H. I. F. Biber: »Rosenkranz-Sonaten« oder: Die Mysterien der Skordatura

  • Liebe Taminoanerinnen und Taminoaner,


    da ich seit einiger Zeit hoffnungslos den »Rosenkranz-Sonaten« Heinrich Ignaz Franz Bibers verfallen bin und feststellte, daß es zu diesem Werk bisher keinen eigenen Thread gibt, dachte ich mir mal einen solchen über diesen IMO exeptionellen Zyklus von Violinsonaten anzuregen. Nun hat dies länger gedauert als ich eigentlich geplant hatte. Nachdem der bereits angekündigte Thread nun von einigen Forianern freundlich und ganz zu Recht eingeklagt worden ist, hab' ich heute kurz entschlossen den Eröffnungsbeitrag fertig gestellt. Er ist nun etwas heterogen geraten und vieles, was ich ausführlicher diskutieren wollte ist nur angedacht. Was soll’s – manchmal ist weniger auch mehr. Vorausschicken muß ich allerdings, daß ich mich als Laie mit Bibers »Rosenkranz-Sonaten« beschäftige – dies insofern, als ich selbst kein Violinist bin und folglich über keinerlei spielpraktische Erfahrung mit diesen Werken verfüge sondern ausschließlich über (allerdings recht intensive) hörpraktische Erfahrungen.


    Heinrich Ignaz Franz Biber, der am 12. August 1644 als Sohn eines Jägers in Wartenberg (Böhmen) geboren wurde, gehört neben seinem mutmaßlichen Lehrer Johann Heinrich Schmelzer, zu den bedeutendsten Violinvirtuosen des 17. Jahrhunderts – und zu den hervorragendsten Komponisten des Barock im deutschsprachigen Raum vor Bach, Händel und Telemann. Nachdem Biber zunächst einige Zeit im Dienste des Prinzen von Eggenberg gestanden hatte, gehörte er nachweislich spätestens seit 1668 zu den Musikern des Fürstbischofs Karl von Lichterstein, den er allerdings bereits 1670 wieder verließ, um sich in Salzburg niederzulassen und in die Dienste des Fürst-Erzbischof Max Gandolf zu treten. Bis zu dessen Tod im Jahr 1687 sind alle Werke Bibers dem Fürst-Bischof zugeeignet. Zu den Werken dieser Phase gehören einige der bedeutendsten Kompositionen Bibers, so die 6 teilige »Mensa Sonara« aus dem Jahr 1680, die berühmten 8 Sonaten für Violine und Basso Continuo aus dem Jahr 1681 sowie nicht zuletzt der unter dem Namen »Rosenkranz-« bzw. »Mysterien-Sonaten« bekannt gewordene Zyklus, der vermutlich um 1675 entstanden ist.
    Im Jahr 1684 wurde Biber zum Kapellmeister ernannt und ihm zugleich der Titel eines Truchseß verliehen.
    Nach dem Tode Max Gandolfs wurde Biber im Dienst von dessen Nachfolger Johann Ernst Graf Thun übernommen. Als Biber schließlich im Jahr 1690 von Kaiser Leopold I in den Adelsstand gehoben wurde – er durfte sich von nun an Heinrich Ignaz Franz Biber von Bibern nennen – hatte er sich bereits einen außerordentlichen Ruf als Virtuose und Komponist an vielen Fürstenhöfen Europas erarbeitet. Biber starb hochangesehen am 3. Mai 1704 in Salzburg.


    Bibers »Rosenkranz-Sonaten« entstanden, wie bereits erwähnt, in der Mitte der 1670er Jahre und sind in vielerlei Hinsicht exeptionell im Rahmen von Bibers ohnehin exeptionellen Gesamtwerk. Der Zyklus von 15 Sonaten für Violine und Basso Continuo, der von einer »Passagaglia« für Violine allein beschlossen wird, ist den 15 Mysterien des Rosenkranzes gewidmet, wobei die jeweiligen Sontane weniger illustrativ verfahren als vielmehr als Meditationen über die einzelnen Mysterien des Rosenkranzes zu begreifen sind.


    Gemäß der Struktur des katholischen Rosenkranzgebetes ist Bibers Sonatenzyklus in 3 mal 5 Sonaten untergliedert: Jeweils fünf Sonaten sind den fünf freudenreichen Mysterien gewidmet, den fünf schmerzensreichen Mysterien und den fünf Glorreichen Mysterien; die abschließende »Passagaglia« ist dem Schutzengel zugeeignet.


    Der Zyklus gestaltet sich somit folgendermaßen:


    Die fünf freudenreichen Mysterien
    Sonate I (d-moll): »Den du vom Heiligen Geist empfangen hast« (Praeludium / Aria allegro – Variatio / Finale)
    Sonate II (A-Dur): Den Du zu Elisabeth getragen hast« (Sonata / Allemande / Presto)
    Sonate III (h-moll): »Den du geboren hast« (Sonata / Courante – Double / Adagio)
    Sonate IV (d-moll): »Den du im Tempel aufgeopfert hast« (Ciaconia)
    Sonate V: (A-Dur): »Den du im Tempel wiedergefunden hast« (Praeludium / Allemande / Gigue / Sarabande – Double)


    Die fünf schmerzensreichen Mysterien:
    Sonate VI (c-moll): »Der für uns im Garten Blut geschwitzet hat« (Lamento / Presto / Adagio)
    Sonate VII (F-Dur): »Der für uns gegeißelt worden ist« (Allemande – Variatio / Sarabande – Variatio)
    Sonate VIII (B-Dur): »Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist« (Sonata / Gigue – Double – Double 2)
    Sonate IX (a-moll): »Der für uns das Kreuz getragen hat« (Sonata / Courante – Double / Finale)
    Sonate X (g-moll): »Der für uns gekreuzigt worden ist« (Praeludium / Aria – Variatio)


    Die fünf glorreichen Mysterien:
    Sonate XI (G-Dur): »Der für uns von den Toten auferstanden ist« (Sonata / »Surrexit Christus hodie« / Adagio)
    Sonate XII (C-Dur): »Der für uns in den Himmel aufgefahren ist« (Intrada / Aria Tubicinum / Allemande / Courante – Double)
    Sonate XIII (d-moll): »Der uns den Heiligen Geist gesandt hat« (Sonata / Gavotte / Gigue / Sarabande)
    Sonate XIV (D-Dur): »Der dich in den Himmel aufgenommen hat« (Praeludium / Aria / Guige)
    Sonate XV (C-Dur): »Der dich im Himmel gekrönt hat« (Sonata / Aria / Canzona / Sarabande)


    Sonate XVI (g-moll): »Schutzengelsonate« (Passagaglia für Violine solo).



    Bereits ein Blick auf die Satzfolge der einzelnen Sonaten zeigt, daß Biber eine ungeheure stilistische Vielfalt walten ließ. Neben strengen Formen stehen – im sakralen Kontext vielleicht zunächst verblüffend – Tanzsätze. Besondere Bedeutung erhalten Ostinato-Techniken, entweder in den vertrauten Formen von Ciaconia und Passacaglia oder in der Reihung von Variationen.


