Schmeichelnd hold - Beethovens Chorfantasie

  • Sagitt meint:


    Eben ging ein Konzert mit Concerto Cölln zu Ende, dessen letztes Werk die sog. Chorfantasie op. 80 von Beethoven war ( der Pianist, dies nebenbei , hat das Werk wohl ein wenig unterschätzt,wie anders sollten seine Fehlgriffe erklärt werden?) Dies gibt mir Anlaß, einen neuen thread zu eröffnen.
    Die erste Frage, verdient die Chorfantasie überhaupt einen eigenen thread ?Ist es nicht ein banales Nebenwerk der großen Beethoven ? Als Füllsel zu einem Mammutkonzert im Dezember 1808, von ihm selbst vorgetragen ( die Noten waren gar nicht komplett, es war sein letzter öffentlicher Auftritt als Pianist). Nur eine Vorstudie zur neunten Sinfonie ? Auf einer gleichen Stufe wie Wellingtons Sieg ( Beethovens erfolgreichstes Werk zu seinen Lebzeiten)
    Würde ich Gould gegenübertreten, würde er mich auslachen, seine These von der Primitivität Beethovens bestätigt sehen.
    In der Tat ist das Werk ziemlich plakativ. In Abwandlung eines klassischen Zitats: edle Einfalt, laute Größe.


    Ich muss gestehen, ich habe dieses Werk immer gemocht. Erstmals 1963 beim Beethovenfest in Bonn mit Hans Richter Haaser gehört,sofort begeistert gewesen, sofort die damals einzige Aufnahme mit eben diesem Pianisten gekauft ( ich glaube, er wurde von Böhm begleitet, das aber weiss ich nicht mehr). Im Laufe der Jahnzehnte dann doch sehr viele Aufnahmen erworben. Auch heute lasse ich immer wieder davon begeistern. Es ist eine Musik, die einfach begeistert.
    Ich hatte eine wunderbar gespielte Aufnahme mit Andor Foldes ( ein Anschlag, wovon Pianisten in der Regel nur träumen) mit Fritz Lehmann, eine sehr verrauschte aus Russland- melodyia- mit Slawa Richter,eine wilde mit Bernstein und Serkin, eine klassische mit Pollini und Abbado, eine orchestral sehr gute mit Norrington und Melvyn Tan.


    Besonders schätze ich eine Aufnahme mit Barenboim mit den Berlinern aus dem vorigen Jahr. Er dirigiert auch und entfaltet ein Feuer. Man sieht, wie die Berliner mitgehen, wie die Sängern von seinem Feuer entfacht sind. Barenboim spielt virtuos und nutzt jede Minisekunde,um noch Zeichen als Dirigent zu geben.


    Es sind Sänger dabei, mal Solisten, mal chorisch ( heute der bekannte Chor accentus), aber eigentlich geht es um Orchester und Pianisten.


    Wer einen hymnischen Beethoven schätzt, kann an diesem Werk nicht vorbeigehen.

  • Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt meint:
    Die erste Frage, verdient die Chorfantasie überhaupt einen eigenen thread ?


    Nein.:D Und dennoch antworte ich.


    Zitat

    Original von sagitt
    Ist es nicht ein banales Nebenwerk der großen Beethoven ?


    Ja. Eines der banalsten Werke überhaupt. Wäre gut, es immer mit dem Triplekonzert zu koppeln, dann kann ich gleich zwei Banalitäten auf einmal vermeiden :stumm:

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Beethoven-Freunde,


    ich finde es Schade, ja verfehlt, die Chorfantasie Op.80 als ein banales Werk zu bezeichnen.
    Musik soll doch Spaß machen und Freude bereiten. Muß eine Komposion denn immer wer weiß wie hochgestochen sein ?
    Ist das nicht Beethoven´s Versuch, für den Schlußsatz der Sinfonie Nr.9 ???
    Beethoven hat den Spaßfaktor mit seinem op.80 auf jeden Fall erreicht und ich kann mich nur Alfred´s Meinung anschließen:


    Zitat

    Ich muss gestehen, ich habe dieses Werk immer gemocht.



    Meine Aufnahme ist in der Gesamtaufnahme der Klavierkonzerte Nr.1-5 mit Brendel / LSO / Haiting auf Philips integriert : Klasse !


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Ja. Eines der banalsten Werke überhaupt. Wäre gut, es immer mit dem Triplekonzert zu koppeln, dann kann ich gleich zwei Banalitäten auf einmal vermeiden


    Wow, zwei auf einen Schlag! Muss ein gutes Gefühl sein, es dem Beethoven einmal so richtig gegeben zu haben. ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Teleton schrieb:


    Zitat

    ......und ich kann mich nur Alfred´s Meinung anschließen:



    Hier handelt es sich erneut (in diesem Forum gar nicht so selten) um einen Fall von Präkognition: Ich hab das nämlich gar nicht geschrieben,das war Sagitt.


    Aber ich bestätige gerne, daß auch ich dieses Werk immer gemocht habe, und daß ich das Austeilen von Zensuren in Bezug auf Werke eines der berühmtesten Komponisten der Welt, durch all die Jahrhunderte, immer skleptisch bis ablehnend gegenüber gestanden bin.
    Diese Werke wurden schließlich nicht für uns geschrieben, wird sind hier lediglich "Zaungäste der Geschichte"


    Und ich gebe zu, daß ich das nicht ungern bin, und dankbar für alle jene Gustostücke, die mir die Vergangenheit zu bieten hat, und welche ich in der Gegenwart niemals finden kann.


