Verfall der polyphonen Meisterschaft: Palestrina - Bach - Mozart

  • Man liest oft, Fugati aus der Zeit der Wiener Klassik erlaubten nicht mehr kontrapunktische Höhenflüge wie zur Zeit Bachs, auch wird die perfekteste Realisation von Polyphonie in die Zeit der Renaissance datiert. Dies entspricht meinem Weltbild, dass jede Epoche gleichzeitig gegenüber der vorherigen neue Qualitäten entwickelt aber auch alte verliert.


    Nun bin ich kürzlich mit Vertretern eines anderen Weltbildes in die Haare geraten und habe daraufhin mich gesammelt und ein paar Noten hervorgekramt sowie mir die Begriffe überlegt und bin zur Bestätigung meines Weltbildes gekommen.
    :baeh01:


    Was kann also bedeuten, die polyphone Meisterschaft in der Klassik könne der älteren das Wasser nicht reichen? Inwiefern kann ein Stück in Bezug auf die polyphone Setzart meisterlicher sein als ein anderes? Was ist Polyphonie?


    Klassischerweise bedeutet Polyphonie, dass mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen, die autonom sind, aber dennoch bestimmte Regeln des Zusammenklangs befolgen (vor allem Regeln betreffend der Vorbereitung und Auflösung von Dissonanzen, die insbesondere streng sind, wenn die Dissonanz auf einen betonten Moment fällt).


    Was geht nun von Palestrina über Bach bis Mozart den BACH runter? Die Regeln, welche den Zusammenklang betreffen, wandeln sich zwar ein wenig, sind aber wohl kaum Ursache davon, dass man von Niedergang sprechen kann. Also muss es an den Stimmen, ihrer Autonomie oder Qualität liegen.


    Nun nehme man zur Beurteilung EINE EINZELNE STIMME des Benedictus der Missa Papae Marcelli, EINE EINZELNE STIMME der 2. Fuge des wohltemperierten Klaviers und EINE EINZELNE STIMME der Schlussfuge in der Coda der Jupitersymphonie her (Stücke können natürlich durch andere ersetzt werden, sind aber als Höhepunkte angesehen).


    Ich habe mir jeweils die oberste Stimme genommen und am Klavier vorgespielt - und zwar von vorne bis hinten. Das war eine Offenbarung.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Man liest oft, Fugati aus der Zeit der Wiener Klassik erlaubten nicht mehr kontrapunktische Höhenflüge wie zur Zeit Bachs, auch wird die perfekteste Realisation von Polyphonie in die Zeit der Renaissance datiert. Dies entspricht meinem Weltbild, dass jede Epoche gleichzeitig gegenüber der vorherigen neue Qualitäten entwickelt aber auch alte verliert.


    Servus KSM,


    rein gefühlsmäßig würde ich deiner These zustimmen, bin aber weder Komponist noch Musikwissenschaftler, um das anhand von Partituren zu überprüfen oder gar anhand dessen darzulegen zu können. Bei mir geht das ausschließlich nach dem Höreindruck. Daher würde mich sehr interessieren, wenn du dieses:


    Zitat

    Ich habe mir jeweils die oberste Stimme genommen und am Klavier vorgespielt - und zwar von vorne bis hinten. Das war eine Offenbarung.


    konkretisieren würdest. Beispielsweise was dir so offenbar geworden ist.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo KSM!


    Deine These deckt sich mit den Aussagen von Arnuf Feil, wenn ich das recht in Erinnerung habe.


    In seiner Musikchronologie bezeichnet er die Musik nach Bach als polyphones Nachspiel und schon nach Palestrina hätte man den Zenit polyphonen Komponierens überschritten. (Ich schaue noch mal sicherheitshalber nach, aber so i etwa kommt die Aussage hin).


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Daher würde mich sehr interessieren, wenn du dieses:


    konkretisieren würdest. Beispielsweise was dir so offenbar geworden ist.


    Danke für die Nachfrage, ich wollte erst mal sehen, ob das überhaupt jemanden interessiert, bevor ich konkreter werde.


    Freilich ist die Beschreibung der Mängel schwieriger, als der extreme Eindruck, den das Vorspielen der einzelnen Stimme (von vorn bis hinten!) hervorruft.


    In der Bachschen Fuge bildet die einzelne Stimme von vorne bis hinten einen Fluss. Abwechselnd erklingt das Fugenthema respektive erklingen daraus abgeleitete Passagen (wie Sequenzen abgespaltener Tongruppen) oder Passagen aus neuem Material, die zum Beispiel Aufschwung und Bewegung in die Stimme bringen. Das Entscheidende ist, dass nirgends komische Brüche oder mißlungene Anstückungen zu bemerken sind.


    Letzteres fällt einem auf, wenn man danach die 1. Violine aus Mozarts Schlussfuge spielt. Diese Stimme besteht aus prägnanten Motiven (in Analogie resp. als Verweis auf die barocke Form der Fuge), an diese Motive schließen aber keine Fortspinnungen nahtlos an, sondern die Motive bleiben isoliert stehen, es folgt ein Takt Pause und dann ein anderes derartiges Motiv - aber so darangeklebt, dass ganz klar ist, dass die Stimme im Zusammenspiel nun einen wirkungsvollen Einsatz hat, dass dieser Einsatz aber der Einbindung in das, was die Stimme zuvor gespielt hat, völlig entbehrt. Es entsteht in der einzelnen Stimme also ein "Fleckerlteppich", der für sich allein komplett unmusikalisch ist. Das betrifft auch die (einzige) Sequenz, die nicht wie bei Bach in Schritten abwärts marschiert sondern IRGENDWOHIN stürzt - soll heißen, die transformierte Wiederholung findet auf einer Tonstufe statt, die im Zusammenhang mit dem, was davor war, einfach falsch wirkt. Und sonst gibt es keine musikalisch überzeugenden Passagen mit neuem Material sondern eine kurze "Verlegenheitslösung" in der ein paar Viertel einem der prägnanten Motive vorangehängt werden, wobei diese Viertelbewegung nach der obligaten Pause davor aber völlig in der Luft hängt und sich nicht aus dem vorigen Verlauf der Stimme motivieren kann.


    Ich würde soweit gehen zu sagen, dass dieses Fugato nur eine Hommage an die große Zeit der Polyphonie ist, ein wirkungsvoller Handwerksspaß zur würdigen Überhöhung einer klassischen Symphonie, die ihre Qualitäten ganz wo anders hat.
    :hello:

  • Wulf:


    Zitat

    und schon nach Palestrina hätte man den Zenit polyphonen Komponierens überschritten


    Was an vielen Musikbeispielen aus der Zeit, vor allem der aufkommenden Monod(t)onie problemlos zu belegen ist. :D


    Andereseits gibt es jedoch auch in der "nach-praetestenensischen" Ära immer wieder Einzelbeispiele, die die These zu widerlegen scheinen:


    Ich picke hier einmal WILLKÜRLICH 3 heraus:


    1.Heinrich Schütz:Christe fac, ut sapiam. aus: Zwölf geistliche Gesänge. Werkverzeichnis: SWV 431 (op. 13 no. 12). Kompositionsjahr: 1657
    Eines der bewegendsten Stücke im Palestrina-Styl NACH Palestrina !
    (Klangbeispiel leider nicht verfügbar, da noch NIE offiziell eingespielt ! X(


    (Salisburgensis kennt das Werk auch vom Hören ! :D ?


