Brahms: Klavierstücke Op. 116-119

  • Vor kurzem habe ich hier im Forum auf meine Fragen nach empfehlenswerten Interpretaionen von Brahms´scher Kammer- und Klaviermusik gute Hinweise bekommen.





    Inzwischen habe ich mich schon etwas durchgehört, habe dabei mal Quartette, mal Klaviersonaten gehört und bin dann irgendwann bei den Rhapsodien und Intermezzi gelandet.


    Da ich mir die Aufnahme von Radu Lupu auch gleich besorgt hatte (ich schätze sein Spiel außerordentlich), habe ich die "Klavierstücke" so zum ersten Mal gehört - und dann fing mein Nachdenken darüber an.


    Hier im Themenverzeichnis fand ich einen Thread über die Rhapsodien, aber keinen über all die Intermezzi. Und so starte ich einfach ein neues Thema und bin neugierig, was da alles an Wissen zusammenkommt.


    Es fängt schon an mit der Bezeichnung "Intermezzi".


    Nach dem Hören der Klaviersonaten hatte ich nicht mit solch medidativer, inniger, ruhiger Musik gerechnet und war etwas verstört und unsicher. Daß es von Radu Lupu gespielt wurde, dessen Interpretationen der Beethoven´schen Sonaten für mich die besten sind, macht mich glauben, daß das so seine Richtigkeit hat.
    Bei Oppitz klingt es anders, zupackender, nicht so lyrisch.


    Ich wüßte gern mehr darüber -


    Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hallo Stabia,


    unbedingt hörenswert bei op.116-119 ist auch Glenn Gould



    Wie "zupackend" man diese Stücke spielt ist sicher von Pianist zu Pianist verschieden. Für mich sind sie jedoch eher meditativ-melancholisch und teilweise mit ein bisschen "Selbstvergessenheit. Faszinierend ist für mich besonders Glenn Gould bei op.116 Nr.2, man hört hier förmlich wie die Zeit vergeht. Hingewiesen sei übrigens darauf das es sich nur teilweise um Intermezzi handelt, op. 116 sind z.B. Fantasien.
    Viele Grüße aus München,


    Jonathan

  • Zitat

    Original von Jonathan Feller


    unbedingt hörenswert bei op.116-119 ist auch Glenn Gould (z.B. op 116 Nr. 2 b-Moll!)



    Lieber Jonathan,


    Du meinst aber bestimmt op. 117/2 oder?


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • auch ich ich empfehle Gould: Er hat Brahms besondrs geliebt und spielt in mit eine Zährtlichkeit, ja fast Zerbrechlichkeit. Einen solchen höchst lyrischen Zugang kenne ich sonst höchstens noch von Lars Vogt (EMI) (wiederholt im Radio gehört), von dem ich aber irgendwo gelesan habe, auf die Dauer dann doch emotional zu wenig anzusprechen: Am besten selber reinhören!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

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  • Liebe Brahms-Freunde,


    Gould ist für mich auch einer der Favoriten- die melancholische Grundstimmung die bei diesen späten Klavierstücken mitschwingt kommt bei ihm sehr gut heraus. Feinsinnig, sehr sensibel- wenn auch vom Klang etwas trocken- aber auch das bekommt dem späten Brahms sehr gut. Goulds Fähigkeit zum polyphonen Spiel fördert auch so manche verborgene Melodie zu Tage.


    Einen anderen- wenn man so will ein wenig heitereren- Zugriff wählt Elisabeth Leonskaja. Ihr Ton ist kräftiger, voller. Bei ihr wirken diese Miniaturen etwas weniger zerbrechlich, weniger fragil als bei Gould. Interessant ist auch das verwendete Instrument- ein restaurierter Steinway von 1905. Und im Unterschied zu Gould hat Leonskaja die späten Klavierstücke vollständig eingespielt. Weitere Vorzüge dieser Produktion: Ein sehr informatives Beiheft und ein sehr natürliches, räumliches Klangbild- wie bei eigentlich allen Produktionen von Dabringhaus und Grimm:



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)


  • Anders als ihre frühen Brahms-Sonaten-Aufnahmen bei Denon (inzwischen BrillinatClassics), finde ich diese späteren bei Erato für wenig gelungen. Sie selbst, so hörte ich sagen, soll sich darüber geäußert haben, dass sie ihre Weise, den späten Brahms zu interpretierenen, inzwischen für verfehlt hält.

