BWV 174: Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte
Kantate zum Pfingstmontag (Leipzig, 6. Juni 1729)
Lesungen:
Epistel: Apg. 10,42-48 (Schluss der Petrus-Predigt vor Cornelius; der Heilige Geist kommt auch auf die Heiden; Taufe der Heiden)
Evangelium: Joh. 3,16-21 (Also hat Gott die Welt geliebt)
Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 23 Minuten
Textdichter: Picander (Christian Friedrich Henrici [1700-64]), Dichtung von 1728
Choral: Martin Schalling (1569)
Besetzung:
Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Oboe da caccia, Horn I + II, Solo-Violine I-III, Solo-Viola I-III, Solo-Violoncello I-III, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Sinfonia (G-Dur) Oboe I + II, Oboe da caccia, Horn I + II, Solo-Violine I-III, Solo-Viola I-III, Solo-Violoncello I-III, Streicher, Continuo
2. Aria Alt, Oboe I + II, Continuo
Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte,
Er hat mich auch am höchsten lieb.
Gott allein
Soll der Schatz der Seelen sein.
Da hab’ ich die ewige Quelle der Güte.
3. Recitativo Tenor, Solo-Violine I-III, Solo-Viola I-III, Continuo
O! Liebe, welcher keine gleich!
O! unschätzbares Lösegeld!
Der Vater hat des Kindes Leben
Vor Sünder in den Tod gegeben
Und alle, die das Himmelreich
Verscherzet und verloren,
Zur Seligkeit erkoren.
Also hat Gott die Welt geliebt!
Mein Herz, das merke dir,
Und stärke dich mit diesen Worten;
Vor diesem mächtigen Panier
Erzittern selbst die Höllenpforten.
4. Aria Bass, Streicher, Continuo
Greifet zu!
Fasst das Heil, ihr Glaubenshände!
Jesus gibt sein Himmelreich
Und verlangt nur das von euch:
Gläubt getreu bis an das Ende!
5. Choral SATB, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
Herzlich lieb hab’ ich dich, o Herr!
Ich bitt’, wollst sein von mir nicht fern
Mit deiner Hülf’ und Gnaden.
Die ganze Welt erfreut mich nicht,
Nach Himm’l und Erden frag’ ich nicht,
Wenn ich dich nur kann haben.
Und wenn mir gleich mein Herz zerbricht,
So bist du doch mein Zuversicht,
Mein Heil und meines Herzens Trost,
Der mich durch sein Blut hat erlöst.
Herr Jesu Christ,
Mein Gott und Herr, mein Gott und Herr,
In Schanden lass’ mich nimmermehr!
Der Text dieser Kantate stammt aus Picanders Kantatenjahrgang von 1728 und ist von Bach direkt bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, also zu Pfingsten 1729, vertont worden (für mich ein Zeichen dafür, wie sehr er die Dichtungen Picanders geschätzt hat).
Charakteristisch für Bachs Kantatenkompositionen der zweiten Hälfte der 1720er Jahre ist die häufig vorkommende Einleitung der Kantate mit einem umfangreichen Konzertsatz (als Sinfonia betitelt), der wiederum meist aus seiner Zeit als Hofkapellmeister in Köthen (1717-23) stammt. In den Kantaten BWV 146 und BWV 156 ist er beispielsweise ähnlich verfahren.
Offenbar gab es für Bach in diesem Zeitraum die Möglichkeit, auf ein leistungsfähiges Instrumentalensemble zurückzugreifen, das in der Lage war, nicht nur die Gesangsdarbietungen der eigentlichen Kantate zu begleiten, sondern eben auch ausgewachsene Konzertsätze zum Besten zu geben. Für Bach war dies sicher eine willkommene Gelegenheit, einige seiner älteren Konzertsätze auch einmal dem Leipziger Publikum präsentieren zu können.
Die hier besprochene Kantate leitet Bach nun mit dem auch für unsere heutigen Ohren äußerst bekannten 1. Satz seines Brandenburgischen Konzerts Nr. 3 ( BWV 1048 ) ein.
Ursprünglich für reines Streichensemble (plus Continuo-Gruppe) komponiert, erweitert Bach den Satz für seine Kantaten-Sinfonia um 2 Hörner und 3 Oboenstimmen. Außerdem ergänzt er die Continuo-Stimmen und die des begleitenden Streichensembles, so dass sich der allgemein bekannte Satz nun in ganz neuer Form präsentiert:
Die ursprünglichen 3 Streicherstimmen der Original-Version des 3. Brandenburgischen Konzerts werden nun den übrigen, neu hinzugekommenen Instrumenten (Bläser plus Streicher) gegenübergestellt - diese fantasie- und anspruchsvolle Erweiterung des Orignal-Satzes erlaubt beim Vergleichen einen aufschlussreichen Blick in Bachs Komponierwerkstatt!
Durch diesen doch sehr dominant-prominenten Einleitungssatz läuft der Rest der eigentlichen Kantate allerdings Gefahr, etwas in Hintertreffen zu geraten.
Bach schafft einen wirkungsvollen Gegensatz zum Vorangegangenen, indem er die weiteren Sätze musikalisch wesentlich einfacher und schlichter gestaltet.