    2. Domenico (!) Scarlatti: Stabat Mater á 10 v. mit b.c.
    Einer der einsamen Gipfel abendländischer Chorpolyphonie übehaupt und in div. Einspielungen verfügbar ! Kein Wunder, daß der Komponist nach DIESEM
    Werk nur noch kleine Cembalosonätchen komponieren konnte, was jetzt keine Polemik gegen "kurze Stücke" sein soll !


    3. Hugo Distler: (1908-1942)
    Motette "Ich wollt, daß ich daheime wäre" nach Heinrich von Laufenberg (1400)
    Lässt Pärt und div. Gegenwarts-Zeitgeistler uralt aussehen und verweist jene mit Recht auf die "hinteren Plätze"!

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Hugo Distler[...]
    [...]Pärt[...]


    Von Polyphonie ohne Regeln bezüglich des Zusammenklangs wollte ich hier nicht zu sprechen kommen. Das ist eine andere Liga und eigentlich etwas grundlegend anderes als die alte Polyphonie.
    :hello:

  • Die Polyphonie Distlers ist KEINESFALLS regellos, was aber demnächst von mir in einem eigenen thread kommt, aber dafür gibt es genügend leicht erreichbare Beispiele.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Ich muß gestehen, von Palestrina nichts oder praktisch nichts zu kennen.
    Aber ich halte die gesamte Überlegung für etwas bizarr und eine seltsame Anwendung pseudobjektiver Maßstäbe. (Obendrein frage ich mich, ob der erste Satz von Mozarts Requiem oder das Cum sancto spiritu aus der c-moll-Messe auch als derartiger "Niedergang" gewertet würden).


    Dass sich in 200 oder 250 Jahren ziemlich viel ändert, auch wenn einige Techniken beibehalten werden, ist trivial. Gerade das Finale der Jupitersinfonie zielt ja keineswegs darauf Palestrina zu imitieren.
    Es ist hier von vornherein klar, dass alle Themen "Versatzstücke" aus der Bausteinkiste mit minimalem Eigencharakter, dazu größtenteils in sehr eckigen 4+4 o.ä. Phrasen sind. Daher lassen sie sich so leicht kombinieren und aufeinandertürmen. Ein Fluß, fast ohne Zäsuren und Kontraste (so höre ich als Laie einen großen Teil der mir bekannten Renaissancepolyphonie, oft sogar so "statisch", dass "Fluß" die falsche Metapher ist) steht einem klassischen Sinfoniefinale natürlich diametral entgegen. Außerdem wird das durch die klassische Funktionsharmonik und die Phrasenstruktur vermutlich unmöglich gemacht. Für Mozart ist selbst in einem Satz, der auch als Demonstration kontrapunktischer Satztechnik gedacht sein mag, die Polyphonie nur eins von mehreren Organisationsprinzipien, und trotz ihrer Dominanz hier, in gewisser Weise den beiden anderen genannten untergeordnet.


    (wir würden ja auch nicht sagen: "Niedergang der Funktionsharmonik: Mozart Wagner - Debussy - Schönberg" oder so was)


    Der "tiefere" Sinn der vielen fugati etc. in klassischen Sinfonien ist m.E. in erster Linie Steigerung der Bewegungsenergie und Verdichtung der musikalischen Ereignisse, aber immer natürlich recht kurzfristig. Höchstens in zweiter Linie Demonstration handwerklichen Könnens.


    Welche Stellen Du mit "angestückelt" meinst, würde mich allerdings interessieren (Taktzahlen)


    Es gibt jedenfalls schon bei Bach Sätze, die eine Verbindung von Polyphonie und konzertantem Stil eingehen, die vermutlich für den reinen Palestrinianer als "Niedergang" wirken könnten, z.B. die Finalsätze des 3. und 5. Brandenburgischen Konzerts.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Salut,


    also gerade Bachs "Fugen" für Solovioline empfinde ich praktisch nicht als echte Fugen, da es hier intrumental-technisch bedingt auch überhaupt gar nicht geht. Wenn's anfängt, wirklich interessant zu werden, setzt Bach auch nur noch achtel Noten [und Pausen :D ], nur damit es um der "Fuge" Willen auch noch vierstimmig ist bzw. bleibt.


    :no:


    Das is' doch keine Fuge, Leute... :D Aber dennoch ein wunderbares Werk, kontrapunktisch punktiert.


    Zitat


    Letzteres fällt einem auf, wenn man danach die 1. Violine aus Mozarts Schlussfuge spielt.


    Ich kenne eigentlich kein Werk Mozarts mit bewußter "Schlußfuge". Falls Du auf die Sinfonie C-Dur KV 551 anspielst - das ist ein Fugato; das sagt bereits alles. Ein Fugato ist mit einer Fuge überhaupt nicht vergleichbar. Wenn Du solches in der vollendetsten Form der Musik [ = Klassik :D - sorry, ich hab das nicht definiert] suchst, greife zu KV 546. Da findest Du den gewünschten Fluss [oder Bach].


    Ach ja, Bach: Meine beinahe Traumfuge ist BWV 853 - da passt einfach [fast] alles: Das Thema, die vielen Quinten, der Fluss [es gibt (ohne Notenwertung) lediglich 23 Pausen im Stück] - was einzig fehlt, ist die vierte Stimme. :D


    Gemessen an den insgesamt 87 x 3 Takten von BWV 853 gibt es dort insgesamt 12,625 Takte Pause [das wären: 4,84 %]. Bei auftaktigen Ductus müsste die Statistik entsprechend korrigiert werden.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es ist hier von vornherein klar, dass alle Themen "Versatzstücke" aus der Bausteinkiste mit minimalem Eigencharakter, dazu größtenteils in sehr eckigen 4+4 o.ä. Phrasen sind. Daher lassen sie sich so leicht kombinieren und aufeinandertürmen. Ein Fluß, fast ohne Zäsuren und Kontraste (so höre ich als Laie einen großen Teil der mir bekannten Renaissancepolyphonie, oft sogar so "statisch", dass "Fluß" die falsche Metapher ist) steht einem klassischen Sinfoniefinale natürlich diametral entgegen. Außerdem wird das durch die klassische Funktionsharmonik und die Phrasenstruktur vermutlich unmöglich gemacht. Für Mozart ist selbst in einem Satz, der auch als Demonstration kontrapunktischer Satztechnik gedacht sein mag, die Polyphonie nur eins von mehreren Organisationsprinzipien, und trotz ihrer Dominanz hier, in gewisser Weise den beiden anderen genannten untergeordnet.