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Keine einzige der Fantasien op. 116 ist mit „Fantasie“ überschrieben. Die einzelnen Stücke heißen vielmehr:


    1. Capriccio (Presto energico; d-moll, 3/8')
    2. Intermezzo (Andante; a-moll; 3/4, Mittelteil in 3/8')
    3. Capriccio (Allegro passionato; g-moll, alla breve, Mittelteil Es-Dur)
    4. Intermezzo (Adagio; E-Dur, 3/4)
    5. Intermezzo (Andante con grazia ad intimissimo sentimento; e-moll, 6/8')
    6. Intermezzo (Andante teneramente; E-Dur, 3/4, Mittelteil gis-moll)
    7. Capriccio (Allegro agitato; d-moll, 2/4; Mittelteil a-moll, 6/8')


    Entstanden sind diese Werke in den Sommermonaten der Jahre 1892/93 in Bad Ischl.


    Ohne unbedingt von einer zyklischen Anlage sprechen zu wollen, fällt doch eine gewisse Anordnung auf: Gerahmt wird der Zyklus von zwei Capriccii in d-moll, die in schnellen Tempi gehalten sind. Die innen stehenden Werke sind bis auf eines eher ruhig, wobei dem einzigen schnellen Capriccio op. 116, 3 das langsamste Stück des Zyklus‘ an die Seite gestellt ist, nämlich das Intermezzo op. 116,4. - Die Tonarten der ersten drei Stücke sind dem Umfeld von d-moll entnommen, die folgenden drei stehen in E-Dur bzw. e-moll. Das letzte Stück steht wiederum in d-moll. – Dies alles spricht zumindest für eine bewusste Anordnung der Stücke in dieser Reihenfolge.


    Brahms wurde neulich hier im Forum für eine gewisse rhythmische Monotonie gescholten, für das Vortäuschen von Drive. Was bei diesen Stücken in rhythmischer Hinsicht passiert, ist hochmodern – Synkopen, Hemiolen, Verschleierungen des Akzentstufentaktes, halbe Seiten stehen im 2-gegen-3-Rhythmus. Als ich neulich zum ersten Mal die Noten sah, hab ich die Stücke, die ich vom Hören einigermaßen kenne, nicht immer erkannt.


    Diese Stücke – die späten Klavierwerke opp. 116 – 119 insgesamt – scheinen momentan Konjunktur zu haben. Mir fallen aus der Zeit nach 2000 die Einspielungen von Elisabeth Leonskaja, Nicholas Angelich, Markus Groh, Andreas Boyde, Ann Gourari und Hardy Rittner ein.


    Folgende Einspielungen liegen mir vor:


    Die Gesamtaufnahmen der Klavierwerke von Brahms mit Julius Katchen und Gerhard Oppitz:



    Die Aufnahmen der späten Klavierwerke von Brahms mit Wilhelm Kempff, Markus Groh und Hardy Rittner:




    Hardy Rittner spielt auf einem Flügel der Firma J. M. Schweighofer’s Söhne aus den Jahren 1876/77, der gegenüber den Steinways von Groh (und vermutlich auch Kempff und Katchen) eher wattig klingt. – Der Bösendorfer bei Oppitz klingt für meine Begriffe etwas zu aufdringlich und aggressiv.

  • Das Stück (Presto energico; d-moll, 3/8') ist fünfteilig angelegt. Der erste Teil operiert mit kräftigen Akzenten auf der „3“. Ein zweiter Teil beginnt nach kaum 15 Sekunden mit einer chromatisch aufsteigenden Linie im Bass, die in der Oberstimme übernommen wird. Eine letzte Reminiszenz an Teil 1, dann beginnt schon eine durchführungsartige Verarbeitung. – Zuerst erfährt Teil 2 eine Reprise, dann Teil 1, so dass die Form fünfteilig ist: A – B – C – B‘ – A‘.