    Die Zuordnung der Sonaten zu den einzelnen Mysterien des Rosenkranzes erfolgt nicht über die hier von mir zugeordneten Überschriften, sondern durch einen kleinen Kupferstich, der in der Originalhandschrift den jeweiligen Sonaten vorangestellt ist. Allerdings hat Biber auch in der Widmung an den Fürst-Bischof auf den Kontext des Rosenkranzes explizit hingewiesen:


    »Du wirst meine mit vier Saiten bespannte und in fünfzehnfachem Wechsel gestimmte Leyer in verschiedenen Sonaten, Prälusien, Allemanden, Sarabanden, Arien, Chaconnen, etc. in Verbindung mit dem Basso Contiunuo vernehmen, in Stücken wie ich es vermochte, mit großer Kunstfertigkeit ausgearbeitet wurden. Wenn Du die Ursache für diese Zahl wissen willst, werde ich es Dir erklären: All das habe ich nämlich zur Ehre der heiligen fünfzehn Geheimnisse geweiht, die Du auf das leidenschaftlichste fördern mögst.«


    Neben dem Hinweis auf den Rosenkranz enthält diese kurze Passage aus der Widmung einen weiteren wichtigen Hinweis: einen Hinweis auf eine spezifische Besonderheit des Rosenkranz-Zyklus. Die in »fünfzehnfachem Wechsel gestimmte Leyer« verweist auf die Technik der Skordatura, das Umstimmen der Saiten. Nun war die Technik der Skordatur im 17. Jahrhundert ein nicht unbekanntes oder gänzlich unübliches Mittel um spezifische Klangeffekte zu erzielen (indem die Saitenspannung signifikant verändert wurde) oder um bestimmte Doppel- und Mehrfachgriffe zu ermöglich, doch macht Biber in den Rosenkranzsonaten in wohl einzigartiger Weise ausgiebigen Gebrauch davon. Allein die erste Sonate und die abschließende »Passagaglia« für Violine solo fordern die normale Quintstimmung der Violine; in allen anderen Sonaten sind Umstimmungen der Violine vorgeschrieben, die von der II. Bis zur X. Sonate immer kühner werden, in der XI. Sonate eine beinahe aberwitzige Verstimmung der Violine in überkreuzten Oktaven (g – g‘ – d‘ – d‘‘) und dann bis einschließlich zur XV. Sonate sich nach und nach wieder der Normalstimmung annähern. Auch Biber nutzt die Skordatur, um Mehrfachgriffe zu ermöglichen und spezifische Klangeffekte zu erzielen – darüber hinaus wird die Verstimmung der Saiten allerdings auch mit symbolischen Konnotationen aufgeladen: Besonders evident wird dies in der bereits angesprochenen XI. Sonate: anstatt von vier übereinanderliegenden Tönen, schreibt Biber eine Stimmung in zwei Gruppen von einander überkreuzenden Oktaven vor. Die beiden oberen Saiten werden um einen ganzen Ton herunter gestimmt (auf g‘ und d‘‘ statt a‘ und e‘‘). Zudem schreibt Biber vor, daß die beiden mittleren Saiten hinter dem Steg und hinter dem Sattel überkreuzt werden: Das Kreuz wird visualisiert und durch die Überkreuzung der Saitenstimmung wird die normale Beziehung zwischen notiertem und klingendem Ton völlig aufgehoben. Mit der Auferstehung ist alles, was bisher gültig war, im wahrsten Sinne des Wortes verkehrt.


    Die extreme Verwendung der Skordatur eröffnet dann ein weites Feld des Mystischen: denn notiert hat Biber sämtliche Sonaten so, als sei die Violine normal gestimmt. Der notierte Text bildet damit nicht einmal ansatzweise die klingende Musik ab – er gerät (gleich einer Tabulatur) zu einer Ausfühungsvorschrift für Griffe – die Musik wird – selbst für den Interpreten – erst in der Ausführung erfahrbar. Neben diesen explizit musikalischen Techniken der Mystifizierung, sind die Rosankranzsonaten mit zahlreichen zahlensymbolischen Verweisen auf den biblisch-religiösen Kontext (so erklingen im Zyklus zum Beispiel insgesamt 2772 Takte – der Kanon der katholischen Bibel umfaßt 72 Bücher von denen 27 das Neue Testament bilden) wie auch auf Keplers Harmonices Mundi gespickt, die der Violinist und Musikwissenschaftler Rüdiger Lotter auf beeindruckende Weise dechiffriert hat. Lotters Untersuchungen können hier nachgelesen werden.


    Mystisch werden die »Rosankranz-Sonaten« aber wohl glücklicherweise trotz all dieser Dechiffrierungen und Auslegungen bleiben. Biber selbst hat diesen Zyklus übrigens selbst niemals für den Druck vorbereitet, sondern sie stets gleich einem Geheimnis bewahrt, das sich allein in der Ausführung offenbaren kann.


    Nun sind in den letzten 15 Jahren ja eine ganz Reihe von sehr guten Einspielungen der »Rosenkranz-Sonaten« erschienen, die einen oftmals sehr unterschiedlichen Zugriff deutlich machen: von estrovertierter musikantischer Virtuosität (R. Goebel oder P. Bismuth) über eher meditative Zugänge (J. Holloway oder A. Pierot) bis zu introvertierter Kontemplativität (A. Manze oder W. Reiter). Meine persönliche Favoritin habe ich ja bereits an anderen Stellen mehrfach geoutet. Dennoch möchte ich die Interpretation von Alice Pierot und dem Ensemble »Le Veilleurs de Nuit« kurz vorstellen.



    Alice Pierot wählt einen eher meditativ Zugriff auf den Zyklus. Darin unterscheidet sie sich deutlich etwa von R. Goebel und der Musica Antiqua, die sehr das Virtuos-Spielerische der Sonaten betonen. Pierot wählt moderate Tempi (Goebel oder Bismuth sind insgesamt deutlich schneller unterwegs, Manze oder insbesondere Reiter oftmals deutlich langsamer). Auf wunderbare Weise gelingt es Pierot die virtuosen wie auch die kontemplativ-religiösen Momente des Werks mit einander zu vermitteln und den Rosenkranz geradezu einem sinnlichen Ereignis zu machen. Wenn Frau Pierot in der Auferstehungssonate das »Surrexit Christus hodie« intoniert möchte man tatsächlich gläubig werden.... Alice Pierot und ihr Ensemble »Le Veilleurs de Nuit« präsentieren das Mysterium der Rosenkranzes als ein klanggewordenes, sehr, sehr sinnliches Gebet.


    Mich würde nun interessieren, wie ihr Bibers Rosenkran-Zyklus erfahren habt, welche Einspielungen ihr kennt und wie ihr diese empfunden habt. Freue mich auf eure Beiträge und auf die Diskussion!!!


    Herzlichst,
    Medard

  • Guten Tag


    ich habe nur diese



    Einspielung mit der musica antiqua köln, somit hatte ich -bisher- keine Vergleichsmöglichkeit, mir gefällt die Aufnahme. :jubel: :jubel:


    Sie ist von den persönlichen Manieren und Spieltrieb von R. Goebel geprägt.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Hallo Medard,


    vielen Dank für die prompte Eröffnung des Threads, die - wie zu erwarten - gar nicht provisorisch und heterogen, sondern ausgesprochen profund wirkt!


    Ich habe das gesamte Werk - wie an anderer Stelle berichtet - erst gestern in der Einspielung mit Walter Reiter kennengelernt, die ich inzwischen einmal durchgehört habe (einige Teile auch zweimal). Deshalb kann ich mir überhaupt noch kein konsistentes Urteil erlauben. Was ich aber sagen kann: die Musik ist faszinierend und beeindruckt mich ungemein. Nach dem ersten Hören sind mir Stücke wie die Chaconne zur Darbringung im Tempel (Sonate Nr. 4), das Lamento zum Gebet auf dem Ölberg (Nr. 6), die Sonate zur Auferstehung (Nr. 11) und zu Pfingsten (Nr. 13) sowie die Schlusspassacaglia besonders im Gedächtnis geblieben.


    Einige wenige unsystematische Anmerkungen zu Deinen Ausführungen:


    Besonders faszinierend ist natürlich die Betonung des performativen Charakters des Werkes, insb. die Differenz zwischen dem Notierten und dem Gespielten, dem "Sichtbaren" und dem "Unsichtbaren" (auch in der Verweigerung der Veröffentlichung).