    (wir würden ja auch nicht sagen: "Niedergang der Funktionsharmonik: Mozart Wagner - Debussy - Schönberg" oder so was)


    Der "tiefere" Sinn der vielen fugati etc. in klassischen Sinfonien ist m.E. in erster Linie Steigerung der Bewegungsenergie und Verdichtung der musikalischen Ereignisse, aber immer natürlich recht kurzfristig. Höchstens in zweiter Linie Demonstration handwerklichen Könnens.


    Danke für die Ergänzungen und die Erläuterung des Zwecks dieses "Verfalls". Darum ging es mir ja im Wesentlichen, nämlich, dass das Ablösen einer spezifischen Qualität durch eine andere nicht zuläßt, dass man im Endeffekt sagt, jede Epoche sei eine "Verbesserung" der vorherigen, da sie alles, was die vorherige könne, auch kann und noch etwas neues dazu.


    "Verfall" und "Niedergang" sind vielleicht irreführende Formulierungen, aber natürlich ist meine Formulierung genau als Analogie zum Niedergang der Funktionsharmonik gedacht - die bei Schönberg einfach kaputt geht, das sollte außer Frage stehen.


    Taktzahlen sind überflüssig, da im Fugato die einzelnen Stimmen (wie Du ohnehin beschrieben hast) ausnahmslos eckige Versatzstücke zum besten geben. Im Kontext der Symphonie eine spannende, von mir aus sogar geniale Stelle, aber kein "Beleg" für "polyphone Meisterschaft" sondern das Gegenteil davon, nämlich der Beweis, dass in der Klassik "polyphone Meisterschaft" aus musikgeschichtlichem Grunde einfach "nicht mehr geht". (Vielleicht ist es Dir lieber, wenn ich diverse Formulierungen wieder unter Anführungszeichen setze.)
    :hello:

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Gemessen an den insgesamt 87 x 3 Takten von BWV 853 gibt es dort insgesamt 12,625 Takte Pause [das wären: 4,84 %]. Bei auftaktigen Ductus müsste die Statistik entsprechend korrigiert werden.


    Hallo Ulli,


    es geht nicht um die Gesamtlänge der Pausen (davon gibt es bei Palestrina auch genug), sondern um die Eigenständigkeit der einzelnen Stimme, um die Einzelstimme als "perfektes" Kunstwerk, das (eventuell verblüffenderweise) mit genauso eigenständigen "perfekten" Stimmen "harmonisch" (im Sinne von Dissonanzbehandlung) zusammen klingen. Dass solche Qualitäten von Musikliebhabern, die keine Renaissancemusik hören, höchstwahrscheinlich nicht ausreichend gewürdigt werden können, ist natürlich selbstverständlich. Demzufolge halten diese dann Fugati bei Mozart (z.B. Jupitersymphonie) für Höhepunkte der Polyphonie.


    Es geht mir natürlich nicht darum, Mozart abzuwerten, sondern dem Irrtum entgegenzutreten, dass die spezifischen Qualitäten der Klassik nicht durch Verlust z.B. polyphoner Qualitäten erkauft worden sind.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Aber ich halte die gesamte Überlegung für etwas bizarr und eine seltsame Anwendung pseudobjektiver Maßstäbe.


    Dann hast Du was mißverstanden. Die "pseudoobjektiven Maßstäbe" sind eine Abstrahierung der Qualitäten einer spezifischen Stileigenschaft, die beim Aufkommen der nächsten Epoche verdrängt - oder bis zur Unkenntlichkeit verbogen wurden.


    Funktionsharmonik als Durchhörbares, Formbildendes ist ebenfalls so ein "pseudoobjektiver Maßstab" oder eher eine spezifische Stileigenschaft, die in der Zwölftonmusik z.B. natürlicherweise nicht mehr zu finden ist. Das erkennt man freilich leicht, dem wird niemand widersprechen. Aber bei der strengen Polyphonie hört man (leider) nicht auf den ersten Blick, wieso diese bei Mozart nicht mehr im Sinne der alten Meister vorhanden ist.


    Und aus dieser Blindheit resultieren dann BIZARRE Überlegungen, wie dass die Klassik und frühe Romantik der Höhepunkt der Musikgeschichte sei, dass alles davor nur Vorbereitung sei, dass alle älteren Qualitäten in der Klassik verlustlos aufgegangen seien und dass ab 1850 der Verlust der Kunst im Generellen zu beklagen sei, dass (eine in der Regel als Begriff falsch verstandene) Tonalität naturgesetzmäßig und (nachdem die Klassiker sie so richtig "entdeckt" hatten) zu befolgen sei und deren Verlust das Ende der Kunst etc. etc.

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Wulf:


    Was an vielen Musikbeispielen aus der Zeit, vor allem der aufkommenden Monod(t)onie problemlos zu belegen ist.


    Das bin ich noch schuldig. Aber damits schön schwierig ist, muss man natürlich Palestrina und Bach nehmen.


    Hier kann man wohl nur von einer sehr "sachten" Einbuße reden - von einer kleinen Gewichtungsverlagerung verglichen zu der sehr großen in meinem vorigen Beispiel.


    Notwendigerweise muss man die besonderen Qualitäten einer Einzelstimme erkennen, wie sie uns Palestrina z.B. im Benediktus der Missa Papae Marcelli serviert. Ich empfehle, die Noten auszudrucken (gratis im Web bei Choralwiki) und die Stimmen selber zu singen.


    Ich behaupte mal, dass diese Stimmen perfekte, ausgewogene Gebilde sind. Oft beginnen sie mit maximalen Notenwerten, beschleunigen sich nicht systematisch sondern abwechslungsreich ausgewogen mit als Girlanden oder als wirkliche Passagen zu verstehenden Viertelbewegungen - um sich wieder zu beruhigen und abzuschließen. Dieser rhythmischen Gestaltung entspricht eine der Tonhöhen: Oft allmählich ansteigend - abermals nicht systematisch, sondern mit Umspielungen oder Vorwegnahmen, die dazu dienen, Appetit auf den übergangenen Ton zu wecken, der dann nachgereicht wird, mit einer Kadenz befestigt (als Ausgleich zum Übergangenwerden). (Das war der Beginn der Oberstimme des Benedictus.)


    Bei einer Bachfuge (also dem Höhepunkt spätbarocker Polyphonie), ist an die Stelle der geschilderten Qualitäten ein prägnantes Fugenthema getreten, das durch implizit mitgehörte Harmoniefolgen geprägt ist (bei Nr. 2 des wohltemperierten Klaviers c-moll, f-moll, c-moll, ein Verminderter und wieder c-moll), was durch eine latente Zweistimmigkeit dieses einstimmigen Themas erreicht wird (man kann die höhere als die Töne, die das c umspielen ansehen, die andere definiert dann eine Quart tiefer, ob gerade c-moll oder f-moll der Fall ist). Diese "Vertikalisierung" der Einzelstimme ist zwar ein Gewinn im Hinblick auf die Harmoniefolgen und deren Bedeutung (150 Jahre Generalbass sind quasi ins Blut gegangen), aber die oben geschilderten Qualitäten einer quasi völlig autonomen Stimmgestaltung gehen durch die Vertikalorientierung (die bei Bach ein gewisses maschinelles Pulsieren des Gesamteindrucks oftmals ergeben) verloren.


