Germont père - Zwiespältiger Charakter oder unglaubwürdige Bühnenfigur ?

  • Nachdem ich im Regulierungsdickicht des Operführers nicht so ganz durchblicke, eröffne ich jetzt einfach mal an diesen Thread .


    Germont père scheint mir ein umstrittener Charakter zu sein - Waldi hat im Netrebko-Thread die Violetta sehr schön als eine mit ihrer Rolle nicht identische Figur beschrieben, und dass Alfredo kein böser Mensch ist, scheint mir auch klar auf der Hand zu liegen.


    Undurchsichtiger ist da sein Vater - ich habe ihn oft als verbohrten Spießer dargestellt gesehen, der in seiner Borniertheit das Leben zweier Menschen zerstört. Seine Gefühlsausbrüche bezüglich seiner Tochter (Pura siccome un angelo) oder gegenüber Alfredo (Di Provenza) kommen dann eher als taktische Fakes denn als ehrliche Emotionen des Charakters - ähnlich zweideutig ist das "grandioso" das Verdi später bei "dov'è mio figlio, più non lo vedo" vorschreibt.


    Ich selbst sehe die Traviata mindestens so sehr als die Tragödie Germonts als die Violettas, Alfredo scheint mir mehr eine dramatische Notwendigkeit als eine wirkliche Hauptfigur zu sein.


    In seiner ersten Begegnung mit Violetta tritt Germont père erst sehr aggressiv auf, ist dann aber sehr schnell von ihrem Charakter, ihrem Stil und ihrer Persönlichkeit beeindruckt. Das große Duett verstehe ich als unironisch, ich glaube ihm, was er ihr sagt: er will das Beste für seine Tochter und überzeugt Violetta, die sich zu wahrer tragischer Größe aufschwingt in ihrem aktiven, Selbstverleugnung einschließenden Verzicht.


    Erst am Ende geht Germont auf, was er angerichtet hat - leider fällt mir gerade nur die deutsche Textversion ein: "Ich törichter Alter". Violettas Verzweiflungsschrei "E tardi!" gilt also genauso sehr für ihn wie für sie, Violetta ist eine tragische Heldin durch ihr bewusstes Handeln ab dem Duett mit Germont, Germont entwickelt sich zum tragischen Helden durch seine Einsicht, durch den Wertewandel, den er durchmacht zwischen Duett und der Szene nachdem Alfredo Violetta seinen Spielgewinn vor die Füße geworfen hat.


    Als Hörer oszilliere ich jedenfalls (soweit ich die Handlung ernstnehmen kann) ganz ähnlich in meinen Einschätzungen wie Germont père: "realistisch" betrachtet, hat die Beziehung keine Chance und richtet nur Schaden an, aber mei, wenn die Liebe dann doch so übermenschlich riesengroß ist, dann ist sie eine Himmelsmacht, der man nichts in den Weg legen darf - ich begleite gewissermaßen Germont Vater durch seine Entwicklung in dieser Oper - er ist meine Bezugsfigur.


    Was natürlich nicht heißt, das Violettas Verzweiflung mich kalt ließe, sehr im Gegenteil - aber Germont Vater ist mir in meinem bequemen Opernsessel einfach näher.


    Ich bin gespannt auf eure Meinungen!


    :hello:
    BBF



    Die Moderation hat diesen ursprüglich am "normalen" Traviata Thread angehängten Beitrag zu einem eigenen Thema umgestaltet unm so BEIDEN Theman Luft zu lassen. Der Eingangssatz wurde zu diesem Zweck geringfügigst modifiziert MOD 001 Alfred