    Dass die Zuordnung der Sonaten nicht durch das Wort, sondern durch Bilder (die Kupferstiche) erfolgt, macht mich als Kunsthistoriker besonders neugierig. Ich muss mal schauen, ob ich hier an Abbildungen komme (das Original liegt ja wohl in der Bayerischen Staatsbibliothek in München). Ganz, ganz leise Skepsis melde ich bezüglich der Vorherrschaft des "Meditativen" gegenüber dem "Illustrativen" an. Die "Kreisform" der Scordatura (immer weitere Entfernung von der Ausgangsstimmung, dann wieder Rückkehr zu ihr) erinnert übrigens sehr stark an Bild-Rosarien, wie es sie seit dem Spätmittelalter gibt.


    Interessant finde ich, dass die abenteuerlichste Umstimmung (das "Kreuz") in der elften Sonate (zur Auferstehung) stattfindet und nicht in der zehnten (zur Kreuzigung), wo sie doch eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Weiß man dafür einen Grund? Und weiß man etwas über konkrete Aufführungen des Werkes und über deren Funktion?


    Zu der von mir gekauften Aufnahme mit Walter Reiter und dem Ensemble Cordaria kann ich mangels Vergleichsmöglichkeiten gar nicht viel sagen. Reiters Geigenspiel selbst gefällt mir sehr gut, überaus beredt und flexibel. Das Continuo könnte man sich evtl. etwas fantasievoller vorstellen. Die Tempi sollen ja sehr auf der langsamen Seite sein - da müsste ich Vergleichsaufnahmen kennen. Zumindest die elfte Sonate finde ich aber auch ohne Vergleich sehr gedehnt (Zeit: 10:45). Vom Preis her ist die bei Brilliant wiederaufgelegte Aufnahme aus dem Jahr 1999 sicherlich unschlagbar:





    Viele Grüße


    Bernd

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Klawirr
    (Sonate X (g-moll): »Der für uns gekreuzigt worden ist« (Praeludium / Aria – Variatio)


    [Medard


    Die X. Sonate hat Andreas Anton Schmelzer (1653-1701) als


    "Victori der Christen"


    umgearbeitet.


    Die Satzfolge hier:


    - Der Türken Anmarsch


    - Der Türkenbelagerung der Stadt Wien


    - Der Türken stürmen


    - Anmarsch der Christen


    - Durchgang der Christen


    - Victori der Christen


    Im Barock sah man manches nicht so eng und parodierte "Geistliches" und "Weltliches" und umgekehrt.


    Eingespielt hat die Schmelzersonate u.a. mit A. Mance in dieser



    Aufnahme.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard


  • Hallo Bernd
    ich habe Repros der Kupferstiche (allerdings nicht besonders tolle Qualität) - müßte mal versuchen die Dinger einzuscannen, könnte sie dann mailen...


    Zitat


    Ganz, ganz leise Skepsis melde ich bezüglich der Vorherrschaft des "Meditativen" gegenüber dem "Illustrativen" an. Die "Kreisform" der Scordatura (immer weitere Entfernung von der Ausgangsstimmung, dann wieder Rückkehr zu ihr) erinnert übrigens sehr stark an Bild-Rosarien, wie es sie seit dem Spätmittelalter gibt.


    Hm, ja wenn Du »illustrativ« so vestehst, hast Du wahrscheinlich recht. Mein Einwand gegen das Illustrative richtet sich eher gegen Versuche, in den Sonaten selbst den Versuch einer tonmalerischen Illustration der jeweiligen Rosenkranzszene zu suchen. So ist verschiedentlich behauptet worden, man könne in der X. Sonate (der Kreuzigungssonate eben) das Einschlagen der Nägel hören. Da bin ich eben nicht so sicher, sondern meine, daß in solchen lesarten eher der Wunsch der Vater des Gedankens ist... Imo hat Biber - bei allen signifikanten und symbolhaften Aspekten (etwa der gewissermaßen Kreisförmigen anordnung der Skordaturen) - eher musikalische Meditationen über die Mysterien versucht, als lautmalerische Illustrationen der jeweils geschilderten Szenen.



    Zitat

    Interessant finde ich, dass die abenteuerlichste Umstimmung (das "Kreuz") in der elften Sonate (zur Auferstehung) stattfindet und nicht in der zehnten (zur Kreuzigung), wo sie doch eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Weiß man dafür einen Grund? Und weiß man etwas über konkrete Aufführungen des Werkes und über deren Funktion?


    Ja, darüber habe ich lange nachgedacht und habe auch keine rechte Lösung - denn diese kreuzweise Verstimmung wäre ja vielleicht tatsächlich eher in der X. Sonate zu erwarten gewesen (dort ist die Stimmung g - d' - a' - d''). Vermutlich hat Biber in der XI. Sonate das unerhörte Ereignis der Auferstehung durch die Verkehrung der üblichen Stimmung symbolisch überformen wollen. Auch der erzielte Klangeffekt ist ja unerhört: der in Oktaven geführte Choral klingt ja zunächst recht unviolinisch. Zudem könnte es ja auch konfessionelle Gründe haben: im protestantischen Kontext wäre diese extreme Verkehrung als Höhepunkt des Zyklus sicherlich der Kreuzigungssonate zugekommen; im katholischen Kontext ist die Kreuzigung zugleich in der Auferstehung aufgehoben und präsent (aber ich bin kein Theolog ;) )


    Zitat

    Zu der von mir gekauften Aufnahme mit Walter Reiter und dem Ensemble Cordaria kann ich mangels Vergleichsmöglichkeiten gar nicht viel sagen. Reiters Geigenspiel selbst gefällt mir sehr gut, überaus beredt und flexibel. Das Continuo könnte man sich evtl. etwas fantasievoller vorstellen. Die Tempi sollen ja sehr auf der langsamen Seite sein - da müsste ich Vergleichsaufnahmen kennen. Zumindest die elfte Sonate finde ich aber auch ohne Vergleich sehr gedehnt (Zeit: 10:45). Vom Preis her ist die bei Brilliant wiederaufgelegte Aufnahme aus dem Jahr 1999 sicherlich unschlagbar.


    Viele Grüße


    Bernd


    Ich finde Reiters Enspielung auch nicht schlecht; zumindest versteht er es, eine wirklich individuelle und prägnante Lesart vorzustellen. Was mir nicht so recht gefällt, ist seine eher fahle Tongebung und das bisweilen etwas eckig anmutende, die Metrik betonende Spiel. Das bescheidene Continuo liegt, meine ich jedenfalls, ziemlich in der Logik seines Zugriffs auf die Sonaten als liturgische Musik. Ja, und dann die Tempi - da ist Reiter ein harter Brocken. Laaaaaangsam, laaaangsam, laaaaaaangsam! Mir oftmals zu langsam, da bisweilen die Spannung abhanden zu kommen droht...
    Nur mal zum Vergleich die Zeiten der XI. Sonate in einigen anderen Einspielungen:


    Manze - 8:40
    Holloway - 8:23
    Lotter - 7:15
    Pierot - 7:09
    Goebel - 6:27
    und der rasende Herr Bismuth braucht nur 6:15


    Herzlichst,
    Medard


  • Hallo Bernhard,
    Goebel hat einen sehr interessanten und IMO auch extremen Zugriff. Er spielt die Sonaten schnell, farbig, betont das Virtuose. Tendenziell präsentiert er die Sonaten als Bravourstücke der Violinentechnik. Ich höre seine Interpretation oft und auch relativ gerne - obwohl er für meinen Geschmack etwas an dem Gehalt der Rosenkranz-Sonaten vorbeimusiziert. Getoppt wird er übrigens noch von Patrick Bismuth mit dem Ensemble La Tempesta - da ist der Name Programm. Da stürmts durch die Sonaten, was das Zeug hält und Bibers Rosenkranz gerät zu einer Frühform Paganninischer oder Saratescher Kapriolen:



    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Hallo Bernd
    ich habe Repros der Kupferstiche (allerdings nicht besonders tolle Qualität) - müßte mal versuchen die Dinger einzuscannen, könnte sie dann mailen...