    Gegen Eine Koppelung mit dem Tripelkonzert hätte ich allerdings nichts einzuwenden, das mag ich nämlich auch...


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Theophilus


    Wow, zwei auf einen Schlag! Muss ein gutes Gefühl sein, es dem Beethoven einmal so richtig gegeben zu haben. ;)


    Ach was, der verträgt das. Außerdem habe ich ja noch eine Handvoll banaler Werke von ihm vergessen :D

    Gruß,
    Gerrit

  • Mit "banal" kann man das natürlich ausdrücken, ebenso "Für Elise" wäre zB ein banales Beethoven-Werk.
    Vergleicht man die Trennung der heutigen Musik in Unterhaltung und Ernst, so gehörten - für die damalige Zeit - zB Mozart und Haydn zu den Pop-/Unterhaltungsinterpreten und Beethoven zu den Vertretern der sog. ernsten Musik.
    Die "banalen" Werke Beethovens seien dann Ausrutscher und der Unterhaltung zuzuordnen.


    Sicherlich mag die Choralfantasie eine Studie zur 9. Sinfonie sein oder auch ein Werk, dass Beethoven unbedingt mit einem anderen zur Aufführung bringen wollte, und eben sein op. 80 noch nicht vollendet war.
    Nichts desto trotz gefällt es auch mir sehr gut- aber man sollte im Hinterkopf behalten, in welcher Tonart es steht: c-moll !


    Wie wir von Alfred Brendel lernen konnten, brachte Beethoven ja Mozart um :wacky: , weil dieser erkannte, dass Beethoven eigentlich ein Farbiger war (... für an Nega spülta netamoi schlecht) und so kam er auch in den festen Besitz der Tonart c-moll, die ihm von da an keiner mehr streitig machen konnte.


    Also war c-moll schon eine wichtige Tonart von Beethoven und man könnte hier mutmaßen, dass er vielleicht mehr mit dieser Komposition vorgehabt hat.


    Bei den Interpreten tue ich mich jedoch sehr schwer, da auch die Auswahl nicht so groß ist.
    Choral-/stimmlich gefällt mir die frühe Brendel-Einspielung mit den Mitgliedern des Stuttgarter Lehrergesangsvereins (sehr schöner Sopran), musikalisch der bis heute unveröffentlichte Mitschnitt aus den Feierlichkeiten 100 Jahre Carnegie-Hall mit Brendel/Levine.


    Andere Besetzungen werden gerne durch die Dirigenten zunichte gemacht, teils auch durch den Pianisten (siehe Kissin/Karajan) oder aber durch Stimmen, wie die von der durch die Newsgroups leidgeplagten Cheryl S. :rolleyes:


    So ist neben der Erinnerung an die von sagitt bereits erwähnte, hervorragende Aufnahme mit Andor Foldes (leider ist das Band zerstört) nur noch die etwas exzentrische Sichtweise von Edith Vogel unter Pritchard übrig geblieben. Sie spielt sehr detailliert, aber natürlich wirkend, ohne irgendwelche kompositions-architektonische Wunder Beethovens zu vermuten, die ihre Kollegen jedoch gerne desöfteren unterstellen bzw. verzweifelt suchen, weil es sich ja schließlich um eine Komposition Beethovens handelt....

    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. [frei nach George Orwell]

  • Zitat

    Original von jpsa
    Mit "banal" kann man das natürlich ausdrücken, ebenso "Für Elise" wäre zB ein banales Beethoven-Werk.
    Vergleicht man die Trennung der heutigen Musik in Unterhaltung und Ernst, so gehörten - für die damalige Zeit - zB Mozart und Haydn zu den Pop-/Unterhaltungsinterpreten und Beethoven zu den Vertretern der sog. ernsten Musik.


    Hola :D Könntest Du diese Behauptung untermauern?

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo,


    da Beethoven zu meinen musikalischen Hausgöttern gehört, möchte ich mich gerne um eine Wertung dieses "Versuches" herumdrücken und stattdessen ein CD-Empfehlung ausgeben. Diese Aufnahme hat es wirklich in sich, zumal sie hier mit der von mir so geschätzten "Meeresstille und glückliche Fahrt" sowie mit der "Pastorale" gekoppelt ist. An und für sich kann ich mich mit Abbado als Beethoven-Dirigent nicht so recht anfreunden. Hier hat er jedoch eine Glanzstunde gehabt:


    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Zitat

    Original von Thorsten_Mueller


    Hola :D Könntest Du diese Behauptung untermauern?


    Eigentlich ergibt sich meine Einstellung/These bereits aus der Anlage der Kompositionen Beethovens ("Architekt").
    Wie viele seiner Zeitgenossen spielte auch Beethoven nicht überwiegend in irgendwelchen Konzerthallen, wie es heute üblich ist, sondern in Matinéen und Soiréen vor mehr oder weniger ausgesuchtem, meist adligem Publikum.
    Werke wie die Mondscheinsonate oder kleinere, leichtere Stücke - meist mit eingehenden Melodien - waren schlichtweg "bezaubernd", so dass er auch 'echte Zuhörer' hatte.
    Andere Kompositionen (solo oder kleine kammermusikalische Besetzung) dienten zwar auch der dortigen Unterhaltung, waren aber dem verwöhnten Publikum doch nicht so zugänglich. (...Haben's das Konzert von dem Herrn Beethoven g'hört ? ...Der spielt zwar schön, aber so schwer....).
    Dies geht auch aus diversen Kritikerstimmen hervor.