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Das sind sehr interessante Gedanken und auch fuer mich ist Germont ein Charakter, ueber den ich mehr rekflektieren muss als ueber Alfredo und Violetta.
    Auf Anhieb wuerde ich da einen starken Vater-Sohn-Konflikt sehen. Der Sohn wagt all das infrage zustellen, wofuer der Vater lebt: hohe moralische Werte, buergerliche Ordnung, Familie, Konservatismus, das Erbe in der Familie zusammenhalten.
    Dann kommt da sein Fruechtchen Alfredo daher und verliebt sich inieine Kurtisane.
    Eigentlich ein durchaus ueblicher und verzeihlichher Akt fuer einen jungen Mann aus guter Familie.
    Man muss sich ja die Hoerner abstossen, ehe man in den Hafen der Ehe einlauft und das Kurtisanentum ist eben dazu da und wird gesellschaftlich toleriert. :yes: Im libertinaeren Frankreich sowieso. Maetressen sind an der Tagesordnung. Vor allem in den oberen Schichten, die es sich leisten koennen.
    Aber dann wird es ploetzlich ernst und der sohn schickt sich an, nicht nur sein Vergnuegen sondern auch sein Vermoegen(also das Familienerbe!!!)à mit Violetta teieln zu wollen und schlimmste Variante: mit ihr leben und sie sogar ehelichen zu wollen.
    Da ist die vaeterliche Toleranz erschoepft und es geht zum Kampf!
    Insofern verhaelt sich Germont vollkommen zeitgemaess und normal.
    Hand aufs Herz: wer von uns saehe denn gerne sein Kind mit einer Halbweltfigur von mehr als zweifelhaftem Ruf "durchbrennen"?????? ?(
    Leider hat er nicht die Sensibilitaet, dann frueh genug den edlen Charakter Violettas und die aufrichtige Liebe seiens Sohnes zu ihr zu erkennen und zwingt Violetta unter Aufbietung aller moralischen, sentimentalen und "Traenendruesenmittel" zum Verzicht auf alfredo. Er haelt ihr raffinierterweise seine engelsreine Tochter als Gegenbeispiel zu ihrem eignen verlotterten Leben vor und trifft damit den wohl wundesten Punkt in Violetta.
    Das ist eine regelrechte psychoterroristische Gemeinheit und DAS verzeihe ich Germont nie und nimmer. :boese2:
    Brauch ich ja auch nicht..... :D
    Jedenfalls habe iich den Verdacht dass sich der Vater-sohn-konflikt, der anfangs ein ganz normaler Generationskonflikt ist, noch weiter ausweitet..
    Ich vermute fast, dass sich Germont selbst in Violetta verliebt und daher auch so hart mit Alfredo ins Gericht geht, als er sie auf dem Fest mit dem Geld das er ihr vor die Fuesse wirft, um ihre Liebesdienste zu BEZAHLEN, vollkommen entehrt und ihre Liebe mit Fuessen tritt. Da nimmt Germont dann ihre Partei. Warum sollte er das tun? Eine Hure ist eine Hure und eine Sohn ist ein Sohn.
    Aber ihm geht ein Licht auf und er kann zwar letzlich nciht ueber seinen buergerlichen Schatten springen, aber hat nun mit einem Mal eine entschieden andere Sicht der Dinge.( In der Netrebko/Hampson/Villazon Version hatte ich ohnehin das Gefuehl, dass A.N. und T.H. das viel glaubwuerdigere Paar abgegeben haetten als A.N. und R.V.)
    Normalerweise ist in fast allen Opern der Bariton der natuerliche Widersacher in Liebesdingen fuer den Tenor.
    Hier aber haben wir Vater und Sohn vor uns.
    Welcher Art ist diese Rivalitaet?
    Ich schliese nicht aus, dass Germont Violetta am Ende auch liebt, das aber selbstverstaendlich nicht offenbaren darf und kann und sie lediglich sterbend noch rehabilitieren kann. Ich empfinde ihn ebenfalls als die neben Violetta interessanteste Figur des Ganzen, denn in seiner Brust wohnen ach! zwei Seelen.
    Wie ihr seht, die Traviata ist eine meiner Lieblingsopern und ich bekomme davon nie genug......... verzeiht also diesen langen Erguss!
    Fairy Queen :angel:

  • Ich bedanke mich sogar für den "langen Erguss"!


    Auf Deinen Linien weiterdenkend: braucht Vater Germont einfach nur zu lange, um zu sehen, dass es Violetta ebenfalls ernst ist mit der Liebe? Denn durch ihren Verzicht weiß er ja mehr als Alfredo in seiner verständnislosen Wut, und dagegen tritt er dann auf und weist seinen Sohn in die Schranken. Denn Sohn ist zwar Sohn und Hure Hure, aber Vater Germont weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass hinter Violettas Fassade menschliche Größe steckt, und die will er von seinem Sohn respektiert und geachtet sehen.


    Als Violetta dann tatsächlich alles aufgibt und Vater Germont sieht, dass es ihr ernst ist, ist es leider zu spät - allerdings auch nur, weil Violetta todkrank ist!


    Das ist nicht seine Schuld, dieser Umstand hindert ihn daran, seinen Gewinn an Einsicht noch umsetzen zu können (was ja auch nicht ganz stimmt, denn es reicht ja noch dafür, dass Violetta im Bewusstsein sterben kann, akzeptiert zu sein).


    Psychoterrorismus sehe ich in der "Pura"-Arie übrigens nicht, sondern einfach nur eine natürliche Reaktion des liebenden Vaters, der ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen kann, wie ernst es Violetta ist - das kann er erst erkennen, nachdem Violetta tatsächlich nicht nur Alfredo, sondern auch ihr ungeliebtes altes Leben aufgegeben hat - Vater Germont kann doch nicht in die Zukunft sehen!


    Vater Germont: die Tragik des liebenden, bürgerlich-vernünftigen Vaters, der das Gute will, es aber nicht erreichen kann?


    Alfredo Germont: die Tragik des jugendlichen Verliebten, der sich zu leicht irre machen lässt?


    Violetta: ein Mensch, der sich zu übermenschlicher Verzichtsleistung aufschwingt, aber dafür nicht (oder doch kaum) belohnt wird?


    Der Mensch - zu schwach für die Liebe?


    Ich warte auf den nächsten Erguss...


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Kommt morgen, bitte um Geduld. Wir machen hier die Erguesse der Traviataner auf.... :yes:
    Der Mensch ist sowieso meist zu schwach fuer die echte Liebe und der Mann ganz besonders. Alfredo kapiert eher nix und Germont kapiert zu spaet.
    Aber das vertiefe und ergiesse ich , wenn ich mehr Zeit habe.
    Fairy Queen :angel:

  • Ich bin gespannt - aber Violetta "kapiert" auch nicht, sie sagt Vater Germont alles zu um dann erstmal business as usual weiterzumachen. Sie kämpft auch nicht, sie glaubt auch nicht genug an ihre Liebe - bis es zu spät ist.


    Wenn wir die dramatischen Spannungen auf zwei (männliche) Trottel und eine übermenschliche (weibliche) Superheldin reduzieren kastrieren wir meines Erachtens das Stück...


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

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  • Oh das ist ein interessantes Thema.


    Einiges wurde schon angeschnitten. Aber ich möcht persönlich noch weiter gehen und die historisch-gesellschaftlichen Aspekte betonen.



    Wir müssen uns einmal mehr vor Augen halten (WANN) die Geschichte spielt - und wie die gesellschaftlichen Normen bzw (noch viel wichtiger !!) Usancen waren.