    Hallo Medard,


    herzlichen Dank für das Angebot - ich habe inzwischen entdeckt, dass es in der hiesigen UB das Faksimile der Münchener Originalhandschrift samt Kommentar gibt. Das werde ich mir mal zu Gemüte führen.





    Zitat

    Hm, ja wenn Du »illustrativ« so vestehst, hast Du wahrscheinlich recht. Mein Einwand gegen das Illustrative richtet sich eher gegen Versuche, in den Sonaten selbst den Versuch einer tonmalerischen Illustration der jeweiligen Rosenkranzszene zu suchen. So ist verschiedentlich behauptet worden, man könne in der X. Sonate (der Kreuzigungssonate eben) das Einschlagen der Nägel hören. Da bin ich eben nicht so sicher, sondern meine, daß in solchen lesarten eher der Wunsch der Vater des Gedankens ist... Imo hat Biber - bei allen signifikanten und symbolhaften Aspekten (etwa der gewissermaßen Kreisförmigen anordnung der Skordaturen) - eher musikalische Meditationen über die Mysterien versucht, als lautmalerische Illustrationen der jeweils geschilderten Szenen.


    Mein Verdacht war überwiegend eine kleine spekulative Trotzreaktion.:D Trotzdem würde mich interessieren, ob es z.B. zwischen den Sonaten 7-11 (Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung) signifikante semantisch deutbare Unterschiede gibt. Dabei dachte ich weniger an Illustration im engeren Sinn (Ochsengeblök bei der Geburt, Kindergeschrei bei der Darbringung, Flammenknistern zu Pfingsten - warum hat Richard Strauss eigentlich nicht die Passionsgeschichte vertont? :D), sondern mehr an musikalische Topoi (Ritualcharakter der Darbringung = Form der Chaconne; aufwärtsgerichtete Tonskalen bei der Himmelfahrt usw. - alles ganz unausgereift ins Unreine gesprochen).



    Zitat

    Ja, darüber habe ich lange nachgedacht und habe auch keine rechte Lösung - denn diese kreuzweise Verstimmung wäre ja vielleicht tatsächlich eher in der X. Sonate zu erwarten gewesen (dort ist die Stimmung g - d' - a' - d''). Vermutlich hat Biber in der XI. Sonate das unerhörte Ereignis der Auferstehung durch die Verkehrung der üblichen Stimmung symbolisch überformen wollen. Auch der erzielte Klangeffekt ist ja unerhört: der in Oktaven geführte Choral klingt ja zunächst recht unviolinisch. Zudem könnte es ja auch konfessionelle Gründe haben: im protestantischen Kontext wäre diese extreme Verkehrung als Höhepunkt des Zyklus sicherlich der Kreuzigungssonate zugekommen; im katholischen Kontext ist die Kreuzigung zugleich in der Auferstehung aufgehoben und präsent (aber ich bin kein Theolog ;) )


    Der konfessionelle Aspekt könnte sicher eine Lösung sein. Vielleicht ist aber der Aspekt der "Verschiebung" nicht nur der Violinsaiten, sondern der Semantik insgesamt eine Art Leitmotiv des Werkes. ?(





    Ich sehe schon, dass ich um den Kauf einer zweiten Einspielung nicht herumkomme... :faint:


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Mein Verdacht war überwiegend eine kleine spekulative Trotzreaktion.:D Trotzdem würde mich interessieren, ob es z.B. zwischen den Sonaten 7-11 (Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung) signifikante semantisch deutbare Unterschiede gibt. Dabei dachte ich weniger an Illustration im engeren Sinn (Ochsengeblök bei der Geburt, Kindergeschrei bei der Darbringung, Flammenknistern zu Pfingsten - warum hat Richard Strauss eigentlich nicht die Passionsgeschichte vertont? :D), sondern mehr an musikalische Topoi (Ritualcharakter der Darbringung = Form der Chaconne; aufwärtsgerichtete Tonskalen bei der Himmelfahrt usw. - alles ganz unausgereift ins Unreine gesprochen).


    Hallo Bernd,
    I see... ja, das ist schon so - aber ich würde es eigentlich nicht als ein »illustratives Verfahren« beschreiben ;) . Die Kreuzigungssonate beginnt etwa mit einem gebrochenen Viertonakkord mit zwei einander »kreuzenden« Intervallen. Das wäre doch so eine Formel. - Oder dann wiederum in der elften Sonate, der Auferstehung. Schauen wir mal auf das zentrale »Surrexit Christus hodie«: Biber überbaut das Osterlied in Form einer groß angelegten Choralvariation. Die Choralmelodie erscheint fünfmal nacheinander im Bass, während die Violine darüber Motive des Choralthemas und freie Kontrapunkte variiert. In der sechsten Durchführung aber erscheint die Choralmelodie in ihrer vollständigen Gestalt in der Violinstimme, und zwar in Oktaven, während die Unterstimme kontrapunktiert. Die sechste Durchführung des Themas dann löst dann den Choral in kürzere Abschnitte auf, die zwischen Violine und Baß hin- und herspringen. In der abschließenden achten Variation gipfelt der Satz in einem über drei Oktaven reichenden Unisono aller Stimmen - wenn das nicht die Auferstehung »illustriert«, dann weiß ich es auch nicht...
    Herzlichst,
    Medard

  • Hallo Medard,


    danke für die Eröffnung dieses interessantes Threads zu einem der schönsten Werke für Geige überhaupt (meine Meinung). Ich habe lange gebraucht, um dieses Werk kennen und schätzen zu lernen. Ich habe mindestens 10-mal in die Göbel-Aufnahme hereingehört und die Platte immer wieder weggestellt, bevor ich sie gekauft habe. Neunmal hat es mir eigentlich nicht gefallen, aber irgendetwas muss mich fasziniert haben, sonst wäre ich nicht so um die Platte herumgeschwirrt wie die Mücke ums Licht.


    Mittlerweile habe ich die Göbel-Aufnahme, mit der ich die Stücke kennengelernt habe, die Aufnahme von Holloway, die mir dagegen immer fad vorkam und die Aufnahme von Alice Pierot, die fast eine Offenbarung für mich war. Die Interpretation ist viel ausgewogener (meditativer?), als Göbels Interpretation im "Stylus Phantasticus" - aber alles andere als fad. Ich finde die Stücke wunderschön gespielt, auch das Continuum ist sehr variabel und trägt viel zu der sehr individuellen Atmosphäre der einzelnen Stücke bei. Göbel gefällt mir immer noch gut, aber meine Lieblingsaufnahme ist mittlerweise Pierots.


    Hat diese Dame eigentlich auch andere Aufnahmen gemacht?


