Erde tauchen musikalisch auf) – gänzlich sinnlos, würde man die vielleicht zwei Minuten Musik streichen, es würde keinem auffallen.


    Das ist eine Musik, die Zweieinhalbstunden geschwätzig vor sich hinplätschert, wer braucht so was? Ich würde nicht davor zurückschrecken, Moritz Eggert als Komponist aus der dritten Reihe einzuschätzen.


    Das Libretto stammt von Hannah Dübgen – sprachlich eine Katastrophe, banal und naiv, oft unfreiwillig komisch...


    Das einzige, was diesem Stück helfen würde, wäre ein Regisseur, der ganz konsequent diesem musikalischen Süsskram (da trieft die Kantilene, dass man automatisch zum Taschentuch greift) etwas entgegensetzt – Schlingensief war so betrachtet eine gute Wahl. Und Moritz Eggert wäre gut beraten gewesen, das Stück in dieser Version zur Diskussion zu stellen.


    Was sieht man jetzt? Den originalen Bühnenaufbau mit einem Laufsteg quer durchs Publikum, und einer Spielfläche über dem Orchester, auf dem die Sänger/innen sitzen. Auf der eigentlichen Bühne eine Art dreistöckiges Wohnhaus, in deren unterem Stockwerk Tasteninstrumente platziert sind und eine Show-Combo sitzt, im Mittelstock, auf einer Drehbühne der Chor und oben drüber hinter einem Jägerzaun werden Probenausschnitte auf zwei Leinwände projiziert.


    Die Sänger/innen und der Chor sind in den Originalkostümen und in der Maske zu sehen – und das sieht alles auch ganz ansprechend aus, der Chor so ein wenig nach Kandinsky und Schlemmer.


    In der Pause dann Schlingensief: seine Truppe aus den echten Freaks (ich benutze den Begriff in Anlehnung an Schlingensiefs Film „Freakstars“) sitzen an einer Tafel, davor eine Leinwand (durchsichtig), auf die Filmausschnitte projiziert werden, u. a. die Kreuzigung eines körperbehinderten Mannes – aber auch Texte von bsplsw. Adorno oder Pirandello.


    Leider ist kaum zu verstehen, was die Menschen sagen – es sind Ausschnitte aus dem Libretto, aber auch Liedgut von Schubert habe ich erkannt.


    Diese halbe Stunde, die Schlingensief völlig zurecht als „Diskurs“ bezeichnet, zeigen, was dieser Abend hätte werden können, die Musik von Eggert rettet das natürlich nicht.


    Im Programmheft äussert sich Moritz Eggert unter der von Schlingensief übernommenen Überschrift „Scheitern als Chance“ wie folgt: „ ...denn gerade durch die Verweigerung einer Inszenierung stellt sich ja die Frage, welchen Weg zeitgenössische Oper in Zukunft gehen kann. Meistens redet man über das „Wie“ von Oper. Wie wird sie auf die Bühne gebracht, wie ist die Ästhetik, darf man überhaupt noch usw., während Hannah Dübgen und mich als Autoren vor allem das „Was“ eines Stückes interessierte, nämlich sein Inhalt.


    Dass das „Wie“ von zeitgenössischer Oper an einem Endpunkt angelangt ist, wird durch den Rückzug der Regie behauptet (...) Ich gestehe: Meine Hoffnung für die Zukunft der Oper ist, dass das „Was“, wieder mehr in den Mittelpunkt rückt.


    Dass es wieder so ist wie bei der Literatur, einer wesentlich älteren Kunstform als der Oper, bei der man im Feuilleton nicht darüber diskutiert, warum ein Autor es wagt, einen Roman zu schreiben, sondern nur darüber, was drin steht.“


    Die Verweigerung der Inszenierung ist im vorliegenden Fall schlicht dumm und hat mit dem Weg der zeitgenössischen Oper nichts zu tun. Diese ist auch nicht an einem „Endpunkt“ angelangt, nur weil Moritz Eggert zur zeitgenössischen Oper keinen diskussionsfähigen Beitrag zu leisten vermag. Es stellt sich allerdings die Frage sehr wohl, warum Eggert überhaupt eine Oper schreibt, wenn er in dieser Kunstform zu dem von ihm ausgewählten Werk nichts mitzuteilen hat - da hätte ich mich doch lieber mit einer noch so schrägen szenischen Realisation von Christoph Schlingensief auseinandergesetzt.


    Gesungen und musiziert wird solide. Das Orchester unter seinem Kapellmeister Wolfgang Lischke bemüht sich um eine reibungslose Wiedergabe der Partitur. Bei den Sänger/innen hinterlässt Otto Katzameier, ein Bariton, der viel zeitgenössische Musik interpretiert, den besten Eindruck als Hermaphrodit, changierend zwischen der Bariton- und der Altlage.


    Aber auch Thomas Harper als Franz, Louis Gentile als Hilbert oder Vera Baniewicz als Lucia sollen noch stellvertretend für die anderen Sänger/innen Erwähnung finden.


    Das Publikum spendete freundlichen Beifall für alle Beteiligten, Moritz Eggert und Hannah Dübgen wurden auch mit wenigen, aber deutlichen Buhs bedacht.


    Der WDR hat mitgeschnitten, ich werde mein Urteil anhand des Mitschnitts, so ich seiner habhaft werden kann, nochmals überprüfen...

  • Hörte gestern zufäiig im Radio ein Telefoninterview mit Moritz Eggert. Der Komponist erkärte, es gäbe keinerlei Streit mit Schlingensief. Mit der Komposition betrachte er seine Arbeit als abgeschlossen. Für die szenische Realisierung seien andere zuständig (nicht jeder Komponist wird dieser geradezu asketischen Selbstbescheidung zustimmen). Daß Schlingensief die erwartete (und wohl auch vertraglich vereinbarte) Inszenierung nicht ablieferte, erklärte Eggert dahingehend, Schlingensief habe den Arbeitsaufwand unterschätzt und sei in Zeitnoit geraten. Der logischen Konsequenz, die Produktion auf einen späteren Termin zu verschieben, wollte sich Eggert nicht anschließen. Stattdessen behalf er sich mit einere Geste des Bedauerns, die für das (nach meiner Ansicht unprofessionelle) Verhalten des Regisseurs volles Verständnis aufbrachte. So viel verbale Geschmeidigkeit verblüffte mich, da schöpferische Menschen bei der Durchsetzung ihrer künstlerischen Interessen normalerweise äußerst sensibel bzw. aggressiv reagieren. In sofern machte mich Moritz Eggert mit einem mir bislang unbekannten Künstlertypus bekannt... Oder war ihm das Ganze eigentlich längst wurscht, weil er selbst spürte, daß er sich verhoben hatte?


    Florian