    Es ist eine typische Geschichte des 19. Jahrhunderts, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre sie immerhin noch denkbar (Zeitliche Verschiebungen in die Gegenwart verbietens sich daher schon von selbst, aber das ist nicht das Hauptthema)


    Innerhalb dieser Zeit ist das Verhalten von Vater Germont absolut gesellschaftskonform, ja geradezu liberal. Schliesslich erlaubten durchaus nicht alle wohlhabenden Väter ihren Söhnen eine Kurtisane.


    Ich würde sowohl das Theaterstück - als auch die daraus resultierende Oper als Produkt von Freigeistern sehen, welche die "bürgerlichen Gesellschaftsnormen" auf subtile Weis in Frage stellten - und hier ist die Rolle des Vater Germont - wie von Barockbaßflo richtig erkannt - die zentrale.
    Eigentlich ist es ER dessen Weltanschauung unter dem Druck der Realität zerbröselt.


    Violetta ist dem Tod geweiht - so oder so. Vater Germonts Haltung hätte hier nichts zu ändern vermocht (auch wenn dies in Beschreibungen unterschwellig immer wieder suggeriert wird) - ja es währe im Falle von mehr Toleranz vielleicht sogar zu einer Ansteckung seines Sohnes mit der (damals) tödlichen Schwindsucht (Tuiberkulose) gekommen.......


    Das Verhalten von Vater Germont ist also ein völlig typisches - Aufrechterhaltung der Scheinmoral um jeden Preis, bei durchaus bohemienhaftem Lebenswandel - jedoch immer zum Rückzug in die eigene Gesellschaft bereit, wenn es "ernst" wird.


    Wir finden die gleiche Problematik übrigens - völlig anders verarbeitet auch - bitte nicht Lachen - in Lehars Zarewitsch, wo dem Zarewitsch von seinem höfischen Umfeld die "Gespieling" sogar zugeführt wird - als es aber ans Rgieren geht - müssen die beiden aus gesellschaftlichen Gründen ihrer Liebe entsagen - und jeder der Beteiligten (hier im Unterschied zu Verdi/Dumas) akzeptiert das auch.



    Erst die "Umkehr" macht Germont pére zur zwiespältigen Figur.
    Er möchte "gutmachen" (hat irgendjemand eine Vorstellung welche Überwindung ihn das gekostet haben muß - im bürgerlichen Umfeld des 19. Jahrhunderts ???)


    Daß Violetta todkrank war, das konnte er nicht wissen - und auch nicht ändern.


    Man kann die "Moral von der Geschichte" verschieden deuten:


    "Niemand kann ungestaft aus seinem gesellschaftlichen Umfeld ausbrechen"


    oder (im Fall Violettas)


    "Niemand kann seiner Vergangenheit entkommen"



    mfg


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,
    Etliches von dem , was du ausfuehrlicher ausfuehrst habe ich auch so gesehen, aber ich denke trotzdem, dass im Frankreich des 19. JH eine Kurtisane fuer den Sohn durchaus zum grossbuergerlichen Chic und Standard gehoerte. Und nicht nur da, in gewissen Kreisen war es immer ueblich, seine Soehne von Halbweltdamen "erziehen" zu lassen, bevor sie mit einer standesgemaessen Partie versorgt wurden.(fuer Toechter natuerlich ein absolutes Tabu!!!!) :boese2:
    Nur durften dabei die genau festgelegten Grenzen nicht ueberschritten werden und genau das hat ja Alfredo versucht und damit das Eingreifen seines besorgten Vaters auf den Plan gerufen .
    Dass Germont da besonders liberal ist, kann ich nicht sehen, dass er genau dem Zeitgeist entsprechend reagiert, sehr wohl. Wie ich schon im ersten Post sagte: wer kann ihm das verdenken?
    Sein innerer Wandel zeigt aber, dass er zum Einen nicht ganz verkrustet ist und zum Anderen die Person der Violetta einen extrem starken Eindruck bei ihm hinterlaesst.
    Ich schliesse durchaus nicht aus, dass er sich selbst in sie verliebt(nateurlich ohne jede Hoffnung oder Zielrichtung) und nicht nur aus schlechtem Gewissen handelt, sondern da noch eine Art Projektion mit ins Spiel kommt. Warum sollte er sonst auf dem Fest eine Hure gegen den eigenen Sohn verteidigen und das noch in aller Oeffentlichkeit, wo der Filius regelrecht blossgestellt wird?


    Natuerlich kann niemand in Opernlibretti ungestraft aus seinem Umfeld ausbrechen! Was haette wohl die Zensur und das katholische italienische Publikum gesagt, waere Verdi wirklich den Schritt ins Undenkbare gegangen? Er selbst hat zwar immerhin in wilder Ehe mit einer Saengerin gelebt und sich ueber manche Normen hinweggesetzt, aber in seinen Opern konte er das ungestraft nur mit der entsprechenden Bestrafung der Suenderin tun. Unzucht bedeutet Todestrafe(hier durch Krankheit), basta!
    Mitleid durfte er aber mit Violetta haben und sie so zeichnen, dass alle Welt vor Ruehrung zerfliesst und ihr Schicksal beweint. Aber offen eine Prostituierte zur GLUECKLICHEN Heldin machen, waere ein Skandal ohnegleichen gewesen. Zudem waere die Oper weit weniger anruehrend..........