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Hallo Melanie,
    Deine Erfahrungen mit den Einspielungen des Rosankranzens sind für mich sehr interessant - weil es mir bis zu einem gewissen Punkt genau umgekehrt ging. Ich war gleich beim ersten Hören der Sonaten hingerissen - es war eine Einspielung aus dem Jahr 1962 mit Susanne Lautenbacher an der Violine (noch auf LP, habe das Vinyl aber inzwischen durch CDs ersetzt) - diese Aufnahme mag ich immer noch sehr gern, obwohl sie natürlich nach heutigen Maßstäben so rein aufführungspraktisch absolut unterirdisch ist. Aber irgendwie hat sie mich nicht restlos zufrieden gestellt (wie auch?) und so habe ich mir nach und nach einige weitere Einspielungen angeschafft. Meine zweite Aufnahme war die mit Holloway, die gegenüber Lautenbacher einen Quantensprung darstellt, nicht allein hinsichtlich der HIPpigkeit sondern auch hinsichtlich der spirituellen Durchdringung der Musik. Dann kam Goebel - und ich war zunächst entsetzt: Wilde Raserei! Atemberaubende Virtuosität! Halzbrecherisch!! (Heute weiß ich,das es noch heftiger geht [Bismuth], dann aber diese Musik wirklich zugrunde gerichtet wird). Erst allmählich habe ich Goebels Zugriff schätzen gelernt als eine »musikantische« Alternative zu Holloway. Naja, dann habe ich nach den exorbitant guten Kritiken auch noch Andrew Manze gekauft, dessen extrem verhalten kontemplative Interpretation sicherlich ihre Meriten hat, mich aber letztlich kalt läßt. Alice Pierot war eigentlich ein Zufallskauf - eine weitere Einspielung der Rosenkränze (inzwischen war auch noch Reiter dazugekommen) kann ja nicht schaden... Und ich habe das gleiche erlebt wie Du - diese Einspielung ist tatsächlich eine Offenbarung!! Frau Pierot schafft es einfach, all die positiven Aspekte der Ansätze von Goebel, Holloway und Manze in einer zugleich virtuosen, hochmusikalischen und sinnlich meditativen Interpretation zu vereinen. Absolut unerreicht!!
    Leider hat die Dame - soweit ich weiß - bisher keine weiteren Aufnahmen gemacht...
    Herzlichst,
    Medard

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  • Guten Morgen!


    Nicht zuletzt angeregt durch diesen Thread hier, habe ich mir diese beiden Einspielungen der Sonaten zugelegt:



    Vorausschicken möchte ich, dass Barockmusik eigentlich nicht so meine Sache ist.
    Die Rosenkranzsonaten gefallen mir jedoch ganz ausgezeichnet. Wunderschöne, abwechslungsreiche Musik voller Einfallsreichtum, in einer Mischung aus stiller, getragener Einfachheit und gleichzeitig großer Virtuosität. :)


    Beim Vergleich der beiden Einspielungen ist für mich Holloway auf EMI/Virgin der klare Gewinner. Das Klangbild ist - wohl bedingt durch den Aufnahmeraum, eine Kirche, - deutlich dreidimensionaler. Zudem spielt die Sologeige aus der tiefen Raummitte heraus, wohingegen Reiters Geige mehr am linken Lautsprecher zu kleben scheint.


    Interpretatorisch gesehen gestaltet Holloway IMHO stärker, verleiht den Werken Leben (und hinterlässt bei mir eine Dauergänsehaut! :)), wo Reiter zwar ebenfalls schön+gut musiziert, meiner Ansicht nach aber dennoch einen pauschaleren und unbeteiligteren Eindruck hinterlässt.


    Mein Rat daher: wer partout nicht mehr als 5-6,- € ausgeben will, der greife zur günstigen Brilliant-Ausgabe. Alle anderen Schnäppchenjägern sei zur Virgin-Doppel-CD geraten.


    Den Erwerb der Goebel-Aufnahme schiebe ich noch, bis diese aus dem Hochpreissegment entschwunden ist. Bis dahin bin ich erst einmal mit Holloway sehr glücklich!


    Grüße


    Frank :)

  • Hallo!


    Erwähnen wollte ich noch, dass die Beihefte beider Produktionen leider nicht sonderlich viele Informationen preisgeben. Insbesondere dasjenige der Virgin-CDs finde ich sehr "dünn"! :(


    Grüße


    Frank :)

    Einmal editiert, zuletzt von Hüb' ()

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Leider hat die Dame - soweit ich weiß - bisher keine weiteren Aufnahmen gemacht...


    stimmt so nicht ganz:








    u.a.


    zum nagetier hoffe ich mich morgen melden zu können (-wenn mir meine tritschtratscharbeit zeit dazu lässt. was macht man nicht alles, nur um den forumsimperator aufzuheitern...)
    jedenfalls vielen :jubel: für die threaderöffnung.


    @bernd und frank: wartetz mit euren 2.- und 3.-einspielungen!


    :beatnik:

  • Äh, stimmte also so ganz gar nicht ... :O Die hab' ich über meine üblichen »Suchmaschinchen« bisher nicht finden können... bei a***n.com hab ich allerdings gar nicht nachgeschaut... Aber als Solistin ist sie doch scheinbar nur auf einer der gelisteten CDs zu hören, sonst als Ensemble-Mitglied. Wußte gar nicht, daß Frau Piérot auch im »Orchester da fontes« die erste Geige spielt... ;)
    Herzlichst zerknirscht,
    Medard

  • :O
    tja, es gibt doch noch ein leben außerhalb taminos!
    ich werde übers wochenende 100x schreiben "du sollst den mund nicht so voll nehmen" ah, nein, geht nicht -ich hab ja keine zeit.


    auch wenn's schnöde ist, kopiere ich frühere beiträge von mir hierher:

    mir gefiel bei einem vergleich von andrew manze:




    franzjosef maier:


    s-l300.jpg



    alice piérot (les veilleurs de nuit):





    john holloway (tragicomedia):




    und gunar letzbor (ars antiqua austria):



    der letzte am besten. er spielt u.a. auf einer sebastian klotz.




    wenn es nur um die passacaglia (sog. 16. oder schutzengelsonate) geht, ist für mich annelie gahl:


    l2001-T_ex581.jpg


    unübertroffen.




    nur so viel: ich liebe dieses werk seit über 30 jahren. auf biber aufmerksam geworden bin ich als jugendlicher durch seine dissonanzen in der schlacht- und in der vögelsonate, welche sich doch wesentlich von der mir damals geläufigen barockmusik -vivaldi, telemann, bach- abgehoben hatten.


    in den frühen 70ern gab es erinnerlich nur eine aufnahme mit eduard melkus, dann kam der franzjosef maier und in den letzten jahren ist das geradezu explodiert: mir fallen mindestens 15 einspielungen ein, interessanterweise sehr internationale und nicht nur mitteleuropäische. leider, und retrospektiv erschrecke ich jetzt, ist es mir noch nie gelungen den zyklus live zu erleben!


    immerhin ist es mir gelungen den villacher tübinger aus sachsen von meiner lieblingseinspielung zu überzeugen, und der traut sich ja immerhin, den nager nominell im panier zu führen...


    rüdiger lotter:



    hat herumgetüftelt und herausgefunden, dass man dem kabbalistischen mysteriengehalt des zyklus' am besten mit 3 violinen gerecht wird.
    marianne ronez:



    verwendet deren 7! (auch eine heilige zahl...)




    das werk wurde übrigens 1905 als band 25 der "denkmäler der tonkunst in österreich" unter guido adler publiziert und ist heute um ca. 50€ in 2 versionen
    zu erstehen.


    :beatnik:


  • Warum? Nur wegen des Instruments?... ;)


    :beatnik:


    Herzlichst,
    Medard

  • na gut, gib du ihn mir halt, den finalstoß, wo ich eh schon beim sterben bin :wacky:


    es ist, wie ich schon mit battalia und sonata repraesentatio avium andeutete, die expressive darstellung, die mir freude macht. und letzbor spielt extrem emotional expressiv.
    als beispiel möchte ich die sonate VII , die geißelung aus dem schmerzensreichen rk anführen. da wird beim 2.teil, der sarabande (track 19), reingedroschen, dass man mitleidet (und sei es nur mit der geige :] ). und bei der vorletzten variation ist das "schmerz, lass nach" auch so nachfühlbar. das heißt nun nicht, dass ich in einer möglichst naturalistischen umsetzung der medaillons das non plus ultra sehe, es ist halt einfach ein klangerlebnis, das mir z.b. heute früh bei 29° die gänsehaut aufziehen liess (das ist jetzt ernst gemeint und keine übliche rhetorische finte ;) ).
    weitere stücke (tracks), auf die ich bei dieser interpretation hinweisen möchte:
    cd1:
    1.son/variatio(2) das glockengeläute [ich bin außer zu freier assoziation zu nichts mehr fähig]
    5.son/praeludium(11) o tannenbaum
    8.son/gigue(21) ein böser reigen um den dornengekrönten
    auf der cd2:
    10.son/praeludium(1) der weckruf
    11.son/sonata(3) das echo
    11.son/surrexit(4) der swing to heaven
    12.son/intrada(6) und aria(7) der militärmarsch
    13.son/sonata(10) ich bin sprachlos...