    So, jetzt hab ich mich echt bemüht, ohrfeigt mich nicht gar zu arg!
    :D

  • Zitat

    Original von Ulli
    Wenn Du solches in der vollendetsten Form der Musik = Klassik suchst ...


    Das ist dann vielleicht der Schlüssel, wodurch denn nun die Einbuße an "funktionsharmonischer Qualität" gerechtfertigt oder bedingt ist (so wie zuvor grob gesagt der polyphone Verfall durch Gewinn an funktionsharmonischer Qualität gerechtfertigt und bedingt war): Diese verschiedenen Formen der "Vollendung" (Palestrina für Polyphonie, Mozart für funktionsharmonische Formabläufe) werden als "klassisch" bezeichnet, weil man selbst nicht mehr "klassisch" sondern eher "originell" sein will. Die Wiener Klassik trifft dann diese Bezeichnung quasi per Zufall, da sie die letzte "klassische" Phase ist. Durch das Aufwerten der Eigenständigkeit und das Abwerten der gemeinschaftlichen Qualitäten entsteht der unklassische Stilpluralismus, der nur mehr die Instanz der musikgeschichtlichen Entwicklung zuläßt und somit zur neuen "klassischen" Qualität wird.


    Ich würde sagen, dass ich erst jetzt ein wenig spekulativ oder von mir aus bizarr geworden bin, alles bisherige war eigentlich nur "klassische" Musiktheorie.
    ;)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Hallo Ulli,


    es geht nicht um die Gesamtlänge der Pausen (davon gibt es bei Palestrina auch genug), sondern um die Eigenständigkeit der einzelnen Stimme, um die Einzelstimme als "perfektes" Kunstwerk, das (eventuell verblüffenderweise) mit genauso eigenständigen "perfekten" Stimmen "harmonisch" (im Sinne von Dissonanzbehandlung) zusammen klingen.


    Hallo KSM,


    die rechnerische Ermittlung des Verhältnisses Pausen/Gesamtlänge stellt ja genau das von Dir Geschriebene dar.


    Zitat


    Dass solche Qualitäten von Musikliebhabern, die keine Renaissancemusik hören, höchstwahrscheinlich nicht ausreichend gewürdigt werden können, ist natürlich selbstverständlich. Demzufolge halten diese dann Fugati bei Mozart (z.B. Jupitersymphonie) für Höhepunkte der Polyphonie.


    Die J ist für mich sicher kein Höhepunkt der Polyphonie [dafür einer der Symphonie]! Erstgenannten findest Du m. E. [wie gesagt] bei KV 546...


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    die rechnerische Ermittlung des Verhältnisses Pausen/Gesamtlänge stellt ja genau das von Dir Geschriebene dar.


    Nein, ich schrieb:

    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    sondern die Motive bleiben isoliert stehen, es folgt ein Takt Pause und dann ein anderes derartiges Motiv - aber so darangeklebt, dass ganz klar ist, dass die Stimme im Zusammenspiel nun einen wirkungsvollen Einsatz hat, dass dieser Einsatz aber der Einbindung in das, was die Stimme zuvor gespielt hat, völlig entbehrt. Es entsteht in der einzelnen Stimme also ein "Fleckerlteppich"


    Bei Palestrina und Bach entsteht trotz der Pausen kein Fleckerlteppich. Man kann auch nach Pausen die Stimmen weiterführen (bei meinem Bach-Beispiel - 2. wohltemperierte Fuge - sind sogar Pausen als Bestandteil der Sequenz vorhanden - Takte 17-19 - was eine maximal mögliche Einbindung wäre) und nicht hart etwas unzusammenhängend neues bringen.


    Das Beispiel Jupitersymphonie habe ich gewählt, da in der Diskussion (am Wirtshaustisch) dieses Beispiel mir entgegengehalten wurde.

    Zitat

    Die J ist für mich sicher kein Höhepunkt der Polyphonie [dafür einer der Symphonie]! Erstgenannten findest Du m. E. [wie gesagt] bei KV 546...


    Wow, echt kurioses Stück (hab mir eine der Fugenstimmen im inneren Ohr vorgepfiffen, reichlich "holperig"). Ein näheres Analysieren tu ich mir aber erst an, wenn Du meinen (gesamten) obigen Text etwas genauer liest, und nicht nur lapidar behauptest, ich würde Pausen zählen.
    :no:
    :D
    :hello:
    PS: Johannes hat mit der Kyrie-Fuge aus Mozarts Requiem schon einen gewichtigeren Beitrag Mozarts genannt, der wohl bezüglich der genannten Aspekte irgendwo zwischen der Bach-Fuge und dem Jupiter-Fugato anzusiedeln wäre.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Inwiefern kann ein Stück in Bezug auf die polyphone Setzart meisterlicher sein als ein anderes?


    Genau das ist die Frage - welchen Maßstab legt man hier an?


    Zitat

    Klassischerweise bedeutet Polyphonie, dass mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen, die autonom sind, aber dennoch bestimmte Regeln des Zusammenklangs befolgen


    Das ist im Grunde genommen schon ein Widerspruch in sich, denn eine Stimme, die Rücksicht auf den Zusammenklang nimmt, ist nicht mehr autonom.


    Es gibt ja diese Anekdote von Max Reger, der über einen Jahrmarkt ging, aus allen Himmelsrichtungen die Jahrmarktsorchester hörte (die natürlich völlig unterschiedliche Stücke spielten) und dann ausgerufen haben soll: "Das ist wahre Polyphonie!" Maximale Autonomie - das ist sicherlich nicht das, was allgemein als meisterlich bezeichnet wird.


    Meisterlich ist es, sozusagen die Quadratur des Kreises zu schaffen und trotz Rücksichtnahme auf den Zusammenklang den Stimmen maximale Autonomie zu geben.


    Zitat

    Was geht nun von Palestrina über Bach bis Mozart den BACH runter? Die Regeln, welche den Zusammenklang betreffen, wandeln sich zwar ein wenig, sind aber wohl kaum Ursache davon, dass man von Niedergang sprechen kann.


    Da bin ich mir nicht so sicher: Je fremder die Regeln des Zusammenklangs für den heutigen Hörer erscheinen, desto weniger überzeugend wirkt die Rücksichtnahme auf den Zusammenklang. Bei Palestrina gibt es Stufenharmonik ohne Kadenzen; deren Funktion übernehmen feste melodische Wendungen (Klauseln). Bei Bach gibt es im wesentlichen schon die Funktionsharmonik, durch die auch heute noch unsere Hörgewohnheiten geprägt sind, und deswegen ist Bachs Polyphonie für uns besonders überzeugend.