    Lieber Barockbassflo, warum liebt Violetta nicht genug??? Sie liebt wohl eher zuviel, meine ich. Was soll sie denn noch mehr tun, als sich zum Wohle ihres Alfredo opfern? ?( ?( ?(
    Und von "Trotteln" habe ich nie geschrieben, das sind keinesfalls Trottel sondern Maenner ihrer Zeit. Alfredo ist jung, verliebt sich in eine der echten Liebe verbotene und daher umso reizvollere Frau und ueber Germont haben wir ja bereits Einiges ausgetauscht. Ich wollte nur sagen, dass es meist Frauen sind, die sich in emotionalen Dingen als staerker erweisen. In der Oper und vielleicht auch im richtigen Leben, da will ich niemandem zu nahe treten.
    Schau dir Senta oder Norma an. Tosca. Servilia. Usw.
    Das sind Frauen , die mit Unbedingtheit lieben und Alles zum Wohle des Geliebten aufs Spiel setzen, bis zum Tod. Die Maenner dagegen setzen oft andere Dinge ueber die Liebe. Macht, Politik Eifersucht, Sexuelle Anziehung einer anderen Frau.
    Ein Mann , der wirklich in der Oper unbedingt liebt ist fuer mich Posa. Er geht bis zum Aeussersten, aber nicht aus Liebe zu einer Frau sondern fuer Don Carlos. Ehe ich aber nun vom Hoelzchen aufs Stoeckchen komme, mache ich hier mal Schluss. :stumm:


    Fairy Queen :angel:

  • Guten Morgen,


    spielt nicht Alfredo's Schwester, obwohl sie gar nicht auf der Bühne steht, die Hauptrolle? Würden Alfredo und Violetta zusammenkommen, hätte sie eine Hure - OK, eine Kurtisane - als Schwägerin, das dürfte zu dieser Zeit ihre gesellschaftlichen und Heiratschancen auf null reduziert haben. Ich könnte mir vorstellen, daß die Geschichte ohne Schwester anders ausginge (bis auf Violetta's unvermeidlichen Tod natürlich).


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Ich bin mit vielem was hier geschrieben wurde, durchaus einverstanden.
    Lediglich dieses Vermischen von Hure und Kurtisane passt mir nicht ganz.
    Kurtisanen waren gebildete - von der Gesellschaft durchaus akzeptierte personen - mit denen man sich auch durchaus öffentlich zeigte - Es gabe jedoch eine Grenze, ein Tabu gewissermaßen, welches nicht überschritten werden durfte. Diese Damen - und es waren teilweise wirklich welche - konnte man kaufen - oder "aushalten". Sie verfügten über eine ausgezeichnete Bildung, in der Regel über erstklassige Umgangsformen etc.
    Teilweise waren sie Begleiterinnen und Beraterinnen von Königen, und wie böse Zungen sagen, sogar von Kardinälen - letzteres glaube ich natürlich nicht.....
    Heute würde am ehesten der Begriff eines "Escort" passen - wenngleich dieser Begriff auch schon schönfärberisch für die niedrigere Klasse dieser Profession verwendet wird. Auch "Freundin" ist eiin in unserer Zeit gern verwendeter Begriff für diese Art von Lebensgemeinschaft - kein Einwand von meiner Seite.


    Übrigens ist diese Verwechslung auch schon Interpretinnen dieser Rolle passiert. Ich werde mich aber weder über die von mir vermuteten Ursachen noch über den Namen der entsprechenden Sängerinnen äussern....... :baeh01:


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Vorbild für La Traviata (aus Wikipedia):


    *****
    Marie Duplessis (* 15. Januar 1824; † 3. Februar 1847; eigentlich Alphonsine Plessis) war eine französische Kurtisane. Sie war das historische Vorbild für Alexandre Dumas' Roman- und Bühnengestalt "Marguerite Gautier" ("Die Kameliendame") und Giuseppe Verdis "Violetta Valery" (Oper "La Traviata")


    Alphonsine Plessis wurde am 15. Januar 1824 in einem kleinen Dorf in der Normandie geboren. Ihre Kindheit und frühe Jugend war von großer Armut geprägt. Bereits in sehr jungen Jahren arbeitete sie zunächst als Dienstmagd in einem Gasthaus, dann in einer Regenschirmfabrik.


    Mit etwa 15 Jahren kam sie zu Verwandten nach Paris, wo sie sich zunächst als Wäscherin und Putzmacherin durchschlug, bis sie die Geliebte eines wohlhabenden Kaufmannes wurde, der ihr eine kleine Wohnung einrichtete und ihr einen ersten bescheidenen Luxus ermöglichte.


    Innerhalb kurzer Zeit wurde aus dem Bauernmädchen eine der begehrtesten und kostspieligsten Kurtisanen von Paris. Sie lernte Lesen und Schreiben, nahm Klavierunterricht, galt als außerordentlich gebildet und belesen und änderte ihren Namen. Aus Alphonsine Plessis wurde Marie Duplessis. Zu ihren Liebhabern gehörten Alexandre Dumas d. J. und Franz Liszt, zu ihren engen Freunden Theophile Gautier und Jules Janin. Marie war berühmt für ihre außergewöhnliche Schönheit, ihre Eleganz, ihr Taktgefühl und ihren Stil. Angeblich ist niemand der ihr zum erstenmal begegnete auf den Gedanken gekommen, eine Prostituierte vor sich zu haben.


    Im Januar 1846 heiratete Marie auf dem Standesamt im Londoner Stadtteil Kensington Graf Eduard de Perregeaux. Als die Ehe nach kurzer Zeit scheiterte, war Marie, die an Tuberkulose litt, bereits schwer krank. Trotzdem stürzte sie sich in ein Leben, das wilder und ausgelassener war als je zuvor. Ein knappes Jahr später, am 3. Februar 1847 starb sie, hochverschuldet und von allen Freunden verlassen, in ihrer Wohnung am Boulevard de la Madeleine Nr.11. Sie ist nur 23 Jahre alt geworden.


    *****


    Also eine Cortegiana (= Hofdame) war Violetta wohl nicht.


