Nikolai Tokarew, grösstes Klaviertalent seit Jahrzehnten

  • Gerade lese ich in der Süddeutschen einen Artikel über den 23 jährigen Nikolai Tokarew, dessen Name mir völlig unbekannt ist, der am Mittwoch in der Philharmonie gastieren wird und mit den höchsten Vergleichen bedacht wird.
    Zitat: "Seit Horowitz und Glenn Gould die Klavierwelt erschütterten, hat es kein solches Talent gegeben ..."


    Kennt jemand dieses angebliche Genie und kann etwas dazu sagen ?


  • Ich habe vor einigen Tagen im Radio (NDR Kultur) eine Besprechung seines Debütalbums, das schlicht "No.1" heißt, gehört. Da kam er nicht besonders gut weg. Der Tenor der CD-Besprechung war in etwa: technisch perfekt, aber vom Ausdruck ziemlich leblos.


    Selber habe ich noch nicht reingehört.

  • [URL=http://www.ndrkultur.de/ndrkultur_pages_stdep/0,2515,OID3957214_REF162,00.html]hier der Link[/URL]


    :hello:
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Ich habe mich auch schon gefragt was den Herrn Mauro da geritten hat. Nach dem Artikel gestern müsste der ja ein neuer Rubinstein-Horowitz-Gould sein. Oder ist das ganze eine etwas aufwendigere Schuh-Werbung? :D


    Edit: So schlecht kommt er doch beim NDR gar nicht weg?

  • Vor allem frage ich mich, tut man einem aufstrebenden Talent wirklich Gutes, es sofort allerhöchsten Vergleichen auszusetzen ?
    Nun gut, ich habe bisher nichts von ihm gehört, aber hier wird eine Erwartungshaltung aufgebaut der er vermutlich nur schwer wird entsprechen können.

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  • Ich habe mir die CD gekauft - (eine Weile lang bin ich drum herum geschlichen) bisher aber nur kurz in die Chopin-Sonate hereingehört: Erster Eindruck (im Vergleich mit Pollini) alles sehr weich, ohne Ecken und Kanten. Das abschließende Presto rasant, aber wenig geheimnisvoll. Mehr, wenn ich die CD ganz gehört habe.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • So, inzwischen habe ich die Sonate komplett gehört:


    Erster Eindruck: Vom Hocker gehauen hat´s mich nicht. Tokarev´s Spiel wirkt auf mich irgendwie gehemmt, der Klang ist ein wenig dumpf, alles wirkt wie mit dem Weichzeichner bearbeitet. Der Trauermarsch hat nichts von der Wucht und Intensität die hier Pollini oder Sokolov entfalten. Der Gesamteindruck: Gepflegte Langeweile. Und auch das Presto hat bei Rubinsteins Moskauer Konzert viel mehr von "dem Wind der über Gräber pfeift".


    Vielleicht sind die ERwartungen an Tokarev einfach zu hoch?
    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Christian,


    Ich kann Deinen Eindruck nur bestätigen; gepflegte Langweile trifft es auf den Punkt! :stumm:Ich frage mich warum er gerade eine so vielgespielte und bekannte Sonate als Debut wählt! Meine Vermutung ist, dass das Labe die Programmauswahl vorgegeben hat. Schade, dass Tokarev nich mehr aus seinen Möglichkeiten macht, oder hat er diese nicht? Es wird abzuwarten ob Tokarev seinen Weg als eigenständiger Interpet findet!


    Gruß NIko

  • liebe leute,


    ebenfalls: große enttäuschung nach dem hören der cd - für mich gibt es eigentlich nichts an den interpretationen, was einen kauf rechtfertigt: bestenfalls "ordentliche", insgesamt aber spannungsarmes (und das bei einem cd-debut: man höre das dg-debut von pogorelich mit der chopin-sonate im vergleich!) und kaum tief- oder feinsinniges klavierspiel. am ehesten wird man die Paganini Variationen von Rosenblatt (virtuosenfutter) "interessant" finden (ein zweifelhaftes attribut). der schubert hat mich schlichtweg geärgert - man höre hier einen gulda oder einen koroliov oder einen schnabel oder .... um zu erleben, wie wundervoll diese musik sein kann.


    ich erlebte tokarew im letzten jahr übrigens im rahmen des klavierfestivals ruhr - ein seinerzeit von der presse sehr umjubeltes festivaldebut (mit beethoven und schumann und brahms und rosenblatt), das mir und meinem ebenfalls sehr klavierinteressierten begleiter als zwar technisch makellos, ja fulminant erschien - aber, prüfstein beethoven, doch letztlich der innenspannung, der musikalität entbehrte.