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Bei Palestrina und Bach entsteht trotz der Pausen kein Fleckerlteppich.


    Na also: Bei Mozart auch nicht. Reden wir nicht über Geschmack?


    Zitat

    Wow, echt kurioses Stück (hab mir eine der Fugenstimmen im inneren Ohr vorgepfiffen, reichlich "holperig").


    Schon wieder Geschmack... Was wäre dann BWV 889 für eine Stotterfuge!?


    Zitat

    Ein näheres Analysieren tu ich mir aber erst an, wenn Du meinen (gesamten) obigen Text etwas genauer liest, und nicht nur lapidar behauptest, ich würde Pausen zählen.


    Wo hab ich das behauptet?


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Dann hast Du was mißverstanden. Die "pseudoobjektiven Maßstäbe" sind eine Abstrahierung der Qualitäten einer spezifischen Stileigenschaft, die beim Aufkommen der nächsten Epoche verdrängt - oder bis zur Unkenntlichkeit verbogen wurden.


    Das "bis zur Unkenntlichkeit" würde ich entschieden bestreiten. Die grundlegenden Regeln und Techniken, die aus Palestrina abgeleitet und in Lehrbüchern niedergelegt wurden haben die Klassiker alle noch genau so gelernt, aber halt flexibel umgesetzt.
    Deine Überlegung ist sicher völlig richtig, wenn man unter "Polyphonie" nur die des Palestrina-Stils versteht. Aber dann ist sie auch ein wenig trivial. ;) Normalerweise wird Polyphonie aber allgemeiner gebraucht, so dass sowohl ein Stück von Dufay, das über hundert Jahre vor Palestrina entstand, eins von Bach, Mozarts Jupiterfinale, Beethovens op.133, Wagners Meistersingerouverture, irgendwas von Reger und der erste Satz von Bartoks Musik für Saiteninstrumente etc. als "polyphone Meisterwerke" bezeichnet werden können. Natürlich im Rahmen des jeweiligen Stils, Generalbaß, Klassik, Romantik usw..
    Mir ist nicht klar, warum "Polyphonie" nur im Sinne des 15. u. 16. Jhds. verwendet werden sollte. ?( Und wenn es allgemeiner verwendet wird, halte ich es für fraglich, ob Deine Folgerung plausibel ist.


    Ich würde Mozarts Kyrie und auch die von Ulli genannte c-moll als barockisierende Werke, die eher wenig vom klassischen Stil haben, bezeichnen. Den allerersten Satz des Requiems (Requiem aeternam) finde ich eine überzeugendere Synthese.
    Aber immer ist natürlich der klassische Stil und dessen Harmonik im Spiel. Alles andere wäre ja bloß eine regressive Stilübung.


    Zitat


    Und aus dieser Blindheit resultieren dann BIZARRE Überlegungen, wie dass die Klassik und frühe Romantik der Höhepunkt der Musikgeschichte sei, dass alles davor nur Vorbereitung sei, dass alle älteren Qualitäten in der Klassik verlustlos aufgegangen seien und dass ab 1850 der Verlust der Kunst im Generellen zu beklagen sei, dass (eine in der Regel als Begriff falsch verstandene) Tonalität naturgesetzmäßig und (nachdem die Klassiker sie so richtig "entdeckt" hatten) zu befolgen sei und deren Verlust das Ende der Kunst etc. etc.


    Da hast Du natürlich völlig recht, daher ist der thread als solcher auch zu begrüßen.
    Die Blindheit liegt indes häufig auch darin, dass die Musik vor Bach und Händel den meisten fast unbekannt ist und daher die Polyphonie im Generalbasszeitalter (selbst ein archaisierendes Stück wie das Credo der Bachschen h-moll-Messe hat zu der 7stimmigen Fugentextur einen zusätzlichen "walking bass") als Muster genommen wird, nicht die der Niederländer und Palestrinas knapp 200 Jahre vorher.


    viele Grüße


    JR

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    Original von Johannes Roehl
    Ich würde Mozarts Kyrie und auch die von Ulli genannte c-moll als barockisierende Werke, die eher wenig vom klassischen Stil haben, bezeichnen. Den allerersten Satz des Requiems (Requiem aeternam) finde ich eine überzeugendere Synthese.
    Aber immer ist natürlich der klassische Stil und dessen Harmonik im Spiel. Alles andere wäre ja bloß eine regressive Stilübung.


    In dem Zusammenhäng müsste man noch über KV 453a [Marche funebre del Signor Maestro Contrapuncto] nachdenken.


    :hello:


    Ulli

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  • Zitat

    Original von Fugato
    Da bin ich mir nicht so sicher: Je fremder die Regeln des Zusammenklangs für den heutigen Hörer erscheinen, desto weniger überzeugend wirkt die Rücksichtnahme auf den Zusammenklang. Bei Palestrina gibt es Stufenharmonik ohne Kadenzen; deren Funktion übernehmen feste melodische Wendungen (Klauseln). Bei Bach gibt es im wesentlichen schon die Funktionsharmonik, durch die auch heute noch unsere Hörgewohnheiten geprägt sind, und deswegen ist Bachs Polyphonie für uns besonders überzeugend.


    Völlig richtig. Man muss eben lernen, die spezifischen Qualitäten der Musik früherer Zeiten zu erkennen. Für viele Freunde von Orchestermusik ist Musik vor Beethoven zu uninteressant, weil sie das spezifische Kitzeln durch aufreizende Harmonik vermissen. Stattdessen sollten sie versuchen zu lernen, eine klar durchhörbare Harmonik zu schätzen.


    Ebenso sollte der, dem Bach als Höhepunkt der polyphonen Musik erscheint, versuchen zu lernen, welche Qualitäten in der Renaissance-Musik besonders überzeugend sind, obwohl dort die Funktionsharmonik noch nicht ansatzweise vorhanden ist. Man wird Qualitäten entdecken, die bei Bach so nicht mehr da sind, sondern durch andere ersetzt sind (ich habe oben versucht, das zu erläutern).


    Freilich gibt es auch Polyphonie in den Zeitaltern, die nicht als "die Blüte" gelten. Ich würde als besonders wesentliche Beispiele Stücke von Cage anführen, die einzeln oder simultan mit anderen Stücken von Cage gespielt werden können. Das ist auch eine Polyphonie sogar einer ganz neuen Qualität.


    Ich wollte nie sagen, dass die polyphonen Werke nach Palestrina schlechtere Werke seinen, als die von Palestrina selbst (wer mich etwas aus dem Forum kennt, der hätte das wohl auch nie vermutet). Es ging mir nur darum, etwas klarer zu sehen, worin denn nun die besondere Stärke der Renaissance-Polyphonie liegt, und was denn nachher verloren gegangen ist, als das kam, was den meisten von uns (ich inbegriffen) so viel vertrauter ist, dessen Qualitäten wir ohnehin leichter erkennen können und deren Eigenheiten wir bei älterer Musik vermissen (könnten).