    Im Gegenzug dazu konnte man die Werke Mozart's oder Haydn's irgendwie "mitwippen", sie waren von der melodischen Anlage wesentlich zugänglicher. Auch das geht zum Teil auf Stimmen der Zeitgenossen und Kritiker zurück.
    Gerade Haydn bei seinen unzähligen Kompositionen, die ja eigens für die Esterhazy's zur reinen Unterhaltung dienten und somit nicht 'schwer verdaulich' sein durften.


    Warum erwecken denn heute noch die Werke Mozart's und Haydn's den Eindruck, irgendwie immer gleich zu sein, auch wenn uns die Anlage der Komposition nicht immer gleich erscheint ?


    Musik unterliegt einerseits immer schon dem Zeitgeschmack, warum sollte die Zeit der oben erwähnten Komponisten anders gewesen sein ? Andererseits machen wir uns aufgrund der Fülle der Abwechslung und Überangebote seit dem 20. Jahrhundert nur inzwischen mehr Gedanken darüber, es wird nicht nur hinterfragt sondern teils schon zer-fragt!


    Was ist also naheliegender, als die heutige Stellung/Trennung der Musik auf die damalige Zeit anzuwenden ?

    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. [frei nach George Orwell]

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  • Hallo!
    Ich kann mich einigen meiner Vorrednern nur anschließen: Auch ich habe das Werk vom ersten Hören an gemocht. Das erste Hören war von CD, nämlich die Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern und dem Chor der Deutschen Staatsoper unter Daniel Barenboim, die ich immer wieder mal gerne höre. Allerdings gebe ich zu, daß ich manchmal nur den Schlußchor höre, bei dem ich gerne mitsinge.
    Um so größer war meine Überraschung, als ich bei der zweiten Aufnahme, die ich mir angeschafft habe, einen ganz anderen Text vernommen habe.
    Es handelt sich um eine ältere DDR-Aufnahme mit Günter Kootz (Klavier), dem Rundfunkchor und Gewandhausorchester Leipzig unter Franz Konwitschny.
    Der Text, der hier gesungen wird, ist das Gedicht "Seid gegrüßt, laßt euch empfangen" von Johannes R. Becher, der auch u.a. den Text zur DDR-Nationalhymne schrieb, und ist eine Ode an den Frieden.
    Leider konnte ich nirgends den Text dazu auftreiben. Ich habe zwar fast alles vom Hören verstanden, aber ein paar Worte habe ich nicht klar rausgehört. Kennt von Euch jemand zufällig den Text?
    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    so gehörten - für die damalige Zeit - zB Mozart und Haydn zu den Pop-/Unterhaltungsinterpreten und Beethoven zu den Vertretern der sog. ernsten Musik.


    Entschuldige, jpsa, wenn ich da nochmal drin rumrühre... Gerrit scheint ja nicht mehr da zu sein [ ?(] und Deine auf Gerrits Anregung geschriebene Darstellung finde ich leider absolut nicht korrekt - ohne nun im Besonderen Mozart verteidigen zu wollen.


    Wie Du richtig beschrieben hast, waren Haydn und Mozart verpflichtet, Musik zu schreiben, die angenehm in die Ohren ist. Aber es gibt zahlreiche Beispiele bei beiden genannten Komponisten, in diesem Falle sind es zunächst auch Gelegenheitswerke, die das Gegenteil indizieren. Den Beweis treten die Herren an, nachdem sie aus den Diensten entlassen wurden resp. freiwillig gegangen sind. Haydn war sicherlich bis zuletzt der humorvollere von beiden, unstreitig, aber eine "Schöpfung" als nicht "ernst" zu bezeichnen oder ein Klavierquartett g-moll... hm.


    Was die Chorfantasie Beethovens betrifft, so begegnete ich ihr einstmals unvorbereitet im Radio - und ich glaube, das war der Trick Beethovens für mich, das Werk gerne zu haben. Es überraschte mich nämlich ziemlich, als plötzlich, nach vielen Minuten der Chor einsetzte... Ob dies nun Vorausahnungen an die Neunte waren, weißt ich auch nicht sicher, dafür ist es stilistisch nicht "ernst" genug, obwohl absolut ernst zu nehmen.


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • So, mit diesem Beitrag kann ich doch tatsächlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: :D


    1. Eine Lanze für die Chorfantasie zu brechen.


    2. Eine weitere Lanze für eine von mir geschätzte Pianistin brechen.


    Zum ersten: Man begegnet ja immer wieder dem Vorwurf oder Vorurteil bei der Chorfantasie handele es sich bestenfalls um eine Fingerübung mit obligatem Klavier für die neunte Symphonie und schlimmsten Falls um eine Auftragskomposition minderer Güte. Ich denke, die Chorfantasie ist weder das eine noch das andere. Für mich ist die Chorfantasie ist ein Stück schwungvolles, heiteres, enthusiastisches Stück Musik (vorausgesetzt es wird entsprechend musiziert) und damit wären wir bei der zweiten Lanze: Helene Grimaud, Esa-Pekka Salonen und das schwedische RSO samt Chor musizieren die Chorfantasie im oben beschriebenen Sinne. Sie nehmen die Komposition im besten Sinne Ernst:



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ich besitze nur eine einzige Aufnahme der Chorfantasie und die ist bei DG erschienen damals in der Beethoven Masterpieces Reihe - es ist die auch im Thread schon erwähnte Aufnahme mit Pollini/Abbado.