  • Lieber observator,
    danke für Deine assoziationsreiche und höchst suggesitve Einführung in Letzbors Interpretation - die ich soeben second-hand-mäßig geordert habe (zu einem unverschämten Preis! X( - aber es ist wohl notwendig).
    Meine Vorlieben gingen ja bei den Rosenkranz-Sonaten-Interpretionen bisher eher in Richtung »meditativ/kontemplativ«. Mir scheint das malerische Musizieren dem Charakter der Rosenkranzsonaten (anders naklar als in der Sonata representative oder in der Battalia, die ja expliziert auf Tonmalen angelegt sind) eher entgegenzustehen - hab ich ja im Eingangsposting auch irgendwie begründet. Vielleicht kann Letzbor da ja eine kleine Verschiebung bewirken...


    Nach Deinen Schilderungen würde ich mal vermuten, daß Pierot oder Holloway Dir eher weniger zusagen und Manze (der mir auch zuuuu in sich gekehrt musiziert) gar ziemlich durchfällt...


    Herzlichst,
    Medard

  • Da ich heute seit längerer Zeit (so ca. 7 Tagen) mal wieder die Rosenkranzsonaten laufen habe (diesmal Franzjosef Maier), dachte ich, mal kurz die Skordaturen der einzelnen Sonaten nachzutragen.


    Hier sind sie:


    Sonate I (d-moll): »Den du vom Heiligen Geist empfangen hast«. Stimmung: g – d‘ – a‘ – e‘‘
    Sonate II (A-Dur): Den Du zu Elisabeth getragen hast«. Stimmung: a – e‘ – a‘ – e‘‘
    Sonate III (h-moll): »Den du geboren hast«. Stimmung: h – fis‘ – h‘ – d‘‘
    Sonate IV (d-moll): »Den du im Tempel aufgeopfert hast«. Stimmung: a – d‘ – a‘ – d‘‘
    Sonate V: (A-Dur): »Den du im Tempel wiedergefunden hast«. Stimmung: a – e‘ – a‘ – cis‘‘


    Sonate VI (c-moll): »Der für uns im Garten Blut geschwitzet hat«. Stimmung: as – es‘ – g‘ – d‘‘
    Sonate VII (F-Dur): »Der für uns gegeißelt worden ist«. Stimmung: c‘ – f‘ – a‘ – c‘‘
    Sonate VIII (B-Dur): »Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist«. Stimmung: d‘ – f‘ – b‘ – d‘‘
    Sonate IX (a-moll): »Der für uns das Kreuz getragen hat«. Stimmung: c‘ – e‘ – a‘ – e‘‘
    Sonate X (g-moll): »Der für uns gekreuzigt worden ist«. Stimmung: g – d‘ – a‘ – d‘‘


    Sonate XI (G-Dur): »Der für uns von den Toten auferstanden ist«. Stimmung: g – g‘ – d‘ – d‘‘
    Sonate XII (C-Dur): »Der für uns in den Himmel aufgefahren ist«. Stimmung: c‘ – e‘ – g‘ – c‘‘
    Sonate XIII (d-moll): »Der uns den Heiligen Geist gesandt hat«. Stimmung: a – e‘ – cis‘‘ – e‘‘
    Sonate XIV (D-Dur): »Der dich in den Himmel aufgenommen hat«. Stimmung: a – e‘ – a‘ – d‘‘
    Sonate XV (C-Dur): »Der dich im Himmel gekrönt hat«. Stimmung: g – c‘ – g‘ – d‘‘


    Sonate XVI (g-moll): »Schutzengelsonate« (Passagaglia für Violine solo). Stimmung: g – d‘ – a‘ – e‘‘



    Herzlichst,
    Medard

  • Servus,


    ersteinmal vielen Dank an Medard für die großartige Themeneröffnung! :jubel: :jubel: :jubel:



    Zitat

    Original von observator
    immerhin ist es mir gelungen den villacher tübinger aus sachsen von meiner lieblingseinspielung zu überzeugen, und der traut sich ja immerhin, den nager nominell im panier zu führen...


    Mir sagt die hier schon mehrfach beschriebe meditative Interpretation von Manze und Egarr sehr zu. Für mich ist das das Optimum.


    Was Letzbor und Consorten aus den Rosenkranzsonaten machen, nämlich ein Spektakel sonder gleichen abzuziehen ohne dabei aber inhaltsleer zu werden, das hat mir auch sehr gefallen. Da zeigt sich wieder einmal, dass viele Werke nicht nur auf eine Art "richtig" sind, sondern mehrere Sichtweisen zulassen.


    Die Einspielung von Goebel und seiner Musica Antiqua Köln kenne ich in Teilen, auch hier kann ich schon geschriebenes bestätigen - die Virtuosität steht im Vordergrund. Auch das ist sicher eine legitime Herangehensweise, schließlich war Biber als Violinvirtuose weithin bekannt und gerühmt. Ich finde aber, dass so eine Interpretation zuviel von der Substanz der Sonaten links liegen läßt.


    Schließlich nenne ich noch die Aufnahme von Marianne Ronez und Affetti musicali mein Eigen. Hier kann ich zur Interpretation nicht viel sagen, denn ich habe die Aufnahme nach mehrfachen Anläufen erstmal verbannt. Die Solistin spielt so kratzig und rau, dass mich ihr Spiel nach kurzer Zeit ziemlich nervt.


    Wenn´s mich nach einer weiteren Einspielung dieses Werkes gelüstet, werde ich mit ziemlicher Sicherheit zu Alice Piérot greifen. Die Berichte in diesem Thread und Medards Lobeshymnen an anderen Orten haben mich sehr, sehr neugierig gemacht.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    Da ich heute seit längerer Zeit (so ca. 7 Tagen) mal wieder die Rosenkranzsonaten laufen habe (diesmal Franzjosef Maier), dachte ich, mal kurz die Skordaturen der einzelnen Sonaten nachzutragen.


    Interessant - da stellt sich mir die Frage, wie die Instrumente das eigentlich aushalten. ?(


    Vom Gitarrespielen weiß ich: Wenn man von der Standardstimmung der Saiten abweicht, wird herunter- und nicht heraufgestimmt. Die tiefe E-Saite wird z. B. häufiger auf D heruntergestimmt und die g-Saite auf fis (wenn man Werke spielt, die eigentlich für Laute komponiert sind). Vom Heraufstimmen wird abgeraten, weil die Gefahr steigt, dass die betreffende Saite reisst (was beim Spielen zu bösen Verletzungen führen kann) oder das Instrument Schaden nimmt (Hals verzieht sich, Schalldecke reisst). Ist das bei der Violine grundsätzlich anders?


    Wenn ich mir die Stimmungen so angucke:


    Zitat

    Sonate I (d-moll): »Den du vom Heiligen Geist empfangen hast«. Stimmung: g – d‘ – a‘ – e‘‘


    OK - Standardstimmung, wie heute üblich.


    Zitat

    Sonate II (A-Dur): Den Du zu Elisabeth getragen hast«. Stimmung: a – e‘ – a‘ – e‘‘


    g- und d-Saite um einen Ganzton hoch, die beiden hohen Saiten bleiben in Standardstimmung - da wird das Instrument doch schon ungleichmässig belastet...


    Zitat

    Sonate III (h-moll): »Den du geboren hast«. Stimmung: h – fis‘ – h‘ – d‘‘


    Noch extremer: g- und d-Saite um zwei Ganztöne hoch, a-Saite um einen Ganzton hoch, e-Saite um einen Ganzton hinunter - spätestens jetzt hätte ich als Geiger Angst um mein teures und unersetzbares Instrument.