    Somit halte ich sowohl das Hervorheben der Renaissance als Höhepunkt der polyphonen Meisterschaft für sinnvoll als auch eure diese Formulierung betreffenden skeptischen Kommentare. Mir kommt es nicht darauf an, eine Art Glaubensbekenntnis zu entwickeln, deren Sätze ich dann allen aufdrängen kann. Ich denke aber, dass ich jetzt manche Qualitäten besser erkenne als vorher (obwohl gerade das, was ich vorher unter der Überschrift "Palestrina-Bach" geschrieben habe, weitgehend Dinge sind, die ich im Studium gelernt aber nie besonders durchdacht habe). Und ich denke, dass ich brauchbare Argumentationen habe bei Diskussionen betreffend Aufstieg und Niedergang der abendländischen Kultur. Dennoch ist mir klar, dass die Formulierungen problematisch sind (ich weiß, wie lang man an Details schrauben muss, bis man einen akzeptablen wissenschaftlichen Text hat im Gebiet der Musikgeschichte).
    :hello:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Das "bis zur Unkenntlichkeit" würde ich entschieden bestreiten. Die grundlegenden Regeln und Techniken, die aus Palestrina abgeleitet und in Lehrbüchern niedergelegt wurden haben die Klassiker alle noch genau so gelernt, aber halt flexibel umgesetzt.


    Ok. Die Unkenntlichkeit kommt erst etwas später bei polyphoner Zwölftonmusik und bei Cage etc.

    Zitat

    Deine Überlegung ist sicher völlig richtig, wenn man unter "Polyphonie" nur die des Palestrina-Stils versteht. Aber dann ist sie auch ein wenig trivial. ;) Normalerweise wird Polyphonie aber allgemeiner gebraucht, so dass sowohl ein Stück von Dufay, das über hundert Jahre vor Palestrina entstand, eins von Bach, Mozarts Jupiterfinale, Beethovens op.133, Wagners Meistersingerouverture, irgendwas von Reger und der erste Satz von Bartoks Musik für Saiteninstrumente etc. als "polyphone Meisterwerke" bezeichnet werden können. Natürlich im Rahmen des jeweiligen Stils, Generalbaß, Klassik, Romantik usw..
    Mir ist nicht klar, warum "Polyphonie" nur im Sinne des 15. u. 16. Jhds. verwendet werden sollte. ?( Und wenn es allgemeiner verwendet wird, halte ich es für fraglich, ob Deine Folgerung plausibel ist.


    Ich verwende nicht "Polyphonie" nur für Renaissance, sondern ich stelle fest, dass die Stimme an "Autonomie" verliert, dass ihre Bindung an die Vertikale ihr immer mehr "horizontale Qualitäten" wegnimmt. In der Definition von Polyphonie spielt nun mal die Eigenständigkeit der einzelnen Stimme eine ganz wichtige Rolle. Wenn bei Mozarts Jupiterfinale die einzelnen Stimmen nur mehr in ganz kurzen Abschnitten "selbst stehen" können, aber als Gesamtes von vorn bis hinten nicht mehr (spiel Dir das einmal am Klavier vor!), dann kann das keine Meisterleistung in Bezug auf Polyphonie sein, sondern die Meisterleistung muss begründet werden durch Dinge, die nichts mit Polyphonie zu tun haben - Du hast das ohnehin schon gemacht, nochmals Danke dafür.
    :hello:
    PS: Die Eigenständigkeit erhalten die Stimmen in atonaler Musik zurück. Aber dort kann man aus anderem Grunde nicht mehr sagen, dass sie in Punkto Kontrapunkt mit Palestrina mithalten könnten. Ein schönes Beispiel dafür sind etwa Ernst Kreneks modifiziert zwölftönigen "Lamentationes".

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Stattdessen sollten sie versuchen zu lernen, eine klar durchhörbare Harmonik zu schätzen.


    Was verstehst Du in diesem Zusammenhang unter "klar durchhörbarer Harmonik"?


    Zitat

    Ebenso sollte der, dem Bach als Höhepunkt der polyphonen Musik erscheint, versuchen zu lernen, welche Qualitäten in der Renaissance-Musik besonders überzeugend sind, obwohl dort die Funktionsharmonik noch nicht ansatzweise vorhanden ist.


    Die Qualitäten bestehen für mich unter anderem darin, dass die Autonomie der Stimmen noch nicht durch die Funktionsharmonik eingeschränkt ist - sie können sich freier bewegen. Stufenharmonik bedeutet ja: Jeder Dur- oder Moll-Dreiklang ist gleichwertig. Bei der Funktionsharmonik dagegen wird jeder Dreiklang in Beziehung zur Tonika gesehen, also aufsteigend vom Grundton: Tonika - Subdominantparallele - Dominantparallele - Subdominante - Dominante - Tonikaparallele. Bestimmte Abfolgen werden bevorzugt (Kadenz!), bestimmte werden vermieden. Das ist gegenüber der Stufenharmonik eindeutig eine Einschränkung, denn hier ist prinzipiell jede Abfolge möglich. Und diese Einschränkung führt dann letztlich zu einem Verlust der Autonomie im polyphonen Satz - ausser wenn ein genialer Musiker wie beispielsweise Bach diese Einschränkung überwindet.


    Zitat

    Man wird Qualitäten entdecken, die bei Bach so nicht mehr da sind, sondern durch andere ersetzt sind


    Zweifellos, denn die Musikgeschichte ist aus heutiger Sicht nicht eine Geschichte kontinuierlicher "Verbesserungen" gegenüber der vorangegangenen Epoche.


    Zitat

    Ich würde als besonders wesentliche Beispiele Stücke von Cage anführen, die einzeln oder simultan mit anderen Stücken von Cage gespielt werden können. Das ist auch eine Polyphonie sogar einer ganz neuen Qualität.


    Das dürfte der "wahren Polyphonie" von Reger sehr nahekommen: Autonomie ohne Rücksicht auf den Zusammenklang (der sich möglicherweise sogar aleatorisch ergibt). Meisterhafte Polyphone ist das meiner Meinung nach nicht.


    Zitat

    Somit halte ich sowohl das Hervorheben der Renaissance als Höhepunkt der polyphonen Meisterschaft für sinnvoll


    Ich würde einschränkend formulieren wollen: als einen Höhepunkt der polyphonen Meisterschaft.


    Zitat

    Und ich denke, dass ich brauchbare Argumentationen habe bei Diskussionen betreffend Aufstieg und Niedergang der abendländischen Kultur.


    Der "Niedergang der abendländischen Kultur" mit Schwerpunkt Musik wäre sicher ein dankbares Thema für einen separaten Thread...