    enttäuscht war ich seinerzeit v.a. von den mir sehr lieben händel-variationen von brahms: verglichen mit einem ugorski oder kempff war das enttäuschend eindimensional und geradezu monochrom gespielt: dazu viel zu schnell& hastig, die klanglichen & charakterlichen facetten gar nicht wahrgenommen (im fono forum war seinerzeit eine tokarew-cd beigelegt, die z.B. die händel-variationen enthält).
    alles in allem: wenig spannend und nicht authentisch: die frischgekauften und ungetragenen "szene-turnschuhe" vom cd-cover dürfen als warnung dienen.
    gruß
    roderich

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  • Zitat

    Original von Padre
    Ich habe Tokarew zum ersten mal in der großen Nachtmusik, im ZDF gesehen und war begeistert!
    Padre


    Lieber Padre,


    Tokarev hat im ZDF "campanella" gespielt, was auch auf seiner Debut CD zu finden ist. Der Liszt ist ihm jedenfalls deutlich besser geraten als Chopins Sonate. Da war er - für mein Empfinden jedenfalls- schlecht beraten. Für das Debut eine Komposition auszuwählen, von der so viele hochkarätige Aufnahmen vorliegen? Ich weiß nicht. Dann muss er sich auch mit dieser Konkurrenz messen lassen. Natürlich steht Tokarev sicher erst am Anfang seiner Karriere und es wäre sicher nicht fair, seines Debuts wegen den Stab über ihn zu brechen. Was die Chopin-Sonate angeht bleibe ich alllerdings bei meiner Meinung. Er war damit nicht gut beraten. Um es knapp zu formulieren: Mir fehlt da einfach das "gewisse Etwas". Bei Bedarf erläutere ich das gerne näher.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo zusammen!


    Neugierig geworden durch eure Meinungen und immer auf der Suche nach guten, neuen Interpreten habe ich in die CD in Chopins Marche funebre hineingehört und kann leider eure negativen Eindrücke nur bestätigen, ich habe selten eine spannungsärmere Interpretation gehört, ich hatte leider den Eindruch einer schülerhaften Interpretation des Werkes. Für mich ist dieser Pianist momentan keine Entdeckung, bei der sich der Kauf der CD lohnt.

  • Also ich weiß nicht was an dem Auftritt Tokarews in der Sendung "Eine große Nachtmusik" so toll war. Das machen tausende andere, technisch versierte Pianisten mindestens genauso gut. Nun spielte Tokarew mit seinem Paraphrasen-Tick nun auch nicht gerade Literatur, die sonderlich viel Tiefe hat. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen fand ich den Auftritt ehrlich gesagt eher belanglos....


    :hello:

  • Zitat

    Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen fand ich den Auftritt ehrlich gesagt eher belanglos....


    Und genau aus diesem Grund frage ich mich, warum Helmut Mauro als ein eigentlich seriöser Kritiker einer halbwegs seriösen Zeitung diesen Pianisten dermaßen in den Himmel lobt, das man meint, sämtliche andere Nachwuchspianisten müssten neben ihm verblassen.

  • So, in der Zwischenzeit ist Tokarevs zweite CD auf dem Markt:



    Ein rein französisches Programm:


    Rameau: Gavotte et six doubles
    +Debussy: Arabesque Nr. 1;Clair de lune
    +Ravel: Pavane pour une infante defunte;Gaspard de la nuit
    +Franck: Prelude, Fugue & Variation op. 18


    Hat sie schon jemand gehört?


    Rezensionen habe ich schon einige gelesen- aber ich will nicht vorgreifen :D



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Sagitt meint.


    Vom Ruhr-Festival gibt es einen Mitschnitt eines Recitals.


    Das umfangreichste Stück sind die Händel-Variationen von Brahms.


    Hier hinterlässt Tokarev keinen besonderen Eindruck. Zu viel Pedal, zu viel heruntergespielt. Technisch einwandarm, aber die Interpretation kann mit derjeniger anderer Pianisten nicht mithalten,ob es nun Katchen oder Gelber oder Ugorski ist.


    Jemand, der Klavier spielen kann, gewiss. Aber ein Jahrhundert-Talent ?


    Auf dieser CD nicht hörbar.

  • Die Kritiker sind meist recht schnell mit Superlativen - siehe z.B. einen nicht näher bezeichneten Dilettanten asiatischer Herkunft mit Doppelnamen und offensichtlich einstudierten oder gar einoperierten 'Grimassieren'..., die so grauenhaft und abstoßend sind, dass man entweder dadurch oder in abschweifenden Gedankengängen der Verprügelung fast vom größtenteils grottenschlechten Spiel abgelenkt wird - aber ein Jahrhundert-Tallent ist Tokarev für mich aktuell auch nicht.