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

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  • Hier liegt ein Missverstaendnis vor, dasss ich sofort aufklaeren muss!
    Ich habe Hure und Kurtisane absichtlich vermischt, weil sie eben in den spiessbuergerlichen und/oder moralinsauren Augen DASSELBE tun, nur eben mit anderen Bildungsvorzeichen.
    Dass das fuer mich ein erheblicher Unterschied ist und ich da auch die hochangesehenen griechischen Hetaeren heranziehe, habe ich nicht eigens ausgefuehrt und hole das hiermit nach.
    Fuer mich ist Viloletta eine bewundernswuerdige Frau, egal ob sie ihren Koerper verkauft oder nicht. Sei versteht mehr von der Liebe als Viele ihrer wohlanstaendigen buergerlichen Schwestern. Aus Verzweiflung und Armut hat schon mancher so mancherlei getan und sich darueber zu erheben, finde ich ohnehin unwuerdig. Marie Duplessis musste ueberleben!
    Also bitte das nicht falsch verstehen.
    Ich stimme Alfred sonst komplett zu, wuerde aber gerne noch weiter mein letztes Posting zur Debatte stellen.
    Zur Schwester Alfredos:
    sie ist das , was Violetta sich in ihrem Suendenbewusstsein zu sein ertraeumt und als das sie von Alfredo geliebt werden will. Um dieses Traumbildes willen, um sich dem anzunaehern und BUSSE zu tun, verzichtet sie. Sie weiss, dass sie bald sterben wird und moechte sicher auch vorher gerne noch ein Stueckchen vom Engel abhaben. :angel:
    Wir haben es noch lange nicht mit einer saekularisierten Welt zu tun und damals war die Vorstellung der Suende und Todsuende noch virulenter als heute. Hurerei (das wort ist Absicht!) galt als Todsuende.
    Insofern ist die Schwester einerseits ein ertraeumtes Alter Ego, andererseits ein Katalysator der Handlung. Aber ohne sie waere ein anderer Grund gefunden worden. Alfredo haette vielleicht einer anderen Jungfrau schon anverlobt sein koennen oder oder oder
    Als Hauptperson wuerde ich die engelsgleiche Schwester daher doch nicht sehen.


    Fairy Queen :angel:

  • Wie sicher sich doch immer alle sind, dass Violetta bzw. ihre literarischen Vorbilder an Tuberkulose litten. Dabei wurde der Tuberkel-Bazillus erst sehr viel später entdeckt. Noch mehr wundert es mich stets, wie man Opernfiguren an der Realität unseres heutigen Alltags mißt und sie entsprechend psychologisiert. Das machen bei uns eben auch fast 100 % aller Regisseure. Herr Gott, das sind doch dargestellte Figuren, die so und nicht anders dargestellt sind, damit sie die Handlung tragen. Das sind von vornherein keine Menschen wie du und ich, auch der Père Germont nicht. Allen sei zumindest die Lektüre des Nachworts zur 2-sprachigen Reclam-Ausgabe empfohlen.

  • Ich bin zwar nicht der Angerufene, aber ich fühle mich dennoch berufen, hier zurückzurufen:


    Leider habe ich das Reclam-Libretto nicht in meinem Besitz und wäre daher für eine Zusammenfassung der dortigen Aussage dankbar.


    Außerdem ist natürlich jedem klar, dass auch Germont père eine Opernfigur ist - nur ist die Frage, wie er "dargestellt" ist, nicht so einfach zu beantworten. Es kommt ja nicht nur darauf an, was er sagt, sondern darauf, wie er es meint. Denn auch als Opernfigur in der Interaktion mit Opernfiguren kommuniziert er ja nicht Buchstabenkombinationen als lästige Notwendigkeit für die Produktion von Gesang, sondern er kommuniziert Aussagen.


    Und zur Beantwortung der Frage nach dem kommunizierten Aussagegehalt wird man um die Psychologie dieser Opernfigur nicht herumkommen, was ohne einen Akt von Einfühlung nicht gelingen wird.


    Aber man muss sich solche Fragen natürlich nicht stellen, man kann auch die Musik genießen ohne die dramatische Konstellation weiter interpretieren zu wollen - aber genau darum geht es uns hier.


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)


  • Liebe Feenkönigin,


    ich wollte Dir nicht unterstellen, dass Du sie für Trottel hältst, dieser Begriff war nur eine unscharfe Kurzreferenz zu dem von Dir beklagten Umstand, dass Alfredo eher nix und sein Vater zu spät "kapieren".


    Über Frauen, Männer und Stärke in emotionalen Dingen möchte ich nur ungern diskutieren, denn ich sehe da keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Und Tosca als Musterbeispiel - naja, mit ein bisschen mehr Vertrauen hätte sie ihm und sich doch einiges erspart, oder erinnere ich da die Handlung dieser für mich völlig unerträglichen Oper verkehrt?


    Dem sei, wie ihm wolle. Violettas Liebesbetätigung durch Liebesentsagung wollte und will ich nicht bestreiten - aber wenn Alfredo (wie auch immer nachvollziehbar und entschuldbar) genauso wie sein Vater vor der Liebe versagen, weil sie ihr als schwache Menschen trotz besten Willens nicht gewachsen sind, wenn der Maßstab also das Optimum ist, dann muss sich auch Violetta daran messen lassen und sich folgerichtig der Frage stellen, ob die Entsagung die "beste" Lösung war, oder ob es für ihre Liebe andere Wege gegeben hätte.