    :hello: Andreas

  • Der Einwand Ulis auf die Bemerkung KSMs, die Bach nachfolgenden Musiker-Generationen hätten es mit der Polyphonie nicht mehr so drauf gehabt, besteht ja darin zu sagen, sie hätten schon können, hätten aber nicht wollen...


    (oder dürfen? weil Polyphonie nicht mehr der Geschmack der Zeit war?)


    Insbesondere Mozart wird dann hinsichtlich seiner polyphonen Kunst energisch unter Hinweis auf KV 546 verteidigt.


    KSM hat es schon als holprig bezeichnet, einer Bewertung, der ich mir nur anschließen kann (klar sind es Geschmacksurteile, ein "Holprigmeter" haben Musikwissenschaft wie auch Literaturwissenschaft wohl noch nicht erfunden...), und ansonsten kann man auch an den Satzbezeichnungen der Gesamtheit der mozartschen Werke wenig Polyphones erkennen, das Wort "Fuge" oder Ableitungen davon kommt ja auch nur ganz selten vor.


    Schließlich ist da noch KV 404a, ein äußerst kurioses Werk, bei dem Mozart eigene Präludien mit bei Bach (J.S. und W.F.) entlehnten Fugen komplettiert, was auch nicht gerade Mozarts besondere Nähe zur Polyphonie unter Beweis stellt.


    Wie weit ist der "Verfall" bei Beethoven dann schon vorangeschritten?

  • Zitat

    Original von m-mueller
    Wie weit ist der "Verfall" bei Beethoven dann schon vorangeschritten?


    Ich wage mal die Behauptung: in den Instrumentalwerken weniger als bei Mozart - zumindest im Spätwerk Beethovens.


    Beispiele, die mir spontan einfallen: Grosse Fuge B-dur für Streichquartett op. 133, erster Satz des cis-moll-Quartetts op. 131, letzter Satz der Klaviersonate As-dur op. 110.


    Ein weiteres Beispiel: Das in den Bässen beginnende Fugato im 3. Satz der 5. Sinfonie. Auch im 2. Satz der 9. Sinfonie finden sich Fugati, und bereits der 2. Satz der 1. Sinfonie beginnt fugatoähnlich. Beethoven-Kenner (zu denen ich mich nicht zähle) könnten sicher weitere Beispiele nennen.


    :hello: Andreas

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  • Wenn man nicht gerade KSMs Maßstäbe anlegt, nach denen wohlgemerkt schon ein konzertanter Fugato-Satz wie das Finale des 5. Brandenburgischen Konzerts ein Verfallsfall ist, ist die Wiener Klassik wesentlich polyphoner als es dem gemeinen Hörer scheint.


    Ich behaupte mal, dass eine reife Sinfonie oder ein Quartett von Haydn, Mozart und Beethoven mehr kontrapunktisch gesetzte Passagen als ein typisches barockes Concerto (wenns nicht gerade von Bach stammt) enthält (oder auch als ein typscihes geistliches Werk von Vivaldi). Wie schon gesagt, sind das allerdings meistens relativ kurze fugato-Sätze zur Steigerung und Verdichtung der Bewegung. Kanons finden sich auch in langsamen Sätzen und Menuetten (z.B. in Haydns Sinf. #44, Quartett op.76,2 und Mozart Serenade KV 388 ). Insgesamt sind das zu viele, um sie aufzuzählen, einige besonders prägnante Beispiele sind die Fugenfinali in Haydns Quartetten op.20,2,5,6; op.50,4, seine Sinfonie Nr. 70 (kanonisches andante und fugato-Finale), Mozarts Konzerte KV 449 und 459, schon sein erstes richtiges Klavierkonzert KV 175 hebt im Finale mit einem vermutlich leicht ironisch gemeinten "gelehrten" alla breve Thema an.


    Mozart hat nicht umsonst eine Handvoll Fugen aus Bachs WTK für Streicher arrangiert und mit eigenen Präludien versehen. Er zeigte großes Interesse an Bachs (und Händels) Musik. Die häufig als etwas dümmlich hingestellte Konstanze liebte Fugen und drängte ihren Mann welche zu komponieren (was er für Klavier aber größtenteils wohl nur zu Studienzwecken tat). Eine interessante Bemerkung (irgendwo bei Rosen zitiert) läßt aber den Geschmackswandel erkennen. Mozart sei der Ansicht gewesen, Fugen müßten langsam gespielt werden, damit man die Themeneinsätze möglichst klar erkennen könnte. Die Fuge wird häufig bewußt verwendet, um eine gewisse archaische Feierlichkeit zu erzeugen.
    Laut Rosen sind seine Emulationen des Barockstils in der Kirchenmusik annähernd vollkommen. Ich wette, dass die allerwenigsten Hörer erkennen könnten (wenn sie es nicht wüßten), ob Sätze wie das Kyrie des Requiem, das Gratias, das Cum Sancto spiritu und einige weitere Passagen der c-moll-Messe von Mozart oder von Händel stammen.


    Ähnliches gilt für Beethoven, nur das er keine Stilkopien mehr schreibt wie Mozart manchmal in der Kirchenmusik. Fugato-Passagen sind zu viele, um aufgezählt werden zu können. Allein in der Eroica gibt es eins in der Durchführung des Kopfsatzes, eines im Trauermarsch und zwei im Finale. Die gleichnamigen Variationen enden mit einer Fuge, eine der Variationen vorher ist ein Kanon. Die c-moll-Variationen WoO 80 sind eine Art Chaconne, d.h. es wird ein Baßschema 30mal oder so wiederholt.
    Die Fuge der Hammerklaviersonate op.106 hat eine komplette Durchführung mit dem Krebs des Themas, später tritt dann IIRC die Vergrößerung der Originalgestalt hinzu, jedenfalls ist sie fast schon verkünstelt überladen mit allen möglichen solchen Spielereien (und die Durchführung des Kopfsatzes der Sonate ist auch mal wieder ein Fugato).

    Wer meint, die Musik der Wiener Klassik bestehe normalerweise aus Melodie + Alberti-Bass, hat schlicht und einfach keine Ahnung.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Fugato


    Das dürfte der "wahren Polyphonie" von Reger sehr nahekommen: Autonomie ohne Rücksicht auf den Zusammenklang (der sich möglicherweise sogar aleatorisch ergibt). Meisterhafte Polyphone ist das meiner Meinung nach nicht.


    Reger ist ja wohl einer, der am meisten Rücksicht auf die Harmonik nimmt. Bei Reger treten teils so komplexe Harmoniegebilde auf, dass es annährend unmöglich ist, dass so etwas zufällig durch den Zusammenklang mehrerer Stimmen entsteht.
    Also dass Reger für die Autonomie der einzelnen Stimmen keine Rücksicht auf den Zusammenklang nimmt glaube ich beim besten willen nicht.