    Ich muss gestehen, mich überzeugt die Aufnahme auch nach mehrmaligem hinhören nicht. Da ich ein großer Beethoven-Fan bin dürfte für meinen Geschmack etwas mehr Pathos schon sein musikalisch gesehen. Für einen Referenzvorschlag was dieses Stück betrifft wäre ich sehr sehr dankbar.


    Desweiteren wird das Werk so insgesamt im Konzertgeschehen doch eher stiefmütterlich behandelt... Mich würden mal Theorien interessieren warum dass so ist.


    LG :hello:

  • Ich besitze von diesem Werk 2 Aufnahmen.



    Barenboim/BPO ( allerdings auf VHS )


    sowie:



    Pressler/Masur/Gewandhausorchester


    Man muss schon gestehen das einem das Thema bei der x-ten Variation ziemlich auf den Nerv gehen kann, die Überleitung zum Chorfinale sowie das Chorfinale selbst haben aber schon einen gewissen Reiz, besonders wenn es mit so leichten und durchsichtigen Stimmen wie in der Masur-Aufnahme besetzt, und nicht überromantisiert wird.

  • Hallo Taminoianer,


    da bin ich aber froh, auf diesen Beethoven-Thread getroffen zu sein. Denn die Chor-Fantasie op. 80 zählt seit meinen Anfängen als Klassik-Hörer zu meinen Lieblingsstücken. Mit den hier diskutierten kritischen Geschmacks- bzw. Bewertungsfragen kann ich wie Alfred oder Wolfgang und zum Glück zahlreichen anderen wenig anfangen.


    Auch ich finde anspruchsvolle Werke wie die Hammerklaviersonate op. 106 und Große Fuge für Steichquartett B-Dur op. 133 genial und höre sie auch gerne und häufig; allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es auch gar nicht einfach ist, weniger komplexe Stücke zu komponieren, die "nur" und relativ unvermittelt die Emotionen ansprechen. Ich bin jedenfalls froh, dass Beethoven sehr unterschiedlichen emotionalen und intellektuellen Ansprüchen genügt und diese Ansprüche nicht gleichmäßig auf alle Werke verteilt hat; das macht Beethovens Gesamtwerk ja auch so abwechslungsreich. Und das hier von einigen viel gescholtene Tripelkonzert finde ich auch nicht schwach, im Gegenteil. Da weiß ich gar nicht, ob ich zugeben darf, dass mir auch die beiden Violinromanzen gefallen. Ich habe eher Schwierigkeiten festzustellen, welche Beethoven-Werke mir nicht gefallen (auch wenn sich da nach längerem Suchen wohl auch etwas finden ließe, mir fällt spontan allerdings nichts ein).


    Aber zurück zur Chor-Fantasie op. 80: Ich hatte dieses Stück früher auf Schallplatte. Bei einem Umzug habe ich einen größeren Teil meiner Sammlung meinem Bruder überlassen; der "hing" auch an der Chor-Fantasie. Ich habe leider versäumt/vergessen, meine Sammlung mit diesem Werk auf CD "nachzurüsten". Erst durch Euch komme ich wieder darauf, herzlichen Dank. Und da helfen natürlich auch die Hinweise zu empfehlenswerten Aufnahmen.

    Grüße aus Eisenach
    Alexander

  • Zitat

    Original von Alexander Gliese
    Und das hier von einigen viel gescholtene Tripelkonzert finde ich auch nicht schwach, im Gegenteil. Da weiß ich gar nicht, ob ich zugeben darf, dass mir auch die beiden Violinromanzen gefallen.


    Auch auf die Gefahr hin, daß wir uns vom Thema Chorfantasie wegbewegen: Auch ich finde das Tripelkonzert sehr schön, gibt - glaube ich - sogar 'nen eigenen Thread.
    Und zugeben darfst Du hier alles, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, mindestens einen Gleichgesinnten zu fnden. Ich habe beim RSO Leipzig in den Siebzigern beide Violinromanzen mit Igor Oistrach erleben dürfen und liebe sie seitdem.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Dies gehört also auch hier.



    Auf diese CD hört mann nicht "Schmeichelnd hold", sondern "Seid gegrüßt!"