    Katchen packt kräftig zu, viel Pranke ist da zu hören. Gleichzeitig spielt er mit ausgezeichnet dosiertem Rubato. – Auch Oppitz langt zu, das hat für mich jedoch weniger Wucht als vielmehr (tendenziell) aufdringliche Schärfe. – Bei Kempff geht es deutlich gemächlicher zu – nein, das ist definitiv kein „Presto energico“. Kempff gelingen zwar im Mittelteil sehr schöne Pianissimi und große Bögen, aber so war es wohl nicht gemeint. – Markus Grohs Tempo ist auf der zügigen Seite, aber er lässt sich genug Zeit, um eine Fülle von Klangfarben auszubreiten. Rund und unaufdringlich, alles Wesentliche beinhaltend! – Rittners Spiel wirkt demgegenüber etwas pauschaler.

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  • Dieses Stück (Andante; a-moll; 3/4, Mittelteil in 3/8') ist dreiteilig wie die meisten in op. 116. Das introvertierte achttaktige Thema wird sogleich in weiteren acht Takten variiert. Der Mittelteil (Non troppo presto) bringt schwierige Oktaven für die rechte Hand. Im letzten Teil erscheint das Thema des Anfangs zuerst in einer Dur-Variante. Diese kulminiert in einem Forte-Ausbruch, der jedoch gleich ins Pianissimo einbricht. Das Thema in Originalgestalt samt seiner Variation beschließen das Stück.


    Katchen zeigt sich wieder als großer Rubato-Künstler – als ob es so sein müsste. Auch die wichtige Balance zwischen Vor- und Hintergrund ist wunderbar getroffen. – Oppitz geht mit mehr Intensität an dieses Stück heran, als ob unter der introvertierten Oberfläche starke Energien brodeln würden. Den Mittelteil spielt er recht brillant, entgegen dem vorgeschrieben „molto piano e legato“. Da geht die ganze Atmosphäre dahin … - Nach dem zurückhaltenden Tempo in Nr. 1 scheint Kempff nun Boden gutmachen zu wollen. Sehr gut finde ich hier den Mittelteil, irrlichternd-dahinhuschend gespielt. Affirmativ erscheint bei Kempff die Dur-Version des Themas – für mich ist das trotz des vorgeschriebenen Mezzoforte nicht so überzeugend wie das Beibehalten eines Restes von Introversion. – Herrlich ausgeglichen wiederum die Version von Markus Groh. Wie Zeit strukturiert wird, hier kann man es lernen. Die Forte-Stelle in der Dur-Version des Themas ist wunderbar eingebettet ins Ganze, ist kein Ausbruch, sondern einfach eine andere Form der Innenschau. Großartig. – Brütend klingt das Stück bei Hardy Rittner auf dem historischen Instrument. Bei Rittner ist die linke Hand im ersten Teil nicht so zurückgenommen wie in den anderen Versionen, er identifiziert sie sozusagen als wichtigen Kontrapunkt. Im Mittelteil spielt Rittner die Vorteile seines Flügels aus, da müssen die anderen höllisch aufpassen, dass es piano bleibt.

  • Die dreiteilige Form des Stückes (Allegro passionato; g-moll, alla breve, Mittelteil Es-Dur, Un poco meno Allegro) ist sofort zu erkennen, da der Mittelteil in Tonart, Tempo und vor allem im Affekt deutlich von den Rahmenteilen abweicht.