    Grade Reger :no:

  • Zitat

    Original von kleinershredder


    Reger ist ja wohl einer, der am meisten Rücksicht auf die Harmonik nimmt. Bei Reger treten teils so komplexe Harmoniegebilde auf, dass es annährend unmöglich ist, dass so etwas zufällig durch den Zusammenklang mehrerer Stimmen entsteht.
    Also dass Reger für die Autonomie der einzelnen Stimmen keine Rücksicht auf den Zusammenklang nimmt glaube ich beim besten willen nicht.


    Offenbar hast Du den Thread nicht von Anfang an gelesen - dort habe ich geschrieben:


    Zitat

    Es gibt ja diese Anekdote von Max Reger, der über einen Jahrmarkt ging, aus allen Himmelsrichtungen die Jahrmarktsorchester hörte (die natürlich völlig unterschiedliche Stücke spielten) und dann ausgerufen haben soll: "Das ist wahre Polyphonie!"


    Auf diese Anekdote hatte ich mich mit dem Begriff "wahre Polyphonie" bezogen. Dass Reger ganz anders komponiert hat, dürfte jedem klar sein, der schon einmal Musik von ihm gehört hat. Natürlich nimmt er Rücksicht auf den Zusammenklang, verkompliziert aber die Harmonik dabei bis zum Äussersten, um so letztlich den Stimmen mehr Autonomie geben zu können.


    :hello: Andreas

  • Die Frage nach dem „Verfall der polyphonen Meisterschaft“ ist gut gestellt: Sie scheint technische Details der Kontrapunktik aufzuwerfen, und spricht mit dem Ausdruck „Verfall“ doch viel grundsätzlichere Themen an. In dem Beitrag „Hörgewohnheiten“ vom 16.5. wird das am deutlichsten.


    Hierzu zwei Zitate von Nietzsche. In der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ schreibt er über die in Italien in Nachfolge von Monteverdi neu entstandene Kunstgattung der Oper:


    „Ich erinnere zunächst an die Entstehung des stilo rappresentativo und des Rezitativs. Ist es glaublich, dass diese gänzlich veräußerlichte, der Andacht unfähige Musik der Oper von einer Zeit mit schwärmerischer Gunst, gleichsam als die Wiedergeburt aller wahren Musik, empfangen und gehegt werden konnte, aus der sich soeben die unaußprechbar erhabene und heilige Musik Palestrina's erhoben hatte? Und wer möchte andrerseits nur die zerstreuungssüchtige Üppigkeit jener Florentiner Kreise und die Eitelkeit ihrer dramatischen Sänger für die so ungestüm sich verbreitende Lust an der Oper verantwortlich machen? Dass in derselben Zeit, ja in demselben Volke neben dem Gewölbebau Palestrinischer Harmonien, an dem das gesammte christliche Mittelalter gebaut hatte, jene Leidenschaft für eine halbmusikalisch Sprechart erwachte, vermag ich mir nur aus einer im Wesen des Rezitativs mitwirkenden außerkünstlerischen Tendenz zu erklären.“


    Palestrina: Besser kann er nicht charakterisiert werden. Seine Musik ist nur aus seiner Zeit zu verstehen (da gebe ich ‚Kurstückmeister’ völlig recht), und hat in ihr eine Größe erreicht, die nicht wiederholbar ist. Das muss gar nicht an technischen Details der Kompositionstechnik nachgewiesen werden. Ich bin überzeugt, dass jeder Hörer dies direkt empfindet.


    Mit der Entstehung der Oper am Beginn der Neuzeit wandelte sich das Wesen der Musik radikal. Nietzsche ist dem weiter nachgegangen und schrieb in „Menschliches Allzumenschliches“:


    Religiöse Herkunft der neueren Musik. - Die seelenvolle Musik entsteht in dem wiederhergestellten Katholicismus nach dem tridentinischen Concil, durch Palestrina, welcher dem neu" erwachten innigen und tief bewegten Geiste zum Klange verhalf; später, mit Bach, auch im Protestantismus, soweit dieser durch die Pietisten vertieft und von seinem ursprünglich dogmatischen Grundcharakter losgebunden worden war. Voraussetzung und nothwendige Vorstufe für beide Entstehungen ist die Befassung mit Musik, wie sie dem Zeitalter der Renaissance und Vor-Renaissance zu eigen war, namentlich jene gelehrte Beschäftigung mit Musik, jene im Grunde wissenschaftliche Lust an den Kunststücken der Harmonik und Stimmführung. Andererseits mußte auch die Oper vorhergegangen sein: in welcher der Laie seinen Protest gegen eine zu gelehrt gewordene kalte Musik zu erkennen gab und der Polyhymnia wieder eine Seele schenken wollte. - Ohne jene tief religiöse Umstimmung, ohne das Ausklingen des innerlichst-erregten Gemüthes wäre die Musik gelehrt oder opernhaft geblieben; der Geist der Gegenreformation ist der Geist der modernen Musik (denn jener Pietismus in Bach's Musik ist auch eine Art Gegenreformation). So tief sind wir dem religiösen Leben verschuldet. - Die Musik war die Gegenrenaissance im Gebiete der Kunst, zu ihr gehört die spätere Malerei des Murillo, zu ihr vielleicht auch der Barockstil: mehr jedenfalls als die Architektur der Renaissance oder des Alterthums. Und noch jetzt dürfte man fragen: wenn unsere neuere Musik die Steine bewegen könnte, würde sie diese zu einer antiken Architektur zusammensetzen? Ich zweifle sehr. Denn Das, was in dieser Musik regiert, der Affect, die Lust an erhöhten, weit gespannten Stimmungen, das Lebendig-werden-wollen um jeden Preis, der rasche Wechsel der Empfindung, die starke Reliefwirkung in Licht und Schatten, die Nebeneinanderstellung der Ekstase und des Naiven, - das hat Alles schon einmal in den bildenden Künsten regiert und neue Stilgesetze geschaffen: - es war aber weder im Alterthum noch in der Zeit der Renaissance.“


    Es steht nicht Bach gegen Mozart oder Beethoven, wie bisher bisweilen argumentiert wurde, sondern die neuzeitliche Musik des Affekts und der Gestaltung der Gemütsbewegungen gegen die mittelalterliche Musik der religiösen Andacht. Ohne Zweifel steht hierbei Bach natürlich Palestrina näher, und ist Beethoven weiter von ihm entfernt.


    Die frühere Musik erscheint daher heute – wie Johannes treffend bemerkte – „statisch“, also weniger bewegt und aufgewühlt. Die heutige Musik droht umgekehrt in leeren Schein und oberflächliche Zerstreuungssucht zu verfallen (um auf diesen Begriff zurückzukommen).


    Nietzsche hatte lange erwartet, Wagner könne in einem tiefen Sinn mit seiner Musik der Klangfarben an die alte Musik anknüpfen und war daher um so enttäuschter, als auch Wagners Musik sich als Variante der neuzeitlichen Nervosität und Zerstreuung erwies.


    Viele Grüße,
    Walter

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