    Zitat

    "Am 5. August 1951 bekam der Dichter Johannes R. Becher (später Kulturminister der DDR) vom Zentralrat der DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend aus Anlaß der Weltfestspiele der Jugend, die im gleichen Jahr in Berlin (Ost) stattfanden, den Auftrag, einen neuen Text für Beethovens Chorfantasie zu verfassen. Künstlerisch gedeckt sah sich Becher durch eine überlieferte Ansicht Beethovens, der 1808 kurzfristig geschriebene Text sei eigentlich unzureichend, es würde ihm bei einer eventuellen Neufassung im Auftrage seine Notenverlegers einzig auf die herausgehobene Stellung des Wortes »Kraft« ankommen. Dem entsprechend folgt Becher dem alten Text teilweise wörtlich. Bechers Neufassung wurde erstmals am 12. August 1951 in der Wochenzeitung des Kulturbunds der DDR »Sonntag« gedruckt. In einer Schallplatteneinspielung existiert er meines Wissens nur aus dem Jahre 1960, aufgenommen für das DDR-Schallplattenlabel ETERNA mit dem Pianisten Günter Kootz, dem Gewandhausorchester und dem Rundfunkchor Leipzig unter Leitung von Franz Konwitschny.


    Für den komplette Text, sehe hier.


    LG, Paul

  • Hallo,


    auch ich habe dieses Werk schon immer gemocht.
    Es stimmt, der Vergleich mit dem Tripelkonzert (das mir relativ egal ist) hat was. Trotzdem...


    Daß das Werk als eine Art eine Vorstudie zur 9. Sinfonie angesehen wird, habe ich auch mal gelesen, immerhin ist der Melodieverlauf ähnlich (in Sekundschritten rauf und runter, gleicher Periodenaufbau).


    Zitat

    Künstlerisch gedeckt sah sich Becher durch eine überlieferte Ansicht Beethovens, der 1808 kurzfristig geschriebene Text sei eigentlich unzureichend, es würde ihm bei einer eventuellen Neufassung im Auftrage seine Notenverlegers einzig auf die herausgehobene Stellung des Wortes »Kraft« ankommen.


    ohne die Quelle nachsehen zu wollen: Beethoven fand den Text selbst ziemlich blöd und äußerte die Hoffnung, daß er irgendwann durch einen besseren ersetzt wird, es sei nur zu beachten, daß an der Stelle des Wortes "Kraft" ein gleichwertiges steht (verständlicherweise).


    Es hat mich schon immer gewundert, daß sich außer Becher niemand getraut hat. Es wäre DIE Chance zu einer Beethoven-Uraufführung, mit guten Aussichten, länger aktuell zu bleiben als die Ode an die Freiheit.


    Gruß, Khampan

  • Zitat

    Original von Caesar73

    Zitat


    So, mit diesem Beitrag kann ich doch tatsächlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: :D


    1. Eine Lanze für die Chorfantasie zu brechen.


    2. Eine weitere Lanze für eine von mir geschätzte Pianistin brechen.



    Zu 1: Die Kreuzung aus Symphonie mit Schlusschor und Klavierkonzert
    Nr. Null hat schon etwas. Zumindest Unterhaltungswert.


    Zu 2. Das hiesse mit den Wölfen heulen.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Was haben Hélène Grimaud und Beethoven gemein?


    Beide sind Linkshänder.


    Eine scheinbar irrelevante Feststellung. Ich bilde mir trotzdem ein, daß diese Pianistin mir oft eine neue Sicht (von der anderen Seite sozusagen) auf die Werke eröffnet, obwohl sich meine Begeisterung ansonsten in Grenzen hält. Der Chorfantasie könnte es jedenfalls sehr gut tun. Muß ich mir mal bei Gelegenheit anhören.


    Gruß, Khampan

  • Zitat

    Original von monteverdi13
    Mir ist es egal ob banal oder nicht. Ich liebe dieses Stück sehr und höre es daher auch öfter.


    Geht mir genauso.


    Ich habe diese Einspielung.




    LG


    Maggie

  • Ich oute mich auch als Liebhaber der folgenden Aufnahme



    ... vor allem aber als Liebhaber der so oft - und zu Unrecht - geschmähten Chorfantasie.


    Die Fantasie c-moll für Klavier, Chor und Orchester op. 80 war Schlussstück eines einzigartigen Konzertes, der Akademie vom 22. Oktober 1808. Dort wurden aufgeführt: die 6. Sinfonie, die Arie "Ah! perfido", Teile der C-dur-Messe, das 4. Klavierkonzert, die 5. Sinfonie, eine freie Fantasie Beethovens und als Schlussstück die Chorfantasie. Beethoven schrieb entsprechend im Erstdruck schon über den ersten leisen Einsatz des Orchesters das Wort "Finale". Die Chorfantasie bezieht sich auf die vorangegangenen Werke, in ihr kehren die Besetzungen der zuvor aufgeführten Werke wieder, auch Momente dieser Werke, wie etwa das Rezitativ an den langsamen Satz des 4. Klavierkonzertes erinnert.


    Das Gedicht, das dem Werk zugrunde liegt, wird häufig unterschätzt, es ist sogar ersetzt worden. Doch die Verse, die augenscheinlich von Beethoven zumindest inspiriert sind, weisen auf den Gehalt des Werkes. Wilhelm Seidel hat es mit den Topoi der Aufklärung in Bezug gesetzt. Am Anfang ein dunkel zerklüftetes Klaviersolo - so irrte der Mensch durch die Natur, ohne Sprache und Gesang. Aus dem Accompagnato wächst eine Sehnsucht, die Sehnsucht nach einem Mitmenschen. Die Hornquinten symbolisieren eine gütige Natur, die es dem Menschen erlaubt, sich mit dem Menschen zu finden. Aus den Naturmotiven heraus entsteht eine Melodie, die ein Ausdruck der Menschenliebe ist. Die Melodie, die Beethoven für das Klavierlied "Seufzer eines Ungeliebten - Gegenliebe" komponierte, wird in der Fantasie über die Liebe zweier Menschen, die das Lied besang, geweitet - das Orchester steht für die menschliche Gemeinschaft. Die Variationen, bei denen immer neue Instrumente dazugefügt werden, zeigen, wie immer mehr Menschen in den Bann der Gemeinschaft gezogen werden.