    Katchen zeigt die Virtuosität des Stückes unaufdringlich. Das „passionato“ wird hier nachvollziehbar. Großartige Schlusssteigerung. – Der metallisch-helle Klang des Bösendorfers steht den Rahmenteilen gut, im Gegensatz dazu spielt Oppitz den Mittelteil sehr sonor, es wirkt wie ein Registerwechsel. Der Schluss klingt triumphierend – bravo! – Nachdenklicher wirken die Rahmenteile unter Kempffs Händen, mit der Steigerung kurz vor den jeweiligen Schlüssen kann er aber (deswegen) nicht so viel anfangen. Umso so mehr steigert er im Mittelteil, spielt die Forte-Stellen klangprächtig aus, ein Piano am Ende des Mittelteils überliest er. – Auch Groh geht das Stück antivirtuos an. Wo nur Forte ist, spielt er eben kein Fortissimo. Sehr sanglich dann der Mittelteil, die Steigerungen werden nicht zu Klangorgien missbraucht, die übergeordneten Zusammenhänge sind dem Pianisten wichtiger als das Setzen lokaler Glanzlichter. Erst beim Schluss spielt er Fortissimo – genauso steht es in den Noten! – Rittner ist in den Rahmenteilen sehr zügig unterwegs, ohne Virtuosität zur Schau zur stellen. Der Mittelteil klingt bei ihm bei aller Vollgriffigkeit des Satzes sehr lyrisch. Er dreht dynamisch allerdings sehr schnell auf und kann am Schluss des Stückes nicht mehr zulegen.

  • Dieses Stück (Adagio; E-Dur, 3/4) war im Autograph als „Notturno“ bezeichnet. Diese Überschrift kommt meines Wissens sonst bei Brahms nicht vor, würde aber in der Tat ausgezeichnet passen. Es ist dreiteilig angelegt, einem ersten Teil folgt ein zweiter mit den Vorschriften „dolce“ und „una corda“. Die Reprise ist stark variiert und nimmt auch nochmal Motive des zweiten Teils auf. – Darüber hinaus lassen sich mühelos enge motivische Verzahnungen zwischen erstem und zweitem Teil nachweisen, man kann den zweiten und den dritten Teil auch als frei fantasierende Entfaltung des ersten hören.


    Geradezu keusch klingt die Musik bei Katchen, zerbrechlich, berührend. Insbesondere der Mittelteil hat hier unglaubliche Zartheit. - Sehr langsam nimmt Gerhard Oppitz das Stück, für mich ist die Tempowahl bezüglich des Zusammenhangs des Stückes grenzwertig. – Wilhelm Kempff bietet die schnellste Version ohne irgendwie schnell zu wirken, im Gegenteil: das Stück klingt bei ihm sehr ausgeglichen und entspannt, allerdings auch ein wenig pauschal. – Dass dieses Stück das richtige Spielfeld für Markus Groh ist, war fast klar – hier kann er seinen Klangfarbenzauber, seine Kunst, Zusammenhänge aufzuzeigen und Stimmungen mit schlafwandlerischer Sicherheit zu treffen, bestens anwenden. Groh deutet Innerstes an, aber entzaubert es nicht. Wunderbar. – Bei Hardy Rittner klingt es schon wieder sachlicher. Dafür sind im Mittelteil die Arpeggien in der linken Hand geradezu traumhaft – ob dies so weich auf einem modernen Flügel möglich wäre?

  • Dieses Stück steht in zweiteiliger Form: A-A-B-B-Coda. Bereits die Spielvorschrift „Andante con grazia ad intimissimo sentimento“ deutet an, dass es hier um Innerstes geht. Interessant ist der Rhythmus im 6/8-Takt des A-Teils: Einem sechsstimmigen Akkord auf den unbetonten Zeiten „6“ und „3“ folgen stets zwei einzelne Töne auf den Schwerpunkten „1“ und „4“. Wer hätte das beim Musikdiktat richtig identifiziert … ?


    Katchen spielt mit exquisiter Zartheit, sowohl das „piano dolce“ als auch das „intimissimo sentimento“ erfüllend. Nebens Katchens Kunst des Rubato ist auch die Kunst des Abschattierens, des im richtig Grade leiser Werdens zu erfahren. - Das „intimissimo sentimento“ höre ich bei Oppitz nicht – er wird in den Crescendi recht laut. Auch fehlt es an „grazia“. – Kempff spielt die Achtel auf „1“ und „4“ tatsächlich als solche und lässt auf „2“ und „5“ die vorgeschriebenen Pausen hören. Das hat „grazia“, wenngleich das „intimissimo sentimento“ dabei ein wenig auf der Strecke bleibt. Aber es überzeugt mich durchaus. – Auch Markus Groh lässt die Pausen hören. Wunderschön ist sein An- und wieder Abschwellen, ohne die „intimissimo“-Sphäre zu verlassen. Im B-Teil … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es klingt für mich so, als ob ein großer alter Pianist die Summe seiner Lebenserfahrung ziehen würde. Unglaublich. Groh ist Jahrgang 1970. – Etwas schwermütiger als Groh geht Hardy Rittner dieses Stück an, hat aber nicht dieselben Grade an Dolcezza vorzuweisen („piano dolce“ ist vorgeschrieben).