    Zitat

    Sonate VIII (B-Dur): »Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist«. Stimmung: d‘ – f‘ – b‘ – d‘‘


    Noch extremer - hier wird die g-Saite um eine Quinte hochgestimmt. Und so weiter.


    Meine Frage: Werden bei den Aufnahmen dieser Werke wirklich die vorhandenen Saiten der Standardstimmung entsprechend umgestimmt oder werden die Saiten ausgewechselt, um das Instrument nicht über Gebühr zu belasten? Gibt es hier einen Violinspieler, der sich mit Skordatur auskennt und dazu etwas sagen kann?


    Der Sinn der Skordatur scheint mir in erster Linie leichteres mehrstimmiges (akkordisches) Spiel zu sein: Bei Sonate 2 fehlt nur cis zum Tonika-Dreiklang, bei Sonate 3 und 8 kann er mit den leeren (ungegriffenen) Saiten gespielt werden. Damit wäre Biber der Erfinder der "Open Tunings", die sich heute beim nichtklassischen Gitarrenspiel (Fingerpicking) allgemeiner Beliebtheit erfreuen. :yes:


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Fugato


    Interessant - da stellt sich mir die Frage, wie die Instrumente das eigentlich aushalten. ?(


    Vom Gitarrespielen weiß ich: Wenn man von der Standardstimmung der Saiten abweicht, wird herunter- und nicht heraufgestimmt. Die tiefe E-Saite wird z. B. häufiger auf D heruntergestimmt und die g-Saite auf fis (wenn man Werke spielt, die eigentlich für Laute komponiert sind). Vom Heraufstimmen wird abgeraten, weil die Gefahr steigt, dass die betreffende Saite reisst (was beim Spielen zu bösen Verletzungen führen kann) oder das Instrument Schaden nimmt (Hals verzieht sich, Schalldecke reisst). Ist das bei der Violine grundsätzlich anders?


    Lieber Andreas,
    ich bin zwar kein Violinist und kann daher jetzt nur aus der Lektüre der verschiedensten Booklets und den dortigen Ausführungen referieren bzw. dilletieren... Mit einer modernen Violine könnte man diese Skordaturen anscheinend überhaupt nicht ausführen: Stahlseiten, stärker geneigter Hals, ergo größere Saitenspannung; folglich würde bei solch extremen Verstimmungen nach oben (Quarte oder Quinte) die Seite reißen, der Hals brechen, der Steg splittern, der Korposdeckel springen oder alles zusammen. Anscheinend sind die vorgeschriebenen »Verstimmungen« dagegen bei einer Barockvioline (geringere Halsneigung und Darmbesaitung) aber möglich.


    Zitat

    Meine Frage: Werden bei den Aufnahmen dieser Werke wirklich die vorhandenen Saiten der Standardstimmung entsprechend umgestimmt oder werden die Saiten ausgewechselt, um das Instrument nicht über Gebühr zu belasten? Gibt es hier einen Violinspieler, der sich mit Skordatur auskennt und dazu etwas sagen kann?


    Ja, die Saiten werden tatsächlich umgestimmt, wobei in den verschiedenen Einspielungen, die ich kenne, dennoch teilweise mehrere (bis zu sieben) Instrumente verwendet werden (müßte einmal nachschauen, wer wieviele Intrumente verwendet und warum. Mache ich, wenn ich heute abend nach hause komme). In der einzigen mir bekannten Live-Aufnahme der Sonaten, verwendet der Violinist drei Violinen. Das ist die Einspielung mit Rüdiger Lotter:



    Zitat

    Der Sinn der Skordatur scheint mir in erster Linie leichteres mehrstimmiges (akkordisches) Spiel zu sein: Bei Sonate 2 fehlt nur cis zum A-dur-Dreiklang, bei Sonate 3 und 8 kann er mit den leeren (ungegriffenen) Saiten gespielt werden.


    :hello: Andreas


    Ja, die Erleichterung von Doppel- und Mehrfachgriffen ist ein Grund für die Skordaturen. Ein anderer, ebenso wichter Grund besteht allerdings darin, daß die veränderten Spannungsverhältnisse den Klang der Violine signifikant verändern (aus diesem Grunde verwenden manche Violinisten bei Studioeinspielung eben nur ein einziges Instrument: um die Klangveränderung bei gleichem Material besonders deutlich hörbar werden zu lassen). In der Himmelsfahrtsonate etwa (das ist die XII., Stimmung: c‘ – e‘ – g‘ – c‘‘) erzielt Biber einen tatsächlich fanfarenartigen (zudem beinahe chorisch wirkenden) Klang der Violine.


    Aber vielleicht kann wirklich einmal ein Violinist etwas Fundierteres dazu verlauten lassen.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Moin zusammen,


    jetzt habe ich das hier alles gelesen und bin entsprechend beeindruckt, aber ratloser als wie zuvor.


    Die Göbel-CD habe ich schon lange, aber als einzige Aufnahme der Sonaten. Nun muss man an besagtem Herrn nicht rummeckern, aber manchmal beschleicht einen doch die Angst, dass er seine Stainer (oder was er da traktiert) gleich zersägt hat. :D
    Also sollte eine vielleicht klangschönere, aber keinesfalls leblosere Einspielung her. Aber nach diesen kenntnis-, zu meiner Verwirrung leider aber auch ebenso zahlreichen Nennungen bin ich vollends verwirrt.


    Könnten die Damen und Herren Diskutanten vielleicht zu einem finalen Fazit nebst Ratschlag ausholen?


    Besten Dank
    Hildebrandt

  • Mahlzeit,


    Zitat

    Original von Hildebrandt
    Die Göbel-CD habe ich schon lange, aber als einzige Aufnahme der Sonaten. Nun muss man an besagtem Herrn nicht rummeckern, aber manchmal beschleicht einen doch die Angst, dass er seine Stainer (oder was er da traktiert) gleich zersägt hat. :D


    "(...) wir haben Instrumente, die eigentlich aufs Forte ausgerichtet sind, also die sehr viel Druck und Attacke vertragen, nämlich die Stainer-Instrumente, die hochgewölbten. Manche Leute glauben man sollte Stainers zarter behandeln, ich bin völlig anderer Meinung. Ich sehe auch den barocken Bogen also eher als eine Säge an, denn als ein Instrument mit dem man die Geige streicheln sollte." Reinhard Goebel


    :D



    Und um Hildebrandts Ratlosigkeit noch ein wenig auszubauen, gleich die Frage nach Melkus, den Medard ja bereits erwähnte. Melkus soll ja mal gesagt haben, 'wenn man die Rosenkranzsonaten alle gespielt habe, wisse man anschließend nicht mal mehr seinen eigenen Namen', oder so ähnlich.
    Kennt jemand die Melkus-Einspielung? Zu alt, zu unmodern, zu verstaubt, nicht mehr zeitgemäß, oder doch interessant?


    Nachtrag: das müßte sie sein


    61JV1146Y3L.gif




    :hello:

    "Das ist zeitgenössische klassische Musik. Dann unterstelle ich, daß da kein intellektueller Zugang..."
    Miroslaw Lem, Tenor

  • Lieber Hildebrandt,


    Zitat

    Original von Hildebrandt
    Moin zusammen,


    jetzt habe ich das hier alles gelesen und bin entsprechend beeindruckt, aber ratloser als wie zuvor.


    Die Göbel-CD habe ich schon lange, aber als einzige Aufnahme der Sonaten. Nun muss man an besagtem Herrn nicht rummeckern, aber manchmal beschleicht einen doch die Angst, dass er seine Stainer (oder was er da traktiert) gleich zersägt hat. :D


    :yes:


    Zitat

    Also sollte eine vielleicht klangschönere, aber keinesfalls leblosere Einspielung her. Aber nach diesen kenntnis-, zu meiner Verwirrung leider aber auch ebenso zahlreichen Nennungen bin ich vollends verwirrt.