    Alfredo fällt auf das Entsagungsspiel herein, das sein Vater provoziert hat, weil der Violettas ganze menschliche Größe erst erkennen konnte, nachdem sie sich von ihrem Leben abgewandt hat (leider halt erst nach der aufopferungsvollen Abwendung von Alfredo) - daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen. Und wenn man es tut, dann könnte man genausogut sagen, dass Violetta sich eben nicht für die Entsagungslösung hätte entscheiden sollen...


    Was nirgendwohin führt.


    Worum es mir geht: das Drama mit all seinen Schattierungen und Implikationen kann sich meines Erachtens nicht mehr voll entfalten, wenn die Hauptakteure nicht mehr gleichwertig sind, sondern die arme Violetta den allzumenschlichen Beschränktheiten der Germonts zum Opfer fällt. Ich sehe die Charaktere als "moralisch" auf einer Ebene, was für mein Empfinden den dramatischen Konflikt auf die Ebene des Existenziellen hebt - alle Beteiligten kämpfen mit Mächten, die stärker sind als sie.


    Wozu auch passt, dass es das "Happy End" ja gibt - nur eben aus zeitgebundener Notwendigkeit (wie Du sehr richtig gesagt hast) durch tödliche Krankheit abgekürzt und an der vollen Entfaltung gehindert.


    Deswegen "funktioniert" für mich die Traviata nur, wenn man die Hauptakteure auf eine moralische Ebene stellt und sie nicht auf die Tragödie einer Frau verengt, die "zu gut war für diese Welt". Womit ich weder Dir diese Tendenz unterstellen noch Dich angreifen noch sonstjemandem irgendwo drauftreten will - ich habe diese Diskussion bisher sehr genossen und hoffe, dass wir diesen faszinierenden Diskurs noch weiter in bestem Einvernehmen fortsetzen können.


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Lieber BBfloh, ich fuehlte mich nicht von dir angegriffen sondern ANGEREGT! Und Du kannst mir glauben, fuer diese Diskussionen bin ich immer zu haben! Danke , dass du mitmachst.
    Ich bin naemlich ganz und gar nicht Brighellas Meinung, dass Opernfigueren keine echten Persoenlichkeiten/Charaktere sondern NUR Handlungstraeger sind. :no: ALLERspaetestens bei Mozart trifft das nicht mehr zu. Da wo die Schemata der Commedia dell Arte aufhoeren, faengt die Rechtmaessigkeit einer psychologischen Deutung an.
    Verdi hat seine Figuren bereits so fein gezeichnet, dass eine psychologische Annaehrung meines Erachtens sogar notwendig ist und wenn man dann in den Verismo oder die noch moderneren Opern geht, erst Recht!
    Wie willst du bitte eine Marschallin im Rosenkavalier oder eine Marie im Wozzeck interpretieren, wenn du die Figur nur als Handlungstraeger siehst?
    Aber das ist ein eigenes Thema scheint mir....
    Mit der Traviata gehts hoffentlich noch weiter.
    Ich will jedoch nun noch ueber einen Opernbesuch mit Glucks Orpheus berichten und kann leider immer nur wenige Posts hintereinander bewaeltigen.
    Fairy Queen :angel:

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  • Liebe Fee,


    das ist schön - und brighella scheint seinen Bezug zur commedia dell' arte halt wörtlich zu nehmen :hahahaha: .


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Ich vermute etwas ganz anderes: nämlich, dass Père Germont selbst bereits vor Alfredo mit Violetta zusammen war: Das Duett beginnt nämlich:


    GERMONT
    D'Alfredo il padre in me vedete!
    (Alfredos Vater seht in mir!)


    VIOLETTA (sorpresa / überrascht)
    Voi!
    (Ihr!)


    Das ist seitens Germonts die Aufforderung an Violetta, ihn nicht in seiner Funktion als Freier, sondern in seiner Funktion als Alfredos Vater wahrzunehmen; und Violetta ist deshalb so überrascht, weil ihr diese Verwandtschaftsverbindung zwischen dem Mann, der ihre Escort-Dienste in Anspruch nahm und Alfredo bisher nicht bekannt war. Oder liege ich da ganz falsch?

  • Lieber Philhellene,


    ein interessanter Gedanke, auf den ich noch nicht gekommen war - man kann die Textstelle sicher so interpretieren, ich frage mich nur, ob es dafür noch andere Anhaltspunkte im Text gibt. Mir fallen da jetzt keine ein, in der Musik finde ich da auch nichts. Außerdem denke ich, dass sich Violettas "Voi" auch anders verstehen lässt, nämlich als Ausdruck der Überraschung über den unerwarteten Besuch als solchen, also nicht darüber, dass gerade er jetzt der Vater Alfredos ist.


    Spontan halte ich daher diese Lesart nicht für zwingend, aber ausschließen will ich sie auch nicht.


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Original von brighella
    Wie sicher sich doch immer alle sind, dass Violetta bzw. ihre literarischen Vorbilder an Tuberkulose litten. Dabei wurde der Tuberkel-Bazillus erst sehr viel später entdeckt.



    Klar, erst nachdem der Erreger entdeckt wurde, durften dann die Leute auch daran erkranken. Man sollte folglich Koch für diesen bösen Dienst an der Menschheit nachträglich den Medizinnobelpreis aberkennen. :D


    Gruß
    Sascha


  • Hieß die Krankheit nicht schon seit Gerenationen "Schwindsucht"??????

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  • ...soweit ich mich an die entsprechende Vorlesung an der Uni noch erinnern kann (im Robert Koch-Saal in Berlin gehört, deshalb wurde das Thema etwas ausführlicher behandelt), gab es bereits ca. 500 vor Christus diesen Terminus bzw. zumindest einen sinngemäß ähnlichen. Also schon einige Generationen lang. :D Das es dann über 2000 Jahre dauerte, den Erreger zu identifizieren - und wie es Robert Koch gelang, ist ja eine durchaus spannende Geschichte, die auch mehrmals verfilmt worden ist.