  • Dieses Stück (Andante teneramente; E-Dur, 3/4) ist dreiteilig. Die Rahmenteile klingen fast wie ein vierstimmiger Choral mit 16‘-Registrierung. Der Mittelteil in gis-moll liefert als Gegensatz pianistische Arpeggien.


    Katchen breitet die Musik mit sehr viel Ruhe aus. Herrlich. Perfekte Klangbalance in den vollstimmigen Akkorden, auch im Pianissimo der Reprise – das ist große Anschlagskunst. - Oppitz lässt die Oberstimme schön singen. Trotzdem: Ich finde, dass der Flügel für diese Musik viel zu hell intoniert ist. Oder ist’s die Aufnahmetechnik? Schlimmer ist, dass die Musik bei Oppitz so geheimnislos, fast banal klingt. – Mit seiner zügigen Gangart ist Kempff fast anderthalb Minuten früher fertig als Katchen: 4:06 gegen 2:38. Im Mittelteil finde ich das Tempo gut, in den Rahmenteilen nicht – das ist weder Andantino noch teneramente. – Bei Markus Groh ist wieder mal alles umgesetzt, was Brahms vorgeschrieben hat, und obendrein wird dies mit musikalischem Sinn erfüllt und nachvollziehbar gemacht. – Rittner spielt etwas zügiger als Groh und bringt die gedeckten Farben seines Flügels aufs Beste ein, ohne ganz die Selbstverständlichkeit von Groh zu erreichen.

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  • Grob gesagt ist auch dieses Stück dreiteilig – mit leichten Abweichungen vom üblichen A - B - A‘ – Schema. Mit toccatenartiger Motorik geht es los (Allegro agitato, 2/4), um nach rund zwanzig Sekunden den ruhigeren B-Teil zu erreichen (a-moll, 6/8'). Ungeachtet der Taktart schreitet die führende Stimme durchweg in Viertelnoten gegen die Metrik des Taktes fort - auf „2“, „4“ und „6“. – Die schnelle Bewegung des A-Teils wird wieder aufgenommen, aber die eigentliche Reprise beginnt erst später. Am Schluss gibt es dann noch so etwas wie eine Stretta im 3/8-Takt, die in strahlendem D-Dur endet – das ist nach den Zartheiten der Intermezzi nun doch unerwartet, aber dramaturgisch überzeugend.


    Katchen hebt die Oberstimme sehr deutlich hervor. Das unterbricht den Fluss der Musik etwas, betont aber das „Agitato“. Im Mittelteil fehlt mir etwas Zusammenhang und das Aufzeigen der rhythmischen Komplexität. Der Übergang zur Reprise ist mal wieder pianistisch hinreißend. - Bei dieser motorischen Musik fühlt Oppitz sich offenbar viel wohler als bei den vorausgegangen Intimitäten. Dieses Stück hat mir bei ihm großes Hörvergnügen bereitet. Fantastische Stretta! – Etwas verhaltender klingt die Musik bei Wilhelm Kempff, aber nicht weniger heftig. Gerade der Mittelteil behält einen Rest von Nachdenklichkeit. Insgesamt mehr Wucht als Rasanz, stimmig. – Groh bietet sogar die schnellste Version dieses Stückes, gehetzt wirkt es auf mich keinesfalls. Stringente Schlusssteigerung, ohne das „Finale“-Gefühl wie bei Oppitz zu evozieren. – Auch Rittner ist sehr flott unterwegs. Bei ihm klingt die linke Hand im ersten Teil verwaschener als bei den anderen, hier fehlt mir etwas Klarheit. Dramaturgisch ebenfalls sehr schlüssig.