    Könnten die Damen und Herren Diskutanten vielleicht zu einem finalen Fazit nebst Ratschlag ausholen?


    Besten Dank
    Hildebrandt


    Nun, zwei Einspeilungen sind ja von vier verschiedenen Forianern schon empfohlen worden. Observator und Salisburgensis empfehlen Letzbor, den ich selbst leider noch nicht kenne (aber geordert habe) und der aktuell leider nur gebraucht und zudem etwas teuer ( :motz: ) zu haben ist.


    Mela und ich haben Alice Pierot empfohlen - und diese Einspielung würde ich Dir nochmals nachhaltig ans Herz legen. Es ist mit Abstand die beste Einspielung die ich kenne (das sind inzwischen 10 verschiedene): sie spielt den spirituell-meditativen Charakter der Stücke wundervoll und überaus suggestiv aus und gestaltete die Sonaten dasbei zugleich virtuos-dynamisch. Sie wählt die Tempi für meinen Geschmack sehr teffend (eher moderat aber mit einem deutlich vorwärtsdrängendem Drive), sie hat einen bezaubernd sinnlichen, sehr farbigen Violinenton. Begleitet wird wie von einer (im Kontext der Einspielungen der Rosenkranzsonaten) mittelgroßen Continuo-Gruppe, bestehend aus Viola da Gamba, Theorbe und Claviorganum (letzteres ist ein ziemliches Exotikum: ein - wie ich mir angelesen habe - vion der Frührenaissance bis ins 17. Jahrhundert nicht unübliches Hybridinstrument aus Cembalo und Orgelpositiv - der Klang, indem eben Cembalo und Pfeifenorgel kombiniert sind ist wirklich überaus mysteriös). Die Continuobesetzung gewährleistet eine große Farbigkeit ohne (wie dies etwa bei Bismuth mit seinem Riesen-Continuo der Fall ist) zu einer aufgeblasenen Arpeggiofabrik zu dakadieren oder (wie bei Manze, der sich ausschließlich jeweils von Cembalo oder Orgelpositiv begleiten läßt) arg zurückgenommen, blaß und IMO langweilig zu wirken.


    Also: die Aufnahme mit Alice Pierot und Les Veilleurs de Nuit bietet eine herausragende Interpretation und überaus schlüssiges Klangkonzept. Kann ich aus vollster Überzeugung empfehlen, gehört zu den drei CDs, die ich mit auf häufig beschworene Insel nehmen würde:



    Wenn's billiger sein soll, ist man mit der Einspielung von John Holloway IMO auch in jedem Fall auf der sicheren Seite. Sein Zugriff ähnelt dem von Frau Pierot, wirkt aber - für meinen Geschmack zumindest - etwas abgeklärter, zurückgenommener, weniger sinnlich:



    Wenn man's ganz zurückgenommen haben und den Rosenkranz zuvorderst als liturgische Musik erleben möchte, ganz und gar verinnerlicht und zutieft kontemplativ, dann ist Andrew Manze sicherlich die richtige Wahl. Mir hat seine Interpretation allerdings nicht sooo sehr gut gefallen. Sie stellt gewissermaßen den diametralen Gegenpol zu Goebel dar. Hat sicherlich seine Berechtigung und ist überhaupt nicht schlecht gespielt - im Gegenteil. Nur: Manze liest die Partitur IMO zu »mönchisch«, ja beinahe »zölibatär«. Also: er ist in jedem Fall eheblich weniger lebendig als Goebel und oder Pierot.



    Hoffentlich habe ich ein wenig weiterhelfen können...


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von Gentilhombre


    "(...) wir haben Instrumente, die eigentlich aufs Forte ausgerichtet sind, also die sehr viel Druck und Attacke vertragen, nämlich die Stainer-Instrumente, die hochgewölbten. Manche Leute glauben man sollte Stainers zarter behandeln, ich bin völlig anderer Meinung. Ich sehe auch den barocken Bogen also eher als eine Säge an, denn als ein Instrument mit dem man die Geige streicheln sollte." Reinhard Goebel


    Der Mann ist bewundernswert, denn er kann mit seiner Musik genau das ausdrücken, was er denkt. :D

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Mela und ich haben Alice Pierot empfohlen - und diese Einspielung würde ich Dir nochmals nachhaltig ans Herz legen.


    Mit Erfolg! Und die restliche Beschreibung tut ihr Übriges, besonders die von der Rhythmus-Gruppe. :D
    Variablen und hörbaren B. c. finde ich allemal besser als besagte "Arpeggiofabrik".
    Und Claviorganum ist natürlich Klasse, besonders weil das eine Spezialität in Böhmen und Umgebung war.


    Allerherzlichsten Dank
    Hildebrandt


    (Meine Güte, kostet das ein Geld, wenn man sich auf dieses Forum hier einlässt. :rolleyes: )

  • Zitat

    Original von Gentilhombre


    Und um Hildebrandts Ratlosigkeit noch ein wenig auszubauen, gleich die Frage nach Melkus, den Medard ja bereits erwähnte.


    Melkus? Kenne ich gar nicht... Hab' ich den erwähnt? - Neee, der Observator aus Wien war's. Die Einspielung stammt jedenfalls aus den frühen 1970ern, war wohl überhaupt erst die zweite Einspielung der Rosenkranzsonaten. Zuvor gab' es nur eine Aufnahme aus dem Jahr 1962 mit Susanne Lautenbacher an der Violine (die Aufnahme ist damals bei VOX erschienen und 1996 als VOXBOX nochmals auf CD veröffentlicht worden. Inzwischen gibt es diese Einspielung auch auszugsweise in irgendsoeiner 2,99-CD-Reihe). Frau Lautenbacher hat ihre Sache jedenfalls für die damalige Zeit gar nicht schlecht gemacht. Ich habe den »Rosenkranz« in ihrere Einspielung kennen gelernt - und höre diese Aufnahme auch aus Nostalgie-Gründen hin und wieder. Kann aber mit den Einspielungen neueren Datums nicht mithalten.


    Hm, jetzt habe ich Melkus allerdings gar nichts sagen können (noch 'ne Einspielung, die ich mir wohl mal besorgen muß :wacky: ) ....


    Herzlichst,
    Medard

  • Lieber Medard,


    Eduard Melkus war damals ein bekannter HIP-Interpret (oder Vorläufer???). Er dirigierte oft die "Capella Accademica Wien". Wenn ich mich nicht irre, sind die Aufnahmen von Ingrid Haebler auf Hammerklavier von HK-Konzerte von J.Ch. Bach (3 LPs) sowie die erste vier H/KK-Konzerte von Mozart mit Capella Academica unter Melkus aufgenommen. Erschienen bei Philips.


    Aufnahmen mit Melkus sind jedenfalls die Mühe wert.


    LG, Paul

  • Der 1928 geborene Melkus zählt zu den Pionieren der "HIP-Bewegung" und seine (ich glaube 1962) entstandene Einspielung der Rosenkranz-Sonaten hat für mich, trotz reichlich Konkurrenz, noch immer Referenzcharakter.


    Melkus scheint sich ganz in Bibers Klang-Kosmos zu versenken, die emotionale aber sicher auch die theologische Deutung der Werke ist ihm wichtig. Man empfindet bei seinem Spiel die Schmerzen Mariae beim Anblick ihres Sohnes beinahe körperlich. Es mag Aufnahmen geben, die brillianter (Goebel), spielfreudiger (Manze) oder "durchdachter" (Holloway) sind; an die Verinnerlichung und Emotionalität eines Eduard Melkus reicht keine von diesen heran. :jubel: :jubel: :jubel:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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