    Es ist aber erstaunlich, wie groß die Unterschiede von Studioproduktionen und Konzertmitschnitten sein können.
    Ich hatte mir seinerzeit die CD "No.1" gekauft und war relativ schnell ernüchtert bis enttäsucht; der einzige Lichtblick war - wenn auch nicht interpretatorisch - der mir bis dato unbekannte Alexander Rosenblatt. Im Rahmen meiner 'Abverkäufe' ging die CD später ihren Weg ins Unbekannte.


    Anfang Januar 2011 hat der SWR2 ein Konzert von November 2010 aus dem Frankfurter Hof im Rahmen der Reihe "Internationale Pianisten in Mainz" übertragen (Domenico Scarlatti: Sonate B-Dur K 551 (L 396), Sonate F-Dur K 524 (L 283), Sonate f-Moll K 19 (L 383) - Domenico Cimarosa: Sonate F-Dur C 71, Sonate d-Moll C 79, Sonate C-Dur C 56 - Haydn: Sonate As-Dur Hob. XVI:46 - Schumann: Quasi variazioni. Andantino „de Clara Wieck“ aus der Sonate f-Moll op. 14, Sinfonische Etüden op. 13 - Rachmaninow: Prélude für Klavier gis-Moll Nr. 12 op. 32 - Alexander Rosenblatt: Fragment from Suite Fantasy. Themes from “Swan Lake” - Chopin: Nocturne cis-Moll op. posth.).


    Mit Ausnahme der teils etwas gewöhnungsbedürftigen (wirren) Tempi in den Sinfonischen Etüden hörte ich da einen Pianisten, der tatsächlich noch etwas zu sagen hat und der - völlig im Gegensatz zum Gehörten aus der mir bekannten Studioproduktion - sich entweder komplett gewandelt bzw. entwickelt hatte oder für den Studioproduktionen (zum damaligen Zeitpunkt) einfach nichts sind/waren.
    Die weiteren von ihm eingespielten Werke lohnen sich für mich bislang nicht (zu wenig Interesse bzw. ausreichende Referenzen), vielleicht wird es demnächst aber doch noch die reine und daher reizvolle Rosenblatt-Einspielung, zu der evt. ein Forumsteilnehmer noch etwas berichten kann?


    Nichts desto trotz ein Pianist, den man nicht aus den Augen verlieren sollte.
    Ich hoffe jedenfalls auf weitere Konzertmitschnitte im Rundfunk (Solo wie auch Klavierkonzerte).

    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht, den Menschen zu sagen, was sie nicht hören wollen. [frei nach George Orwell]

  • Die erste CD mit reiner Instrumentalmusik, die ich kaufte war diese :



    Ums auch gleich vorweg zu sagen, ich habe diese CD nicht wegen dem Bild des hübschen jungen Mannes vorne gekauft. :)
    Ich bin ganz sicher, was das Klavierspiel angeht, überhaupt kein Kenner, ich kann vielleicht noch erkennen, wenn jemand absolut inakzeptabel spielt, aber den Unterschied zwischen Durchschnitt - Sehr gut - Hervorragend höre ich bestimmt nicht heraus. Aber ich mag diese CD wirklich, für mein ungeschultes Ohr hört sich das wirklich gut an.
    Im Grunde wollte ich "einfach nur" eine gute Aufnahme von Tschaikowskys 1.Klavierkonzert und habe mich deswegen im Internet und speziell hier im Forum informiert, welche Aufnahmen hier denn besonders hervorgehoben werden. Dann habe ich in diverse Schnipsel reingehört.
    Die oft erwähnte Aufnahme mit Richter/Karajan sagte mir zB vor allem wegen des Orchesterparts wenig zu, das wirkte auf mich sehr flach und auch sehr unorganisch zusammen mit Richter (der mich durchaus gefiel) und bei der Van Cliburn/Kondraschin störte mich, die von mir als solche empfundene, Hektik/Bruchstückigkeit von Cliburns Klavierspiel. Nach langem Ausprobieren stieß ich also auf die oben gezeigte Aufnahme von Nikolai Tokarev (das 3.Klavierkonzert von Rachmaninow ist ebenfalls enthalten), die mir gerade im Orchsterpart sehr zusagte - so flächig und "in den Boden" -, auch weil ich finde, dass es mit Tokarevs Spiel wunderbar harmoniert. Alles hat so einen warmen, samtigen Klang.
    Wie gesagt, über Tokarevs technische und interpretatorische Leistung kann ich nicht viel substantielles sagen, außer, das es mir sehr gefällt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)