    Gruß
    Sascha


  • Deswegen fragt er sie wohl beim Eintreten auch, ob sie Mademoiselle Valérie sei?!


    Sie hingegen erwartet einen Geschäftsmann, um den Verkauf ihrer Liegenschaft zu verhandeln. Da ist es natürlich verständlich, dass sie überrascht ist, Alfredos Vater gegenüber zu stehen.


    Und warum sollte Germont dann über ihr Benehmen erstaunt sein, wenn er sie doch so gut kennt?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich halte die Interpretation von Germont als ehemaligem "Kunden" Violettas nicht fuer ausgeschlossen. Oft genug haben Vaeter ihre Soehne entsprechend einweisen lassen und sich dabei eigner Maetressen bedient.
    Die Pariser Halbwelt war nun auch nicht so riesengross, dass man in den gewissen Kreisen nicht untereinander bekannt war.
    Das waere ausserdem eine Bestaetigung meiner ersten These, dass Germont selbst in Violetta verliebt sei und der Vater-Sohn-Konflikt noch eine andere Komponente hat als die Huetung der Familien-Moral in Bezug auf Schwester und standesgemaesse Ehe.
    Allerdings sehe ich im Gesamt-Libretto selbst keine so deutlichen Hinweise, dass ein Regisseur sich darauf stuetzen koennte.
    Wenn Germont es vielleicht bedauert, nur als Vater Alfredos von Violetta gesehen zu werden, muss das nicht heissen, dass er sich ihr bereits anderweitig offenbart hat, sondern kann auch heissen, dass er es gerne tun WUERDE.....
    Und Violettas Erstaunen ruehrt genauso logisch darin, dass sie ihren Finanzberater erwartete und nicht etwa Alfredos Vater.
    Aber sehr interessant.......


    Fairy Queen :angel:

  • Liebe Feenkönigin,


    womit aber der zweite Teil von Theophilus' Argument nicht voll in die Rechnung genommen scheint - denn Giorgio Germont ist ja sehr geplättet von Violettas Stil und Persönlichkeit - wenn er sie schon gekannt hätte oder in sie verschossen wäre, dann gäb' es dafür doch kaum einen Grund, oder?


    Ich will damit nicht sagen, dass die Deutung ausgeschlossen ist, aber es scheint mir wenig dafür zu geben und einiges dagegen - ein bisschen eine "Sachverhaltsquetsche" um im Jargon der Juristenausbildung zu bleiben...


    Der Zwischenstand scheint mir jedenfalls zu sein, dass Vater Germont nicht allgemein für den bornierten Bösewicht gehalten wird, als der er oft verkauft wird.


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Hallo


    Noch einmal: Philhellene verkürzt die Szene unzulässig und zieht einen offensichtlich falschen Schluss!



    Accenna a Giuseppe d'introdurlo


    GERMONT
    Madamigella Valéry?


    VIOLETTA
    Son io.


    GERMONT
    D'Alfredo il padre in me vedete!



    Warum sollte Germont Violetta fragen, wer sie ist, wenn er sie schon längst intim kennt? Da macht doch keinen Sinn....


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Was das Verhältnis Violetta - Germont betrifft, sehe ich das genauso wie THeophilus - die Situation (+ Text) schließt es meiner Meinung nach völlig aus, dass die beiden einander kennen, auf welcher Ebene auch immer.
    BBF: Für einen Bösewicht per se halte ich Germont auch nicht, eher für den "Gefangenen" eines Wertekanons, den er nicht so einfach umstoßen kann. Das "Was-werden-die-Leute-sagen?" bestimmt doch auch heute noch das Verhalten vieler Menschen, umso mehr zu einer Zeit, als die Akzeptanz in "seinen Kreisen" einen enorm hohen Stellenwert hatte. In diesem Sinne verstehe ich es durchaus, das Vater Germont diese "unmögliche Beziehung" verhindern will und dass die Sorge um die Heiratschancen seiner Tochter sehr real ist und nicht nur eine faule Ausrede, um Violetta auf der emotionalen Ebene zu packen. Er erkennt ja während seiner Unterredung mit Violetta sehr deutlich ihren Wert als Mensch, aber das reicht nicht, um seine Vorurteile und Befürchtungen so einfach über Bord zu werfen.
    Fairy queen: Ich finde deine Deutung, dass Germont in Violetta verliebt ist, interessant, aber rein auf der Gefühlsebene (damit meine ich jetzt meine Gefühlsebene!) kann ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Für mich ist Germont wirklich so ein moralinsaurer Tugendwächter, dem die Reputation seiner Familie zunächst über alles geht und dem ich eine Liaison mit einer Kurtisane nicht so wirklich zutraue. Aber gut, das ist natürlich auch reine Spekulation.....
    Könnte es übrigens nicht auch sein, dass deine Aversion gegen Villazon da mit hineinspielt, dass du es einfach lieber hättest, wenn Violetta und Germont ein Paar wären??? Das ist jetzt um Gottes willen kein Vorwurf, es ist dein gutes Recht, RV nicht zu mögen, aber ich weiß von mir selbst, dass einem das Unterbewusstsein da so manchen Streich spielt. z.B. habe ich bei fast allen "Don Carlos"-Aufführungen das Gefühl, dass die Elisabeth eigentlich in den Posa verschossen ist (oder verschossen sein müsste ;) ) und nicht in diesen unreifen, testosterongesteuerten Jüngling, der mit seiner "Kopf-durch-die-Wand"-Taktik alles vermurkst. Und besonders heftig ist dieses mein Gefühl immer dann, wenn der Posa Thomas Hampson heißt..... :]
    lg Severina :hello:

  • Tja, das stimmt natuerlich. :yes: Als Gegenargument kann ich allenfalls anfuehren, dass man jemanden, mit dem man ein voruebergehendes physisches Vergnuegen teilt, noch lange nicht kennt.
    Aber wiedererkennen sollte man ihn oder sie dann doch...... :D


    Allerdings bleibe ich weiter dabei, dass Germonts persoenlich an Violetta interessiert sein koennte und wenn er sie noch nicht im bilblischen Sinne "kennt", wuerde er es wahrscheinlich nur allzu gerne.
    Und tut Busse fuer den eigenen Filius, indem er sie oeffentlich in Schutz nimmt und ihn zur Schnecke macht. Psychologisch alles sehr verdaechtig und spannend. Je mehr ich dank eurer Inspirationen darueber nachdenke, umso spannender wird das.


    Fairy Queen :angel:

  • Liebe Severina,


    zum Thema "moralinsauer" fallen mir noch ein Paar Punkte ein, über die nachzudenken sich eventuell lohnt:


    Vater Germont beruft sich in seiner Auseinandersetzung mit Violetta ja nicht nur auf die Heiratschancen seiner Tochter, sondern auch darauf, dass ihre Ehe mit Alfredo eh' nicht den Segen des Himmels trüge. Und dann "tröstet" er sie damit, dass sie ja noch schön und jung sei...


    Will er sie "austesten"?
    Spricht da der (leicht frömmelnde) "gesunde Menschenverstand"?
    Nimmt er einfach jedes Argument, das ihm vor die Flinte kommt?


    Aus dramatischen Gesichtspunkten ist übrigens die "in seinen Werten und Anschauungen gefangen" - Theorie eines großen Mehrwerts fähig, macht sie doch die Entwicklung Germonts hin zur Einsicht in den Wert dieser Liebe noch weiter.


    Fragen über Fragen...


    :hello:
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Nun ist mir natürlich klar, dass meine Interpretation eine Interpretation ist und nicht zwangsläufig stimmen muss. Aber ein komplett falscher Schluss, lieber Theophilus, ist es dann doch nicht. Wenn ich jemanden anspreche, obwohl ich ihn (er-)kenne, sage ich auch oft z. B. "Herr Professor?", gerade wenn es förmlich sein soll. Und 1.) spricht Germont hier förmlich mit Violetta und 2.) ist das Verhältnis zwischen reichem Mann und Escortlady trotz einer gewissen Intimität auch eher förmlich. Gerade wenn Germont bereits etwas mit Violetta hatte, passt das auch gut zur brutalen Musik, die ich während des Beginns dieser Szene empfinde.
    Die ganze Szene kann man auch situationsbedingt lesen: das damenhafte Verhalten einer Kurtisane in dieser Situation ist nicht unbedingt zu erwarten; während der Dienstleistung hingegen schon, das gehört ja zum Job. Außerdem: Kennt Germont Violetta, nur weil er ihre Dienste in Anspruch genommen hat? Ist das schon Kennen? Kennt er sie so gut, dass er weiß, wie sie ist?
    Ich sage nicht, dass diese Interpretation zwingend ist - das ist sie ganz und gar nicht - aber eine Möglichkeit ist es, denke ich, dennoch.

  • Lieber BBF,
    das von dir erwähnte "bella voi siete, e giovane, ma col tempo" ist eigentlich genau die Stelle, wo Daddy Germont bei mir immer alle Sympathiepunkte wieder einbüßt, denn das ist so was von perfide: "Jetzt bist du ja noch appetitlich anzuschauen, aber warte ein paar Jahre, bis die ersten Falten kommen, dann lässt dich der Alfredo eh sitzen und sucht sich was Jüngeres!" :motz: Und das ist eigentlich die Passage, die mir das meiste Kopfzerbrechen bereitet in diesem Dialog - ist es nicht wirklich die Angst, von Alfredo verlassen zu werden, wenn sie nicht mehr jung und schön ist (Sie weiß ja um ihre Krankheit), die sie den Kampf mit Germont aufgeben lässt? Nach ihrem "e vero" scheint sie doch innerlich zusammenzubrechen, kommt mir immer vor. Für mich ist das so, als ob sie in diesem Moment erkennt, dass sie sich etwas vorgemacht hat, dass ihr Traum von einem bürgerlichen Glück mit Alfredo nur Schimäre ist, dass es für sie keine Zukunft geben kann. (Da spielt natürlich auch die unbewusste Angst mit, ihm außer "Schönheit" nichts bieten zu können - natürlich bietet sie ihm wesentlich mehr, aber ob sie das auch weiß bzw.glaubt?? Ihr habt ja richtig darauf hingewiesen, welche psychologisch wichtige Rolle für sie die "unschuldige, tugendhafte Schwester" Alfredos spielt.) Welche Stellung würde Alfredo in der Gesellschaft einnehmen können mit einer Frau an der Seite, deren körperliche Vorzüge die halbe Männerwelt von Paris nur zu gut kennt??? Er müsste mit ihr ein zurückgezogenes Leben fern der Gesellschaft führen - aber ob ihm das auf Dauer genügt, vor allem dann, wenn sie nicht mehr die strahlende Schönheit ist? Ich glaube, das sind die Gedanken, die ihr bei Germonts perfider Prophezeiung durch den Kopf schießen und die sie letztendlich zum Verzicht treiben. (Besser, ich verlasse ihn als er mich.... Jetzt finde ich noch einen Mann, der für mich sorgt, aber in ein paar Jahren......)
    Nur so einige Gedanken :]
    lg Severina :hello:

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