    Der zweite Teil der Variationen ist durchführungsähnlich. Hier erfährt man die Krise der Gegenwart. Die schlichte Melodie wird entstellt und schließlich zu einer auftrumpfenden, wilden Kriegsmusik missbraucht. Aus ihr wächst die Utopie, der Fort-Schritt gekennzeichnet durch ein Schrittmotiv. Hier ist es nun bestimmt, kraftvoll. Der Solist gestaltet den historischen Prozess mit. Das Lied gewinnt eine neue Kraft:


    Wenn sich Lieb und Kraft vermählen,
    lohnt dem Menschen Göttergunst.


    Die Reprise ist mit der Poesie verbunden, auch dies zeigt den Übertritt vom Gegenwärtigen ins Utopische. Auch dies vermag die Kunst: Dunkles aufklären, aus dem Dunklen das Licht zu erschaffen. Die Kraft der Musik begeistert die Menschen - und diese Begeisterung lässt sie an der Utopie teilhaben. Und so reißt die Fantasie, wie es ein zeitgenössischer Rezensent schrieb, die Zuhörer mit einer wahrhaft despotischen Gewalt mit sich.


    Seidel fasst zusammen: Die Chorfantasie ist ein Stück komponierter Musikästhetik, die säkularisierte Variante der alten Cäcilien-Oden. Sie handelt vom Anteil, den die Musik an der Bildung und Kultur der menschlichen Gesellschaft hat. Sie ist ein Appell, die Kraft der Musik zur Erneuerung der Gesellschaft zu nutzen


    Ein schwaches Werk? Mitnichten!


    Liebe Grüße Peter

  • Nun, direkt als schwach oder gar als unschön würde ich es nicht bezeichnen, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Meister hier einfach mal was so nebenher geschrieben hat, und das sei ihm auch erlaubt.


    Nach Befassung mit der Chorpartitur sind, sagen wir mal vorsichtig, gewisse Wiedererkennungseffekte in bezug auf die Neunte unüberhör- und -sehbar, allerdings, wie das ganze kleine Werk, so weichgespült wie ein Wäschestück, das zu lange gekocht wurde.


    Wenn man Beethovens scharf konturierte Kompositionsweise gewöhnt ist, erwartet man derlei keinesfalls und mich lässt diese Fantasie eigentlich ziemlich kalt. Nur: Beethoven selbst tut dies in meinen Augen keinerlei Abbruch. Ich bin und bleibe ein ausgesprochener Hör- (weniger Sing-) Fan von ihm, zumal nirgends geschrieben steht, dass die alten Meister immer nur dass zu machen gehabt hätten, was man von ihnen erwartet.



    LG


    Ulrica

  • Sagitt meint:


    Banal oder populär ? Beethoven hat einige Musik geschrieben, die man als banal ansehen könnte, op. 49, 79, aber auch sehr populäre Werke, Wellingtons Sieg war damals sein bekanntestes.


    Die Chorfantasie ist auf Wirkung aus. Der hymnische Ton war 1808 sicher ganz populär.Und solchen Zugang zur Welt schätzte Beethoven ja sehr.


    Der Pianist/die Pianistin wird die Partitur wahrscheinlich weniger als banal ansehen. So ganz leicht ist das Stück nun auch nicht zu spielen



    Möchte man eine erhabene Stimmung haben, kann man das Werk durchaus auflegen.

  • Zitat

    Original von Ulrica
    Nun, direkt als schwach oder gar als unschön würde ich es nicht bezeichnen, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Meister hier einfach mal was so nebenher geschrieben hat, und das sei ihm auch erlaubt.


    Liebe Ulrica,


    niemand muss die ganze Musikliteratur mögen, der eine zieht dieses die andere jenes vor. Das ist für den Musikfreund/die Musikfreundin mit ihren Vorlieben die Kehrseite der Medaille. Sobald man aber mit Vergleichen und Wertungen anfängt, sollte man schon ein wenig (selbst)kritischer werden - und sich und den anderen nicht die Freude an einem Musikwerk verderben.


    Dass Du Meister Beethoven posthum auch erlaubst "einfach mal was so nebenher" zu schreiben, wird den Verblichenen sicher freuen. Er hat die Dinge ein wenig anders gesehen und hat - selbst unter Zeitdruck - "Nebenwerke" ernster genommen als es - um mal meine Wertung einfließen zu lassen - manch anderer mit seinen "Hauptwerken" getan hat. Als schlichtes demokratische Gemüt verschließt sich mir der Sinn der Klassifizierung in Haupt- und Nebenwerk wie in Groß- und Kleinmeister. Dafür sieht es bei mir deutlich unaufgeräumter aus als bei den ordnungsliebenden Leuten, die überall ihr Etikett draufkleben müssen. Aber ich kann mich dafür auch einem Musikwerk hingeben, es neu erfahren, ihm nachgehen, ohne die Schere im Kopf und Bauch zu haben, ohne die so mancher Kritikaster nicht leben kann.