  • Am besten haben mir die Einspielungen von Julius Katchen und Markus Groh gefallen.


    Wenn das Besondere dieser Stücke darin liegt, dass sie Tiefstes und Innerstes zart andeuten, dass sie ohne viel Aufhebens darum zu machen Geheimnisvolles und Bedeutsames benennen, dann trifft Markus Groh den Sinn dieser Musik vollkommen.


    Auch die wunderbare ausbalancierte Wiedergabe dieser Stücke von Julius Katchen fand ich sehr berührend. Groß ist seine Kunst des Rubato.


    Wenn ich einen Unterschied benennen sollte, so ist Katchen vielleicht eher der Pianist und Groh eher der Universalmusiker.


    Hardy Rittners Einspielung kann vor allem durch das historische Instrument punkten, auf dem einige Sätze doch anders, stimmiger, unangestrengter klingen als auf dem modernen Flügel.

  • Höre ich mnittlerweile sehr gerne:
    Detlef Kraus
    Thorofon


    leider ist in der Box nicht auch das von ihm ebenfalls aufgenommene 2. Klavierkonzert enthalten - und das bei dem Preis :cursing:


    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • leider ist in der Box nicht auch das von ihm ebenfalls aufgenommene 2. Klavierkonzert enthalten


    Wie sollte es auch, wenn die Box "Sämtliche Werke für Klavier solo" heißt....


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Der Hinweis von a.b. auf DETLEV KRAUS ist sicher berechtigt.


    DETLEV KRAUS, ein WILHELM KEMPFF und EDWIN FISCHER-Schüler, war ein sehr ernsthafter Pianist von hoher Kompetenz, der sich selbst stets zurücknahm, und für den Werktreue oberstes Gebot war. Er liebte die kleine Form, obwohl er klaviertechnisch auch schwierigste Aufgaben meistern konnte. Sein Weg führte über Bach und Beethoven (32 Beethoven-Sonaten!) schließlich immer mehr hin zu Brahms, mit dessen Werken er sich bis ins hohe Alter (er starb 2008 mit 88 Jahren) auseinandersetzte. Er war auch einer der Initiatoren des Internationalen Brahms-Wettbwerbs. Er hatte kein Glück mit den deutschen Schallplattenfirmen und wurde auch im Ausland wesentlich bekannter als in Deutschland. Er konzertierte mit großem Erfolg in mehr als 50 Ländern.


    Ich erlebte DETLEV KRAUS in einigen Recitals, wo immer der Schwerpunkt auf Brahms lag, und auch bei diesen zeigte er sich stets als ein Meister der leisen Töne. Besonders in späteren Jahren verfeinerte er sein Spiel immer mehr. Für ihn war jedes Detail wichtig, doch vermochte er auch Bögen zu spannen und Zusammenhänge plastisch herauszuarbeiten.


    Es ist eigentlich schon fast tragisch, wie wenig die Klavierkunst dieses typischen deutschen Pianisten im eigenen Land gewürdigt wurde. Gerade für Brahms, und eben für seine Klavierstücke würde ich, wie schon "a.b", DETLEV KRAUS sehr empfehlen.


    Beste Grüße


    wok

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  • Keines der Stücke trägt eine Gattungsbezeichnung wie „Intermezzo“ oder „Rhapsodie“. Lediglich die Tempovorschriften sind den Stücken vorangestellt:


    1. Andante moderato (Es-Dur, 6/8; Mittelteil più adagio, es-moll)
    2. Andante non troppo e con molta espressione (b-moll; 3/8')
    3. Andante con moto (cis-moll, 2/4; Mittelteil più moto ed espressivo, A-Dur)


    Eine zyklische Anlage ist wohl kaum erkennbar, es sei denn hinsichtlich des Ausdrucks in Richtung zunehmender Resignation.


    Brahms nannte die Stücke in op. 117 „Wiegenlieder meiner Schmerzen“. Entstanden sind sie in den Sommermonaten der Jahre 1892/93 in Bad Ischl.