    Beethoven hat sich bei dem Stück Einiges gedacht, und ich habe mich bemüht, von dem Einigen etwas in - wie ich meine - verständlichen Worten ausgedrückt zu haben. Hätte ich es nun mit einem Fachpublikum zu tun, wäre ich ein wenig mehr in die Werkanalyse eingestiegen. Es fängt mit dieser ungeheuren Improvisation am Anfang an. Wir kennen die bewundernden Berichte der Zeitgenossen über die Improvisationen Beethovens, diese selbst sind leider nicht überliefert. Hier kann man einen Eindruck bekommen.


    Eine große, eine freie Improvisation des Solisten - eine Fantasie - und sie ist eben alles andere als angenehm, alles andere als schön. Unsere Ohren haben sich an die Anmutungen neuester Musik gewöhnt, wenn wir Beethoven hören, müssen wir die Empfangsorgane ein wenig tarieren, was uns als "nicht unschön" wähnt, war für die Zeitgenossen Beethovens dissonant und verwirrend. Hier steht - zum Teil unvermittelt - scheinbar Unvereinbares nebeneinander, die Kunst Beethovens vereinigt es. Nichts steht fest, noch nichts ist ausgebildet: weder die Tonart, noch die Taktart - weder ein Motiv, ein Gedanke, eine Melodielinie. Die mächtigen Akkorde am Anfang in c-moll legen nichts fest, kaum ist die Tonart erklungen, wendet sich Beethoven von ihr ab, eine "geschmeidige" (Seidel) Zweiunddreißigstelbewegung moduliert nach Es-dur, aber schon mutiert die melodische Linie. Aus ihr wird eine metrische Figur, neu, gestochen scharf, sie begründet eine neue metrische Ordnung. Doch auch dieses Metrum setzt sich nicht ganz durch, es nistet sich in der vorgegebenen Ordnung ein, innerhalb des 4/4-Takt etabliert sich ein 2/16-Takt. Es entstehen in jedem Takt vier kleine modulierende Einheiten die harmonisch schnell in eindunkeln (b-moll, g-moll, f-moll, Des-dur), die Endpunkte als Sforzati gekennzeichnet, ab Takt 19 werden sie melodisch gekennzeichnet - auf kleinstem Raum, in bedrückender Enge. Dagegen setzt er Akkordfiguren von riesigen Dimensionen. Dieses Formprinzip bestimmt auch den zweiten Teil - große Räume, die zu erstarren drohen, stehen gegen die Figuren äußerster Gedrängtheit. Dann dieses Crescendo, das den metrischen Spielraum ausweitet, in dem sich eine Riesenenergie aufstaut mit zwei synkopischen Akkordpaaren. Auf der Doppeldominante holt ein Arpeggio gewaltig aus: der Weg nach vorne ist eröffnet, leise setzt das Orchester ein - Finale hat Beethoven darüber geschrieben.


    Was an allem da ist nebensächlich, was nett und "weichgespült"?


    Zitat

    Nach Befassung mit der Chorpartitur sind, sagen wir mal vorsichtig, gewisse Wiedererkennungseffekte in bezug auf die Neunte unüberhör- und -sehbar, allerdings, wie das ganze kleine Werk, so weichgespült wie ein Wäschestück, das zu lange gekocht wurde.


    Wie kann es Wiedererkennungseffekte in Bezug auf die Neunte geben, wenn diese noch gar nicht bekannt ist? Auf der Oberfläche kann ich alles mit allem vergleichen, aber der Aufbau der Neunten und der Weg zum Chorfinale ist doch definitiv ein anderer. Ich muss mich doch bemühen, das Werk zu verstehen, das ich höre - und es nicht zudecken mit einem Stück, das ich an seiner Stelle lieber hören möchte. Wenn man von den Inhalten absieht, wird sich manches gleich. Und wenn ich das Chorfinale der Neunten mit Zimmermanns "Requiem für einen jungen Dichter" vergleiche kommt es mir auch ziemlich "weichgespült" vor. Das ist eben das Unglück mit den falschen Vergleichen, ich werde doch auch Donizetti nicht hinrichten, weil er nicht so wie Verdi geschrieben hat. Diese Ungeduld des Hörens werde ich wohl nie verstehen, es ist eine Ungeduld des Herzens für mich, die es nicht erlaubt, ein Werk mit allen Sinnen zu erfassen, sondern gleich wieder von ihm abzuschweifen mit "das habe ich ja alles schon gehört - und besser dazu".


    Zitat

    Wenn man Beethovens scharf konturierte Kompositionsweise gewöhnt ist, erwartet man derlei keinesfalls


    Du musst mir in einer stillen Stunde erzählen, was Du unter einer "scharf konturierten Kompositionsweise" verstehst. Vielleicht meinst Du damit ein scharf konturiertes Werk, das aber ist die Chorfantasie ebenso wie andere. Da muss man eben mehr Beethoven kennen als nur die angeblichen Großwerke. Da Du nur in die Chorpartitur geschaut hast, nehme ich an, dass Du Dich in Deinem Urteil eben nur auf den vokalen Teil beziehst. Den musst Du aber als Reprise verstehen, um ihn zu verstehen. Vielleicht magst Du ja die Utopie, die neue Welt, die Beethoven da antizipiert lieber "scharf konturiert", weiter mit Dissonanzen und Gewalt und Unterdrückung. Ohne Bezug auf die Entwicklung vor den Chorpassagen ist das, was Du hörst, vielleicht allenfalls die Instrumentation des Klavierliedes WoO 118 - aber schau Dir mal an, was schon in diesem Lied passiert - auch da ist die "Gegenliebe" nicht verständlich ohne die "Seufzer eines Ungeliebten" - wenn ich der Dialektik ein Bein weghaue, dann sieht es vielleicht so "weichgespült" aus - aber die Schuld dafür muss ich dann schon bei mir suchen, nicht bei Beethoven.