    (Zu den unten erwähnten Einspielungen siehe obigen Einführungsbeitrag zu op. 116)

  • „Schlaf sanft, mein Kinde, schlaf sanft und schön!
    Mich dauert’s sehr, dich weinen sehn.“


    Diese Verse schottischen Ursprungs aus Herders Volksliedern hat Brahms diesem Stück vorangestellt und es damit nochmals zum Wiegenlied erklärt.


    Es ist dreiteilig angelegt, A – B – A‘. Dem „Andante moderato“ des ersten Teils folgt der zweite mit „più adagio“ (langsamer) und der dritte mit „un poco più Andante“ (ein wenig gehender, d. h. ein wenig schneller). – Heißt das, dass der dritte Teil etwas langsamer als der erste sein soll? Ich meine, schon. – Manchmal wird über den 6/8-Takt mit seinen Betonungen auf „1“ und „4“ eine Dreierstruktur mit Akzenten auf „1“, „3“ und „5“ gelegt. Dies gibt wunderbar den Dämmerzustand zwischen noch-nicht-Schlafen und nicht-mehr-Wachen wieder, die Auflösung des Zeitgefühls.


    Katchen spielt das Stück auf wunderbare Weise zart, schlicht und einfach. Ich finde es perfekt. – Bei Oppitz ist mir der Klang zu dick und mulmig. Zu laut ist es auch. – Kempff geht das Stück zügig und unsentimental an: Mit 4:37 ist er fast eine halbe Minute schneller als die zweitschnellste Einspielung dieses Vergleichs. Somit kann er im Mittelteil ein deutliches „più adagio“ umsetzen. Das Tempo ist ungewohnt bei diesem sattsam bekannten Stück, aber durchaus überzeugend. – Auch Markus Groh steigt ziemlich zügig in das Stück ein, nimmt dann deutliche Ritardandi am Ende des A-Teils. Herrlich dämmrig kommt der B-Teil daher. Der A‘-Teil ist dann gegenüber A dynamisch zurückgenommen. – Eher neutral geht Hardy Rittner das Stück an, unbehelligt von irgendwelchen „Wiegenlied“-Gedanken. Das finde ich problematisch. Manche rhythmischen Besonderheiten lassen sich eigentlich nur durch den Halbdämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen erklären. Ohne „Wiegenlied“-Affekt fehlt etwas.

  • Die Form dieses Stückes ist deutlich komplexer als diejenige von op. 117,1. Es gibt ein erstes Thema, dessen Kennzeichen vor allem auftaktige fallende Sekunden („Seufermotive“) sind, die von Akkordbrechungen begleitet werden. Ihm zur Seite wird ein zweites Thema gestellt, dessen Auftakte drei Töne umfassen. Es ist ebenfalls von Sekundschritten geprägt, die jedoch mal abwärts, mal aufwärts erscheinen. – Sind beide Themen vorgestellt, so gibt es einen durchführungsartigen Abschnitt. Danach erfährt zunächst das erste, dann das zweite Thema eine variierte Reprise. Die Reprise des zweiten vollzieht sich über einem Orgelpunkt auf F, wodurch für mich der Eindruck einer Reminiszenz entsteht.


    Bei Katchen wirkt diese Musik wiederum sehr einfach, wenngleich der Pianist im Kleinen sehr variabel mit dem Tempo umgeht. Hohe Rubatokunst! – Recht traumverhangen nimmt Oppitz das Stück, mit unaufdringlichem Ton. Wenn das ansonsten teilweise anders wirkte, liegt es also nicht nur an Flügel und Aufnahmetechnik. Die Rubati spielen sich in engem Rahmen ab, dynamisch geht Oppitz an die Grenzen dessen, was dieses Stück m. E. gerade noch an Expansion verträgt. Temposeitig ist er über eine halbe Minute langsamer als die zweitlangsamste Einspielung (Groh). Eine fast schon extrem zu nennende Version, hörenswert! – Wilhelm Kempff bleibt an der Oberfläche der Musik, sucht nicht nach „Schmerzen“. Zusammen mit dem recht hurtigen Tempo ist mir das zu nüchtern. Man kann diese Musik natürlich genau so mögen. Ich nicht. – Markus Groh ist der rechte Gegensatz zu Kempff: Mit feiner Differenzierung wird der innere Reichtum dieser Musik zum Erklingen gebracht, ohne dass die Musik dabei ihr letztes Geheimnis verlöre. – Bei Hardy Rittner wirkt das recht zügige Tempo durch die hohe Differenzierung nicht so oberflächlich wie bei Kempff. Überzeugend!