    Zitat

    und mich lässt diese Fantasie eigentlich ziemlich kalt.


    Nun gut, ich bin der letzte, der Dir das vorwerfen wird. Nur: Bei wem der Funke der Kunst nicht zündet, wer ein Werk nicht liebt, wird kaum Äußerungen über das Werk machen, die jemanden weiterhelfen. Es wird eben allenfalls Leute ansprechen, die das Werk auch nicht verstehen.


    Aber sollten wir uns nicht mehr darum bemühen, Sinn und Herzen der Musikfreunde für das zu öffnen, das wir lieben? Oder geht es mehr darum, Musikfreunden das zu vermiesen, das sie lieben, weil man selbst dort liebesunfähig ist?


    Zitat

    Nur: Beethoven selbst tut dies in meinen Augen keinerlei Abbruch.


    Dem kann man nicht mehr abbrechen, der Mann ist tot. Aber ich versuche Dich zu verstehen: Ich werte nun kräftig ein Musikstück herunter, mit dem ich nicht zurecht komme. Wenn ich dann genug darauf herumgetrampelt habe, sage ich auch noch, das ändert nichts an meiner Anschauung des Komponisten. Du hast behauptet, dass Beethoven das Werk so nebenbei geschrieben hat. Das ist eine Abwertung des Komponisten, die er wahrlich nicht verdient. Selbst "Gelegenheitswerke" wie WoO 39 und die Bagatelle "Pour Elise" zeigen einen Grad an kompositorischer Bewusstheit, der so manchen anderen Komponisten neidvoll erblassen lassen kann. Man muss eben nur genauer hinsehen ...


    Zitat

    Ich bin und bleibe ein ausgesprochener Hör- (weniger Sing-) Fan von ihm, zumal nirgends geschrieben steht, dass die alten Meister immer nur dass zu machen gehabt hätten, was man von ihnen erwartet.


    Na, das beruhigt mich ja außerordentlich. Dann nimm mal die Partitur und probiere mal die grandiose Fantasie am Anfang auf dem Klavier aus - und dann sprechen wir uns gerne wieder ...


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,


    Deinen umfassenden Einführungen schliesst sich die Frage an,ich weiss es nicht,wann denn die Noten entstanden sind für die Fantasie.
    Als sie aufgeführt wurden, war mindestens der Klavierpart nicht fertig.
    Das wird für Beethoven keine Katastrophe gewesen sein, weil er, wie Du schon schriebst, ein grossartiger Improvisateur war.
    Vielleicht liegt mit der Chor-Fantasie tatsächlich die einzige Dokumentation seinen Talents in dieser Richtung vor ? Wenn er das aufgeschrieben hat, was er im Konzert 1808 spielte ?


    Schöne Grüsse aus Bremen


    Hans

  • Zitat

    Original von sagitt
    ich weiss es nicht,wann denn die Noten entstanden sind für die Fantasie.
    Als sie aufgeführt wurden, war mindestens der Klavierpart nicht fertig.
    Das wird für Beethoven keine Katastrophe gewesen sein, weil er, wie Du schon schriebst, ein grossartiger Improvisateur war.


    Lieber Hans,


    es ist so, wie Du schreibst, bei der ersten Aufführung hat Beethoven die Einleitung improvisiert, notiert hat er sie erst sehr viel später 1809-1810. 1810 ist die Partitur bei Clementi in London erschienen, die Stimmen sind bei Breitkopf & Härtel in Leipzig 1811 gedruckt worden - und erlebten bis 1864 allein 15 Auflagen!


    Zitat

    Vielleicht liegt mit der Chor-Fantasie tatsächlich die einzige Dokumentation seinen Talents in dieser Richtung vor ? Wenn er das aufgeschrieben hat, was er im Konzert 1808 spielte ?


    Er wird es zwar nicht exakt so aufgeschrieben haben, wie er es im Konzert gespielt hat, aber ich höre es so, wie Du schreibst: Als eine Möglichkeit, einen Eindruck von den Improvisationen Beethovens zu gewinnen.


    Liebe Grüße nach Bremen


    Peter

  • Als Beispiele sehe ich auch Op.27/1, so wie Op. 77.


    In diesen Fantasien ist das Sprunghaftige, daß hier im Forum an anderer Stelle schon einmal "beklagt" wurde und das Verständnis erschwere, besonders deutlich.
    In der Tat, ein Ausruhen und Schwelgen ist nicht möglich, wahrscheinlich auch nicht gewollt. Beethoven hat, wie berichtet wird, angesichts von vor Rührung weinenden Zuhörern gelacht und sie damit aus dem ZUstand der Trance ziemlich brutal herausgeholt.


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

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