  • Das dritte der Intermezzi op. 117 hat wieder eine einfache A – B – A‘ – Form.


    Im A-Teil werden zwei Themen vorgestellt und paarig variiert: aabbaabb. Jedes der beiden Themen wird in Oktaven ohne sonstige Begleitung exponiert. Die folgenden Variationen sind ungleich schwieriger, als sie sich anhören, das das Thema a gerne in der Mittelstimme versteckt wird, deutlich herauskommen soll, und trotzdem der Charakter des Stückes zu wahren ist: „molto piano e sotto voce sempre“ steht in den ersten Takten. Anschlagskultur ist Trumpf! – Im B-Teil trägt die synkopierte Rhythmik dazu bei, eine Sphäre des Verschwommenen, nicht ganz Genauen zu schaffen. Die Musik bleibt quasi im Schwebezustand. Auch, um die im Sprung zu treffenden Oktaven wie vorgeschrieben „piano e dolce“ hervorzubringen, braucht der Pianist höchste Anschlagsdisziplin. Wahrlich kein Stück für „nur Klavierdonnerer“. – Wenige Takte leiten von Teil B über zu Teil A‘.


    Drei Interpreten sind sich über das Tempo im Großen und Ganzen einig und brauchen zwischen 5:24 und 5:36: Katchen, Kempff und Rittner. Groh nimmt sich 6:27, Oppitz sogar 7:45.


    Bei Katchen bleibt das Stück tatsächlich in der „sotto voce“-Sphäre und hat etwas Resigniertes, Ermüdetes (ohne ermüdend zu sein!). Der Schluss, rinforzato gespielt, hat etwas von einem letzten Aufbäumen und dennoch Ergeben ins Schicksal. – Bei Oppitz klingt es schon arg langsam und gequält. Das widerspricht m. E. dem „Andante con moto“, „Andante“ war für Brahms noch ein schnelles Tempo. Das Stück erhält einen anderen Charakter, weil hier die Achtel als Puls gehört werden und nicht die Viertel. Interessant, aber nicht völlig plausibel. - Kempff nimmt schon die erste Variation von Thema a non legato, was der Musik etwas Unruhiges gibt. Der B-Teil wird sehr zügig gespielt, die Synkopen klar platziert, die Musik bleibt hier nicht im „Ungefähren“. Spannend und stimmig! – Auch Groh artikuliert deutlich, bleibt aber dennoch beim Thema a in der „sotto voce“-Sphäre dieses Stücks. Für Thema b liest er die Vorschrift „piano legato“ als Aufhebung des „sotto voce“. M. E. legitim! Bedeutet aber konsequenterweise, dass man A‘ auch nicht „sotto voce“ spielen dürfte. Wunderschön spielt er die Zwischenschlüsse aus, dasselbe gilt für den Übergang von B nach A‘. - In diesem letzten der Intermezzi op. 117 kommt der spezifische Klang des Flügels von Johann Baptist Streicher & Sohn von 1870 am besten heraus, durchaus gedämpft und dunkel. Hier klingen die Sprung-Oktaven im zweiten Teil auch am besten ins Ganze integriert. Dieses Stück ist das beste Plädoyer für das historische Instrument!

  • Die Versionen von Julius Katchen und Markus Groh haben mir wieder am besten gefallen. Doch sehe ich das Feld hier enger beieinander, mit Ausnahme von Gerhard Oppitz, der mich bis auf seine extreme Lesart von Nr. 2 überhaupt nicht überzeugt.


    Bei Hardy Rittner fasziniert wieder das historische Instrument (ein anderes als in op. 116!), vor allem in Nr. 3.


    Wilhelm Kempff bietet in Nr. 1 und Nr. 3 interessante Alternativ-Lesarten.

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